Spruch:
Die Wiedereinsetzung wird verweigert.
Text
Gründe:
Anton P***** wurde der Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 und Abs 2 lit a FinStrG schuldig erkannt.
Danach hat er in den Jahren 1997 und 1998 in B***** als Geschäftsführer der Fa. I***** GmbH, die steuerliche Vertreterin der P***** war,
1. unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Offenlegungs- und Wahrheitspflicht durch Nichterklären von Gewinnausschüttungen eine Verkürzung an Kapitalertragsteuer für 1997 von 6.402,48 Euro und für 1998 von 12.049,81 Euro bewirkt;
2. vorsätzlich unter Verletzung der Verpflichtung zur Abgabe von dem § 21 UStG 1994 entsprechenden Voranmeldungen eine Verkürzung an Umsatzsteuer 1998 von 138.124,17 Euro bewirkt und dies nicht nur für möglich, sondern für gewiss gehalten.
Bei der Anmeldung seiner Nichtigkeitsbeschwerde hatte der Angeklagte keinen Nichtigkeitsgrund bezeichnet und seine Beschwerdegründe innerhalb der - nach Urteilszustellung am 24. März 2003 - bis 22. April 2003 hierzu offenstehenden Frist nicht ausgeführt, weshalb dieses Rechtsmittel mit Beschluss des Obersten Gerichtshofes vom 4. Juni 2003, AZ 13 Os 73/03, zurückgewiesen und die Akten zur Entscheidung über die Berufung dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet wurden.
Mit einem am 26. Mai 2003 zur Post gegebenen (§ 6 Abs 3 StPO) Schreiben beantragte er durch seinen nach § 41 Abs 3 StPO von Amts wegen beigegebenen (ON 12) Verteidiger Mag. Z***** (neben der durch das Erstgericht erfolgten Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers für das weitere Verfahren) die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der angemeldeten Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung. Im selben Schriftsatz wurden die versäumten Verfahrenshandlungen nachgeholt (§ 364 Abs 1 Z 3 StPO).
Rechtliche Beurteilung
Notwendige Voraussetzung für den Erfolg eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen den Ablauf der Frist zur Ausführung eines Rechtsmittels ist der durch den Angeklagten zu erbringende Nachweis, dass es ihm durch unvorhersehbare oder unabwendbare Ereignisse unmöglich war, die Verfahrenshandlung vorzunehmen und weder ihm noch seinem Vertreter dabei ein mehr als bloß geringfügiges Versehen zur Last lag.
Folgt man dem Antragsvorbringen, kann von einem Versehen bloß minderen Grades auf Seiten des nach § 41 Abs 3 StPO bestellten Verteidigers Mag. Z***** jedoch keine Rede sein.
Darnach hat dieser am letzten Werktag vor Ablauf der Frist zur Rechtsmittelausführung, dem 18. April 2003, die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers irrig statt zum AZ 14 Hv 12/02v in dem ebenfalls gegen Anton P***** unter dem AZ 13 Hv 86/02v beim Landesgericht Leoben gesondert geführten Strafverfahren beantragt, in welchem der Angeklagte gleichfalls von - dem dort bevollmächtigten (ON 40 dieses Aktes) - Mag. Z***** vertreten und in erster Instanz am 3. März 2003 wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB verurteilt worden war.
In Kenntnis zweier gegen Anton P***** gesondert geführter Strafverfahren hat Mag. Z***** den Antrag vom 18. April 2003 auf einem Deckblatt unterfertigt, das sowohl ein falsches Aktenzeichen (AZ 13 Hv 86/02v) als auch einen falschen Prozessgegenstand ("wegen: ua § 133 StGB") auswies (GZ 13 Hv 86/02v-51). Zu allem wird Anton P***** auf diesem Deckblatt - seiner Stellung im Verfahren AZ 13 Hv 86/02v entsprechend - als "Erstangeklagter" bezeichnet. Es ist mit den rechtsanwaltlichen Pflichten nicht vereinbar, die Richtigkeit einer für das Strafverfahren wesentlichen Eingabe an das Gericht, wie es eine fristgebundene Rechtsmittelanmeldung darstellt, überhaupt nicht zu überprüfen und diese unkontrolliert zu unterfertigen. Schon ein solches Verhalten eines Verteidigers stellt kein Versehen bloß minderen Grades dar (15 Os 6/98; vgl auch 9 Os 40/79, 13 Os 162/83).
