VwGH 2011/08/0136

VwGH2011/08/013614.1.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des Finanzamts Wien 12/13/14 Purkersdorf in 1150 Wien, Ullmannstraße 54, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenats Wien vom 18. Mai 2011, Zl. UVS-06/V/42/5232/2009- 6, betreffend Übertretungen des ASVG (mitbeteiligte Partei: P K in Wien; weitere Partei: Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §111;
ASVG §33;
ASVG §34;
VStG §5 Abs2;
ASVG §111;
ASVG §33;
ASVG §34;
VStG §5 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Zur Vorgeschichte des Beschwerdefalles ist auf das hg Erkenntnis vom 27. April 2011, Zl 2009/08/0103, zu verweisen, mit dem ein Bescheid der belangten Behörde vom 2. April 2009 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben wurde.

Mit dem nunmehr angefochtenen Ersatzbescheid wurde das Verwaltungsstrafverfahren gegen den Mitbeteiligten (neuerlich) gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG eingestellt. Begründend führte die belangte Behörde nach Darlegung des Verwaltungsgeschehens sowie einer Auseinandersetzung mit der im Vorerkenntnis dargelegten Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes und Wiedergabe des § 5 Abs 2 VStG, jedoch ohne Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhaltes, im Wesentlichen Folgendes aus:

Dem Mitbeteiligten sei nur dann ein Verschulden an seiner Unkenntnis, dass die Bestimmung des § 13 der Satzung der Wiener Gebietskrankenkasse 2007 trotz aufrechter Kundmachung mit 1. Jänner 2008 aus dem Rechtsbestand gefallen sei, anzulasten, wenn er nicht ausreichend sorgfältig geprüft hätte, welche kundgemachte Rechtsnorm im Rechtsbestand sei und welche kundgemachte Rechtsnorm zu beachten sei. Ein solcher Vorwurf könne dem Mitbeteiligten im gegenständlichen Fall aber nur dann gemacht werden, wenn anzunehmen wäre, dass jeder Rechtsanwender vor der Anwendung einer kundgemachten Rechtsnorm akribisch zu prüfen habe, ob die jeweilige kundgemachte Rechtsnorm rechtmäßig zustande gekommen sei. Dass eine solche Überfrachtung der Prüfungsbefugnis jedes Rechtsunterworfenen und die damit verbundene rudimentäre Relevanz des Kundmachungsakts einer Verordnung für die Frage des Vorliegens einer Verordnung mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht vereinbar sei, liege auf der Hand. Sohin vermöge dem Mitbeteiligten dieser Vorwurf nicht gemacht werden, woraus auch dessen mangelndes Verschulden zu folgern sei. Selbst wenn man dem Mitbeteiligten eine solche "überfrachtete Prüfungsbefugnis" zumuten würde, wäre von einer Einstellung des Strafverfahrens infolge Rechtsirrtums auszugehen gewesen, da der Verwaltungsgerichtshof mit dem Vorerkenntnis "völlig unvorhersehbar von seiner eigenen ständigen Judikatur abgegangen" sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde mit dem Antrag, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde abzuweisen. Der Mitbeteiligte erstattete ebenfalls eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 60 AVG, der nach § 24 VStG auch im Verwaltungsstrafverfahren anzuwenden ist, sind in der Begründung eines Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen.

Der nunmehr angefochtene Ersatzbescheid wurde nach Aufhebung des ursprünglichen Bescheides der belangten Behörde durch das Vorerkenntnis vom 27. April 2011, Zl 2009/08/0103, ohne weiteres Ermittlungsverfahren erlassen. Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht festgestellt (auch nicht durch Verweis auf Feststellungen des erstinstanzlichen Bescheides, vgl etwa das hg Erkenntnis vom 23. April 2008, Zl 2007/03/0041), sondern ihre Entscheidung ausschließlich auf die - nicht belegte - Annahme gestützt, der Mitbeteiligte sei einem nicht vorwerfbaren Rechtsirrtum unterlegen, wobei festzuhalten ist, dass nach den vorgelegten Verwaltungsakten ein derartiger Rechtsirrtum von der Mitbeteiligten im Verwaltungsverfahren - anders als nun in der Gegenschrift - nicht einmal behauptet wurde. Die belangte Behörde hat insbesondere nicht festgestellt, dass der von ihr angenommene Rechtsirrtum des Mitbeteiligten tatsächlich vorgelegen sei.

Da somit jegliches Sachverhaltssubstrat für die von der belangten Behörde vorgenommene rechtliche Beurteilung fehlt und dem Verwaltungsgerichtshof daher eine Überprüfung des angefochtenen Bescheides auf seine inhaltliche Rechtmäßigkeit nicht möglich ist, war der angefochtene Bescheid schon aus diesem Grunde gemäß § 42 Abs 2 Z 3 lit c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

2. Im Übrigen ist zu dem von der belangten Behörde - ohne Tatsachengrundlage - angenommenen Rechtsirrtum Folgendes festzuhalten:

Unkenntnis der Verwaltungsvorschrift, der der Täter zuwider gehandelt hat, entschuldigt gemäß § 5 Abs 2 VStG nur dann, wenn sie erwiesenermaßen unverschuldet ist und der Täter das Unerlaubte seines Verhaltens ohne Kenntnis der Verwaltungsvorschrift nicht einsehen konnte. Dabei ist auch irrige Gesetzesauslegung ein Rechtsirrtum, die den Beschuldigen nicht zu entschuldigen vermag, wenn nach seinem ganzen Verhalten nicht angenommen werden kann, dass sie unverschuldet war, und dass er das Unerlaubte seines Verhaltens nicht einsehen konnte. Es bedarf bei der Einhaltung der einem am Wirtschaftsleben Teilnehmenden obliegenden Sorgfaltspflicht einer Objektivierung durch geeignete Erkundigungen. Wer dies verabsäumt, trägt das Risiko des Rechtsirrtums (vgl das hg Erkenntnis vom 25. Februar 2004, Zl 2001/09/0195).

