OGH 10Ob21/23w

OGH10Ob21/23w16.5.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin Dr. Faber und die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*, Deutschland, vertreten durch Dr. Marwin Gschöpf, Rechtsanwalt in Velden, gegen die beklagte Partei E*, vertreten durch Dr. Harald Schwendinger, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 14.499,43 EUR sA und Feststellung (Streitwert 2.000 EUR), über die Revision (Revisionsinteresse 8.249,72 EUR) und den darin enthaltenen Rekurs der beklagten Partei gegen das Teil- und Teilzwischenurteil und den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 25. Jänner 2023, GZ 2 R 190/22g‑63, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 10. November 2022, GZ 6 Cg 98/20w‑58, teilweise bestätigt, teilweise abgeändert und teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0100OB00021.23W.0516.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Sozialrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der in der Revision enthaltene Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts wird zurückgewiesen.

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Teil- und Teilzwischenurteil wird dahin abgeändert, dass im davon erfassten Umfang und einschließlich des bereits rechtskräftig abgewiesenen Teils des Klagebegehrens das klageabweisende Urteil des Erstgerichts als Teilurteil wiederhergestellt wird.

Die Entscheidung über die Kosten erster, zweiter und dritter Instanz bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Am 15. Jänner 2020 ereignete sich gegen 11:00 Uhr im Skigebiet Wildkogelarena auf der Skipiste 16 (Braunkogelabfahrt) ein Skiunfall zwischen den Streitteilen. Der Kläger zog sich dabei eine Achillessehnenruptur zu, auch der Beklagte erlitt Verletzungen.

[2] Die Braunkogelabfahrt hat im Kollisionsbereich eine Hangneigung von 20 Grad und eine Querneigung von etwa 7 Grad. Die Kollisionsstelle ist 94 m von der bergseitigen Lifthütte, 19 m vom rechten und 40 m vom linken Pistenrand entfernt. Fährt man von der Bergstation weg, befindet sich nach ca 20 bis 30 m eine Geländekuppe, wo zunächst flacheres in mittelsteileres Gelände übergeht. Nach Überfahren der Kuppe hat man bis zur Kollisionsörtlichkeit über eine Strecke von 50 bis 60 m freie Sicht.

[3] Die Streitteile waren Mitglieder einer Skigruppe, die seit Jahren miteinander skifahren. Bei jener Abfahrt, bei der sich der Unfall ereignete, fuhren die Streitteile gemeinsam mit einem dritten Skigruppenmitglied. Als erster fuhr dieses Skigruppenmitglied ab, gefolgt vom Kläger und schließlich vom Beklagten.

[4] Der Kläger begann seine Fahrt auf Höhe der Lifthütte mit einem Seitenabstand von ca 20 m. Er fuhr in Fahrtrichtung gesehen links vom Beklagten ab und mit Schwungamplituden von 18 m. Bis es zur Kollision mit dem Beklagten kam, machte der Kläger etwa 2,5 Schwünge. Vom Startpunkt bis zur Kollisionsstelle legte der Kläger 108 m zurück. Die Fahrt dauerte gerundet 12,2 Sekunden. Die Geschwindigkeit von etwa 20 km/h zu Beginn der Fahrt steigerte sich kontinuierlich auf eine maximale Geschwindigkeit von 52,5 km/h (die Feststellungen beruhen – auch – auf der Auswertung der Handy App des Klägers).

[5] Der Beklagte fuhr – in Fahrtrichtung gesehen – rechts vom Kläger ab. Seine Fahrt begann ca 26 bis 27 m rechts der Liftstation. Der Kläger fuhr 1,5 bis 2 m vor dem Beklagten und somit ca eine Sekunde vor ihm los. Die Fahrzeit des Beklagten bis zur Kollision betrug 11,2 Sekunden und die Länge der Fahrlinie des Beklagten vom Startpunkt bis zum Kollisionspunkt betrug 97 m. Die Annäherungsgeschwindigkeit des Beklagten betrug 35 bis 40 km/h, der Beklagte fuhr eine direktere Linie nahe der Falllinie (mit einer Schwungamplitude von 4 m), beschleunigte am Beginn der Fahrt mit hoher Wahrscheinlichkeit schneller, die Fahrt war in Annäherung zur Kollisionsstelle mit hoher Wahrscheinlichkeit konstanter.