Dazu kommt, dass die Führung zweier gesonderter Verfahren gegen Anton P***** Mag. Z***** von vornherein zu besonderer Sorgfalt hätte Anlass geben müssen (11 Os 123/96).
Schließlich hat der Oberste Gerichtshof zuletzt mehrfach die
Anwendung des § 43a StPO auf bereits durch einen Verteidiger
vertretene Angeklagte abgelehnt, worauf die Staatsanwaltschaft in
ihrer Äußerung zutreffend verweist (15 Os 179/01 [= ÖJZ-LSK
2002/140], 15 Os 55/02, 15 Os 63/02, 13 Os 182/01, 2/02 [= EvBl
2002/114]).
Zu der von der Rsp vorgenommenen teleologischen Reduktion des § 43a StPO ist ergänzend folgendes anzumerken:
Ein Angeklagter hat nach Maßgabe des Art 6 Abs 3 lit c EMRK das Recht auf unentgeltlichen Beistand eines Verteidigers. Dieses Recht gilt lege non distinguente auch für Angeklagte, welche bereits durch einen Verteidiger vertreten sind, sei es durch einen frei gewählten, sei es durch einen, dessen Kosten sie nach § 41 Abs 3 StPO zu tragen haben. Nach 14 Os 110, 111/98 (= ÖJZ-LSK 1999/18) hat ein gemäß § 41 Abs 3 StPO bestellter Verteidiger für die Dauer seiner Bestellung einen von den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Angeklagten unabhängigen Honoraranspruch und ist eine rückwirkende Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers unzulässig (was gleichermaßen für einen frei gewählten Verteidiger - und zwar auch insoweit, als dieser nach § 11 Abs 2 RAO tätig wird - gelten muss).
Bezöge man das Adjektiv "rückwirkend" auf den Zeitpunkt des Beigebungsbeschlusses oder Bestellungsbescheides, so würde die von 15 Os 179/01, 15 Os 55/02, 13 Os 182/01 vorgenommene teleologische Reduktion des § 43a StPO dazu führen, dass ein vertretener Angeklagter gegenüber einem unvertretenen in Hinsicht auf die Befreiung vom Verteidigerhonorar benachteiligt wird, soweit dringende Prozesshandlungen noch vom zu honorierenden Verteidiger vorgenommen werden müssen, um den Angeklagten vor Rechtsnachteilen zu schützen. Unter dem Aspekt eines wirksamen Grundrechtsschutzes wird damit klar, dass sich der Ausdruck "rückwirkend" auf den Zeitpunkt des Antrages, nicht aber der Entscheidung über die Beigebung bezieht. Stellt ein nach § 41 Abs 3 StPO beigegebener Verteidiger namens des Beschuldigten (§ 38 Abs 3 StPO) den Antrag auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers, hat er demnach bei Stattgebung ab diesem Zeitpunkt keinen Honoraranspruch mehr gegen diesen (§ 395 Abs 5 StPO).
Weil für den Erfolg eines Wiedereinsetzungsantrages die gleichzeitige Nachholung der versäumten Prozesshandlung, hier also die Rechtsmittelausführung (zu der der Angeklagte - jedenfalls faktisch - der Hilfe des Verteidigers bedarf, vgl aber auch § 285a Z 3 StPO) vorausgesetzt ist (§ 364 Abs 1 Z 3 StPO), gelten die zur rückwirkenden Bestellung eines Verfahrenshilfeverteidigers angestellten Überlegungen gleichermaßen.
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