Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Der am 3. 10. 1949 geborene Kläger hat im Mai 1979 in Zagreb die Abschlussprüfung als Kraftfahrer abgelegt. Diese Ausbildung wurde in Österreich nicht anerkannt.
Von 1971 bis 1972 war der Kläger als Bauarbeiter, von 1972 bis 1976 als Kraftfahrer bei der Firma L*****beton, weiters im Jahr 1976 als Busfahrer im ehemaligen Jugoslawien und von 1977 bis 1986 als selbständiger Transportunternehmer im ehemaligen Jugoslawien tätig. Von Dezember 1991 bis Dezember 1998 war er mit kurzen Unterbrechungen als Baustellenhelfer und als Mischwagenfahrer bei einem Bauunternehmen beschäftigt. Von Dezember 1999 bis Dezember 2006 arbeitete er ebenfalls als Mischwagenfahrer.
Im Zeitraum vom 1. 1. 1992 bis 31. 12. 2006 (Stichtag ist der 1. 1. 2007) liegen 110 Monate als Mischwagenfahrer und 10 Monate als Bauhilfsarbeiter; einen Monat lang bezog der Kläger eine Urlaubsersatzleistung.
Der Kläger kann die bisher verrichteten Tätigkeiten nicht mehr durchführen. Er ist umschulbar, anlernbar und unterweisbar. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könnte er beispielsweise als Portier, als Aufsichtsperson, als Verpacker oder als Etikettierer eingesetzt werden.
Mit Bescheid vom 27. 3. 2007 lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt die Gewährung der Invaliditätspension ab.
Das Erstgericht wies die dagegen erhobene Klage ab. Der Kläger genieße keinen Berufsschutz als angelernter Berufskraftfahrer nach § 255 Abs 2 ASVG, weil er lediglich als Kraftfahrer im Baustellenbereich tätig gewesen sei und daher nicht über die Kenntnisse und Fähigkeiten eines angelernten Berufskraftfahrers, gemessen am Berufsbild dieses Lehrberufs, verfüge. Das Fehlen der für die qualifizierte Tätigkeit des Berufskraftfahrers erforderlichen und auch in der Praxis verlangten Kenntnisse (vor allem) im grenzüberschreitenden Verkehr könne nicht durch Kenntnisse in der Bedienung von Spezialfahrzeugen und Spezialmaschinen aufgewogen werden. Soweit sich der Kläger darauf berufe, dass er (durch die qualifizierte Tätigkeit als selbständiger Transportunternehmer in Bosnien) schon früher einen Berufsschutz erworben habe, der durch die Ausführung der oben angeführten Teiltätigkeiten erhalten worden sei, sei ihm entgegenzuhalten, dass zum einen die vom Kläger absolvierte Ausbildung einer österreichischen Ausbildung nicht durch Bescheid gleichgehalten sei; zum anderen könne ein Berufsschutz nach § 255 Abs 2 ASVG nur durch die überwiegende Ausübung einer nach dem ASVG versicherungspflichtigen Tätigkeit erworben werden. Entscheidend sei hier nicht die Berufsschutzerhaltung, sondern der Berufsschutzerwerb. Überdies sei die Tätigkeit des Klägers so wenig qualifiziert gewesen und habe auch nicht den Kernbereich der Tätigkeit eines Berufskraftfahrers berührt, sodass die Erhaltung des Berufsschutzes nicht in Betracht komme.