[6] Ca vier Sekunden vor der Kollision fuhren Kläger und Beklagter in etwa auf gleicher Höhe; somit war keiner der beiden der „hintere“ Skifahrer. Zum Kollisionszeitpunkt befand sich der Kläger am Scheitelpunkt seines Linksschwungs, der Beklagte in der Steuerphase des Linksschwungs. Das Standardblickfeld eines Skifahrers beträgt 90 Grad, und zwar je 45 Grad nach links und rechts. Dabei handelte es sich um jenen Beobachtungswinkel, der bei normaler Aufmerksamkeit gefordert ist. Der Beklagte fuhr in langgezogenen Kurzschwüngen mit einem Pistenverbrauch von ca 4 m ab. Bei einer solchen Fahrweise war der Blickwinkel bei normaler Aufmerksamkeit immer nahe der Falllinie. Der Beklagte hatte bei normaler Aufmerksamkeit die Möglichkeit, den Kläger etwa 0,2 bis 0,3 Sekunden vor der Kollision wahrzunehmen. In dieser Zeit von wenigen Zehntelsekunden ist es nicht möglich, relevante unfallverhindernde Maßnahmen einzuleiten.

[7] Um Gefahren vermeidend reagieren zu können, hätte der Beklagte eine Sekunde, zwei oder drei Sekunden vor der Kollision eine bedeutende Kopfdrehung um 40 Grad (bei einem Blickfeld von 90 Grad unter normaler Aufmerksamkeit) durchführen müssen. Unter der Voraussetzung der ständigen Beobachtung des Klägers ab dessen Losfahren in Form erhöhter Aufmerksamkeit durch den Beklagten hätte der Beklagte Maßnahmen zur Verhinderung des Unfalls setzen können. Eine Kopfdrehung wäre in diesem Fall nicht notwendig gewesen, um den Kläger zu sehen. Bei Erhöhung der Aufmerksamkeit – im Bereich von 15 Grad bis 20 Grad auf der linken Sichtfeldseite – hätte der Beklagte die Möglichkeit gehabt, den Kläger in den ersten sieben Sekunden – ohne Kopfdrehung – wahrzunehmen, den Kläger akustisch warnen können, die eigene Geschwindigkeit reduzieren oder die eigene Fahrlinie in Richtung rechten Pistenrand abändern können.

[8] Der Kläger begehrte (zuletzt) 14.499,43 EUR (an Schmerzengeld und Ersatz für diverse Sachschäden) und die Feststellung der Haftung des Beklagten für künftige unfallkausale Spät- und/oder Dauerfolgen. Am Unfallstag sei er gemeinsam mit dem Beklagten und einem weiteren Bekannten skifahren gewesen. Er habe als Zweiter in der dreiköpfigen Skigruppe die Piste befahren. Der Beklagte habe den Kläger losfahren gesehen und wäre verpflichtet gewesen vom Losfahren an den Kläger bzw dessen Fahrlinie zu beobachten und einen entsprechenden Tiefen- und Seitenabstand zum Kläger einzuhalten, wodurch der Unfall leicht zu vermeiden gewesen wäre. Umgekehrt habe der Kläger nicht gewusst, das der Beklagte knapp hinter ihm bzw parallel zu ihm abgefahren sei; vom Kläger sei eine höhere als die normale Aufmerksamkeit nicht zu verlangen. Dem Kläger sei es bei einem 90 Grad‑Sichtwinkel (normale Aufmerksamkeit) nicht möglich gewesen, den Beklagten zu erkennen, weshalb auch kein Mitverschulden vorliege.

