OGH 10Ob86/10k

OGH10Ob86/10k29.3.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch und Dr. Schramm sowie die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj N*****, vertreten durch das Land Wien als Jugendwohlfahrtsträger (Amt für Jugend und Familie, Rechtsvertretung für den 1., 4.-9. Bezirk, 1060 Wien, Amerlingstraße 11), wegen Unterhaltsvorschuss, über den Revisionsrekurs des Kindes gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 17. September 2010, GZ 43 R 407/10m-29, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 28. April 2010, GZ 88 PU 155/09i-22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts zu lauten hat:

„1. Dem Kind wird vom 1. 4. 2010 bis zum rechtskräftigen Abschluss des gleichzeitig mit dem Antrag auf Feststellung der Abstammung eingebrachten Unterhaltsfestsetzungsverfahrens, längstens bis 31. 3. 2015, Unterhaltsvorschuss in Höhe von monatlich 192 EUR gewährt.

2. Der Präsident des Oberlandesgerichts Wien wird um Auszahlung der Vorschüsse an die Mutter der Minderjährigen als Zahlungsempfängerin ersucht.

3. Dem Unterhaltsschuldner wird aufgetragen, die Pauschalgebühr von 192 EUR binnen 14 Tagen zu zahlen.

4. Dem Unterhaltsschuldner wird weiters aufgetragen, alle Unterhaltsbeträge - ansonsten ihnen keine schuldbefreiende Wirkung zukäme - an das Land Wien als Jugendwohlfahrtsträger (als gesetzlichen Vertreter des Kindes) zu zahlen.

5. Der Jugendwohlfahrtsträger wird ersucht, die bevorschussten Unterhaltsbeiträge einzutreiben und, soweit eingebracht, monatlich dem Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien zu überweisen.

6. Die Mutter der Minderjährigen sowie der Unterhaltsschuldner haben dem Gericht unverzüglich den Eintritt jeden Grundes für die Herabsetzung oder Einstellung der Vorschüsse mitzuteilen. Auf die Ersatzpflicht nach § 22 UVG wird hingewiesen.“

Text

Begründung

Die minderjährige N***** und ihre Mutter sind polnische Staatsbürgerinnen. Die Minderjährige lebt bei ihrer Mutter in Wien.

Am 13. 4. 2006 brachte sie beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien einen Antrag auf Feststellung der Vaterschaft des V***** (eines kroatischen Staatsbürgers) gemäß § 163 Abs 1 ABGB ein; zugleich beantragte sie die Festsetzung des Unterhalts in Höhe von 192 EUR monatlich sowie die Gewährung von vorläufigem Unterhalt gemäß § 382a EO.

Mit Beschluss vom 7. 8. 2007 wurde das Unterhaltsfestsetzungsverfahren sowie das Verfahren auf Gewährung des vorläufigen Unterhalts unterbrochen.

Mit Beschluss vom 11. 8. 2009 stellte das Erstgericht zu GZ 88 Fam 10/07b-48, (rechtskräftig) die Vaterschaft des V***** fest.

Nach Fortsetzung des unterbrochenen Unterhaltsverfahrens wurde der Vater mit einstweiliger Verfügung vom 9. 10. 2009, GZ 88 PU 155/09i-U7, gemäß § 382a EO, zu monatlichen Unterhaltszahlungen von 105,40 EUR ab 13. 4. 2006 bis auf weiteres, längstens jedoch bis zur rechtskräftigen Beendigung des Unterhaltsverfahrens, verpflichtet.

Mit Antrag vom 20. 4. 2010 begehrte die Minderjährige Unterhaltsvorschuss nach § 4 Z 4 UVG in Höhe von monatlich 192 EUR. Das Verfahren zur Festsetzung des Unterhalts war zu diesem Zeitpunkt noch nicht beendet (und ist auch weiterhin offen).

Das Erstgericht wies diesen Antrag mit Beschluss vom 28. 4. 2010 mit der Begründung ab, dass das Verfahren zur Feststellung der Vaterschaft bereits rechtskräftig abgeschlossen sei.

