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7. Verwendung von Guthaben (§ 215 BAO)

BMF2024-0.234.99426.3.2024

7.1. Verwendung von Guthaben im Regelfall (§ 215 Abs. 1 und 2 BAO)

Rz 800
Guthaben ist ein Begriff der Abgabenverrechnung und bringt zum Ausdruck, dass auf dem Abgabenkonto per Saldo ein Überschuss zu Gunsten des Abgabepflichtigen besteht (VwGH 24.10.1990, 86/13/0172; VwGH 24.6.1999, 96/15/0100).

Rz 801
Ein Guthaben iSd § 215 BAO stellt sich als das Ergebnis der Gebarung auf dem Abgabenkonto dar (VwGH 21.10.1993, 91/15/0077; VwGH 25.2.1997, 93/14/0143) und entsteht somit erst dann, wenn auf einem Abgabenkonto die Summe aller Gutschriften die Summe aller Lastschriften übersteigt (VwGH 25.2.2010, 2009/16/0311). Die kontokorrentmäßige Verrechnung der wiederkehrend zu erhebenden Abgaben schließt das Entstehen eines Guthabens insolange aus, als dieses nicht kontomäßig zu Buche steht (VwGH 17.4.1989, 88/15/0133). Dabei kommt es nicht auf Gutschriften an, welche die Abgabenbehörde nach Auffassung des Abgabepflichtigen hätte durchführen müssen, sondern auf die von der Abgabenbehörde tatsächlich durchgeführten Gutschriften (VwGH 25.2.2010, 2007/16/0184).

Rz 802
Bei Beurteilung, ob sich für einen Abgabepflichtigen aus der Gebarung gemäß § 213 BAO ein Guthaben ergibt, bleiben Abgaben, deren Einhebung diesem gegenüber ausgesetzt sind (§ 212a BAO), außer Betracht. Dadurch ist sichergestellt, dass trotz Bestehens ausgesetzter Abgabenschuldigkeiten ein zur Abdeckung von anderen Abgabenschuldigkeiten, deren Einhebung nicht ausgesetzt ist, oder für eine Rückzahlung verfügbares Guthaben vorhanden sein kann.

Rz 803
Ergibt sich hingegen während der Zeit der Aussetzung der Einbringung (§ 231 BAO) für einen Abgabepflichtigen aus der laufenden Verbuchung der Gebarung ein Guthaben, so ist die Einbringung in dem Ausmaß, als die ausgesetzte Abgabenschuldigkeit durch das Guthaben getilgt werden könnte, wieder aufzunehmen.

Rz 804
§ 215 Abs. 1 und 2 BAO ordnet einen Kontenausgleich an, der insbesondere verhindern soll, dass infolge eines auf einem Abgabenkonto bestehenden Rückstandes Einhebungs- oder Einbringungsmaßnahmen durchgeführt werden, während auf einem anderen Konto desselben Abgabepflichtigen ein Guthaben besteht. Eine amtswegige Umbuchung oder Überrechnung von Guthaben darf nur zu Gunsten fälliger Abgabenschuldigkeiten erfolgen.

Rz 805
Da die Verwendung von Guthaben nicht als Einbringungsmaßnahme anzusehen ist, stehen Zahlungserleichterungen einer amtswegigen Umbuchung oder Überrechnung nicht entgegen, weil Zahlungserleichterungen gemäß § 230 Abs. 5 BAO lediglich eine Hemmung der Einbringung zur Folge haben. Ebenso schließt die Aussetzung der Einbringung (§ 231 BAO) eine Maßnahme gemäß § 215 BAO nicht aus.

Rz 806
Da gemäß § 212a Abs. 8 BAO zur Entrichtung oder Tilgung einer Abgabe, deren Einhebung ausgesetzt ist, Zahlungen, sonstige Gutschriften und Guthaben nur auf Verlangen des Abgabepflichtigen verwendet werden dürfen, kommt eine Umbuchung oder Überrechnung gemäß § 215 Abs. 1 und 2 BAO nicht in Betracht, soweit die Einhebung der fälligen Schuldigkeit ausgesetzt ist.