Ein Meldepflichtiger muss sich alle zur Erfüllung seiner gesetzlichen Verpflichtungen notwendigen Kenntnisse verschaffen; er hat den Mangel im Falle einer darauf zurückzuführenden Meldepflichtverletzung als Außerachtlassung der gehörigen Sorgfalt zu vertreten. Ein Meldepflichtiger, der nicht über alle zur Erfüllung seiner gesetzlichen Verpflichtungen notwendigen Kenntnisse verfügt, ist nicht schon deshalb exkulpiert, weil er sich mit der strittigen Frage ohnedies, wenn auch nur auf Grund seiner eingeschränkten Kenntnisse, auseinandergesetzt hat und dementsprechend vorgegangen ist. Einen solchen Meldepflichtigen trifft vielmehr grundsätzlich eine Erkundigungspflicht. Im Rahmen dieser Erkundigungspflicht ist der Meldepflichtige gehalten, sich über die Vertretbarkeit seiner Rechtsauffassung bei der Behörde bzw bei einer zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugten Person oder Stelle Gewissheit zu verschaffen. Der Meldepflichtige ist also nur dann entschuldigt, wenn die zur Beurteilung im Einzelfall notwendigen Kenntnisse nicht zu dem einem Meldepflichtigen zu unterstellenden Grundwissen gehören und er die ihm zumutbaren Schritte unternommen hat, sich in der Frage der Meldepflicht hinsichtlich des Beschäftigungsverhältnisses sachkundig zu machen, und die Unterlassung der Meldung auf das Ergebnis dieser Bemühungen ursächlich zurückzuführen ist. Dabei macht es keinen Unterschied, ob sich der Dienstgeber auf eine ihm mitgeteilte Verwaltungspraxis der Gebietskrankenkasse, auf ständige höchstgerichtliche Rechtsprechung oder auf sonstige verlässliche Auskünfte sachkundiger Personen oder Institutionen zu stützen vermag (vgl das hg Erkenntnis vom 25. Mai 2011, Zl 2009/08/0234).

Im Beschwerdefall ergaben sich die dem Mitbeteiligten angelasteten Meldepflichtverletzungen aus § 33 Abs 1 ASVG idF des SRÄG 2007, BGBl I Nr 31/2007, wonach der Dienstgeber jede von ihm beschäftigte, in der Krankenversicherung pflichtversicherte, Person vor Arbeitsantritt beim zuständigen Krankenversicherungsträger anzumelden hat. Diese gesetzliche Verpflichtung trat mit 1. Jänner 2008 in Kraft. Der Mitbeteiligte musste als für die Dienstgeberin nach außen zur Vertretung Befugter mit dieser - ihrem Wortlaut nach eindeutigen - Meldevorschrift vertraut sein. Eine allfällige Unkenntnis der Meldevorschrift wäre ihm anzulasten.

Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 27. April 2011, Zl 2008/08/0231, auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs 2 VwGG verwiesen wird, näher ausgeführt hat, ist § 13 der Satzung der Wiener Gebietskrankenkasse 2007 mit Inkrafttreten des SRÄG 2007 außer Kraft getreten, da es ab diesem Zeitpunkt an einer gesetzlichen Grundlage für die in der Satzung getroffene Regelung der Meldefristen fehlte (vgl dazu die bereits in diesem Erkenntnis zitierten Beschlüsse des Verfassungsgerichtshofes vom 3. Dezember 2009, V 439/08, und vom 26. Februar 1991, V 166/90, sowie das hg Erkenntnis vom 20. März 1981, Zl 1727/79; von einer Änderung der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes oder einer Rechtsprechungsdivergenz zum Verfassungsgerichtshof kann entgegen den von der belangten Behörde angestellten Erwägungen daher keine Rede sein).

Im Übrigen hätte die belangte Behörde, wäre ein schuldausschließender Rechtsirrtum im Sinne des § 5 Abs 2 VStG vom Mitbeteiligten geltend gemacht worden, weitere Ermittlungen darüber anzustellen gehabt, ob sich der Mitbeteiligte entsprechend der ihm obliegenden Sorgfaltspflicht ausreichend und nachweislich über die Richtigkeit seiner Rechtsansicht unterrichtet hat.

3. Im fortgesetzten Verfahren ist die belangte Behörde gemäß § 63 Abs 1 VwGG verpflichtet, mit den ihr zu Gebote stehenden Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen. Sollte sie dabei zum Ergebnis kommen, dass der Mitbeteiligte die ihm in der Anzeige durch das Finanzamt Wien 12/13/14 Purkersdorf vom 14. Februar 2008 vorgeworfenen Verwaltungsübertretungen schuldhaft begangen hat, so wird sie bei der Strafbemessung die überlange Verfahrensdauer strafmindernd zu bewerten und als Grund für die Milderung der Strafe gemäß § 20 VStG in Anschlag zu bringen haben (vgl das hg Erkenntnis vom 27. Jänner 2011, Zl 2007/09/0279).

Wien, am 14. Jänner 2013

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