Ebenfalls mit Beschluss vom 28. 4. 2010 bestellte das Erstgericht für den Vater der Minderjährigen einen Zustellkurator. Diesem wurde die einstweilige Verfügung am 17. 5. 2010 zugestellt; sie erwuchs in Rechtskraft.

Der Vater ist unbekannten Aufenthalts (vermutlich in Kroatien - siehe ON 23 und 27). Anhaltspunkte dafür, dass er zum Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz in einem EU-Mitgliedstaat beschäftigt war, ergeben sich aus dem Akt nicht.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Minderjährigen gegen den Beschluss auf Abweisung des Unterhaltsvorschussantrags nicht Folge. Rechtlich ging es davon aus, der Zweck der Bestimmung des § 4 Z 4 UVG liege in der Vorschussgewährung bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens auf Feststellung der Vaterschaft. Ab diesem Zeitpunkt könne der Vater unmittelbar zu Unterhaltszahlungen herangezogen werden. Da die Minderjährige den Antrag erst nach rechtskräftiger Beendigung des Abstammungsverfahrens eingebracht habe, bestehe kein Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse. Es sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage vorliege, ob Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse nach § 4 Z 4 UVG bestehe, wenn der Antrag erst nach rechtskräftiger Feststellung der Vaterschaft eingebracht wurde.

Aus dem Akt (ON 33) ergibt sich, dass die Minderjährige nach Ergehen der zweitinstanzlichen Entscheidung für den Fall der Abweisung ihres auf § 4 Z 4 UVG gestützten Antrags eventualiter den Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschuss nach den §§ 3, 4 Z 1 UVG gestellt hat.

Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs der Minderjährigen mit dem Antrag, die Entscheidung der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass die in Höhe von 192 EUR beantragten Unterhaltsvorschüsse ab 1. 4. 2010 bewilligt werden.

Eine Revisionsrekursbeantwortung wurde nicht erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil keine Judikatur des Obersten Gerichtshofs zu der Frage besteht, ob die zur Rechtslage vor dem AußStr-BegleitG BGBl I 2003/112 ergangene Rechtsprechung weiterhin fortzuschreiben ist, nach der die Wortfolge „bis zur rechtskräftigen Beendigung des Vaterschaftsfeststellungsverfahrens“ (nunmehr „bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens zur Feststellung der Abstammung des Kindes“) in § 8 UVG dahin zu verstehen ist, dass damit das gesamte in § 4 Z 4 UVG umschriebene Verfahren, nämlich das Verfahren über die Feststellung der Vaterschaft und das Unterhaltsfestsetzungsverfahren gemeint sei. Der Revisionsrekurs ist im Sinne des Abänderungsantrags auch berechtigt.

I. 1. Mit 1. 5. 2010 wurde die Verordnung (EWG) Nr 1408/71 (WanderarbeitnehmerVO) durch die KoordinierungsVO (EG) 883/2004 ersetzt. Bei Kindern mit EU-Staatsbürgerschaft kommt es seither nicht mehr auf die Beschäftigungssituation im Sinne der WanderarbeitnehmerVO an, sondern nur auf den gewöhnlichen Aufenthalt im Inland (Felten/Neumayr, Die neue Wanderarbeitnehmerverordnung und Unterhaltsvorschuss, iFamZ 2010, 164 f). Da unbestritten ist, dass die Minderjährige ihren gewöhnlichen Aufenthalt bei ihrer Mutter in Österreich hat und polnische Staatsbürgerin ist, besteht ab 1. 5. 2010 (grundsätzlich) eine Pflicht zur Leistung von Unterhaltsvorschüssen seitens des Bundes nach Art 18 AEUV (ex Art 12 EG) iVm § 2 Abs 1 UVG.

I. 2. Auch für den Zeitraum 1. 4. - 30. 4. 2010 (in dem noch die WanderarbeitnehmerVO 1408/71 anwendbar ist) ergibt sich - wenngleich aus anderen Gründen - der Anspruch der Minderjährigen auf Gewährung österreichischer Unterhaltsvorschüsse direkt aus dem Diskriminierungsverbot nach Art 18 AEUV:

Bei einer - abgesehen von der Staatsangehörigkeit des Kindes und der Eltern - „rein inländischen Situation“ ist ein Vorschussanspruch eines in Österreich lebenden Kindes, das Staatsbürger eines EU-Mitgliedstaats ist, gegeben, weil das Kind sonst unmittelbar aufgrund der Staatsangehörigkeit diskriminiert würde (RIS-Justiz RS0124262).