Rz 807
§ 215 Abs. 2 BAO erlaubt nur eine Aufrechnung mit fälligen Abgabenschuldigkeiten, die der Abgabepflichtige bei einer Abgabenbehörde des Bundes hat. Eine Aufrechnung mit ausländischen Abgabenschuldigkeiten ist auch in Fällen der Vollstreckungsrechtshilfe auf Grund zwischenstaatlicher Vereinbarungen unzulässig (VwGH 19.1.1988, 85/14/0021).

Rz 808
Nach § 215 BAO kann nur ein sich aus der Gebarung ergebendes Guthaben Gegenstand einer Umbuchung oder Überrechnung sein (VwGH 14.3.1988, 86/15/0075).

Rz 809
Maßnahmen gemäß § 215 Abs. 2 BAO kommen nur dann in Betracht, wenn die Abgabenbehörde, bei der das Guthaben besteht, Kenntnis von einem Abgabenkonto des Abgabepflichtigen bei einer anderen Abgabenbehörde (als Einzel- oder Gesamtschuldner) hat.

Rz 810
Die Verwendung der Guthaben gemäß § 215 Abs. 1 und 2 BAO ist zwingend und nicht dem Ermessen der Behörde überlassen (VwGH 26.6.2001, 97/14/0166). Zur Frage, wann bei Umbuchungen oder Überrechnungen von Guthaben Abgaben als getilgt gelten, siehe Rz 112.

Rz 811
Mietzinsbeihilfen (§ 107 EStG 1988) sind gemäß § 290 Abs. 1 Z 8 EO der Exekution entzogen und mit Rücksicht auf die Sonderbestimmung des § 293 Abs. 3 EO insoweit nicht aufrechnungsfähig. Demnach darf ein Anspruch auf Mietzinsbeihilfe nicht zur Tilgung fälliger Abgabenschuldigkeiten gemäß § 215 Abs. 1 und 2 BAO herangezogen werden.

Rz 812
§ 215 Abs. 1 und 2 BAO ist auch dann anzuwenden, wenn ein Abgabepflichtiger auf einem Abgabenkonto über ein Guthaben verfügt und als Gesamtschuldner eine auf einem anderen Abgabenkonto gebuchte Abgabe schuldet.

Rz 813
Ein aus der Gebarung von Abgaben, bezüglich derer ein Gesamtschuldverhältnis bestanden hat, entstandenes Guthaben darf, von den Fällen des § 215 Abs. 3 BAO abgesehen, gemäß § 215 Abs. 1 und 2 BAO nur zur Tilgung fälliger Abgabenschuldigkeiten jenes Gesamtschuldners verwendet werden, der als Rückzahlungsberechtigter in Betracht käme (siehe Rz 1909).

Rz 814
§ 215 Abs. 1 und 2 BAO ist nicht anwendbar, wenn ein Guthaben gepfändet wurde; nach Einlangen des Exekutionsbewilligungsbeschlusses beim Finanzamt sind somit Maßnahmen gemäß § 215 Abs. 1 und 2 BAO unzulässig.

Rz 815
Zessionen und Pfändungen können sich im Hinblick auf den deklarativen Charakter der Verbuchung nur auf rechtswirksam entstandene Guthaben beziehen und nicht auf zu Unrecht auf dem Abgabenkonto ausgewiesene Beträge (VwGH 7.8.1992, 89/14/0218).

Rz 816
Abgesehen von den nach § 215 BAO bestehenden Möglichkeiten kann die Abgabenbehörde einer Verfügung des Abgabepflichtigen über ein Guthaben im Fall des Vorliegens eines Exekutionstitels, zB eines Sicherstellungsauftrages, im Weg eines Zweitverbotes entgegentreten (VwGH 22.3.1991, 90/13/0113). Im Übrigen siehe Rz 1924.

