European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E123849
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Begründung:
Gegenstand des Verfahrens ist die Geltendmachung der Rückersatzpflicht von dem Kind bezahlten Unterhaltsvorschüssen durch den Bund gegenüber der Mutter des Kindes als Zahlungsempfängerin gemäß § 22 Abs 1 UVG.
Das Kind bezog ua in der Zeit vom 1. 9. 2012 bis 30. 9. 2017 Unterhaltsvorschüsse in Höhe von gesamt 14.373 EUR zu Handen seiner Mutter. Die Mutter ist seit dem 11. 1. 2011 in einer (Kreis‑)Stadt in Deutschland gemeldet. Zugezogen in diese Stadt ist auch das Kind am 1. 9. 2012. Die Mutter meldete ihre Übersiedlung nach Deutschland weder dem Erstgericht noch dem Träger der Kinder‑ und Jugendhilfe.
Mit Beschluss vom 22. 11. 2017 stellte das Erstgericht die Unterhaltsvorschüsse rückwirkend mit Ablauf des August 2012 ein, weil das Kind seit 1. 9. 2012 bei seiner Mutter in Deutschland lebe.
Der Präsident des zuständigen Oberlandesgerichts beantragte am 23. 11. 2017 den Rückersatz der seit 1. 9. 2012 ausgezahlten Unterhaltsvorschüsse gemäß § 23 Satz 2 UVG. Der Übergenuss sei durch die nicht bzw verspätet erfolgte Mitteilung der Übersiedlung des Kindes am 1. 9. 2012 nach Deutschland entstanden. Die zu Unrecht gewährten Vorschüsse seien trotz Kenntnis des Grundes, der zur Herabsetzung bzw Einstellung geführt habe, zumindest grob fahrlässig für den Unterhalt des Kindes verbraucht worden.
Die gemäß § 17 AußStrG zur fristgebundenen Äußerung vom Erstgericht aufgeforderte Mutter machte von dieser Möglichkeit gegenüber dem Erstgericht keinen Gebrauch. Sie teilte lediglich dem Träger der Kinder‑ und Jugendhilfe mit Schreiben vom 27. 12. 2017 (bei ON 63) mit, dass die Vorschüsse, wie vorgesehen, für den Unterhalt des Kindes verbraucht worden seien. Der Unterhaltsvorschuss sei durch die Behörde vom unterhaltspflichtigen Vater eingefordert worden. Das Kind habe nicht mehr Geld erhalten als ihm vom Gesetz her zustehe. Dieses Schreiben wurde vom Träger der Kinder‑ und Jugendhilfe dem Erstgericht weitergeleitet.
Das Erstgericht verpflichtete die Mutter zum Rückersatz der für das Kind im Zeitraum 1. 9. 2012 bis 30. 9. 2017 ausgezahlten Unterhaltsvorschüsse in Höhe von 14.373 EUR. Die Mutter habe nicht gemeldet, dass sich das Kind seit 1. 9. 2012 bei ihr in Deutschland aufhalte, obwohl sie in den jeweiligen Beschlüssen über die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen, in denen überdies die (ursprüngliche) österreichische Adresse des Kindes und der Mutter vermerkt gewesen sei, darauf aufmerksam gemacht worden sei, dass eine Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes dem Gericht unverzüglich mitzuteilen sei. Sie habe daher seit dem 1. 9. 2012 unrechtmäßig Unterhaltsvorschüsse bezogen und sei gemäß § 22 UVG zu deren Rückersatz verpflichtet. Aufgrund der Einkommensverhältnisse der Mutter sei sie zur Rückzahlung der Unterhaltsvorschüsse ohne Gefährdung des laufenden Unterhalts des Kindes befähigt.
Das Rekursgericht gab dem von der Mutter gegen diesen Beschluss erhobenen Rekurs teilweise Folge. Es änderte die Entscheidung des Erstgerichts dahin ab, dass es die Mutter zum Rückersatz von im Zeitraum 21. 12. 2014 bis 30. 9. 2017 ausgezahlten Unterhaltsvorschüssen in Höhe von 7.953 EUR verpflichtete. Rückforderungsansprüche öffentlicher Einrichtungen würden nicht Art 3 der Verordnung (EG) Nr 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen (EuUVO), sondern der Verordnung (EU) Nr 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO 2012) unterliegen (das Rückforderungsverfahren sei nach dem 10. 1. 2015 eingeleitet worden). Die primäre Haftung der im § 22 Abs 1 UVG angeführten Personen beruhe auf schadenersatzrechtlichen Gedanken. Die Schadenersatzhaftung erfordere einen kausalen Zusammenhang zwischen unrichtigen Angaben bzw Verletzung der Mitteilungspflicht und Überbezug bzw Verbrauch. Der hier geltend gemachte Anspruch sei daher als Schadenersatzanspruch zu qualifizieren; der Schaden sei in Österreich eingetreten, weil hier Unterhaltsvorschüsse zu Unrecht ausgezahlt worden seien. Die internationale Zuständigkeit des Erstgerichts sei daher gemäß Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 (Deliktsgerichtsstand) zu bejahen. Darüber hinaus könne die internationale Zuständigkeit im konkreten Fall auch gemäß Art 26 EuGVVO bejaht werden, weil sich die Mutter in das Verfahren erster Instanz durch ihre schriftliche Stellungnahme eingelassen habe, ohne dabei die internationale Unzuständigkeit geltend zu machen.
Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs zu, weil Rechtsprechung zur internationalen Zuständigkeit im Spannungsfeld zwischen EuUVO und EuGVVO fehle.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs (erkennbar) der Mutter, mit dem sie beantragt, die Beschlüsse der Vorinstanzen mangels internationaler Zuständigkeit ersatzlos aufzuheben; hilfsweise, die Entscheidungen der Vorinstanzen „ersatzlos“ aufzuheben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.
Eine Revisionsrekursbeantwortung wurde nicht erstattet.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung zulässig, er ist aber nicht berechtigt.
1. Voranzustellen ist, dass im Rückersatzverfahren gemäß den §§ 22 Abs 1, 23 Satz 2 UVG im konkreten Fall nicht das im Revisionsrekurs als „Revisionsrekurswerber“ bezeichnete Kind, sondern – wovon die Vorinstanzen zutreffend ausgegangen sind – die Mutter als Zahlungsempfängerin Partei des Verfahrens gemäß § 2 Abs 1 Z 3 AußStrG und daher rechtsmittellegitimiert ist. Da sich die Ausführungen im Revisionsrekurs inhaltlich zur Gänze gegen die von den Vorinstanzen teilweise bejahte Rückersatzpflicht der Mutter wenden, schadet die Fehlbezeichnung nicht, sondern ist im Sinn des Grundsatzes einer „sacherledigungsfreundlichen Auslegung“ davon auszugehen, dass der Revisionsrekurs von der dazu berechtigten Mutter erhoben wurde (G. Kodek in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 2 Rz 265 mwH; vgl auch zur – hier nicht erforderlichen – Berichtigung der Parteienbezeichnung im Verfahren außer Streitsachen RIS‑Justiz RS0082276 [T1; T2]; RS0070562 [T12; T24]).
2.1 Die Revisionsrekurswerberin macht geltend, dass auf das hier vorliegende Unterhaltsverfahren nicht die EuGVVO 2012, sondern die EuUVO anwendbar sei. Sowohl aus Art 3 lit a als auch aus Art 3 lit b EuUVO ergebe sich die internationale Zuständigkeit Deutschlands, weil sich der gewöhnliche Aufenthalt der Mutter ebenso wie jener des Kindes in Deutschland befinde.
Dazu ist vorweg festzuhalten, dass im Außstreitverfahren der Zulässigkeit des Rechtsmittels an den Obersten Gerichtshof der Umstand, dass die internationale Zuständigkeit der österreichischen Gerichte von beiden Vorinstanzen bejaht wurde, nicht von vornherein entgegensteht (vgl RIS‑Justiz RS0121265; 5 Ob 173/09s; 3 Ob 41/13w).
Dem Vorbringen der Mutter ist entgegenzuhalten:
2.2 Die EuUVO findet gemäß Art 1 Abs 1 Anwendung auf Unterhaltspflichten, die auf einem familien‑, Verwandtschafts‑ oder eherechtlichen Verhältnis oder auf Schwägerschaft beruhen (sachlicher Anwendungsbereich).
2.3 Mit dem autonom (ErwGr 11 zur EuUVO) und weit (3 Ob 157/15g) auszulegenden Begriff der „Unterhaltssachen“ meint die Verordnung Verfahren, die einen (gesetzlichen) Unterhaltsanspruch zum Gegenstand haben. Dazu gehören auch Verfahren, an denen öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtungen (Art 64 EuUVO) beteiligt sind, in denen sie für eine unterhaltsberechtigte Person handeln oder in denen es um Regress für Leistungen geht, die anstelle von Unterhalt erbracht werden (Art 64 Nr 2 EuUVO; ErwGr 14 zur EuUVO; Andrae in Rauscher, EuZPR/EuIPR IV4 Art 1 EG‑UntVO Rz 38). Keiner dieser Fälle liegt hier vor:
2.4 Im vorliegenden Fall wird der Anspruch vom Bund, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts, als der für die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen zuständigen (§ 1 UVG) Stelle geltend gemacht. Der Bund ist als eine öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtung im Sinn des Art 64 EuUVO anzusehen. Der Rückforderungsanspruch wird allerdings nicht vom Bund für das unterhaltsberechtigte Kind geltend gemacht (ErwGr 14 zur EuUVO Fall 1), sondern im eigenen Namen.
2.5 Der hier geltend gemachte Anspruch stellt auch keinen Regress für eine Leistung dar, die anstelle von Unterhalt erbracht wurde (ErwGr 14 EuUVO Fall 2; vgl dazu auch Dörner in Saenger, ZPO7 Art 3 EuUnthVO Rz 5). Der Gerichtshof der Europäischen Union führte (noch im Anwendungsbereich des Brüsseler Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil‑ und Handelssachen vom 27. September 1968, EuGVÜ) aus, dass eine „Zivilsache“ im Sinn des Art 1 Abs 1 EuGVÜ auch eine Rückgriffsklage umfasst, mit der eine öffentliche Stelle gegenüber einer Privatperson die Rückzahlung von Beträgen verfolgt, die sie als Sozialhilfe an den geschiedenen Ehegatten und an das Kind dieser Person gezahlt hat, soweit für die Grundlage dieser Klage und die Modalitäten ihrer Erhebung die allgemeinen Vorschriften über Unterhaltsverpflichtungen gelten (EuGH Rs C‑271/00 , Steenbergen, Rn 37; C‑433/01 , Freistaat Bayern, Rn 20). Ob diese Ausführungen auch für den Anwendungsbereich der EuUVO zur Anwendung gelangen, muss hier nicht abschließend erörtert werden. Denn im vorliegenden Fall nimmt der Bund nicht im Regressweg den Unterhaltsverpflichteten auf Rückzahlung von Leistungen in Anspruch, die anstelle des von diesem zu zahlenden Unterhalts erbracht worden sind. Vielmehr richtet sich der Rückforderungsanspruch des Bundes gegen die Mutter, die nicht zur Geldunterhaltszahlung gegenüber dem Kind verpflichtet war. Der Grund des hier geltend gemachten Anspruchs liegt nicht darin, dass der Bund Leistungen anstelle der Mutter gegenüber dem Kind erbracht hat, sondern darin, dass die Mutter als Zahlungsempfängerin Mitteilungspflichten (§ 21 UVG) vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt hat (§ 22 Abs 1 UVG). Die vom Bund geltend gemachte Anspruchsgrundlage ist aus diesen Gründen nicht originär unterhaltsrechtlich und fällt nicht im Weg der (Annex‑)Zuständigkeit in den Anwendungsbereich der EuUVO (Reuß in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil‑ und Handelssachen [42. ErgLfg] B Vor I 41, Art 1 Rz 30, 32).
2.6 Zusammenfassend folgt: Die Geltendmachung des Ersatzes zu Unrecht gewährter Unterhaltsvorschüsse durch den Bund gemäß § 22 Abs 1 UVG gegenüber dem Zahlungsempfänger mit der Begründung, dass dieser Mitteilungspflichten gemäß § 21 UVG vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt habe, fällt nicht in den sachlichen Anwendungsbereich der EuUVO.
3.1 Der Rechtsansicht des Rekursgerichts, dass die internationale Zuständigkeit Österreichs gemäß Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 hier zu bejahen sei, tritt die Revisionsrekurswerberin lediglich mit dem Argument entgegen, dass Schadenersatzforderungen nicht im Verfahren außer Streitsachen, sondern im Zivilverfahren geltend zu machen seien, sodass der vom Bund geltend gemachte Anspruch nicht als Schadenersatzanspruch qualifiziert werden könne. Auch diesem Argument kommt keine Berechtigung zu:
3.2 Das Verfahren außer Streitsachen ist ein eigenständiges und neben dem Streitverfahren gleichberechtigtes Erkenntnisverfahren. Ein Anspruch ist entweder im Zivilprozess oder im Verfahren außer Streitsachen geltend zu machen. Das Verfahren außer Streitsachen ist ein vollwertiges Erkenntnisverfahren mit grundsätzlich gleichen Verfahrensgarantien wie der Zivilprozess (G. Kodek in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 1 Rz 26, 27 mwH). Die Durchsetzung von Schadenersatz‑ oder Entschädigungsansprüchen im Verfahren außer Streitsachen hat der einfache Gesetzgeber mehrfach vorgesehen (zB § 4 Abs 1, § 22 Abs 1, § 24 Abs 1 EisbEG; § 5, § 9 Abs 3, § 13 Abs 1 NotwegeG ua). Verfassungsrechtliche Schranken für die Zuweisung von bürgerlichen Rechtssachen in das streitige oder außerstreitige Verfahren bestehen innerhalb der – hier nicht tangierten – Grenzen des Art 6 Abs 1 EMRK nicht (6 Ob 9/82, SZ 55/150).
3.3 Die Haftung ua des Zahlungsempfängers gemäß § 22 Abs 1 UVG für die Rückzahlung zu Unrecht gezahlter Unterhaltsvorschüsse setzt ein schuldhaftes Verhalten voraus (RIS‑Justiz RS0076515), das für die Auszahlung der Vorschüsse ursächlich gewesen ist (RIS‑Justiz RS0076773). Es entspricht der ständigen, vom Rekursgericht beachteten Rechtsprechung, dass die Haftung der in § 22 UVG angeführten Personen auf schadenersatzrechtlicher Grundlage beruht (10 Ob 61/08f; RIS‑Justiz RS0076903 [T2]; RS0110453).
4. Die Revisionsrekurswerberin hält der Rechtsansicht des Rekursgerichts entgegen, dass Art 5 EuUVO unanwendbar sei, weil sich die Mutter zu keiner Zeit in das Verfahren eingelassen habe, ohne die internationale Zuständigkeit zu monieren.
4.1 Art 26 Abs 1 Satz 1 EuGVVO 2012 normiert, dass das Gericht eines Mitgliedstaats, sofern es nicht bereits nach anderen Vorschriften der EuGVVO 2012 zuständig ist, zuständig wird, wenn sich der Beklagte auf das Verfahren einlässt (Fucik in Fasching/Konecny² V/2 Art 5 EuUVO Rz 1 zu Art 24 EuGVVO 2000). Unter „Einlassung auf das Verfahren“ ist danach jede Verteidigung zu verstehen, die unmittelbar auf die Abweisung der Klage abzielt (Wallner‑Friedl in Czernich/Kodek/Mayr, Europäisches Gerichtsstands‑ und Vollstreckungsrecht4 Art 26 EuGVVO Rz 16 mwH). Die von § 24 EuGVVO für maßgeblich erklärte Einlassung auf das Verfahren setzt schon begrifflich ein aktives Tun des Beklagten voraus, sodass das bloße Versäumen einer nach nationalem Prozessrecht gebotenen Prozesshandlung keinesfalls zuständigkeitsbegründend wirken kann (1 Ob 73/06a; 1 Ob 23/14k).
4.2 Die Mutter hat sich im Verfahren erster Instanz trotz Aufforderung gemäß § 17 AußStrG nicht gegenüber dem Gericht geäußert, sondern (nur) gegenüber dem Träger der Kinder‑ und Jugendhilfe. Der Träger der Kinder‑ und Jugendhilfe hat das Schreiben der Mutter vom 27. 12. 2017 aus eigenem an das Erstgericht weitergeleitet. Die Mutter hat daher entgegen den Ausführungen im Revisionsrekurs zwar nicht im Verfahren erster Instanz die fehlende internationale Zuständigkeit „moniert“. Aufgrund ihrer Untätigkeit hat sie sich nach den dargelegten Grundsätzen dennoch nicht rügelos in das Verfahren eingelassen.
5. Dem Revisionsrekurs war daher nicht Folge zu geben.
Ein Kostenersatz findet gemäß § 10a UVG nicht statt.
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