VwGH 2011/23/0270

VwGH2011/23/027029.3.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des S, vertreten durch Dr. Wolfgang Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 12/1/27, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 1. Juli 2008, Zl. E1/200070/2008, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §45 Abs2;
AVG §46;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
MRK Art8 Abs2;
MRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AVG §45 Abs2;
AVG §46;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
MRK Art8 Abs2;
MRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein mazedonischer Staatsangehöriger, heiratete am 14. Juni 2004 in Wien die österreichische Staatsbürgerin N. Unter Berufung auf diese Ehe beantragte er in der Folge die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung "begünstigter Drittsta. - Ö, § 49 Abs. 1 FrG". Dieser Aufenthaltstitel wurde dem Beschwerdeführer ausgestellt und über weitere Anträge mehrfach verlängert.

Am 22. Juni 2006 wurde die Ehe des Beschwerdeführers geschieden.

Mit Bescheid vom 11. April 2008 verhängte die Bundespolizeidirektion Wien über den Beschwerdeführer gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 9 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot. Sie stützte sich dabei im Wesentlichen auf die Angaben der geschiedenen Ehegattin des Beschwerdeführers bei ihrer niederschriftlichen Einvernahme am 2. Oktober 2006, wonach es sich bei der Ehe um eine Scheinehe gehandelt habe.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er das Vorliegen einer Scheinehe bestritt. Er brachte dazu vor, dass seine ehemalige Ehefrau ihm in einem Gespräch am 25. April 2008 eingestanden habe, dass ihre Aussage vor der Fremdenpolizei unrichtig gewesen sei. Dies habe sie auch schriftlich bestätigt, weshalb er "gegebenenfalls" ihre neuerliche Einvernahme beantrage. Der Berufung war eine handschriftliche, notariell beglaubigte, inhaltlich gleichlautende Erklärung von N. beigelegt, wonach sie bei der Fremdenpolizei falsche Angaben gemacht habe, weil sie mit dem Beschwerdeführer gestritten gehabt habe. Der Beschwerdeführer habe ihr auch nie Geld gegeben, ausgenommen für Lebensmittel und die Wohnung. Es habe sich um keine Scheinehe gehandelt, sondern sie hätten einander geliebt, weshalb sie ihre Aussage zurückziehe.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 1. Juli 2008 gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid.

Die belangte Behörde stellte dazu fest, dass zwischen dem Beschwerdeführer und N. während ihrer etwa zwei Jahre dauernden Ehe nie ein gemeinsames Familienleben iSd Art. 8 EMRK bestanden habe und sich der Beschwerdeführer in seinem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung auf diese Ehe berufen habe.

Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus, dass die geschiedene Ehefrau des Beschwerdeführers in ihrer - auf Grund eines anonymen Hinweises erfolgten - niederschriftlichen Einvernahme vom 2. Oktober 2006 sinngemäß angegeben habe, dass ihre Ehe mit dem Beschwerdeführer durch M. vermittelt worden sei. Sie habe dafür in zwei Raten (eine vor und eine nach der Trauung) insgesamt EUR 8.000,-- bekommen. Den Beschwerdeführer habe sie erst einen Monat vor der Trauung kennen gelernt. Ihrem tatsächlichen Lebensgefährten A.B. habe sie erst zwei Monate nach der Hochzeit davon erzählt. Die - nie vollzogene - Ehe sei nur geschlossen worden, um dem Beschwerdeführer den Aufenthalt in Österreich zu ermöglichen.

M. habe bei ihrer Einvernahme am 28. Februar 2007 als Zeugin angegeben, im März oder April 2004 bei einem Gespräch zwischen ihrem ehemaligen Ehemann und N. anwesend gewesen zu sein, als dieser N. das Eingehen einer Scheinehe vorgeschlagen und sie sofort zugesagt habe. In der Folge sei der Beschwerdeführer N. vorgestellt und für das Eingehen der Scheinehe ein Entgelt von EUR 10.000,-- ausgemacht worden. Dieses habe der Beschwerdeführer seiner späteren Ehefrau vor der Trauung in einem Kuvert übergeben.

Der Beschwerdeführer habe das Vorliegen einer Scheinehe in Abrede gestellt.

Die belangte Behörde führte weiters aus, dass sie keinen Grund sehe, den niederschriftlichen Aussagen der Zeuginnen N. und M. die Glaubwürdigkeit abzusprechen. Beide hätten den Ablauf des Zustandekommens der Ehe im Wesentlichen übereinstimmend, weitgehend logisch und schlüssig geschildert. Daran könne auch die spätere "Zurückziehung" der Aussage durch N. nichts ändern. Derartiges komme bei Scheinehen nicht selten vor, weil von den betroffenen Fremden Druck ausgeübt oder eine weitere Geldzuwendung versprochen werde. Eine derartige Beeinflussung der "Ex-Ehefrau" sei nicht unwahrscheinlich. Jedenfalls bleibe die den Beschwerdeführer ebenfalls schwer belastende Aussage der Zeugin M. unwidersprochen bestehen, weshalb eine neuerliche Einvernahme von N. entbehrlich gewesen sei. Auch dass der weitere Zeuge X, der im Verdacht der seinerzeitigen Vermittlung der Scheinehe stehe, von einer solchen nichts wissen wolle, sei wenig bedeutsam, weil er sich durch eine anders lautende Aussage selbst belasten und strafbar machen würde.