Rz 817
Erfolgt nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Abgabepflichtigen eine Veranlagung, die vor der Eröffnung liegende Zeiträume betrifft, und werden dabei Vorauszahlungen auf die Jahressteuerschuld angerechnet, so stellen die Vorauszahlungen selbst dann keinen unter das Aufrechnungsverbot des § 20 Abs. 1 IO fallenden Gegenanspruch des Gemeinschuldners dar, wenn die Gutschrift der Vorauszahlungen zu einem auf dem Abgabenkonto aufscheinenden Guthaben führt (VwGH 27.1.1981, 0842/80).

Rz 818
Ein zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehendes Guthaben kann zur Gänze mit Abgabenforderungen verrechnet werden, die Zeiträume vor der Eröffnung betreffen. Dem steht weder ein aus abgabenrechtlichen Vorschriften sich ergebendes Aufrechnungsverbot noch § 20 Abs. 1 erster Satz IO entgegen (VwGH 25.2.1997, 93/14/0143).

7.2. Guthaben eines Abgabepflichtigen, der nach bürgerlichem Recht nicht rechtsfähig ist; Umbuchung und Überrechnung (§ 215 Abs. 3 und 4 BAO)

Rz 819
Zur Verwendung auf den Abgabenkonten von Gesellschaften bürgerlichen Rechts (GesBR), insbesondere von Arbeitsgemeinschaften im Baugewerbe, bestehender Guthaben gilt folgendes:

Rz 820
Guthaben der GesBR stehen deren Mitgliedern gemäß § 1203 ABGB im Verhältnis ihrer Anteile zu. Sofern der Gesellschaftsvertrag nicht anderes bestimmt, wird vom Verhältnis der Kapitalanteile, nach Beendigung der GesBR vom Verhältnis der Auseinandersetzungsguthaben auszugehen sein.

Rz 821
Guthaben einer GesBR sind vor Anwendung des § 215 Abs. 3 BAO gemäß § 215 Abs. 1 und 2 BAO zur Tilgung von deren fälligen Abgabenschuldigkeiten zu verwenden. Ein allfälliges Guthaben iSd § 215 Abs. 3 BAO ist zunächst im Verhältnis der Anteile der Mitglieder der GesBR zur Tilgung von fälligen Abgabenschulden der Mitglieder bei derselben Abgabenbehörde zu verwenden; ein allfälliger Rest ist nach Maßgabe des § 215 Abs. 2 BAO zur Tilgung von der Behörde bekannten fälligen Abgabenschuldigkeiten der Mitglieder bei anderen Abgabenbehörden zu verwenden. Wird auch hiedurch der Anteil der Mitglieder am Guthaben der GesBR nicht aufgebraucht, so ist er nach Maßgabe der Bestimmungen des § 239 BAO zurückzuzahlen oder auf Antrag zu Gunsten eines anderen Abgabepflichtigen umzubuchen oder zu überrechnen.

Rz 822
Im Bereich der Offenen Gesellschaften (OG) und Kommanditgesellschaften (KG) gilt Folgendes:

Ist auf dem Abgabenkonto eines Gesellschafters ein Guthaben ausgewiesen und besteht auf dem Abgabenkonto der Gesellschaft ein Rückstand, so kommt die Tilgung der Abgabenrückstände der Gesellschaft im Weg einer Umbuchung oder Überrechnung gemäß § 215 Abs. 1 und 2 BAO nur dann in Betracht, wenn dem Gesellschafter bereits ein wirksames Leistungsgebot im Weg eines Haftungsbescheides oder eines Abgabenbescheides zugekommen ist. Wurde der Gesellschafter noch nicht mit Bescheid in Anspruch genommen, so bedürfte es für eine Übertragung des auf dem Abgabenkonto des Gesellschafters bestehenden Guthabens auf das Abgabenkonto der Gesellschaft im Weg einer Umbuchung oder Überrechnung eines entsprechenden Antrages.

