20.1. Voraussetzungen für eine Entlassung aus der Gesamtschuld (§ 237 Abs. 1 BAO)
Um Härten zu begegnen, die sich nur für einen von mehreren Gesamtschuldnern aus der Einhebung einer Abgabenschuld ergeben, räumt § 237 BAO die Möglichkeit ein, einen Gesamtschuldner, bei dem die Einhebung der Abgabenschuld nach der Lage des Falles unbillig wäre, auf Antrag aus dem Gesamtschuldverhältnis zu entlassen. Die mit Bescheid auszusprechende Entlassung aus der Gesamtschuld bedeutet lediglich ein Erlöschen des Anspruches gegenüber dem Bescheidadressaten, während der Abgabenanspruch als solcher gegenüber den anderen Gesamtschuldnern unberührt bleibt (VwGH 28.4.1994, 93/16/0192).Während für die Nachsicht (§ 236 BAO) das Vorliegen der maßgeblichen Voraussetzungen bei allen Mitschuldnern gefordert wird, genügt es für eine Maßnahme nach § 237 BAO, wenn die Billigkeitsgründe lediglich in der Person des antragstellenden Gesamtschuldners gelegen sind (VwGH 8.9.2009, 2009/17/011729.9.2011, 2011/16/0190Im Gegensatz zur Löschung und zur Nachsicht setzt die Entlassung aus der Gesamtschuld nicht die Fälligkeit der Abgabe voraus.Zur Antragstellung auf Entlassung aus der Gesamtschuld ist auch ein bisher noch nicht in Anspruch genommener Gesamtschuldner legitimiert.Der Antrag auf Entlassung aus der Gesamtschuld ist ein Anbringen iSd § 85 BAO; die Abgabenbehörde ist somit verpflichtet, über diesen Antrag ohne unnötigen Aufschub zu ent§ 85a BAO). Bei Verletzung der Entscheidungspflicht kommt nach Maßgabe des § 284 BAO eine Säumnisbeschwerde in Betracht.Es liegt an der Partei, das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf die eine Entlassung aus der Gesamtschuld gestützt werden könnte (VwGH 2.7.2002, 99/14/0284; VwGH 8.9.2009, 2009/17/0117). Der Antragsteller hat, wenn er sich beispielsweise auf eine Überschuldung beruft, darzulegen, aus welchen Gründen trotz einer Überschuldung, die zusätzlich zu den im Haftungsweg geltend gemachten Abgabenschuldigkeiten besteht, eine von ihm behauptete Existenzgefährdung durch Entlassung aus der Gesamtschuld abzuwenden wäre (VwGH 19.12.2002, 99/15/0023).Beantragt der einzige bisher mit Bescheid in Anspruch genommene Gesamtschuldner eine Nachsicht, so kommt, wenn nicht feststeht, dass die Voraussetzungen für eine Nachsicht bei allen Gesamtschuldnern vorliegen, eine Entlassung aus der Gesamtschuld in Betracht, weil diesfalls eine Nachsicht unzulässig wäre. In einem solchen Fall kann ein Nachsichtsantrag in einen Antrag auf Entlassung aus der Gesamtschuld umgedeutet werden.Da § 237 BAO ausdrücklich verlangt, die Unbilligkeit müsse in der Einhebung, also im Inkasso oder in der Vollstreckung der Abgabenforderung liegen, reicht eine Unbilligkeit, die etwa aus der gesetzlich normierten Einrichtung der Gesamtschuld als solcher abgeleitet werden könnte, für Maßnahmen nach § 237 BAO nicht aus (VwGH 19.12.2002, 99/15/0023).Für die Beurteilung der Unbilligkeit kommen die gleichen Gründe in Betracht wie bei einer Nachsicht gemäß § 236 BAO, soweit sie nur einen der Gesamtschuldner betreffen, der die Entlassung aus der Gesamtschuld begehrt (VwGH 30.3.2000, 99/16/0098; VwGH 29.9.2011, 2011/16/0190). Wäre die Einhebung bei allen Gesamtschuldnern oder Haftenden unbillig, wäre bei entsprechender Antragstellung eine Nachsicht möglich. Auf Grund eines Antrages