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9.5.1.6. Zwangsmaßnahmen im verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren

BMFBMF-280000/0061-IV/2/201431.3.2014

Die Zwangsmaßnahmen im verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren richten sich nach den Bestimmungen des Finanzstrafgesetzes und den dazu ergangenen Anweisungen.

Definition

Zwangsmaßnahmen dienen vor allem der Sicherung von verfallsbedrohten Gegenständen und von Gegenständen, die als Beweismittel in Betracht kommen, wenn Beweismittel durch verfahrensbetroffene Personen nicht freiwillig herausgegeben oder zur Verfügung gestellt werden.

Standard

Bei allen durchzuführenden Zwangsmaßnahmen ist auf die Verhältnismäßigkeit zu achten.

Die im FinStrG vorgesehenen Zwangsmaßnahmen bedürfen der Anordnung der Finanzstrafbehörde.

Bei Gefahr im Verzug sind Organe der Abgaben- und Finanzstrafbehörde ausnahmsweise ohne Anordnung berechtigt, Zwangsmaßnahmen zu setzen.

Festnahmen dürfen allerdings nur durch Organe der Finanzstrafbehörden bzw. von diesen gemäß § 99 Abs. 2 FinStrG beauftragte Organe, durch Organe der Zollämter und durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes vorgenommen werden.

Die Finanzstrafbehörde ist jedenfalls nach jeder bei Gefahr im Verzug gesetzten Zwangsmaßnahme unverzüglich hiervon in Kenntnis zu setzen und sämtliche damit im Zusammenhang stehenden Beweismittel sind der Finanzstrafbehörde vorzulegen.

Beschlagnahme nach § 89 FinStrG

Definition

Eine Beschlagnahme von verfallsbedrohten Gegenständen und Gegenständen, die als Beweismittel in einem Finanzstrafverfahren in Betracht kommen, ist anzuordnen, wenn dies zur Beweissicherung notwendig ist.

Standard

Die Beschlagnahmeanordnung ist von der Finanzstrafbehörde zu erlassen. Sie ist immer an die Inhaberin/den Inhaber des in Beschlag zu nehmenden Gegenstandes zu adressieren und zuzustellen.

Sollte die Inhaberin/der Inhaber nicht anwesend sein, hat eine Zustellung durch Hinterlegung ohne vorhergehenden Zustellversuch nach § 23 Zustellgesetz zu erfolgen, und es ist eine entsprechende Benachrichtigung zu deponieren.

Ist eine Beschlagnahme durchzuführen, dürfen sämtliche Räumlichkeiten, in denen sich die in Beschlag zu nehmenden Gegenstände befinden, betreten werden, ohne jedoch nach diesen zu suchen.

Über jede Beschlagnahme ist eine Niederschrift aufzunehmen, in der die beschlagnahmten Gegenstände genau zu verzeichnen und zu beschreiben sind. Über die Abnahme ist eine Quittung (allenfalls in Form einer Durchschrift der Niederschrift) auszustellen.

Beschlagnahmte Gegenstände sind unverzüglich der Finanzstrafbehörde vorzulegen, die die Anordnung getroffen hat.

Beschlagnahme bei Gefahr im Verzug

Definition

Eine Beschlagnahme kann ausnahmsweise auch ohne Anordnung erfolgen, wenn diese nicht rechtzeitig eingeholt werden kann und zu befürchten ist, dass ansonsten der zu beschlagnahmende Gegenstand auf Dauer dem Zugriff der Finanzstrafbehörde entzogen wäre.

Standard

Der konkrete, eine Beschlagnahme rechtfertigende Verdacht eines Finanzvergehens ist in einem Aktenvermerk zu dokumentieren. Eine Beschlagnahme ist nur dann vorzunehmen, wenn keine Möglichkeit besteht, Beweise auf andere Weise (zB durch Kopie) zu sichern bzw. wenn die Beweisgegenstände nicht freiwillig herausgegeben werden und kein Beschlagnahmeverbot vorliegt.

Der/dem anwesenden Inhaber/in sind die Gründe für die Beschlagnahme und für die Annahme von Gefahr im Verzug mündlich bekanntzugeben und in einer Niederschrift festzuhalten.

Die aufgenommene Niederschrift und die beschlagnahmten Beweisgegenstände sind unverzüglich der zuständigen Finanzstrafbehörde vorzulegen.

Beschlagnahmeverbote

Standard

Beweismittel, auf die sich eine gesetzlich anerkannte Pflicht zur Verschwiegenheit erstreckt bzw. die ausschließlich von der berufsmäßigen Parteienvertreterin/vom berufsmäßigen Parteienvertreter (zB Wirtschaftstreuhänder/in, Rechtsanwältin/Rechtsanwalt - jedoch nicht gewerbliche/r Buchhalter/in) hergestellt wurden, dürfen nicht beschlagnahmt werden (§ 89 Abs. 3 FinStrG).

Beweismittel von der/dem zur Verschwiegenheit Verpflichteten dürfen dann beschlagnahmt werden, wenn ein begründeter Verdacht besteht, dass diese/r selbst Beteiligte/r, Hehler/in oder Begünstigende/r eines Finanzvergehens ist.