Guthaben auf dem Abgabenkonto der Gesellschaft können nur auf Antrag, nicht jedoch von Amts wegen, zur Tilgung rückständiger auf den Abgabenkonten der Gesellschafter bestehender Abgabenschuldigkeiten herangezogen werden.

Rz 823
Ein Guthaben gemäß § 215 BAO ist ein Vermögenswert des Abgabepflichtigen; es steht diesem zu, darüber zu verfügen, zB durch Umbuchungsantrag, und eine solche Verfügung im Abgabenverfahren - etwa mit Säumnisbeschwerde (§ 284 BAO) - zu verfolgen (VwGH 12.11.1981, 81/15/0114). Auch die Abtretung eines Guthabens ist möglich (VwGH 13.11.1986, 86/16/0102).

Rz 824
Aus der im § 215 Abs. 4 BAO angeordneten sinngemäßen Anwendung des § 239 BAO ergibt sich, dass die Abgabenbehörde den umzubuchenden oder zu überrechnenden Betrag gemäß § 239 Abs. 2 BAO auf jenen Teil des Guthabens beschränken kann, der die der Höhe nach festgesetzten Abgabenschuldigkeiten übersteigt, die der Abgabepflichtige nicht später als drei Monate nach der Stellung des Umbuchungs- oder Überrechnungsantrages zu entrichten haben wird (VwGH 18.11.1987, 84/13/0229; VwGH 24.6.1999, 96/15/0100).

Rz 825
Ein Umbuchungs- oder Überrechnungsantrag darf daher (ebenso wie ein Rückzahlungsantrag) nicht mit der Begründung abgewiesen werden, dass infolge der späteren Buchung einer Lastschrift auf dem Abgabenkonto des Antragstellers kein Guthaben mehr besteht, wenn der den Gegenstand der gebuchten Lastschrift bildende Betrag nicht vor Ablauf der Dreimonatsfrist des § 239 Abs. 2 BAO zu zahlen ist.

Rz 826
Eine Umbuchung oder Überrechnung zugunsten eines anderen Abgabepflichtigen kann nur unter der Voraussetzung des § 215 Abs. 4 BAO beantragt werden. Diese Voraussetzung ist das Vorhandensein eines nicht nach § 215 Abs. 1 bis 3 BAO zu verwendenden Guthabens (VwGH 29.11.1994, 94/14/0094).

Rz 827
Die Umbuchung und Überrechnung eines Guthabens vom Abgabenkonto eines Abgabepflichtigen auf jenes eines anderen Abgabepflichtigen darf nur mit Zustimmung des Verfügungsberechtigten vorgenommen werden, wobei die Zustimmung auch von einem mit ordnungsmäßiger Geldvollmacht ausgestatteten Vertreter des Verfügungsberechtigten erteilt werden kann.

Rz 828
Das bedeutet aber nicht, dass die Abgabenbehörde dann, wenn sie gegen das Gebot, die Umbuchung und Überrechnung eines Guthabens vom Abgabenkonto eines Abgabepflichtigen auf jenes eines anderen Abgabepflichtigen nur mit Zustimmung des Verfügungsberechtigten vorzunehmen, verstößt, den unzulässigen Buchungsvorgang wiederum rückgängig machen könnte. Mit der Rückgängigmachung würde sie nämlich erneut gegen dasselbe Gebot verstoßen: sie würde die "Rückbuchung" ohne Zustimmung des nunmehr Verfügungsberechtigten durchführen (VwGH 23.5.1996, 94/15/0033; VwGH 17.12.2007, 2006/14/0061).

Rz 829
Bezüglich als Parteienvertreter einschreitender Rechtsanwälte, Wirtschaftstreuhänder, Bilanzbuchhalter und Notare sind § 8 Abs. 1 letzter Satz Rechtsanwaltsordnung, § 88 Abs. 9 WTBG, § 36 Abs. 5 BiBuG 2014 und § 5 Abs. 4a Notariatsordnung zu beachten, wonach die Berufung auf die Bevollmächtigung deren urkundlichen Nachweis ersetzt.

Randzahlen 830 bis 849: derzeit frei

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