OGH 10ObS115/03i

OGH10ObS115/03i8.4.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Johann Holper (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Manfred K*****, vertreten durch Dr. Norbert Moser, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert Stifter Straße 65, wegen Integritätsabgeltung, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30. Jänner 2003, GZ 7 Rs 293/02s-10, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Auch nach der im vorliegenden Fall bereits maßgebenden Neuregelung der Revisionszulässigkeit im arbeits- und sozialgerichtlichen Verfahren durch die Zivilverfahrens-Novelle 2002, BGBl I 2002/76 (vgl Art XI Abs 6) ist gegen das Urteil des Berufungsgerichts die Revision (nunmehr nach § 502 Abs 1 ZPO) nur zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Prozessrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist.

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Die Entscheidung hängt von der Lösung der Rechtsfrage des materiellen Rechtes ab, ob der Arbeitsunfall durch die grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften verursacht wurde (§ 213a Abs 1 ASVG). Strittig ist, ob grobe Fahrlässigkeit vorlag. Das Berufungsgericht hat diese Frage verneint. Dabei hat es die ständige Rechtsprechung auch des erkennenden Senates zum Begriff der groben Fahrlässigkeit (10 ObS 172/02w und 10 ObS 254/01b mwN) berücksichtigt. Bereits in der Grundsatzentscheidung SSV-NF 6/61 wurde darauf hingewiesen, dass bei Beurteilung des Verschuldensgrades jeweils die Umstände des Einzelfalles zu prüfen sind. Dieser Rechtsatz wurde in zahlreichen weiteren Entscheidungen wiederholt (vgl RIS-Justiz RS0089215, RS0105331 ua; zuletzt: 10 ObS 172/02w und 10 ObS 254/01b).

Auch in der letztgenannten Entscheidung (10 ObS 254/01b = ASoK 2002,

311) hat der erkennende Senat daran festgehalten, dass das Zuwiderhandeln gegen Unfallverhütungsvorschriften für sich allein zur Annahme grober Fahrlässigkeit nicht ausreicht. Entscheidende Kriterien für die Beurteilung des Fahrlässigkeitsgrades sind auch nicht die Zahl der übertretenen Vorschriften, sondern die Schwere der Sorgfaltsverstöße und die für den Arbeitgeber erkennbare Wahrscheinlichkeit des Schadenseintrittes. Im Wesentlichen ist zu prüfen, ob der Arbeitgeber als Adressat der Arbeitnehmerschutzvorschriften nach objektiver Betrachtungsweise ganz einfache und naheliegende Überlegungen nicht angestellt hat (RIS-Justiz RS0030272, RS0030510, RS0030644, RS0031127, RS0052197, RS0085228, RS0085332 ua); bei der Beurteilung der Frage, welcher Fahrlässigkeitsgrad vorliegt, ist auch das Verhalten des Versicherten mitzuberücksichtigen (SZ 40/55 ua).

Das Berufungsgericht hat im angefochtenen Urteil nachvollziehbar begründet, warum nach den dafür maßgebenden Kriterien der Arbeitsunfall des Klägers vom 22. 3. 1999 nicht durch eine grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften verursacht wurde. Es ist dabei, entgegen der Ansicht des Revisionswerbers, nicht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes in vergleichbaren Fällen abgewichen:

Die in der außerordentlichen Revision zitierten Entscheidungen, wonach grobe Fahrlässigkeit immer anzunehmen sei, wenn ein Arbeitgeber jene Aufmerksamkeit vermissen lässt, die in einem Betrieb im Interesse der Unfallverhütung erwartet werden müsse, wobei (selbst) ein einmaliger Aufmerksamkeitsfehler im Zuge einer zur Routine gewordenen Tätigkeit bereits als grob fahrlässig bezeichnet werden kann (RIS-Justiz RS0085463 [T4]), vermögen den gegenteiligen Standpunkt des Klägers nicht zu stützen. In der Zulassungsbeschwerde wird nämlich lediglich auf diese allgemeinen Grundsätze verwiesen und damit offenbar ohnehin erkannt, dass sich der hier zu beurteilende Sachverhalt in wesentlichen Punkten von jenen in den zitierten Entscheidungen unterscheidet; was aber die einzige ausdrücklich angesprochene Entscheidung 10 ObS 228/94 (SSV-NF 9/9) betrifft, zeigt der Revisionswerber die relevanten Abweichungen des dortigen Falles (nämlich den Abbau der [dort zunächst] vorhandenen Schutzeinrichtungen [= Gerüste, wobei auch - trotz wiederholten Verlangens - keine gegen das Abstürzen sichernde Einrichtung, nämlich ein Sicherungsseil in Verbindung mit einem Sicherheitsgürtel, zur Verfügung gestellt wurde]) vom vorliegenden Sachverhalt (wo keine [konkreten] Schutzmaßnahmen zu Absicherung getroffen wurden [bzw vorgesehen waren]) zum Teil selbst auf auf.

Eine außerhalb der Bandbreite gerichtlicher Entscheidungen liegende und daher vom Obersten Gerichtshof zu korrigierende grobe Fehlbeurteilung wird daher nicht einmal behauptet und ist auch nicht zu erkennen. Da der hier zu lösenden Rechtsfrage somit keine über diesen Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt, hat das Berufungsgericht zu Recht ausgesprochen, dass die Revision nach § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig ist. Wird nämlich schon die grobe Fahrlässigkeit verneint, dann kommt es auf die weitere in der Revision eingehend behandelte Frage, ob eine Arbeitnehmerschutzvorschrift verletzt wurde, nicht mehr an.

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