Gleichfalls gibt es kein Beschlagnahmeverbot bei Büchern und Aufzeichnungen nach den §§ 124 bis 130 BAO oder den dazugehörigen Belegen oder Gegenständen der/des Verdächtigen, welche zur Begehung des Finanzvergehens bestimmt waren oder dieses erleichtert haben oder die aus dem Finanzvergehen herrühren.

Unter das Bankgeheimnis fallende Gegenstände bei Kreditinstituten und den im § 38 Abs. 4 BWG genannten Unternehmen können nur dann beschlagnahmt werden, wenn ein Finanzstrafverfahren wegen des Verdachts eines vorsätzlichen Finanzvergehens (ausgenommen Finanzordnungswidrigkeit) gegen eine Person geführt wird, der der Gegenstand zuzuordnen ist unter Einhaltung des Verfahrens nach § 99 Abs. 6 FinStrG.

Versiegelung von Unterlagen

Standard

Behauptet die/der zur Verschwiegenheit Verpflichtete, die/der als Beteiligte/r, Hehler/in oder Begünstigende/r in Bezug auf das Finanzvergehen in Betracht kommt, das Fehlen der Voraussetzungen für eine Beschlagnahme, ist das zu beschlagnahmende Beweismittel, auf welches sich eine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht erstreckt, ohne weitere Untersuchung zu verpacken, zu versiegeln und unverzüglich der/dem laut Geschäftsverteilung zuständigen Vorsitzenden des Spruchsenates vorzulegen. Dasselbe gilt, wenn die/der zur Verschwiegenheit Verpflichtete zum Zeitpunkt der Beschlagnahme nicht anwesend ist.

Die Versiegelung muss so vorgenommen werden, dass die Öffnung und Sichtung der sichergestellten Gegenstände nur durch die/den Spruchsenatsvorsitzende/n möglich ist. Die Versiegelung ist mittels nicht zerstörungsfrei entfernbaren Klebestreifens, darauf angebrachten Amtssiegels und Unterschriften sowohl eines Amtsorganes als auch der/des zur Verschwiegenheit Verpflichteten vorzunehmen.

Über die durchgeführte Beschlagnahme ist eine Niederschrift aufzunehmen und der/dem Betroffenen eine Kopie auszuhändigen.

9.5.1.7. Festnahmerechte

Definition

Das Aussprechen einer Festnahme ist eine durch Organe der Finanzstrafbehörde vorzunehmende Amtshandlung, die erforderlichenfalls auch mittels Zwangsgewalt eine Beschränkung der Bewegungsfreiheit herbeiführen soll.

Standard

Festnahmen sind grundsätzlich durch dafür ausgebildete Organe der Finanzstrafbehörden vorzunehmen. Das Festnahmerecht haben Organe der Abgabenbehörde ausnahmsweise dann, wenn diese einen Auftrag nach § 99 Abs. 2 FinStrG durchführen. Bei Vorliegen einer Gefährdungssituation können die Organe der Sicherheitsbehörde zur Amtshandlung beigezogen werden.

Eine Festnahme nach § 85 FinStrG erfordert grundsätzlich eine Anordnung der/des Spruchsenatsvorsitzenden. Eine Festnahme ohne entsprechende Anordnung ist nur bei Gefahr im Verzug zulässig.

Voraussetzungen für die Festnahme sind:

Die Entscheidung über eine Festnahme und deren Durchsetzung obliegt der Einsatzleiterin/dem Einsatzleiter.

Die/der Festgenommene ist immer über den Grund ihrer/seiner Festnahme, ihre/seine Rechte und das weitere Vorgehen zu belehren.

Widersetzt sich die/der Betroffene der Festnahme, sind physische Mittel nur unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung des Eigenschutzes und des Schutzes aller mit dem Einsatz unmittelbar befassten Bediensteten anzuwenden. Die Durchsetzung der Festnahme hat bei flüchtenden Personen wegen möglicher Gefährdung der eigenen Sicherheit zu unterbleiben. Die Organe der Sicherheitsbehörden sind in diesem Fall umgehend zu verständigen.

Die Ausübung des Festnahmerechts sowie der Identitätsfeststellung ist mit besonderer Sorgfalt unter Achtung der Menschenwürde vorzunehmen.

Eine Festnahme ist unverzüglich der/dem zuständigen Regionalen Leiter/in Finanzpolizei und der/dem StraSa-Leiter/in zu melden. Eine festgenommene Person ist auch unverzüglich der Finanzstrafbehörde vorzuführen.

Die weitere Vorgehensweise ist von der Finanzstrafbehörde festzulegen.

Über die Durchführung einer Festnahme ist ein Aktenvermerk anzufertigen und darin insbesondere festzuhalten:

Sollten im Zuge der Amtshandlungen Verletzungen erfolgt bzw. ersichtlich geworden sein oder von der/dem Betroffenen auch nur behauptet werden, ist unverzüglich eine ärztliche Beurteilung einzuholen, nach Möglichkeit durch Amtsärztinnen/Amtsärzte oder Polizeiärztinnen/Polizeiärzte.