[9] DerBeklagte bestritt, beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und machte aufrechnungsweise einen Betrag von 4.830 EUR als Ersatz unfallbedingter Schäden geltend. Die Streitteile seien vier Sekunden vor der Kollision auf gleicher Höhe gefahren. Der Kläger hätte den Beklagten etwa 1,8 Sekunden vor dem Zusammenstoß wahrnehmen und unfallvermeidend reagieren können. Der Beklagte habe den Kläger erst 0,2 bis 0,3 Sekunden vor dem Zusammenstoß wahrnehmen und den Unfall nicht mehr vermeiden können. Der Beklagte sei auch nicht zu einer erhöhten Aufmerksamkeit verpflichtet gewesen. Er sei davon ausgegangen, dass der Kläger, wie üblich, der weitaus Schnellere gewesen sei und sich bereits weiter unten auf der Piste befunden habe. Das Alleinverschulden treffe den Kläger, lediglich aus prozessualer Vorsicht werde der Mitverschuldenseinwand erhoben.

[10] Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab. Es legte seiner Entscheidung die eingangs (auf das Wesentliche gekürzt) wiedergegebenen Feststellungen zugrunde und folgerte rechtlich, dass der Kläger gegen die FIS‑Regeln verstoßen habe. Ein Verstoß des Beklagten gegen die FIS‑Regeln liege nicht vor, weil er in unmittelbarer Annäherung an die Kollisionsstelle – so wie auch der Kläger – nicht der hintere Skifahrer gewesen sei und er den Kläger erst 0,2 bis 0,3 Sekunden vor der Kollision wahrnehmen, den Unfall aber nicht vermeiden habe können. Der Beklagte habe keine Verpflichtung gehabt, den Kläger mit größerer Aufmerksamkeit zu beobachten als andere Pistenbenützer. Es sei der Kläger gewesen, der in den Fahrkanal des Beklagten eingedrungen sei. Ihn treffe daher das Alleinverschulden.

[11] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge. Es bestätigte die Abweisung der Klagebegehren einschließlich der unangefochten in Rechtskraft erwachsenen Teile insgesamt im Umfang jeweils einer Hälfte als Teilurteil und sprach in Abänderung des Ersturteils in Form eines Teilzwischenurteils aus, dass die Klageforderung und die Gegenforderung jeweils dem Grunde nach zur Hälfte zu Recht bestünden. Im übrigen Umfang (Feststellungsbegehren hinsichtlich einer weiteren Hälfte) hob das Berufungsgericht das Ersturteil auf und trug dem Erstgericht die neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung auf.

[12] Das Berufungsgericht bewertete den Entscheidungsgegenstand als 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigend. Die Entscheidung des Berufungsgerichts enthält keinen Ausspruch dahin, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof gegen den Aufhebungsbeschluss zulässig sei.

[13] Es wertete die vom Kläger erhobene wegen behaupteter widersprüchlicher Feststellungen Tatsachenrüge als Rechtsrüge, verneinte jedoch die behaupteten Feststellungswidersprüche.