Demgegenüber hat der Oberste Gerichtshof in Fällen, in denen neben Österreich noch ein weiterer Mitgliedstaat als zuständiger Staat für die Erbringung von Familienleistungen in Betracht kommt, nach den Koordinierungsregeln der WanderarbeitnehmerVO bestimmt, ob auch in Österreich ein Leistungsanspruch zu bejahen ist, etwa weil Österreich der Beschäftigungsstaat eines Elternteils des in Österreich wohnhaften Kindes ist (RIS-Justiz RS0116832; RS0124515).

Im vorliegenden Fall kommen im Hinblick auf die kroatische Staatsbürgerschaft des Vaters und dessen möglichen Aufenthalts- und Beschäftigungsort in Kroatien von Vornherein nur die Vorschriften eines Mitgliedstaats - nämlich diejenigen Österreichs - in Betracht. Kroatien ist (noch) nicht Mitglied der EU, sondern verfügt erst über den Status eines Kandidatenlandes („Drittstaat“). Die Minderjährige kann keinen Anspruch auf Unterhaltsvorschuss aus der Rechtsstellung ihres kroatischen (drittstaatsangehörigen) Vaters ableiten, da keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass dieser, nachdem er in Österreich als Arbeitnehmer oder Selbständiger beschäftigt gewesen war, eine (un-)selbständige Tätigkeit in einem anderen EU-Mitgliedstaat aufgenommen hat. Nur unter dieser Voraussetzung wäre für ihn und die Minderjährige als seine Familienangehörige aber die WanderarbeitnehmerVO 1408/71 beachtlich (Art 1 der VO 859/2003 ; 10 Ob 6/10w). Für die Notwendigkeit einer Koordination nach den Regeln der WanderarbeitnehmerVO bleibt somit kein Platz.

Im Hinblick auf diese Gegebenheiten wäre die Minderjährige im Vergleich zu einem Kind in der gleichen Lage, das die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, unmittelbar diskriminiert, würde man ihr im Zeitraum 1. 4. bis 30. 4. 2010 im Hinblick auf ihre Staatsbürgerschaft den Vorschussanspruch versagen (RIS-Justiz RS0124262).

II. Zu § 4 Z 4 UVG:

Die Revisionsrekurswerberin vertritt unter Berufung auf die bisherige Rechtsprechung zu § 4 Z 4 UVG den Standpunkt, es gebühre Unterhaltsvorschuss ab der im April 2010 erfolgten Antragstellung, weil der Antrag auf Feststellung der Vaterschaft gleichzeitig mit dem Unterhaltsbegehren eingebracht worden sei und bisher lediglich das Abstammungsverfahren rechtskräftig erledigt werden konnte. Der Umstand, dass das Kind Unterhaltsvorschüsse nach § 4 Z 4 UVG erst im April 2010 beantragt habe, vermöge an der Berechtigung des Unterhaltsvorschussanspruchs nichts zu ändern, da das UVG keinen Verwirkungstatbestand kenne. Dazu ist auszuführen:

Vor Inkrafttreten des AußStr-BegleitG BGBl I 2003/112 lautete § 4 Z 4 UVG wie folgt:

„...Vorschüsse sind auch zu gewähren, wenn

4. die Vaterschaft zu einem unehelichen Kind in erster Instanz festgestellt und einem mit der Klage auf Feststellung der Vaterschaft verbundenen Unterhaltsbegehren entweder, zumindest mit einem Teilbetrag, in erster Instanz stattgegeben wurde oder hierüber für den Fall der rechtskräftigen Feststellung der Vaterschaft ein gerichtlicher Vergleich geschlossen worden ist;“

