VwGH 2011/23/0555

VwGH2011/23/055522.11.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des L in W, vertreten durch Dr. Ernst Blasl, Rechtsanwalt in 1020 Wien, Praterstraße 43, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 2. Juli 2009, Zl. E1/437.162/2008, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §45 Abs2;
AVG §46;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AVG §45 Abs2;
AVG §46;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein serbischer Staatsangehöriger, reiste laut eigenen Angaben am 8. Februar 2002 mit einem bis zum 7. Mai 2002 gültigen Visum nach Österreich ein und erhielt in der Folge ein weiteres, vom 18. Oktober 2002 bis zum 16. April 2003 gültiges Visum. Mit dem in Rechtskraft erwachsenen Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 21. Juli 2003 wurde er sodann gemäß § 33 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 (FrG) aus dem Bundesgebiet ausgewiesen.

Am 9. Oktober 2004 heiratete der Beschwerdeführer in Serbien die österreichische Staatsbürgerin E. V. und beantragte am 29. Oktober 2004 unter Berufung auf diese Ehe die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung "begünstigter DrittStA. - Ö, § 49 Abs. 1 FrG". Bei einer Einvernahme im Zuge des Niederlassungsverfahrens am 18. November 2004 gab E. V. an, dass es sich um eine "Liebesheirat" handle und die Ehegemeinschaft aufrecht sei. Daraufhin wurde dem Beschwerdeführer die beantragte Niederlassungsbewilligung, gültig bis zum 22. November 2005, erteilt.

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 5. Oktober 2006 wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 87 iVm § 86 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) wegen Eingehens einer so genannten Aufenthaltsehe ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. In ihrer Begründung stützte sich die Bundespolizeidirektion Wien insbesondere auf die Ergebnisse mehrerer Hauserhebungen, die im Oktober 2005 an der damaligen Meldeadresse des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau in 1180 Wien durchgeführt worden seien. Dabei sei erhoben worden, dass E. V. bis wenige Monate zuvor mit L. G. in der gegenständlichen Wohnung gelebt habe, während der Beschwerdeführer den Nachbarn nicht bekannt gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe das Bestehen einer Scheinehe im Zuge einer Einvernahme am 21. März 2006 bestritten. Seine Ehefrau, deren Aufenthalt unbekannt sei, habe lediglich telefonisch erreicht werden können und sei nicht bereit gewesen, "beim Amte vorzusprechen". Die Bundespolizeidirektion Wien erachtete jedoch auch ohne Mitwirkung von E. V. und L. G. das Bestehen einer Aufenthaltsehe als erwiesen.

In der dagegen erhobenen Berufung bestritt der Beschwerdeführer das Vorliegen einer Scheinehe und beantragte die Einvernahme seiner Ehefrau.

Mit Bescheid vom 15. Juni 2007 gab die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien dieser Berufung Folge, behob den erstinstanzlichen Bescheid und verwies die Angelegenheit an die Bundespolizeidirektion Wien zurück. Nach Auffassung der Berufungsbehörde habe auf Grund des (damaligen) Ermittlungsstandes "nicht mit der für ein Verwaltungsverfahren erforderlichen Sicherheit festgestellt werden" können, dass der Beschwerdeführer eine Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin nur deshalb geschlossen habe, um sich für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung auf diese Ehe zu berufen, dass er aber ein Familienleben iSd Art. 8 EMRK mit seiner Ehefrau nie geführt habe.

Mit dem sodann (im zweiten Rechtsgang) erlassenen Bescheid vom 20. September 2008 verhängte die Bundespolizeidirektion Wien gemäß § 87 iVm § 86 Abs. 1 FPG gegen den Beschwerdeführer erneut ein - nunmehr auf die Dauer von zehn Jahren befristetes - Aufenthaltsverbot. Nach Darstellung des bisherigen Verfahrensganges führte die Bundespolizeidirektion Wien aus, dass "umfangreiche weitere Erhebungen" getätigt worden seien, deren Ergebnisse im Bescheid näher umschrieben wurden. Basierend auf diesen Beweisergebnissen erachtete sie das Vorliegen einer Scheinehe als "klargestellt".