gemäß § 237 BAO kommt die Bewilligung einer Nachsicht nicht in Frage.Im Hinblick darauf, dass die Billigkeitsgründe des § 236 BAO jedenfalls auch die Billigkeitsgründe des § 237 BAO sind, bleibt nach Abweisung eines Antrages auf Entlassung aus der Gesamtschuld bei unverändertem Sachverhalt kein Raum mehr für eine Entscheidung über einen vom selben Gesamtschuldner nach § 236 BAO gestellten Antrag (VwGH 24.3.1994, 92/16/0103).Eine Entlassung aus der Gesamtschuld ist für bereits entrichtete Abgaben ausgeschlossen, weil die Entrichtung der Abgabe durch einen der Gesamtschuldner das Erlöschen des Abgabenanspruches gegenüber allen Gesamtschuldnern zur Folge hat. Wäre es nämlich zulässig, einen Gesamtschuldner, der die Abgabe bereits entrichtet hat, aus der Gesamtschuld zu entlassen, so müsste folgerichtigerweise der Abgabenanspruch gegenüber den übrigen Gesamtschuldnern wieder aufleben. Durch eine solche Maßnahme blieben daher die rechtlichen Interessen der übrigen Gesamtschuldner unberücksichtigt. Sie wäre ein Eingriff in deren Rechte, weil das Wiederaufleben eines bereits erloschenen Abgabenanspruches bei den verbleibenden bisherigen Gesamtschuldnern zweifellos deren Rechtsstellung verändern würde. Ein derartiger Verwaltungsakt bedürfte einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung. Diese fehlt und damit auch die Möglichkeit, einen Gesamtschuldner, der in dieser Eigenschaft eine Abgabe bereits entrichtet hat, gemäß § 237 BAO aus der Gesamtschuld zu entlassen (VwGH 24.1.1990, 86/13/0130; VwGH 4.7.1990, 89/15/0013).Ein Gesamtschuldner kann gegebenenfalls nicht nur hinsichtlich der ganzen, sondern auch nur hinsichtlich eines Teiles der Abgabenschuld aus der Gesamtschuld entlassen werden (VwGH 28.9.2000, 98/16/0343).Auf die im verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren verhängten Geldstrafen und Wertersätze finden die Vorschriften des § 237 BAO keine Anwendung. Diesbezügliche Anträge (zB des Haftenden) sind unter dem Gesichtspunkt der Gnadenwürdigkeit gemäß § 187 FinStrG zu behandeln.Die Entlassung aus der Gesamtschuld führt in der Regel - anders als bei der Löschung und der Nachsicht - auf dem gemeinsamen einheitlichen Abgabenkonto der Gesamtschuldner zu keiner Gutschrift und somit zu keiner Veränderung des Saldos. Eine Ausnahme bildet jener Fall, in dem von zwei Gesamtschuldnern vorerst nur einer mit einem ein Leistungsgebot beinhaltenden Bescheid herangezogen und sodann aus der Gesamtschuld entlassen wird; diesfalls wirkt sich eine Maßnahme gemäß § 237 BAO auf dem Abgabenkonto aus.Zum Begriff der Unbilligkeit siehe Rz 1636 bis Rz 1668.
20.2. Widerruf einer Entlassung aus der Gesamtschuld (§ 237 Abs. 2 BAO)
Durch den Widerruf einer Entlassung aus der Gesamtschuld lebt der Abgabenanspruch gegen die in Betracht kommenden Gesamtschuldner wieder auf. Für die auf Grund des Widerrufes von einem bereits in Anspruch genommen gewesenen Gesamtschuldner zu entrichtende Abgabe ist eine Nachfrist von einem Monat zu setzen. Während dieser Frist ist eine Hemmung der Einbringung gegeben (§ 230 Abs. 2 BAO). Im übrigen siehe Rz 1603.Die Nachfrist des § 237 Abs. 2 BAO gilt im Analogieweg auch, wenn Bescheide betreffend Entlassung aus der Gesamtschuld durch § 299 BAO oder einen anderen Verfahrenstitel aufgehoben werden.Randzahlen 1816 bis 1829: derzeit frei