Da der Kläger unter Berücksichtigung seines Leistungskalküls auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch eine Reihe von Tätigkeiten verrichten könne, sei er nicht invalid im Sinne des § 255 Abs 3 ASVG.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es sah den Berufungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens (wegen Nichteinholung eines Berufseignungstests) als nicht gesetzmäßig ausgeführt an, weil die aufgrund dieses Beweismittels zu treffenden Feststellungen nicht angeführt worden seien. Betreffend seine Rechtsrüge habe der Kläger nicht angeführt, welche tatsächlichen Kenntnisse und Fähigkeiten des Lehrberufs Berufskraftfahrer, die die Annahme eines Berufsschutzes nach § 255 Abs 2 ASVG zuließen, er im Ausland durch praktische Tätigkeit erworben habe. Insbesondere habe er weder im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht noch in seiner Berufung behauptet, dass er auch Fahrten von Kroatien oder Bosnien-Herzegowina in das Ausland durchführen habe müssen und dabei die zum Erwerb eines Berufsschutzes als Berufskraftfahrer unerlässlichen Kenntnisse des internationalen Transportwesens erworben habe.
Die Revision sei mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagsstattgebenden Sinn abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei hat von der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung nicht Gebrauch gemacht.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht die Art des Berufsschutzerwerbs unrichtig beurteilt hat, was im Sinne der Rechtssicherheit aufzugreifen ist. Die Revision ist im Sinne des Aufhebungsantrags auch berechtigt.
In seiner Revision verweist der Kläger auf sein erstinstanzliches Vorbringen, dass er aufgrund einer zweijährigen Ausbildung zum Kraftfahrer im ehemaligen Jugoslawien und einer neunjährigen Tätigkeit als Transportunternehmer in Bosnien einen (auch in Österreich gemäß § 255 Abs 2 ASVG zu beachtenden) Berufsschutz als angelernter Berufskraftfahrer erworben habe (AS 112 = Seite 2 im Protokoll ON 7; AS 175 = Seite 4 im Protokoll ON 16; Urkundenvorlagen ON 18 und 21; Beweisantrag ON 26). Weiters bezieht er sich auf seinen vom Erstgericht abgewiesenen Antrag, einen Berufseignungstest einzuholen. Wie ein Versicherter die wesentlichen Kenntnisse des internationalen Transportwesens erworben habe - sei es durch eine absolvierte Lehrausbildung (wie im Fall des Klägers), sei es im Zuge der Beschäftigung in der Praxis - sei ohne Bedeutung. Vom Kläger sei weder ein Vorbringen zu erstatten noch ein Nachweis zu führen gewesen, dass er auch Fahrten von Kroatien oder Bosnien und Herzegowina in das Ausland durchführen habe müssen. Selbst ohne entsprechenden Antrag des Klägers wäre das Gericht verpflichtet gewesen, einen Berufsqualifikationstest durchzuführen. Die zuletzt vom Kläger überwiegend ausgeübten Kraftfahrtätigkeiten seien berufsschutzerhaltend gewesen.
Dazu wurde erwogen:
1. Im Zusammenhang mit der Prüfung der Verweisbarkeit eines Versicherten nach § 255 Abs 1 und 2 ASVG muss unterschieden werden, ob ein Berufsschutz im Sinn eines gelernten oder angelernten Berufs erst zu erwerben ist oder ob ein bereits erworbener Berufsschutz durch später ausgeübte Teiltätigkeiten weiterhin erhalten bleibt (10 ObS 345/99d = SSV-NF 14/18; 10 ObS 365/99w = SSV-NF 14/19 = RIS-Justiz RS0084497 [T11]; 10 ObS 54/00i = SSV-NF 14/38 uva). Angesichts der Judikatur des Obersten Gerichtshofs ist nicht zu bezweifeln, dass der Kläger, sollte er als gelernter Berufskraftfahrer zu qualifizieren sein, durch die im Beobachtungszeitraum überwiegend ausgeübten Kraftfahrertätigkeiten als Betonmischwagenfahrer einen allfälligen Berufsschutz erhalten hat. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs geht der Berufsschutz auch dann nicht verloren, wenn in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag in der Praxis nur noch Teiltätigkeiten des erlernten bzw angelernten Berufs ausgeübt werden, sofern diese quantitativ und qualitativ nicht ganz unbedeutend waren (RIS-Justiz RS0084497). Entscheidend ist, ob ein Kernbereich der Ausbildung auch bei Ausübung der Teiltätigkeit verwertet werden muss (10 ObS 345/99d = SSV-NF 14/18; 10 ObS 54/00i = SSV-NF 14/38). In den Entscheidungen 10 ObS 345/99d = SSV-NF 14/18 und 10 ObS 365/99w = SSV-NF 14/19 sprach der Oberste Gerichtshof beispielsweise aus, dass die Tätigkeiten als Kraftfahrer (LKW-Lenker teilweise im grenzüberschreitenden Verkehr) und Busfahrer oder die Tätigkeit als Autobusfahrer im internationalen Einsatz den bereits vorher erworbenen Berufsschutz als Berufskraftfahrer erhalten. Der erkennende Senat hat im Übrigen - wenn dort auch ohne ausdrückliche Prüfung der Bewahrung des Berufsschutzes - die Verweisung eines Berufskraftfahrers auf die Tätigkeiten eines Fahrers von Dienstpersonenkraftwagen und eines Direktionschauffeurs nicht beanstandet (10 ObS 205/97p). In der Entscheidung 10 ObS 90/02m = SSV-NF 16/79 führte der Senat aus, dass die Tätigkeit als Chauffeur im Viehtransport, verbunden mit der Wartung des Fahrzeugs und der Ausfüllung von Formularen, zum Kernbereich der Tätigkeit eines Berufskraftfahrers gehört und den Berufsschutz eines gelernten Berufskraftfahrers erhält, auch wenn diese Tätigkeit allein nicht ausreichen würde, den Berufsschutz zu erwerben (vgl 10 ObS 138/95 = SSV-NF 9/63).
2. Allerdings reichen die Feststellungen nicht aus, um beurteilen zu können, ob der Kläger über qualifizierte Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, die denen gleichzuhalten sind, über die ein Berufskraftfahrer gewöhnlich verfügt (siehe RIS-Justiz RS0084585, RS0084638). In welcher Form der Versicherte diese Kenntnisse erworben hat (etwa durch eine teilweise absolvierte Lehre, durch Kurse, durch praktische Tätigkeit oder durch eine Kombination all dieser Varianten) ist ohne Bedeutung. Insbesondere ist nicht erforderlich, dass der Erwerb der Kenntnisse in einem nach dem ASVG versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis erfolgen müsse. Aus der vom Erstgericht in der Verhandlung am 8. 1. 2009 (ON 27) erörterten Entscheidung 10 ObS 156/07z = SSV-NF 21/90 geht eine entsprechende Notwendigkeit nicht hervor.
Der Kläger hat sich im erstinstanzlichen Verfahren mehrfach auf den von ihm erworbenen Berufsschutz berufen. Da eindeutig zwischen Begründung und Erhaltung des Berufsschutzes zu unterscheiden ist und der Berufsschutzerwerb nicht auf eine bestimmte Art der Erlangung der erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten beschränkt ist, war der Kläger nicht zu dem vom Berufungsgericht geforderten Vorbringen gehalten, dass er auch Fahrten von Kroatien oder Bosnien-Herzegowina in das Ausland durchführen habe müssen.
Somit wird im weiteren Verfahren zu klären sein, ob der Kläger über qualifizierte Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, die denen gleichzuhalten sind, über die ein Berufskraftfahrer gewöhnlich verfügt.
3. Sollte der Berufsschutz des Klägers als Berufskraftfahrer bejaht werden, so fehlen auch Feststellungen, die die Beurteilung seiner Verweisbarkeit auf verwandte (berufsschutzerhaltende) Tätigkeiten erlauben. Es ist daher notwendig, die Anforderungen in möglichen Verweisungstätigkeiten zu klären.
4. Da es offenbar noch einer Verhandlung in erster Instanz bedarf, um die Sache spruchreif zu machen, ist die Sozialrechtssache unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen an das Erstgericht zurückzuverweisen.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
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