Nach § 8 UVG Satz 2 idF vor Inkrafttreten des AußStr-BegleitG dürfen Vorschüsse nach § 4 Z 4 UVG nur bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens zur Feststellung der Vaterschaft des Kindes gewährt werden. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung endeten die Vorschüsse mit Ablauf des Monats, in dem das Verfahren zur Feststellung der Vaterschaft des Kindes rechtskräftig beendet wurde. Ein Ermessen des Gerichts, Vorschüsse über diesen Zeitpunkt hinaus bis zum Ablauf der Dreijahresfrist auszudehnen, bestand nicht (Neumayr in Schwimann, ABGB3 § 8 UVG Rz 8). Die Rechtsprechung interpretierte diese Bestimmung aber dennoch über ihren Wortlaut hinaus dahin, dass nicht nur das Vaterschaftsfeststellungsverfahren (Abstammungsverfahren), sondern auch das Unterhaltsverfahren durch Unterhaltszuspruch beendet sein müsse. Vorschüsse nach § 4 Z 4 UVG seien auch nach rechtskräftiger Beendigung des eigentlichen Vaterschaftsfeststellungs- bzw Abstammungsverfahrens bis zur Rechtskraft des Verfahrens über das Unterhaltsbegehren zu gewähren (RIS-Justiz RS0102082). Dies wurde damit begründet, dass es die Materialien (276 BlgNR 15. GP 10 f) als unvertretbares Ergebnis erkannt hätten, wenn vor Rechtskraft der Entscheidung über die Feststellung der Vaterschaft (der Abstammung) keine Unterhaltsvorschüsse geleistet werden könnten, aber Väter häufig durch aussichtslose Rechtsmittel den Eintritt der Rechtskraft dieser Entscheidung und damit ihre Heranziehung zu Unterhaltsleistungen verzögerten. Nach dem Zweck des UVG sollten derartige - dem Kind zum Nachteil gereichende - Verfahrensverzögerungen verhindert werden. Aus dieser Intention des Gesetzgebers folgerte die Rechtsprechung, es könne keinen Unterschied machen, ob Verfahrensverzögerungen infolge eines vom Vater erhobenen Rechtsmittels gegen die Feststellung der unehelichen Vaterschaft (der Abstammung) oder infolge eines Rechtsmittels gegen den damit verbundenen Unterhaltstitel entstünden. Eine bloß wörtliche Interpretation würde aber eine Umgehung des - der Schutzwürdigkeit des Kindes vor Verfahrensverzögerungen Rechnung tragenden - Gesetzeszwecks durch Erhebung eines lediglich gegen den Unterhaltstitel gerichteten Rechtsmittels ermöglichen. Die Wortfolge „bis zur rechtskräftigen Beendigung des Vaterschaftsfestellungsverfahrens“ (nunmehr: „bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens zur Feststellung der Abstammung des Kindes“) in § 8 UVG sei daher dahin zu verstehen, dass das gesamte im § 4 Z 4 UVG umschriebene Verfahren, nämlich das Verfahren über die Feststellung der Vaterschaft (der Abstammung) und über das damit verbundene Unterhaltsbegehren als Einheit zu verstehen seien (7 Ob 511/96 = SZ 69/52). Für den Zeitraum des Unterhaltsverfahrens wurde somit ein Sicherheitsbedürfnis anerkannt und die Bestimmung des § 8 Satz 2 UVG zu Gunsten des Kindes einer korrigierenden Auslegung unterzogen. Zentrales Argument dieser Rechtsprechung ist, dass zu Gunsten des Kindes eine Schutzlücke vermieden werden soll.

Da im vorliegenden Fall der Antrag auf Feststellung der Abstammung und auf Festsetzung von Unterhalt nach dem 1. 1. 2005 (am 11. 4. 2006) eingebracht wurden, ist bereits § 4 Z 4 UVG idF des AußStr-BegleitG BGBl I 2003/112 anzuwenden (Art XXXII - § 12 des AußStr-BegleitG). § 4 Z 4 UVG idF des AußStr-BegleitG BGBl I 2003/112 lautet wie folgt:

„§4. Vorschüsse sind auch zu gewähren, wenn

... 4. die Abstammung eines Kindes in erster Instanz festgestellt und ein Antrag auf Unterhaltsfestsetzung bereits eingebracht worden ist oder für den Fall der Feststellung der Abstammung des Kindes ein gerichtlicher Unterhaltsvergleich geschlossen worden ist;“

