VwGH 2011/23/0323

VwGH2011/23/032321.6.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des S, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 22. April 2009, Zl. E1/23238/2008, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §46;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §46;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein mazedonischer Staatsangehöriger, reiste am 1. September 2003 illegal in das Bundesgebiet ein, wo er einen Asylantrag stellte. Die Berufung gegen den diesen Antrag abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes vom 19. März 2004 zog der Beschwerdeführer am 14. Jänner 2005 zurück.

Bereits am 2. März 2004 hatte er in Tulln die österreichische Staatsbürgerin J geheiratet. Unter Berufung auf diese Ehe beantragte er in der Folge die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung "begünstigter Drittsta. - Ö, § 49 Abs. 1 FrG". Der Aufenthaltstitel wurde ihm ausgestellt und zuletzt bis 2. Mai 2008 verlängert. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Tulln vom 23. November 2006 wurde die Ehe des Beschwerdeführers gemäß § 55a Ehegesetz geschieden; am 6. März 2008 beantragte er die Verlängerung seines Aufenthaltstitels für den Aufenthaltszweck "Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt".

Mit Bescheid vom 23. Oktober 2008 erließ die Bezirkshauptmannschaft Tulln gegen den Beschwerdeführer gemäß § 60 Abs. 1 und 2 Z 9 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot. Sie stützte sich dabei auf die Angaben der geschiedenen Ehefrau des Beschwerdeführers bei ihrer niederschriftlichen Einvernahme am 26. Mai 2008, wonach die Ehe nur geschlossen worden sei, um dem Beschwerdeführer den Aufenthalt in Österreich zu ermöglichen, und ein gemeinsames Eheleben nicht geführt worden sei.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er das Vorliegen einer Scheinehe bestritt. Er verwies auf seine im erstinstanzlichen Verfahren erstattete Stellungnahme vom 8. Juli 2008 und die darin angeführten Zeugen. Diese könnten bestätigen, dass es ihm mit der Ehe mit J ernst gewesen sei und er unter der von ihr gewünschten Trennung sehr gelitten habe. Die genannten Personen könnten bezeugen, dass sich J in ihn verliebt habe und er sich auch in sie. Weiters könnten die Zeugen bestätigen, dass J entgegen ihrer Angaben bei ihm gewohnt und mit ihm gelebt habe.

Die belangte Behörde ließ im Berufungsverfahren durch die erstinstanzliche Behörde vier der vom Beschwerdeführer beantragten elf Zeugen einvernehmen.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 22. April 2009 gab die belangte Behörde der Berufung lediglich insoweit Folge, als sie das Aufenthaltsverbot mit fünf Jahren befristete.

Die belangte Behörde stellte dazu fest, dass der Beschwerdeführer mit J die Ehe geschlossen habe, um sich in einem Verfahren für die Erteilung eines Aufenthaltstitels auf die Ehe berufen zu können, wobei die Führung eines gemeinsamen Familienlebens iSd Art. 8 EMRK nicht beabsichtigt gewesen und ein solches auch nie geführt worden sei.

Nach Darstellung der Aussagen des Beschwerdeführers und von J sowie der vier vernommenen Zeugen zeigte sie beweiswürdigend Widersprüche zwischen den Aussagen des Beschwerdeführers und seiner geschiedenen Ehefrau auf. Insbesondere auf Grund der Aussage von J sei davon auszugehen, dass die Ehe mit dieser ausschließlich zu dem Zweck geschlossen worden sei, um dem Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel bzw. eine arbeitsmarktrechtliche Bewilligung zu verschaffen. Auch die niederschriftlichen Aussagen der vernommenen Zeugen könnten die glaubwürdigen und nachvollziehbaren Aussagen von J nicht in Zweifel ziehen. Es sei daher zu schließen, dass der Beschwerdeführer mit der Eheschließung lediglich aufenthaltsrechtliche Vorteile habe erzielen wollen, sodass vom Vorliegen einer so genannten Aufenthaltsehe auszugehen sei.

Dieses Verhalten rechtfertige die Annahme, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung gefährde und einen evidenten Rechtsmissbrauch darstelle. Das Eingehen einer Scheinehe beeinträchtige nämlich erheblich die öffentliche Ordnung (das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen), sodass das Aufenthaltsverbot im Grunde des § 60 Abs. 1 FPG zulässig sei.