In der dagegen erhobenen Berufung bestritt der Beschwerdeführer wiederum das Vorliegen einer Scheinehe; seine Ehefrau habe ihn allerdings, nachdem die Ehe rund ein Jahr gedauert habe, verlassen. Neuerlich wurde - wie auch schon in einer Äußerung vom 22. Juli 2008 - die Einvernahme der Ehefrau beantragt.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 2. Juli 2009 gab die belangte Behörde dieser Berufung keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid. In ihrer Begründung verwies sie zunächst auf die Ergebnisse der - bereits dem im ersten Rechtsgang erlassenen Bescheid vom 5. Oktober 2006 zugrunde liegenden - Hauserhebungen vom Oktober 2005. Darüber hinaus sei am 16. Juni 2007 (aus Anlass des Verdachts einer gerichtlich strafbaren Handlung) L. G. einvernommen worden und habe dabei angegeben, mit E. V. schon "fünf Jahre zusammen" zu sein. Weiters verwies die belangte Behörde auf das Ergebnis der Einvernahme des Beschwerdeführers vom 13. März 2008, bei der Widersprüche aufgetreten seien und der Beschwerdeführer über maßgebliche Umstände aus dem Privat- und Familienleben seiner Ehefrau keine Kenntnisse gehabt habe. Auch den Aufenthaltsort seiner Ehefrau in den letzten zwei bis drei Jahren habe er nicht gekannt. Schließlich sei im Juni 2008 an der Adresse der vormaligen Ehefrau des Beschwerdeführers, S. O., in 1150 Wien eine Hauserhebung durchgeführt worden, im Zuge derer eine Nachbarin angegeben habe, dass der Beschwerdeführer dort seit zumindest ein bis zwei Jahren mit S. O. und den gemeinsamen Töchtern wohnhaft sei.

Zur Ehefrau des Beschwerdeführers stellte die belangte Behörde fest, dass diese - einem Aktenvermerk der erstinstanzlichen Behörde vom 14. Dezember 2006 zufolge - zum damaligen Zeitpunkt an der Meldeadresse des Beschwerdeführers in 1140 Wien zwar behördlich gemeldet, aber nach seiner Aussage nicht wohnhaft gewesen sei. Ab dem 15. April 2008 sei E. V. in 1100 Wien behördlich gemeldet gewesen. Da sie auf eine Ladung zwecks Vernehmung nicht reagiert habe, ging die belangte Behörde aber von einer "Scheinmeldung" aus.

Angesichts der dargestellten Erhebungsergebnisse stand für die belangte Behörde fest, dass der Beschwerdeführer die Ehe mit E. V. geschlossen und sich für die Erteilung eines Aufenthaltstitels auf diese Ehe berufen habe, ohne mit seiner Ehefrau ein Familienleben iSd Art. 8 EMRK geführt zu haben. Vielmehr sei zutage getreten, dass E. V. eine Lebensgemeinschaft mit L. G. eingegangen sei und der Beschwerdeführer selbst mit S. O. zusammenlebe. Die (dem entgegenstehenden) Angaben des Beschwerdeführers wertete die belangte Behörde als bloße Schutzbehauptungen. Da der Missbrauch des Rechtsinstitutes der Ehe zur Erlangung fremdenrechtlich bedeutsamer Rechte eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstelle, seien die Voraussetzungen zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Grunde des § 87 iVm § 86 Abs. 1 FPG gegeben.

Zwar sei - so die belangte Behörde weiter - von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers auszugehen. Dieser Eingriff sei jedoch zulässig, zumal er zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens und zur Verhinderung von Aufenthalts- bzw. Scheinehen - dringend geboten sei. Die aus dem Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet resultierende Integration sei auf Grund des Eingehens einer Scheinehe wesentlich gemindert. Der Beschwerdeführer habe auch nur auf Grund der durch seine Eheschließung mit einer österreichischen Staatsbürgerin bevorzugten Stellung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz eine unselbstständige Beschäftigung eingehen können. Seine persönlichen Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet würden im Ergebnis keinesfalls schwerer wiegen als das öffentliche Interesse an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes.

Mangels besonderer, zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechender Umstände sah die belangte Behörde auch keinen Grund, von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand zu nehmen. Auch die vorgenommene Befristung des Aufenthaltsverbotes erachtete die belangte Behörde als rechtmäßig.

Die gegen diesen Bescheid an den Verfassungsgerichtshof erhobene Beschwerde wurde, nachdem dieser deren Behandlung mit Beschluss vom 21. September 2009, B 994/09-3, abgelehnt hatte, dem Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG zur Entscheidung abgetreten. Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die im Juli 2009 geltende Fassung.