Über derartige Vorfälle ist im Wege der Regionalen Leiterin/des Regionalen Leiters Finanzpolizei umgehend dem BMF (FinPol-Leitung und der Sektionsleitung der Sektion IV) mündlich und in der Folge schriftlich zu berichten.

9.5.1.7.1. Festnahmen nach dem AuslBG

Definition

Die Organe der Abgabenbehörde sind, wenn wegen Gefahr im Verzug das Einschreiten von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes nicht abgewartet werden kann, auch ermächtigt, Ausländer/innen für die Fremdenpolizei festzunehmen, wenn Grund zur Annahme besteht,

  • dass diese Ausländer/innen im Bundesgebiet eine Erwerbstätigkeit ausüben oder ausüben wollen, ohne dazu berechtigt zu sein und
  • sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten.

Standard

Den Organen der Abgabenbehörden kommen dabei die im § 35 VStG geregelten Befugnisse der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu. Die Ausländer/innen sind in geeigneter Weise über ihre Ansprüche gemäß § 29 AuslBG und die Möglichkeiten der Geltendmachung zu informieren.

Nach erfolgter Festnahme ist die festgenommene Person unverzüglich an die nächste Sicherheitsdienststelle oder Fremdenpolizeibehörde samt Festnahmeprotokolls zu übergeben. Zweckmäßig ist es, die festgenommene Person vor Ort an die Sicherheitsorgane zu übergeben.

9.5.1.7.2. Festnahmen nach der Strafprozessordnung iZm SozBeG

Definition

Eine Festnahme bedarf grundsätzlich der Anordnung der Staatsanwaltschaft. Es müssen die gesetzlichen Voraussetzungen (Flucht-, Verdunkelungs-, Tatbegehungsgefahr) vorliegen und die Maßnahme muss im Verhältnis zur Schwere des Vergehens stehen, dessen die/der Beschuldigte verdächtigt wird.

Standard

Es ist zwingend der Versuch zu unternehmen, die Staatsanwaltschaft am zuständigen Landesgericht (fernmündlich) zu erreichen und den Sachverhalt von dieser beurteilen zu lassen.

Kann keine Staatsanwältin/kein Staatsanwalt erreicht werden und kann wegen Gefahr im Verzug nicht zugewartet werden, sind die mit kriminalpolizeilichen Befugnissen ausgestatteten Organe von sich aus berechtigt, die/den Beschuldigte/n festzunehmen.

Nach erfolgter Festnahme ist die/der Festgenommene unverzüglich an die nächste Sicherheitsdienststelle samt Festnahmeprotokoll zu übergeben. Es ist zweckmäßig, die/den Festgenommene/n vor Ort an die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu übergeben.

Der/dem Beschuldigten ist sogleich oder innerhalb von vierundzwanzig Stunden nach ihrer/seiner Festnahme die gerichtliche Bewilligung der Festnahme zuzustellen.

Von der Festnahme ist die Staatsanwaltschaft unverzüglich zu verständigen. Die Verständigung ist im Akt zu dokumentieren.

Die/der Beschuldigte ist ohne unnötigen Aufschub, längstens aber binnen 48 Stunden ab Festnahme in die Justizanstalt des zuständigen Gerichts, wenn dies aufgrund der Umstände nicht tunlich wäre, in die Justizanstalt eines unzuständigen Gerichts einzuliefern oder einer Krankenanstalt zu überstellen. Hiervon ist die Staatsanwaltschaft in Kenntnis zu setzen.

Dies ist ebenfalls im Akt zu dokumentieren.

Festnahme bei Gefahr im Verzug

Standard

Die Festnahme darf ausnahmsweise bei Gefahr im Verzug auch ohne Anordnung erfolgen, wenn ein Zuwarten mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Folge hätte, dass das mit der Amtshandlung angestrebte Ziel nicht mehr erreicht werden kann. Sowohl die Versuche, die Staatsanwaltschaft zu erreichen, als auch die Umstände, die die Festnahme und die Annahme von Gefahr im Verzug rechtfertigen, sind zu dokumentieren.

Außerdem ist die/der Beschuldigte über Tatverdacht und Haftgrund schriftlich mit schriftlicher Begründung zu belehren.

Die Staatsanwaltschaft ist unverzüglich von der Festnahme in Kenntnis zu setzen.

Die/der Beschuldigte ist unverzüglich zur Sache, zum Tatverdacht und zum Haftgrund zu vernehmen und freizulassen, sobald sich ergibt, dass kein Grund zur weiteren Anhaltung vorliegt oder die entsprechende Anordnung durch die Staatsanwaltschaft erteilt wird. Die Anordnungen hinsichtlich der Anwendung gelinderer Mittel sind von der Staatsanwaltschaft zu erteilen und die Bekanntgabe der Auflagen der/dem Beschuldigten zur Kenntnis zu bringen.

Die Begründung und der genaue Zeitpunkt der Freilassung der/des Beschuldigten und die von der Staatsanwaltschaft mitgeteilten Auflagen sind zu dokumentieren.

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