Der Beschwerdeführer halte sich seit 1. September 2003 im Bundesgebiet auf und habe zunächst über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz und anschließend über Aufenthaltstitel auf Grund der Aufenthaltsehe verfügt. Er gehe seit 26. April 2004 einer Beschäftigung nach. In Österreich lebe außerdem sein Vater. Am 7. September 2007 habe er eine mazedonische Staatsangehörige geheiratet. Mit dieser habe er ein gemeinsames, am 30. Dezember 2007 geborenes Kind. Beide lebten derzeit in Mazedonien. Durch das Aufenthaltsverbot werde daher in das "Privat- oder Familienleben" des Beschwerdeführers eingegriffen.

Der Beschwerdeführer habe durch das Eingehen einer Scheinehe zur Erlangung aufenthalts- und beschäftigungsrechtlicher Vorteile das maßgebliche öffentliche Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften erheblich beeinträchtigt. Auch die nach § 66 FPG vorzunehmende Interessenabwägung falle trotz seiner beruflichen Bindungen in Österreich und seiner familiären Beziehung zu seinem Vater, die durch seine Volljährigkeit relativiert werde, nicht zu seinen Gunsten aus. Umstände für eine Ermessensübung zu seinen Gunsten seien nicht ersichtlich. Auf Grund seines Gesamtfehlverhaltens sei vor Ablauf von fünf Jahren ein Wegfall des für die Erlassung des Aufenthaltsverbots maßgeblichen Grundes nicht zu erwarten.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die zu diesem Zeitpunkt (April 2009) geltende Fassung.

Gemäß § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Gemäß § 60 Abs. 2 Z 9 FPG hat als bestimmte, eine Gefährdungsannahme iSd Abs. 1 rechtfertigende Tatsache zu gelten, wenn ein Fremder eine Ehe geschlossen, sich für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung oder eines Befreiungsscheins auf die Ehe berufen, aber mit dem Ehegatten ein gemeinsames Familienleben iSd Art. 8 EMRK nie geführt hat.

In der Beschwerde wird - wie bereits in der Berufung - das Vorliegen einer Scheinehe bestritten und vorwiegend bemängelt, dass die belangte Behörde von den elf zur Vernehmung beantragten Zeugen begründungslos lediglich drei (richtig: vier) Zeugen einvernommen habe.

Dieser Einwand ist berechtigt:

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dürfen Beweisanträge nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel (ohne unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung) untauglich ist. Es ist nicht zulässig, ein vermutetes Ergebnis noch nicht aufgenommener Beweise vorwegzunehmen. Das Vorliegen von - nach Meinung der Behörde - ausreichenden und eindeutigen Beweisergebnissen für die Annahme einer bestimmten Tatsache rechtfertigt nicht die Auffassung, die Einvernahme der zum Beweis des Gegenteils geführten Zeugen sei nicht geeignet, zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts beizutragen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 29. März 2012, Zl. 2011/23/0270, mwN). Die begründungslose Unterlassung der Vernehmung eines Zeugen stellt einen relevanten Verfahrensmangel dar, es sei denn, dass die Zeugenaussage von vornherein nicht geeignet wäre, zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts beizutragen (vgl. das Erkenntnis vom 14. Oktober 2008, Zlen. 2008/22/0550, 0551, mwN).

Die belangte Behörde begründete das Übergehen der zum selben Beweisthema wie die einvernommenen Zeugen beantragten Personen im angefochtenen Bescheid nicht. Im Hinblick auf das von der belangten Behörde in Bezug auf die vernommenen Zeugen für ausreichend substantiiert befundene Beweisthema ist die Unterlassung der Vernehmung der weiteren Zeugen nicht nachvollziehbar. Im Sinne der dargestellten Rechtsprechung stellt dies einen wesentlichen Verfahrensmangel dar. Die in der Gegenschrift nachgereichte Begründung, dass der Sachverhalt auf Grund der aufgenommenen Beweismittel ausreichend geklärt gewesen und aus Gründen der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis von der Einvernahme weiterer Zeugen Abstand genommen worden sei, wäre im Übrigen auch nicht tragfähig gewesen. Erachtet die Behörde die Einvernahme von beantragten Zeugen - wie hier der Sache nach - "unter Anwendung des Grundsatzes der Verfahrensökonomie" für entbehrlich, so vermag diese Begründung die Abstandnahme von der beantragten Zeugeneinvernahme nämlich nicht zu rechtfertigen (vgl. das Erkenntnis vom 20. März 2012, Zl. 2008/21/0632, mwN).

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das Mehrbegehren auf gesonderten Ersatz der Umsatzsteuer findet darin keine Deckung und war daher abzuweisen.

Wien, am 21. Juni 2012

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