[14] Dem Kläger allein deswegen, weil er 1,8 Sekunden vor der Kollision den Unfall vermeiden hätte können, das Alleinverschulden zu geben, werde den besonderen Umständen des Falls nicht gerecht. Es sei auch das Verhalten des Beklagten zu berücksichtigen, der nur eine Sekunde gewartet habe, bis er dem Kläger auf die Piste gefolgt sei. Dies entspreche einem Abstand von nur 1,5 bis 2 m. Von einem Skifahrer, der nur eine Sekunde nach einem anderen Skifahrer in den Hang einfahre, sei eine erhöhte Aufmerksamkeit hinsichtlich des vorderen Skifahrers zu fordern, weil dieser, im Gegensatz zum vorderen Skifahrer, im Wissen um den geringen Abstand in den Hang einfahre. Ein derart knapp hinter einem anderen Skifahrer losfahrender Skifahrer stelle eine potenzielle Gefahr für den vorausfahrenden Skifahrer dar, weshalb der später losfahrende Skifahrer angehalten sei, hinsichtlich des vorausfahrenden Skifahrers besondere Aufmerksamkeit walten zu lassen. Bei erhöhter Aufmerksamkeit hätte der Beklagte Maßnahmen zur Verhinderung des Unfalls setzen können. Ein unfallauslösendes Verhalten im Sinne einer Vermeidbarkeit des Unfalls sei somit von beiden Streitteilen gesetzt worden, sodass eine unterschiedliche Gewichtung der jeweiligen Aufmerksamkeitsfehler der Streitteile nicht sachgerecht erscheine.

[15] Das Berufungsgericht ließ die Revision nachträglich zu, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege, der eindeutig entnommen werden könne, dass sich die Beobachtungspflicht von Skifahrern nicht auf die letzten vier Sekunden vor einer Kollision beschränke, also ein früher als vier Sekunden vor der Kollision stattgefundenes Verhalten der Skifahrer bei der Beurteilung der Rechtswidrigkeit (unterlassene Beobachtung anderer Skifahrer) zu berücksichtigen sei.

[16] Dagegen richtet sich die Revision des Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichts im Sinne einer Wiederherstellung des das Klagebegehren zur Gänze abweisenden Ersturteils.

[17] Der Kläger beantragt in der Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[18] Die Revision ist zulässig, weil dem Berufungsgericht eine aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlief; sie ist folglich auch berechtigt.

[19] 1. Soweit sich der Beklagte gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts wendet, mit dem das erstinstanzliche Urteil hinsichtlich eines Teils des Feststellungsbegehrens aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen wurde, ist das Rechtsmittel absolut unzulässig:

[20] Gemäß § 519 Abs 1 Z 2 ZPO ist gegen berufungsgerichtliche Beschlüsse, soweit dadurch das erstgerichtliche Urteil aufgehoben und dem Gericht erster Instanz eine neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung aufgetragen wird, der Rekurs an den Obersten Gerichtshof nur dann zulässig, wenn das Berufungsgericht dies ausgesprochen hat. Die Zulässigkeit des Rekurses ist daher an einen ausdrücklichen Zulassungsausspruch des Gerichts zweiter Instanz gebunden. Fehlt – wie hier – ein solcher Ausspruch, ist jede Anfechtung (sei es durch Rekurs oder im Rahmen einer Revision als Rechtsmittel nur gegen ein Berufungsurteil: §§ 505, 506 ZPO) ausgeschlossen (RIS‑Justiz RS0043880; RS0043898). Das insoweit als Rekurs zu behandelnde Rechtsmittel ist daher als jedenfalls unzulässig zurückzuweisen.

[21] 2. Der Beklagte macht geltend, dass ihn keine Verpflichtung zu einer erhöhten Aufmerksamkeit getroffen habe. Er sei dem Kläger nicht in einem Abstand von nur 1,5 bis 2 m gefolgt; diese Entfernung betreffe lediglich den Höhenabstand. Nach den Feststellungen des Erstgerichts habe der Kläger seine Fahrt mit einem Seitenabstand von ca 20 m zur Lifthütte und der Beklagte mit einem Seitenabstand von ca 26 bis 27 Metern zur Lifthütte begonnen. Das Berufungsgericht gehe insofern nicht vom festgestellten Sachverhalt aus, was der Beklagte als Aktenwidrigkeit geltend macht. Eine ständige Beobachtung des Klägers durch den Beklagten ab Losfahren des Klägers in Form erhöhter Aufmerksamkeit sei vom Beklagten ausgehend von den getroffenen Feststellungen keinesfalls zu verlangen gewesen.