Während die Vorschussgewährung nach § 4 Z 4 UVG nach der bis 31. 12. 2004 geltenden Rechtslage (nach der das Abstammungsverfahren noch im streitigen Verfahren zu erledigen war) kumulativ die Feststellung der Vaterschaft durch ein Urteil erster Instanz und die zumindest teilweise Stattgebung des mit der Vaterschaftsfeststellungsklage verbundenen Unterhaltsbegehrens voraussetzte, legt § 4 Z 4 UVG in der ab 1. 1. 2005 geltenden Fassung als Voraussetzung für die Unterhaltsvorschussgewährung nach § 4 Z 4 UVG fest, dass die Abstammung eines Kindes in erster Instanz (nunmehr im außerstreitigen Verfahren) festgestellt und zu diesem Zeitpunkt lediglich ein Antrag auf Unterhaltsfestsetzung gestellt worden sein muss. Dass dem Unterhaltsantrag in erster Instanz zumindest teilweise stattgegeben wurde, ist nicht mehr erforderlich (Neumayr in Schwimann, ABGB3 § 4 UVG Rz 86).

Zugleich wurde mit § 101 Abs 3 AußStrG eine den Bedürfnissen der Praxis entsprechende Regelung geschaffen, um auch bei länger als drei Jahre dauernden Abstammungsverfahren den Unterhaltsanspruch des Kindes vor drohender Verjährung zu sichern. Um keine Zeit zu verlieren, kann der Unterhaltsantrag gleichzeitig mit dem Antrag auf Einleitung des Abstammungsverfahrens gestellt werden. Da Unterhalt nur von einem Mann verlangt werden kann, dessen Vaterschaft feststeht, darf vor rechtskräftiger Erledigung des Abstammungsverfahrens über diesen Antrag nicht entschieden werden (§ 101 Abs 3 zweiter Satz AußStrG 2005; Rechberger, AußStrG § 101 Rz 7; Fucik/Kloiber, AußStrG § 101 Rz 16).

§ 8 Satz 2 UVG erfuhr durch das AußStr-BegleitG - abgesehen von der Wortfolge „Feststellung der Abstammung des Kindes“ keine maßgebliche Änderung.

Zur Gewährung von Unterhaltsvorschüssen ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien zum AußStr-BegleitG (RV 225 BlgNR 22. GP 33), dass es - weil während des Laufes des Abstammungsverfahrens keine Entscheidung im Unterhaltsverfahren ergehe -, letztendlich keine andere Möglichkeit gebe, als dem Kind Unterhaltsvorschuss in fester Höhe nach § 6 Abs 2 UVG zu gewähren. Dies jedoch höchstens in der im Unterhaltsantrag festgelegten Höhe oder in jener, die sich aus einem für die Feststellung der Abstammung geschlossenen gerichtlichen Vergleich ergibt.

Nach der Entscheidung des Gesetzgebers sollte somit das Rechtsmittelverfahren im Abstammungsverfahren die Vorschussgewährung nicht hindern, auch wenn die Abstammung noch nicht rechtskräftig festgestellt war, sondern darüber nur eine positive erstinstanzliche Entscheidung vorlag. Zu beachten ist, dass der Gesetzgeber nicht die Höhe der Vorschüsse nach dem (mittlerweile durch das FamRÄG BGBl I 2009/75 aufgehobenen) - § 4 Z 5 UVG für vorläufigen Unterhalt nach § 382a EO herangezogen hat, sondern die in § 6 Abs 2 UVG genannten höheren Richtsätze, offenbar weil diese näher an der zu erwartenden Unterhaltspflicht liegen.

Neumayr (in Schwimann, ABGB3 § 4 UVG Rz 89 und § 8 Rz 8) führte im Anschluss an die Darlegung dieser ab 1. 1. 2005 gültigen Rechtslage unter Berufung auf die bisherige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs aus, dass Vorschüsse nach § 4 Z 4 UVG einem Kind bis zu dem Zeitpunkt gewährt werden dürfen, ab dem es in die Lage versetzt sei, den geltend gemachten Unterhalt - nach rechtskräftiger Beendigung des Abstammungsfeststellungsverfahrens und des Unterhaltsverfahrens - durchzusetzen. Zwar stelle § 8 Satz 2 UVG seinem Wortlaut nach auf die rechtskräftige Beendigung des Abstammungsfeststellungsverfahrens ab; tatsächlich sei aber auch die rechtskräftige bzw rechtswirksame Bestimmung des geltend gemachten bzw bedingt für den Fall der Feststellung der Vaterschaft bzw Abstammung vereinbarten Unterhalts erforderlich, zumal erst dann der Unterhaltsschuldner unmittelbar zu Unterhaltszahlungen herangezogen werden könne.

Festzuhalten ist aber, dass diese Argumentation nur für jene Zeit uneingeschränkt Gültigkeit hat, als es noch keine Vorschüsse aufgrund einer einstweiligen Verfügung nach § 382a EO gab. Seit der Möglichkeit der „Mindestunterhaltsbevorschussung“ aufgrund einer einstweiligen Verfügung nach § 382a EO durch das mit 1. 1. 1988 in Kraft getretene BG vom 15. 12. 1987, BGBl I 1987/645 (Neumayr aaO § 4 UVG Rz 97) kann der Unterhaltsschuldner bereits ab Beendigung des Abstammungsverfahrens zu Unterhaltszahlungen nach § 382a EO - freilich nur in Höhe der Mindestsicherung - herangezogen werden, auch wenn es noch keinen „endgültigen“ Unterhaltstitel gibt.

Letztendlich ist noch auf die Novellierung des UVG durch das Familienrechts-Änderungsgesetz 2009, BGBl I 2009/75 einzugehen, die im Wesentlichen mit 1. 1. 2010 in Kraft getreten ist. Durch diese Novelle wurden zusätzliche Verbesserungen im bestehenden Unterhaltsvorschuss-System geschaffen. § 19 Abs 3 UVG wurde dahingehend novelliert, dass als Änderung der Vorschüsse im Sinn von Abs 1 und 2 auch gilt, wenn die Vorschüsse zunächst aufgrund des § 4 Z 4 UVG oder einer einstweiligen Verfügung gewährt werden und danach der Unterhaltsbeitrag (endgültig) festgesetzt wird. Damit soll eine - gegebenenfalls - rückwirkende Erhöhung der Vorschüsse in jenen Fällen ermöglicht werden, in denen sich im Titelverfahren herausstellt, dass der „endgültig“ (festgestellte) Unterhaltsanspruch über dem im Rahmen einer einstweiligen Verfügung zugesprochenen und aufgrund dessen bevorschussten Betrag liegt (10 Ob 52/09h). Die Absicherung der Kinder für die Dauer des Titelverfahrens sollte auf diesem Weg verbessert und der Ausfall von Unterhalts-(Vorschuss-)leistungen ausgeglichen werden (vgl IA 673 XXIV. GP 37). Bis dahin galt die Möglichkeit einer - gegebenenfalls auch rückwirkenden - Änderung der Vorschüsse nicht für Vorschüsse nach § 4 Z 5 UVG; weiters nicht, wenn aufgrund einer einstweiligen Verfügung nach § 382a EO ein Titelvorschuss gewährt wurde. Auch für diese Fälle sollte durch die neue Regelung dem Prinzip des Gleichlaufs von Unterhaltserhöhung und Vorschusserhöhung zum Durchbruch verholfen werden. Gemäß der Übergangsbestimmung des § 37 Z 10 UVG ist § 19 Abs 3 UVG idF des BGBl I 2009/75 auf Verfahren anzuwenden, in denen der Antrag auf Vorschussgewährung aufgrund des § 4 Z 4 UVG oder einer einstweiligen Verfügung nach dem 31. Dezember 2009 bei Gericht eingelangt ist. Diese Voraussetzung ist infolge Antragstellung im April 2010 erfüllt. § 8 Satz 2 UVG blieb durch das FamRÄG 2009 (wiederum) unverändert.

Von dieser Rechtslage ist bei der Lösung der hier zu beurteilenden Rechtsfrage auszugehen.