Der Beschwerdeführer ist im Hinblick auf die aufrechte Ehe mit E. V. Familienangehöriger (§ 2 Abs. 4 Z 12 FPG) einer Österreicherin. Für ihn gelten somit gemäß § 87 FPG die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach § 86 Abs. 1 FPG. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes ist demnach nur zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass diese Voraussetzungen gegeben sind, wenn der Fremde - im Sinn des Tatbestands des § 60 Abs. 2 Z 9 FPG - eine so genannte Aufenthaltsehe geschlossen, also mit dem Ehegatten ein gemeinsames Familienleben iSd Art. 8 EMRK nie geführt und sich trotzdem für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung auf diese Ehe berufen hat (vgl. etwa das Erkenntnis vom 29. März 2012, Zl. 2011/23/0257, mwN).

In der Beschwerde wird - wie bereits im Verwaltungsverfahren -

das Vorliegen einer Scheinehe bestritten und insbesondere bemängelt, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers nicht einvernommen worden sei.

Dieser Einwand ist im Ergebnis berechtigt:

Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid festgestellt, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers am 18. November 2004 (im Niederlassungsverfahren des Beschwerdeführers) von der Bundespolizeidirektion Wien einvernommen worden sei. Die diesbezüglichen Feststellungen beschränken sich darauf, dass E. V. dabei angegeben habe, es habe sich um eine "Liebesheirat" gehandelt und sie würde sich mit ihrem Ehemann, der "einiger Maßen Deutsch spreche", in deutscher Sprache verständigen. Die belangte Behörde hat es aber verabsäumt, sich mit diesem Ermittlungsergebnis beweiswürdigend auseinanderzusetzen bzw. darzulegen, warum sie die Aussage von E. V. offenbar als unglaubwürdig angesehen hat.

Dem angefochtenen Bescheid lässt sich letztlich auch nicht nachvollziehbar entnehmen, warum die - wiederholt beantragte - Einvernahme der E. V. im Aufenthaltsverbotsverfahren unterblieben ist. Zwar ist der belangten Behörde zuzugestehen, dass mehrfach vergeblich versucht wurde, E. V. auszuforschen, bzw. dass diese auf behördliche Ladungen nicht reagierte. Die diesbezüglich letzten Erhebungen stammen aber - wie sich aus dem angefochtenen Bescheid in Verbindung mit den vorgelegten Verwaltungsakten ergibt - vom Juni 2008. In einem Bericht der Bundespolizeidirektion Wien wurde damals festgehalten, dass E. V. zwar seit 15. April 2008 in 1100 Wien behördlich gemeldet sei, aber auf eine Ladung zwecks Vernehmung nicht reagiert habe; es werde daher von einer so genannten "Scheinmeldung" ausgegangen. Dass bis zur (mehr als ein Jahr später erfolgten) Erlassung des angefochtenen Bescheides noch einmal versucht worden sei, E. V. auszuforschen bzw. zu vernehmen, ist nicht ersichtlich. Dies wäre aber schon deshalb erforderlich gewesen, weil sich aus einer im Akt befindlichen ZMR-Auskunft ergibt, dass E. V. ab dem 2. März 2009 (somit vier Monate vor Erlassung des angefochtenen Bescheides) in 1020 Wien, T-Gasse, behördlich gemeldet war.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dürfen Beweisanträge aber nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel (ohne unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung) untauglich ist. Das Vorliegen von - nach Meinung der Behörde - ausreichenden und eindeutigen Beweisergebnissen für die Annahme einer bestimmten Tatsache rechtfertigt nicht die Auffassung, die Einvernahme eines zum Beweis des Gegenteils geführten Zeugens sei nicht geeignet, zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts beizutragen. Die begründungslose Unterlassung der Vernehmung eines Zeugen stellt einen relevanten Verfahrensmangel dar, es sei denn, dass die Zeugenaussage von vornherein nicht geeignet wäre, zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts beizutragen (vgl. zu all dem etwa das Erkenntnis vom 21. Juni 2012, Zl. 2011/23/0323, mwN).

Vor dem Hintergrund, dass der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren behauptet hat, für den Zeitraum von ca. einem Jahr nach der Eheschließung mit seiner Ehefrau ein gemeinsames Familienleben geführt zu haben, stellt die Unterlassung der beantragten Einvernahme der E. V. im Sinn der dargestellten Rechtsprechung einen wesentlichen Verfahrensmangel dar. Die belangte Behörde hätte sich vielmehr durch die Aufnahme des beantragten Beweises und die Würdigung des Ermittlungsergebnisses eine nachvollziehbare Überzeugung davon verschaffen müssen, ob die Behauptung des Beschwerdeführers über das Führen eines gemeinsamen Familienlebens mit seiner Ehefrau zutrifft oder nicht (vgl. dazu das Erkenntnis vom 29. März 2012, Zl. 2011/23/0270).

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 22. November 2012

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte