European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0100OB00054.18S.1023.000
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.311,74 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 385,29 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Der Kläger errichtete im Jahr 2010 ein Einfamilienhaus. Mit der Herstellung des Rohbaus beauftragte er im April 2010 eine BauGmbH. Im Sommer 2011 wurde das Gebäude verputzt. Die BauGmbH war nicht mit den Verputzarbeiten beauftragt. Diese wurden von zwei dazu nicht befugten – hauptberuflich als Landwirte tätigen – Personen hergestellt.
Im April 2012 bemerkte der Kläger Risse, zunächst bei der Attika, dann bei der Garage, beim auskragenden Eck über dem Eingang und bei der Doppelgarage im gesamten Außenbereich. Zur Klärung der Schadensursache gab der Kläger ein Gutachten bei einem Privatgutachter in Auftrag.
Aufgrund dieses Privatgutachtens brachte der Kläger am 11. 3. 2015 eine Klage auf Schadenersatz gegen die BauGmbH ein (Vorverfahren). Mit dieser Klage begehrte er die Kosten der Mängelsanierung in Höhe von – nach Ausdehnung – 50.000 EUR.
Im Vorverfahren wurde der Beklagte zum Sachverständigen aus dem Bereich Hochbau und Statik bestellt. Der Beklagte erstattete in der Verhandlung vom 6. 7. 2015 sein Gutachten mündlich. Er gelangte zu dem Ergebnis, dass es nach der Befundaufnahme und der Aktenlage keine Hinweise darauf gebe, dass die BauGmbH ihre Werkleistung mangelhaft erbracht habe.
Auf Grundlage dieses Gutachtens vereinbarten der Kläger und die BauGmbH im Vorverfahren am 6. 7. 2015 „einfaches“ Ruhen des Verfahrens. Ein gerichtlicher Vergleich wurde nicht geschlossen. Der Kläger vereinbarte mit der BauGmbH, dass er deren Kosten von 6.276,45 EUR übernehme, er bezahlte diese Kosten. Es steht nicht fest, dass die Parteien des Vorverfahrens weitere Vereinbarungen trafen (außergerichtlicher Vergleich). Es steht weiters nicht fest, dass einseitig auf Rechte verzichtet wurde. Es steht schließlich nicht fest, dass die Klage bei Fortsetzung des Vorverfahrens aufgrund einer Vereinbarung der Streitteile des Vorverfahrens abgewiesen worden wäre.
Der Kläger begehrt nunmehr vom Beklagten mit der Behauptung, dieser habe im Vorverfahren ein unrichtiges Gutachten erstattet, Schadenersatz in Höhe von 78.509,62 EUR (50.000 EUR an nicht hereingebrachten Sanierungskosten; 18.089,43 EUR an Kosten des Vorprozesses; 2.356,16 EUR an frustrierten Zinsen für die Sanierungskosten; 335,03 EUR an frustrierten Zinsen aus den Verfahrenskosten; 6.729 EUR an Kosten des Privatgutachtens; 1.000 EUR an Spesen und sonstigen eigenen Kosten). Der Kläger habe im Vorverfahren aufgrund des unrichtigen Gutachtens des Beklagten Ruhen des Verfahrens vereinbart und mit der beklagten BauGmbH einen außergerichtlichen Vergleich über die Übernahme der Kosten geschlossen. Aufgrund des Gutachtens des Beklagten habe er im Vorverfahren „submittieren“ müssen. Der Kläger hätte das Vorverfahren wegen des Gutachtens des Beklagten verloren, er hätte dieses auch im Rechtsmittelweg nicht bekämpfen können. Der Kläger hätte das Vorverfahren auch nicht fortsetzen können, weil ihm die Beklagte in diesem Fall die „Submittierungsvereinbarung“ (ON 5) entgegengehalten hätte. Die Klage im Vorverfahren sei innerhalb der Verjährungsfrist eingebracht worden. Der Kläger habe die Risse tatsächlich erst im November 2014 erkannt (Korrektur des bis dahin erstatteten Vorbringens, dass dies im April 2012 der Fall gewesen wäre, in ON 8).
Der Beklagte wandte dagegen ein, dass er im Vorverfahren ein richtiges Gutachten erstattet habe. Der Kläger habe die Risse bereits im November 2011 bemerkt. Die Forderungen des Klägers im Vorverfahren seien daher bereits bei Einbringung der Klage verjährt gewesen. Die Verfahrensführung gegen den Beklagten sei überdies unzulässig, weil der Kläger das Vorverfahren nicht beendet habe. Die Parteien des Vorverfahrens hätten keinen außergerichtlichen Vergleich geschlossen. Der Kläger habe noch während der Ruhensfrist, am 14. 9. 2015, über eine neuerliche Stellungnahme seines Privatgutachters verfügt, in der die Unrichtigkeit des vom Beklagten erstatteten Gutachtens behauptet werde (ON 2; ./E). Statt einen Fortsetzungsantrag im Vorverfahren zu stellen – was ihm immer noch möglich sei – habe der Kläger lediglich die Kosten der beklagten BauGmbH gezahlt. Durch das vom Beklagten im Vorverfahren erstattete Gutachten sei dem Kläger daher kein Schaden entstanden.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das vom Beklagten im Vorverfahren abgegebene Gutachten sei richtig. Das Vorverfahren ruhe und sei daher nicht rechtskräftig beendet. Es gebe keinen außergerichtlichen Vergleich der Parteien des Vorverfahrens, sodass die Klageführung gegen den Beklagten wegen des noch anhängigen Vorverfahrens unzulässig sei.
Das Berufungsgericht gab der vom Kläger gegen diese Entscheidung erhobenen Berufung nicht Folge. Es bejahte zwar das Vorliegen von Mängeln des Verfahrens erster Instanz. Darauf komme es jedoch nicht an: Das Ergebnis der gutachterlichen Tätigkeit eines Sachverständigen stehe erst mit dem Abschluss des Verfahrens fest. Eine Klageführung gegen den Sachverständigen dürfe nicht im Ergebnis darauf abzielen, das bei Schluss der Verhandlung erster Instanz noch nicht rechtskräftig abgeschlossene Anlassverfahren zu „überholen“. Die Vereinbarung des Ruhens eines Verfahrens wirke nicht prozessbeendend. Der nunmehrige Haftungsprozess würde das Vorverfahren nur dann nicht „überholen“, wenn sich das Gericht in diesem mit der Frage der Richtigkeit des Gutachtens gar nicht mehr auseinanderzusetzen hätte, etwa wegen des Einwands der verglichenen Streitsache. Aus den Feststellungen des Erstgerichts – die diesbezügliche Beweisrüge des Klägers behandelte das Berufungsgericht inhaltlich – ergebe sich jedoch lediglich die Ruhensvereinbarung und die Vereinbarung, dass der Kläger die Kosten der im Vorverfahren beklagten BauGmbH zahle. Weder ergebe sich jedoch eine Zurücknahme der Klage im Vorverfahren noch ein Verzicht des Klägers auf die von ihm geltend gemachten Ansprüche. Zutreffend sei daher das Erstgericht davon ausgegangen, dass das Vorverfahren noch nicht abgeschlossen sei. Im nunmehrigen Verfahren müsste geprüft werden, wie die „richtige“ Entscheidung im bloß ruhenden Vorverfahren zu lauten hätte, sodass die Klageführung im Ergebnis darauf abziele, das noch nicht rechtskräftig abgeschlossene Vorverfahren in unzulässiger Weise zu „überholen“.
Das Berufungsgericht ließ die Revision an den Obersten Gerichtshof mit der Begründung zu, dass keine gesicherte höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob nach einem Ruhen des Anlassverfahrens bereits ein Haftungsprozess gegen den dort bestellten gerichtlichen Sachverständigen geführt werden kann.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers, mit der er die Stattgebung der Klage begehrt.
Der Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch unzulässig.
1.1 Der Sachverständige haftet den Prozessparteien für die Folgen eines im Rechtsstreit schuldhaft abgegebenen unrichtigen Gutachtens (RIS‑Justiz RS0026319; RS0026360). Eine Haftung kann nicht nur dann bestehen, wenn das unrichtige Gutachten der Entscheidung tatsächlich zugrunde gelegt wurde, sondern auch dann, wenn sich das Gutachten im Lauf des Verfahrens als unrichtig und mangelhaft herausstellt und daher der Entscheidung nicht zugrunde gelegt werden kann. Der gerichtliche Sachverständige haftet dann den Parteien für den dadurch verursachten Schaden (2 Ob 180/08x).
1.2 Diese Haftung kann im Regelfall nicht vor rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens geltend gemacht werden (3 Ob 170/16w = RIS‑Justiz RS0026373 [T5]; 9 Ob 38/11w ua; Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht II³ [2018], A 6 Rz 55). Der Ausnahmefall, dass die Haftung nicht auf die Unrichtigkeit des Gutachtens, sondern auf dessen Unverwertbarkeit – etwa wegen behaupteter Befangenheit – gestützt wird (RIS‑Justiz RS0124312 [T1, T2]), liegt hier nicht vor. Diese Rechtsprechung wird, worauf das Berufungsgericht hingewiesen hat, damit begründet, dass im Haftungsprozess gegen den Sachverständigen geprüft werden muss, wie die „richtige“ Entscheidung im Anlassverfahren zu lauten hätte. Ist das Anlassverfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen, zielt die Klageführung im Haftungsprozess im Ergebnis in unzulässiger Weise darauf ab, das Anlassverfahren zu „überholen“.
1.3 Diese Begründung zielt auf den Regelfall (zB 9 Ob 38/11w mwH) ab, dass das Gutachten des Sachverständigen entweder der Entscheidung bereits zugrunde gelegt wurde oder – wenn das Verfahren erster Instanz noch nicht abgeschlossen worden ist – zugrunde gelegt werden könnte. Nur im Fall einer rechtskräftigen Entscheidung kann dann beurteilt werden, ob die Unrichtigkeit des Gutachtens im Sinn natürlicher Kausalität (RIS‑Justiz RS0022582) ausschlaggebend für die die Prozesspartei erschwerende Entscheidung war (3 Ob 209/16f mwH).
1.4 In der Entscheidung 5 Ob 169/06y wurde die Haftung eines gerichtlichen Sachverständigen für die Differenz zwischen dem Betrag, den die damalige Klägerin im Fall eines richtigen Gutachtens ersiegt hätte und der Summe, die sie tatsächlich aufgrund eines von ihr im Vertrauen auf die Richtigkeit des Gutachtens geschlossenen prozessbeendenden gerichtlichen Vergleichs erhielt, bejaht. Im damaligen Fall stand fest, dass der Sachverständige sein Gutachten auch bei einer mündlichen Erörterung aufrecht erhalten hätte, sodass der Klägerin nicht vorzuwerfen gewesen sei, auf dieser nicht bestanden zu haben.
2.1 Im vorliegenden Fall wirft der Kläger dem Beklagten vor, dass er aufgrund dessen nach seiner Behauptung unrichtigen Gutachtens im Vorverfahren einer Ruhensvereinbarung zugestimmt und auf seinen Klagsanspruch durch Abschluss einer außergerichtlichen Vereinbarung verzichtet habe.
2.2 Aus der Entscheidung 5 Ob 169/06y ergibt sich, dass Haftung eines Sachverständigen nach den Umständen des Einzelfalls grundsätzlich auch dann bejaht werden kann, wenn das Anlassverfahren anders als durch eine Entscheidung in der Hauptsache, nämlich durch eine Parteienhandlung (damals: Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs) beendet wird, die im Vertrauen auf die Richtigkeit des Gutachtens vorgenommen wird und damit im Rechtswidrigkeitszusammenhang mit dem Verhalten des Sachverständigen steht (RIS‑Justiz RS0022933). Diese Voraussetzungen liegen aber nach dem festgestellten Sachverhalt hier nicht vor:
2.3 Der Kläger stellt in der Revision nicht in Frage, dass der Vereinbarung des Ruhens des Verfahrens keine prozessbeendende Wirkung zukommt (4 Ob 60/18d mwH).
