VwGH 2013/21/0184

VwGH2013/21/018420.2.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Wagner, über die Beschwerde des SC in W, vertreten durch Mag. Nora Huemer-Stolzenburg, Rechtsanwalt in 1220 Wien, Schüttaustraße 69/46, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 6. Juni 2013, Zl. UVS-01/2/3372/2013- 8, betreffend Schubhaft (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §83 Abs4;
VwGbk-ÜG 2013;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs3;
VwGG §79 Abs11 idF 2013/I/033;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §83 Abs4;
VwGbk-ÜG 2013;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs3;
VwGG §79 Abs11 idF 2013/I/033;

 

Spruch:

Der bekämpfte Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, gemäß seinen Angaben ein Staatsangehöriger von Sierra Leone, war von der Landespolizeidirektion Wien am 7. Februar 2013 gemäß § 76 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG zur Sicherung seiner Abschiebung in Schubhaft genommen worden. Mit Bescheid vom 19. Februar 2013 sprach der Unabhängige Verwaltungssenat Wien über eine (u.a.) dagegen erhobene - erste - Administrativbeschwerde, gestützt auf § 83 Abs. 2 und 4 FPG, aus, dass (insbesondere) der Schubhaftbescheid und die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft rechtmäßig seien. Der Beschwerdeführer verblieb daher (bis 21. März 2013) in Schubhaft.

Per 22. März 2013 brachte der Beschwerdeführer eine weitere Administrativbeschwerde ein, mit der er seine nach der Entscheidung des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 19. Februar 2013 fortgesetzte Haft als rechtswidrig bekämpfte. Er brachte wie schon in der ersten Administrativbeschwerde vor, dass seine Abschiebung nach Sierra Leone nicht möglich sei; auch mehr als einen Monat nach der Entscheidung des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 19. Februar 2013 könne überhaupt nicht gesagt werden, ob und wann mit einem Heimreisezertifikat zu rechnen sei.

Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom 6. Juni 2013 wies der Unabhängige Verwaltungssenat Wien (die belangte Behörde) diese zweite Administrativbeschwerde gemäß § 83 Abs. 1, 2 und 4 FPG iVm § 67c Abs. 3 AVG als unbegründet ab und stellte fest, dass die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft bis zum 21. März 2013 rechtmäßig gewesen sei.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde erwogen:

Vorauszuschicken ist, dass gemäß dem letzten Satz des § 79 Abs. 11 VwGG in der Fassung des BGBl. I Nr. 122/2013 in den mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdesachen - soweit (wie für den vorliegenden "Altfall") durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013, nicht anderes bestimmt ist - die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden sind. Weiters ist vorweg darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung (im Juni 2013) zu überprüfen hat.

Die belangte Behörde sprach in ihrem ersten Bescheid vom 19. Februar 2013 u.a. aus, dass die Anhaltung des Beschwerdeführers, der sich zu diesem Zeitpunkt noch in Schubhaft befunden hatte, rechtmäßig sei. Vor dem Hintergrund des § 83 Abs. 4 FPG, wonach der unabhängige Verwaltungssenat, wenn die Anhaltung noch andauert, jedenfalls festzustellen hat, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen, ist dieser Ausspruch so zu verstehen, dass er nicht nur die bereits erlittene, sondern auch die zukünftige Haft des Beschwerdeführers erfasst. Es ist also davon auszugehen, dass die belangte Behörde in dem besagten Bescheid vom 19. Februar 2013 normativ feststellte, die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft seien weiterhin gegeben.

Der so zu verstehende Ausspruch der belangten Behörde war Grundlage für die weitere Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft und stellte insoweit einen neuen Titelbescheid dar (vgl. dazu etwa Punkt 3.1. der Entscheidungsgründe des hg. Erkenntnisses vom 19. März 2013, Zl. 2011/21/0246).

Mit hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2013/21/0109, wurde der Bescheid der belangten Behörde vom 19. Februar 2013, soweit er Schubhaft zum Gegenstand hatte, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Der zuvor erwähnte Titel als Grundlage der weiteren Anhaltung des Beschwerdeführers ist damit weggefallen, und zwar gemäß § 42 Abs. 3 VwGG mit Wirkung "ex tunc". Das bedeutet, dass der Rechtszustand zwischen der Erlassung des Bescheides (des genannten Schubhafttitels vom 19. Februar 2013) und seiner Aufhebung durch den Verwaltungsgerichtshof im Nachhinein so zu betrachten ist, als ob der aufgehobene Bescheid (der Titel) von Anfang an nicht erlassen worden wäre. Die mit rückwirkender Kraft ausgestattete Gestaltungswirkung des aufhebenden Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes bedeutet auch, dass allen Rechtsakten und Vollzugsakten, die während der Geltung des vom Verwaltungsgerichtshof danach aufgehobenen Bescheides (des neuen Schubhafttitels) auf dessen Grundlage gesetzt worden sind, im Nachhinein die Rechtsgrundlage entzogen worden ist (vgl. sinngemäß etwa das hg. Erkenntnis vom 29. Februar 2012, Zl. 2009/21/0198).

Im Ergebnis entbehrt damit ex post betrachtet die weitere Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft nach Erlassung - und auf Basis - des Bescheides der belangten Behörde vom 19. Februar 2013 der Grundlage. Im Hinblick darauf erweist sich der hier bekämpfte Bescheid, mit dem diese Anhaltung für rechtmäßig erklärt wurde, schon deshalb als inhaltlich rechtswidrig. Der Vollständigkeit halber sei allerdings angemerkt, dass die im Zusammenhang mit dem Einwand des Beschwerdeführers, er könne mangels Erwirkbarkeit eines Heimreisezertifikates nicht nach Sierra Leone abgeschoben werden, entscheidenden Fragen (wie oft waren Versuche, für Fremde ein Heimreisezertifikat von Sierra Leone zu erlangen, bisher erfolgreich/nicht erfolgreich? Zeitliche Lagerung dieser Versuche?) auch im vorliegend bekämpften Bescheid nicht beantwortet werden.

Schon nach dem Vorgesagten war der bekämpfte Bescheid aber gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der (auf "Altfälle" gemäß § 3 Z 1 VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014, weiter anzuwendenden) VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 20. Februar 2014

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