OGH 10ObS173/04w

OGH10ObS173/04w23.11.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Hon. Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Matzka (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Eva-Maria Florianschütz (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Josef G*****, Pensionist, *****, vertreten durch Mag. Gerhild Scharzenberger, Rechtsanwältin in Salzburg, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert-Stifterstraße 65, wegen Integritätsabgeltung, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. Mai 2004, GZ 12 Rs 6/04w-13, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Wurde ein Arbeitsunfall durch die grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften verursacht und hat der Versicherte dadurch eine erhebliche und dauernde Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Integrität erlitten, so gebührt, wenn wegen der Folgen dieses Arbeitsunfalles auch ein Anspruch auf Versehrtenrente besteht, eine angemessene Integritätsabgeltung (§ 213a Abs 1 ASVG). Unstrittig ist, dass der Kläger durch einen Arbeitsunfall eine erhebliche und dauernde Beeinträchtigung der körperlichen und geistigen Integrität erlitten hat und dass deshalb ein Anspruch auf Versehrtenrente besteht. Die Vorinstanzen sind weiters übereinstimmend davon ausgegangen, dass der Arbeitsunfall durch die Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften verursacht wurde; konkret wurde nach Auffassung der Vorinstanzen auf Grund der im Unfallszeitpunkt bestehenden Rechtslage die Vorschrift des § 58 Abs 1 der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung (AAV-BGBl 1983/218), die bestimmt, dass vor dem Einschalten von Betriebseinrichtungen, sonstigen mechanischen Einrichtungen und Betriebsmitteln, insbesondere von Maschinen, darauf zu achten ist, dass durch das Ingangsetzen der Einrichtungen oder Mittel Personen nicht gefährdet werden, sowie die Vorschrift des § 58 Abs 19 AAV, die bestimmt, dass beim Bedienen von Betriebseinrichtungen, sonstigen mechanischen Einrichtungen und Betriebsmitteln sowie bei Instandhaltungsarbeiten an den Einrichtungen und Mitteln die vom Erzeuger oder Vertreiber beigegebenen Bedienungsanleitungen und Wartungsvorschriften zu beachten sind, verletzt wurden. Das Berufungsgericht ist dabei abweichend vom Erstgericht im Sinne des Prozessstandpunktes des Klägers davon ausgegangen, dass im Rahmen der soeben zitierten Bestimmungen auch vom Hersteller eines Gerätes oder einer Maschine (hier: Betonpumpe) stammende Warn-, Gefahren- und Sicherheitshinweise zu beachten sind. Der Kläger kann sich daher insoweit durch die seinem Prozessstandpunkt ohnedies Rechnung tragende Rechtsansicht des Berufungsgerichtes nicht beschwert erachten.

Strittig ist im Revisionsverfahren die Frage, ob die Arbeitnehmerschutzvorschriften grob fahrlässig außer Acht gelassen wurden. Die Vorinstanzen haben die Frage übereinstimmend verneint. Zur Frage der Abgrenzung zwischen grober und leichter Fahrlässigkeit liegt bereits eine umfangreiche und einheitliche Judikatur des Obersten Gerichtshofes vor, wobei sich auch der erkennende Senat in den letzten Jahren mit dieser Problematik gerade im Zusammenhang mit dem Anspruch auf Integritätsabgeltung wiederholt auseinandergesetzt hat (vgl SSV-NF 6/61, 8/64, 8/111, 8/122, 9/9, 9/51, 12/30, 12/150 ua). Bereits in der Grundsatzentscheidung SSV-NF 6/61 wurde darauf hingewiesen, dass bei Beurteilung des Verschuldensgrades jeweils die Umstände des Einzelfalles zu prüfen sind. Dieser Rechtssatz wurde in zahlreichen weiteren Entscheidungen wiederholt (vgl RIS-Justiz RS0089215, RS0105331 ua; jüngst 10 ObS 115/03i, 10 ObS 174/03s, 10 ObS 252/03m). Das Berufungsgericht ist bei seiner Entscheidung von den von der ständigen Judikatur entwickelten Grundsätzen ausgegangen. Danach reicht das Zuwiderhandeln gegen Unfallverhütungsvorschriften oder auch eine strafgerichtliche Verurteilung wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und 4 erster Fall StGB für sich allein zur Annahme grober Fahrlässigkeit nicht aus. Entscheidende Kriterien für die Beurteilung des Fahrlässigkeitsgrades sind auch nicht die Zahl der übertretenen Vorschriften, sondern die Schwere der Sorgfaltsverstöße und die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintrittes. Dabei ist im Wesentlichen zu prüfen, ob der Betreffende nach objektiver Betrachtungsweise ganz einfache und naheliegende Überlegungen nicht angestellt hat. Bei der Beurteilung der Frage, welcher Fahrlässigkeitsgrad vorliegt, ist auch das Verhalten des Versicherten mitzuberücksichtigen.

Das Berufungsgericht hat im angefochtenen Urteil nachvollziehbar begründet, warum nach den dafür maßgebenden Kriterien der Arbeitsunfall des Klägers vom 4. 7. 1996 nicht durch eine grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften verursacht wurde. Es hat insbesondere darauf hingewiesen, dass sich der die Betonpumpe bedienende Erhard S***** eines Einweisers hätte bedienen müssen, weil er nicht den gesamten Gefahrenbereich einsehen konnte. Zu berücksichtigen sei aber auch, dass Erhard S***** die beiden erkennbar im Gefahrenbereich aufhältig gewesenen Arbeiter durch ein Zeichen auf den bevorstehenden Beginn des Pumpvorganges hingewiesen und ihm einer der beiden Arbeiter mit Handzeichen zu verstehen gegeben habe, dass er mit dem Pumpvorgang beginnen könne. Deshalb habe Erhard S***** davon ausgehen dürfen, dass die beiden im Gefahrenbereich befindlichen Arbeiter diesen Bereich verlassen oder zumindest besondere Vorsicht walten lassen werden. Hingegen sei für Erhard S***** nicht vorhersehbar gewesen, dass sich ein anderer Arbeiter, nämlich der Kläger, in Kenntnis dessen, dass die Betonpumpe bereits im Einsatz war, direkt in den unmittelbaren Gefahrenbereich begeben werde. Die Beurteilung des Berufungsgerichtes, dass unter diesen Umständen noch nicht vom Vorliegen einer grob fahrlässigen Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften ausgegangen werden könne, bewegt sich im Rahmen der Grundsätze der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes. Soweit der Kläger in seiner Revision dagegen ins Treffen führt, Erhard S***** habe ihn bei seinem Eintreffen auf der Baustelle wahrgenommen, sodass die Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich der Kläger bei Beginn des Pumpvorganges im Gefahrenbereich aufgehalten habe, sehr groß gewesen sei, ist darauf hinzuweisen, dass nach den Feststellungen des Erstgerichtes zwischen dem Eintreffen des Erhard S***** auf der Baustelle und dem Beginn des Pumpvorganges doch ein erheblicher Zeitraum verstrichen ist und sich der Kläger erst nach dem von ihm wahrgenommenen Beginn des Pumpvorganges in den unmittelbaren Gefahrenbereich begeben hat. Das Berufungsgericht hat die Rechtslage somit nicht verkannt und seine Entscheidung nur auf Grund der besonderen Umstände des Einzelfalles getroffen (Kodek in Rechberger, ZPO2 § 502 Rz 3 mwN). Da die im vorliegenden Verfahren zu lösende Rechtsfrage keine über diesen Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat, hat das Berufungsgericht mit Recht ausgesprochen, dass die Revision nach § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig ist.

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