2.4 Der Kläger hat im Verfahren erster Instanz geltend gemacht, mit der im Vorverfahren beklagten BauGmbH einen außergerichtlichen Vergleich abgeschlossen und damit das Vorverfahren „tatsächlich beendet“ zu haben. Den Abschluss einer solchen – über die Zahlung der Verfahrenskosten an die im Vorverfahren beklagte BauGmbH hinausgehenden – Vereinbarung, aus der sich ein gänzlicher oder teilweiser Verzicht des Klägers auf seine Ansprüche gegenüber der BauGmbH ableiten ließe, konnte der Kläger jedoch nicht unter Beweis stellen.
2.5 Ob auf ein Recht im Sinn des § 863 ABGB stillschweigend verzichtet wurde, ist unter Anlegung eines strengen Maßstabs zu prüfen (RIS‑Justiz RS0014420 [T18]; RS0014423 [T17]), Verzichtserklärungen sind im Zweifel restriktiv auszulegen (RIS‑Justiz RS0018561). Ein stillschweigender (schlüssiger) Verzicht, wie ihn der Kläger in seiner Revision behauptet, darf immer nur dann angenommen werden, wenn besondere Umstände darauf hinweisen, dass er ernstlich gewollt ist (RIS‑Justiz RS0014190). Das Berufungsgericht hat diese Rechtsprechung beachtet. Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass selbst die Vereinbarung „ewigen Ruhens“ Zweifel zulässt, ob der Kläger seine Klage tatsächlich zurücknehmen wollte (3 Ob 121/07a). Vor diesem Hintergrund ist die Rechtsansicht des Berufungsgerichts im konkreten Einzelfall (RIS‑Justiz RS0107199 [T29]), dass der Abschluss einer („einfachen“) Ruhensvereinbarung und die Zahlung von Verfahrenskosten für sich allein genommen noch nicht zweifelsfrei einen schlüssigen Verzicht der Ansprüche des Klägers gegenüber der im Vorverfahren beklagten BauGmbH bedeuten, vertretbar.
2.6 Erstmals im Revisionsverfahren bringt der Kläger – gestützt auf § 1497 ABGB aber ohne nähere Begründung – vor, dass seine Ansprüche infolge nicht gehöriger Fortsetzung des Vorverfahrens verjährt seien. Dabei handelt es sich aber um eine im Revisionsverfahren unbeachtliche Neuerung (§ 504 Abs 2 ZPO). Ausgehend davon, dass der Kläger die Risse nach den Feststellungen tatsächlich bereits im April 2012 bemerkt hat, könnte vor dem Hintergrund der Einbringung der Klage im Vorverfahren im März 2015 Verjährung bei nicht gehöriger Fortsetzung denkbar sein. Die Rechtsfrage, ob Verjährung eingetreten ist, ist jedoch nicht von Amts wegen, sondern gemäß § 1501 ABGB nur über Einwendung im Verfahren aufzugreifen. Ein Vorbringen, dass die im Vorverfahren beklagte BauGmbH einen solchen Verjährungseinwand im Fall der Fortsetzung des Verfahrens nach Ablauf der dreimonatigen Frist des § 168 Satz 3 ABGB erhoben hätte, hat der Kläger aber nicht erstattet. Lediglich der Vollständigkeit halber ist anzumerken, dass der Kläger vorgebracht hat, die Risse erst im November 2014 bemerkt zu haben, vor welchem Hintergrund sein Einwand, er habe das Vorverfahren nicht fortsetzen können, um so weniger berechtigt wäre.
3. Eine Korrekturbedürftigkeit der Entscheidung des Berufungsgerichts, dass eine Haftung des Beklagten im konkreten Fall mangels Beendigung des Vorverfahrens nicht geltend gemacht werden kann, zeigt der Revisionswerber damit nicht auf. Da es auf die vom Kläger in der Berufung bekämpften weiteren Feststellungen zur behaupteten Mangelhaftigkeit des Gutachtens des Beklagten im Vorverfahren nicht ankommt, begründet der Umstand, dass das Berufungsgericht diesen Teil der Beweisrüge nicht behandelt hat, keine Mangelhaftigkeit dessen Verfahrens. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz (Unterlassung einer Bauteilöffnung zur abschließenden Beurteilung) wurde vom Berufungsgericht verneint, sodass sie nicht neuerlich in der Revision aufgegriffen werden kann.
Mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO war die Revision daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO, der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
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