[22] 2.1. Das Erstgericht stellte aufgrund des eingeholten Sachverständigengutachtens fest, dass der Kläger etwa 20 m und der Beklagte ca 26 bis 27 m rechts der Liftstation sowie der Kläger 1,5 bis 2 m (und somit ca eine Sekunde) vor dem Beklagten losfuhr. Daraus ergibt sich zu Beginn der Fahrt des Beklagten ein Abstand zwischen den Streitteilen von mehr als sechs bis sieben Meter. Die Annahme des Berufungsgerichts, dass ein Abstand von nur 1,5 bis 2 m festgestellt worden wäre, ist daher aktenwidrig. Darin liegt eine nach § 503 Z 3 ZPO revisible Aktenwidrigkeit (RS0043324 [T7]). Sie ist dadurch zu beheben, dass an die Stelle der aktenwidrigen Feststellung jene tritt, die durch den Akteninhalt gedeckt ist; diese Feststellung ist der rechtlichen Beurteilung zu unterziehen (RS0043324 [T9, T12]).

[23] 2.2. Ausgehend vom festgestellten Sachverhalt ist eine objektive Sorgfaltswidrigkeit des Beklagten, die zu einer Haftung gegenüber dem Kläger führen könnte, nicht ersichtlich.

[24] 2.2.1. Die von verschiedenen Institutionen und Autoren ausgearbeiteten Verhaltensvorschriften für Skifahrer wie die Bestimmungen des „Pistenordnungsentwurfs des Österreichischen Kuratoriums für alpine Sicherheit“ (POE‑Regeln) oder die FIS‑Regeln sind keine gültigen Rechtsnormen, insbesondere auch nicht Gewohnheitsrecht. Als Zusammenfassung der Sorgfaltspflichten, die bei der Ausübung des alpinen Skisports im Interesse aller Beteiligten zu beachten sind, und bei der Anwendung des allgemeinen Grundsatzes, dass sich jeder so verhalten muss, dass er keinen anderen gefährdet, kommt diesen Regeln jedoch erhebliche Bedeutung zu (RS0023793; RS0023410 [T2]).

[25] 2.2.2. Nach der FIS‑Regel Nr 1 (Rücksichtnahme auf andere Skifahrer und Snowboarder) und auch schon nach allgemeinen Grundsätzen muss sich jeder Skifahrer so verhalten, dass er keinen anderen gefährdet oder schädigt. Dieser Grundsatz wird durch die weiteren FIS‑Regeln, insbesondere die FIS‑Regeln Nr 2 (Beherrschung der Geschwindigkeit und der Fahrweise: Jeder Skifahrer muss auf Sicht fahren. Er muss seine Geschwindigkeit und seine Fahrweise seinem Können und den Gelände-, Schnee- und Witterungsverhältnissen sowie der Verkehrsdichte anpassen), Nr 3 (Wahl der Fahrspur: Der von hinten kommende Skifahrer muss seine Fahrspur so wählen, dass er vor ihm fahrende Skifahrer nicht gefährdet) und Nr 4 (Überholen: Überholt werden darf von oben oder unten, von rechts oder links, aber immer nur mit einem Abstand, der dem überholten Skifahrer für alle seine Bewegungen genügend Raum lässt) präzisiert.