Wiegt man die Argumente, die für eine Fortschreibung der Rechtsprechung sprechen, mit jenen ab, die dagegen sprechen, lässt sich gegen die Fortschreibung vor allem der klare Wortlaut des § 8 Satz 2 UVG sowie der Umstand ins Treffen führen, dass zu Folge der sukzessiven gesetzlichen Verbesserung der Rechtsposition des Kindes dessen Schutzbedürfnis relativiert ist. Die bisher als zentrales Argument verwendete Schutzlücke wurde - wenn auch nur zum Teil- durch das AußStr-BegleitG und das FamRÄG 2009 geschlossen. So wurde mit der Novellierung des § 4 Z 4 UVG durch das AußStr-BegleitG 2003 zu Gunsten des Kindes ein noch leichterer bzw früherer Zugang zum Unterhaltsvorschuss als bisher geschaffen, indem der zuvor erforderliche (erstinstanzliche) Unterhaltstitel nicht mehr vorliegen muss. Es besteht auch nicht mehr die Gefahr, dass der Vater zum Nachteil des Kindes die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen hinauszögert, indem er im Zuge des erstinstanzlichen Unterhaltsfestsetzungsverfahrens (aussichtslose) Anträge stellt und eben solche Rechtsmittel erhebt. Sobald die Abstammung festgestellt ist, kann - wie schon bisher -, eine einstweilige Verfügung nach § 382a EO und Unterhaltsvorschuss nach § 3 Z 2 UVG beantragt werden. Kommt es in der Folge zu einer endgültigen Unterhaltsfestsetzung, ermöglicht § 19 Abs 3 UVG idF des FamRÄG 2009 nunmehr die rückwirkende Erhöhung des Vorschusses auf die endgültige Titelhöhe, was bis dahin nicht möglich war.

In gleicher Weise kann aber gerade der Umstand, dass der Gesetzgeber das Kind während des Abstammungs- und Unterhaltsfestsetzungsverfahrens durch die Gewährung der (hohen) Richtsatzvorschüsse in besonderer Weise geschützt und seine Rechtsstellung zunehmend verbessert hat, auch für ein Festhalten an der bisherigen Rechtsprechung ins Treffen geführt werden. Trotz der zunehmenden gesetzlichen Verbesserung der Rechtsstellung des Kindes ist nämlich weiterhin eine Schutzlücke, wie folgt, gegeben:

Würde tatsächlich ab Rechtskraft des Abstammungsverfahrens kein Richtsatzvorschuss mehr zustehen, hätte das Kind einen neuen Unterhaltsvorschussantrag zu stellen und wäre gezwungen, zu seinen Ungunsten den Unterhaltsvorschussgrund (in Richtung § 3 Z 2 UVG) zu wechseln. Es würde ab rechtskräftiger Beendigung des Abstammungsverfahrens nicht mehr den Richtsatzvorschuss erhalten, sondern vorerst nur eine bloße Mindestsicherung nach § 382a EO. Da durch § 4 Z 4 UVG aber ein fehlender Volltitel ersetzt werden soll, wird dieser in der Regel höher sein als der mit einstweiliger Verfügung nach § 382a Abs 2 EO zugesprochene Unterhalt. So beträgt beispielsweise im vorliegenden Fall der nach § 4 Z 4 UVG geltend gemachte Richtsatzvorschuss 192 EUR; der mit einstweiliger Verfügung zugesprochene Unterhaltsbetrag nur 105,40 EUR. In diesem Fall entsteht einem Kind, dem keine Richtsatzvorschüsse nach § 4 Z 4 UVG gewährt werden, der Nachteil, dass es vorerst nicht in der Lage ist, den Differenzbetrag zum geltend gemachten Unterhalt einbringlich zu machen. Es kann den Vater nur auf den geringeren Betrag in Anspruch nehmen. Im Falle der Uneinbringlichkeit erhält es im Wege des Vorschusses nach § 3 Z 2, § 4 Z 1 UVG ebenfalls nur diesen Betrag. Erst wenn sich nach Beendigung des Unterhaltsfestsetzungsverfahrens herausstellen sollte, dass der endgültig festgestellte Unterhaltsanspruch höher ist als der im Rahmen der einstweiligen Verfügung festgesetzte und aufgrund dessen bevorschusste Betrag, wäre nunmehr auch eine rückwirkende Anpassung bzw Nachzahlung nach § 19 Abs 3 UVG möglich. Bis dahin stünde der Differenzbetrag dem Kind zur Bestreitung seines Unterhalts nicht zur Verfügung. Allein ein möglicher Nachzahlungsanspruch vermag den laufenden Kindesunterhalt aber nicht zu sichern. Hinweise darauf, dass der Gesetzgeber eine derartige - wenn auch nur vorübergehende - Verschlechterung der Rechtsposition des Kindes beabsichtigt hätte, ergeben sich aus den Gesetzesmaterialien nicht. Vielmehr stellte eine Änderung der Situation mit der rechtskräftigen Entscheidung im Abstammungsverfahren zu Lasten des Kindes einen Widerspruch zu dem in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommenden vorrangigen Ziel des FamRÄG 2009 dar, die Vorschussgewährung zugunsten des Kindes noch effektiver zu gestalten, dem Gedanken einer erhöhten Kontinuität der Vorschussleistungen zum Durchbruch zu verhelfen und die Entstehung von „Auszahlungslücken“ zu vermeiden (IA 673/A XXIV. GP 48).