[26] 2.2.3. Daraus ist aber nicht abzuleiten, dass ein Skifahrer seine Fahrt generell nicht eine Sekunde nach einem anderen in der Nähe befindlichen Skifahrer beginnen und in weiterer Folge nicht parallel zu diesem Fahren dürfte. In einem solchen Fall ist vielmehr nur erforderlich, dass ein ausreichender (Seiten‑)Abstand zum anderen Skifahrer eingehalten wird, der dem anderen Skifahrer für seine Bewegungen genügend Raum lässt. Parallelfahrten ohne ausreichendem Seitenabstand sind daher nach der Rechtsprechung wegen der verkürzten Reaktionsmöglichkeit grundsätzlich als gefährlich einzustufen (RS0114141). Der konkret einzuhaltende Seitenabstand hängt dabei von ortsbezogenen und situationsbezogenen Faktoren, wie Breite, Steilheit, Präparierungszustand der Piste, Schneebeschaffenheit, Fahrkönnen, Geschwindigkeit und Fahrweise der Skiläufer, Sichtverhältnisse und Verkehrsdichte, ab (RS0023656). Dementsprechend wurde ein Abstand von drei bis vier Metern bei „flotter“ Geschwindigkeit und teilweise vereister Piste etwa wegen der vorhersehbaren Möglichkeit eines Sturzes als nicht ausreichend angesehen (6 Ob 220/00x).

[27] 2.2.4. Ausgehend davon war der vom Beklagten gewählte Abstand zum Kläger ausreichend. Nach dem festgestellten Sachverhalt hielt der Beklagte bei Beginn der Fahrt einen Abstand zum Kläger von (mehr als) sechs bis sieben Metern ein, der sich im weiteren Verlauf – der Kläger fuhr weit gezogen mit Schwungamplituden von 18 m – noch vergrößerte. Anhaltspunkte dafür, dass dieser Abstand dem Kläger nicht genügend Raum für seine Bewegungen gelassen hätte, liegen nicht vor. Im weiteren Verlauf schloss der Beklagte zum Kläger auf und war ab diesem Zeitpunkt (ca vier Sekunden vor der Kollision) auch nicht mehr der hintere Skifahrer, der seine Fahrspur an die des vorderen anzupassen gehabt hätte. Die Anforderung an Skifahrer, sich so zu verhalten, dass kein anderer gefährdet wird, darf nicht überspitzt werden, soll das Skifahren nicht unmöglich gemacht werden (RS0023381).

[28] 2.2.5. Mangels Erkennbarkeit einer Gefahrensituation gab es auch keinen Grund für den Beklagten, den Kläger – nachdem dieser sich sogar noch vom Beklagten wegbewegt hatte – im Sinn einer erhöhten Aufmerksamkeit (weiter) zu beobachten und seinen Kopf während des anschließenden Parallelfahrens bedeutend zum Kläger zu drehen. Es mag sein, dass Mitglieder einer Gruppe von befreundeten Skifahren auf andere Gruppenmitglieder oft besonderes Augenmerk legen; eine diesbezügliche Sorgfaltspflicht besteht – jedenfalls abseits besonderer, hier nicht ersichtlicher Gründe (etwa vertragliche Verpflichtung eines Skilehrers) – allerdings nicht.

[29] Da der Vertrauensgrundsatz auch beim Skifahren gilt (RS0023645), durfte der Beklagte vielmehr darauf vertrauen, dass der Kläger seinerseits seine Fahrspur in weiterer Folge so wählen werde, dass ein ausreichender Sicherheitsabstand (weiter) gewährleistet ist und dem Beklagten ausreichend Reaktionsmöglichkeiten verbleiben. Dass dem Beklagten, als er den Kläger bei normaler Aufmerksamkeit erstmals als Gefahr wahrnehmen konnte, nur noch eine Reaktionszeit von etwa 0,2 bis 0,3 Sekunden verblieb und es ihm daher nicht möglich war, relevante unfallvermeidende Maßnahmen einzuleiten, ist ihm daher nicht als Sorgfaltsverstoß anzulasten.

[30] 2.3. Mangels Sorgfaltsverstoßes kommt eine Haftung des Beklagten somit schon grundsätzlich nicht in Betracht.

[31] 3.1. Der Revision des Beklagten ist daher Folge zu geben und die klageabweisende Entscheidung des Erstgerichts im Umfang der zulässigen Anfechtung wiederherzustellen.

[32] 3.2. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 und 4 ZPO.

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