Ausgehend von diesen Erwägungen ist das maßgebliche Kriterium für die Dauer der Gewährung von Richtsatzvorschüssen nach § 4 Z 4 UVG somit darin zu sehen, dass einem Kind die Richtsatzvorschüsse grundsätzlich bis zu jenem Zeitpunkt zukommen sollen, ab dem es in die Lage versetzt ist, seinen Unterhaltsanspruch in der endgültig festgestellten Höhe - und nicht nur im Umfang der durch § 382a EO ermöglichten Mindestsicherung - durchzusetzen.

Wenngleich das Sicherungsbedürfnis des Kindes insbesondere durch § 19 Abs 3 UVG idF des FamRÄG 2009 relativiert wurde, erscheint es unter Bedachtnahme auf diese Erwägungen dennoch angezeigt, die zur Rechtslage vor dem AußStr-BegleitG ergangene Rechtsprechung auch weiterhin fortzuschreiben.

Auch nach den sich durch das AußStr-BegleitG und das FamRÄG 2009 ergebenden Novellierungen ist die Wortfolge „bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens zur Feststellung der Abstammung“ in § 8 UVG dahin zu verstehen, dass damit das gesamte in § 4 Z 4 UVG umschriebene Verfahren, nämlich das Verfahren über die Klage auf Feststellung der Vaterschaft zu einem unehelichen Kind und über das damit verbundene Unterhaltsbegehren gemeint ist. Daraus folgt, dass ein Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschuss auch noch nach rechtskräftiger Beendigung des Abstammungsverfahrens, aber vor rechtskräftiger Beendigung des Unterhaltsverfahrens erfolgreich gestellt werden kann.

Zum maßgebenden Zeitpunkt der Entscheidung in erster Instanz sind im vorliegenden Fall demnach die Voraussetzungen für eine Vorschussgewährung nach § 4 Z 4 UVG gegeben. Dieser Ansicht steht auch nicht der Umstand entgegen, dass vom Erstgericht bereits am 9. 10. 2009 eine einstweilige Verfügung erlassen worden war, zumal diese dem Unterhaltsschuldner (bzw dem für ihn bestellten Zustellkurator) erst nach der Beschlussfassung erster Instanz zugestellt wurde. Im Übrigen würde selbst eine mögliche Vorschussgewährung aufgrund einer einstweiligen Verfügung nach § 382a EO, die auf eine bloße Mindestsicherung abzielt, eine Vorschussgewährung nach § 4 Z 4 UVG, die auf einen Volltitel abzielt, nicht hindern.

In Abänderung der Entscheidung der Vorinstanzen waren dem Kind ab 1. 4. 2010 Richtsatzvorschüsse nach § 4 Z 4 UVG bis zur rechtskräftigen Beendigung des Unterhaltsverfahrens zuzusprechen.

Die Verpflichtung des Unterhaltsschuldners zur Entrichtung der Pauschalgebühr in Höhe des gewährten monatlichen Vorschussbetrags gründet sich auf § 24 UVG idF des FamRÄG 2009 BGBl I 2009/75 (der gemäß § 37 Abs 2 UVG auf nach dem 31. 12. 2009 bei Gericht eingelangte Anträge anzuwenden ist).

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