Zusammenfassend kam die belangte Behörde beweiswürdigend zum Ergebnis, dass sie der "Erstaussage" der ehemaligen Ehefrau des Beschwerdeführers und der unbestrittenen Aussage der Zeugin M. folge, die sie für glaubwürdig befinde.

Rechtlich schloss die belangte Behörde auf das Wesentliche zusammengefasst, dass der Beschwerdeführer durch das Eingehen einer Scheinehe zur Erlangung aufenthalts- und beschäftigungsrechtlicher Vorteile eine den öffentlichen Interessen zuwiderlaufende grobe Verletzung der öffentlichen Ordnung, insbesondere auf dem Gebiet eines geordneten "Ehe- und Fremdenwesens" begangen habe, weshalb die Erlassung eines Aufenthaltsverbots dringend geboten sei. Auch die nach § 66 FPG vorzunehmende Interessenabwägung falle nicht zu seinen Gunsten aus.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 60 Abs. 1 FPG (in der hier noch maßgeblichen Stammfassung) kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Gemäß § 60 Abs. 2 Z 9 FPG (in dieser Fassung) hat als bestimmte, eine Gefährdungsannahme iSd Abs. 1 rechtfertigende Tatsache zu gelten, wenn ein Fremder eine Ehe geschlossen, sich für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung oder eines Befreiungsscheines auf die Ehe berufen, aber mit dem Ehegatten ein gemeinsames Familienleben iSd Art. 8 EMRK nie geführt hat.

In der Beschwerde wird - wie bereits in der Berufung - das Vorliegen einer Scheinehe bestritten und bemängelt, dass die belangte Behörde die ehemalige Ehefrau des Beschwerdeführers nicht neuerlich einvernahm. Die belangte Behörde sei auf die mit der Berufung vorgelegte schriftliche und beglaubigt unterfertigte Erklärung von N. in keiner Weise eingegangen und habe es auch nicht für notwendig erachtet, sie nochmals einzuvernehmen und ihr ihre Angaben bzw. ihre schriftlich gemachte Erklärung vorzuhalten, weshalb das Verfahren mangelhaft geblieben sei.

Diese Einwände sind berechtigt:

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dürfen Beweisanträge nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel - ohne unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung - untauglich ist. Es ist nicht zulässig, ein vermutetes Ergebnis noch nicht aufgenommener Beweise vorwegzunehmen. Das Vorliegen von - nach Meinung der Behörde - ausreichenden und eindeutigen Beweisergebnissen für die Annahme einer bestimmten Tatsache rechtfertigt nicht die Auffassung, die Einvernahme der zum Beweis des Gegenteils geführten Zeugen seien nicht geeignet, zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts beizutragen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 17. März 2009, Zl. 2008/21/0648; siehe auch das einen vergleichbaren Fall betreffende Erkenntnis vom 3. Juli 2008, Zl. 2008/18/0432).

Die belangte Behörde begründete das Unterlassen der beantragten neuerlichen Einvernahme der vormaligen Ehefrau des Beschwerdeführers im angefochtenen Bescheid damit, dass auch die spätere Zurückziehung der Aussage an der auf die niederschriftlichen Aussagen von N. und der Zeugin M. gegründeten Beweiswürdigung nichts ändern könne; vielmehr halte sie eine zum Widerruf führende Beeinflussung der geschiedenen Ehefrau des Beschwerdeführers durch diesen für nicht unwahrscheinlich. Die belangte Behörde meinte schließlich, dass eine neuerliche Einvernahme der ehemaligen Ehefrau des Beschwerdeführers auch deshalb entbehrlich sei, weil jedenfalls noch die belastende Aussage der Zeugin M. bleibe.

Diese Ausführungen sind am Maßstab der dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht geeignet, die Unterlassung der vom Beschwerdeführer beantragten Zeugeneinvernahme zu begründen, weshalb ein relevanter Verfahrensmangel vorliegt. So durfte die belangte Behörde wegen - aus ihrer Sicht - ausreichender Beweisergebnisse für das Vorliegen einer Scheinehe - wie dargestellt - nicht auf die Aufnahme eines weiteren, zum Beweis des Gegenteils vom Beschwerdeführer beantragten Beweismittels verzichten.

An dieser Beurteilung vermag auch die von der belangten Behörde dem Beschwerdeführer eingeräumte Möglichkeit zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme zu den Beweisergebnissen nichts zu ändern, wurde dadurch doch ausschließlich sein rechtliches Gehör gewahrt. Dessen ungeachtet durfte die belangte Behörde nicht in vorgreifender Beweiswürdigung, dass N. bei einer anderen Darstellung der Umstände der Eheschließung jedenfalls unglaubwürdig sein und ihre neuerliche Aussage die bisherigen Beweisergebnisse nicht widerlegen können werde, von deren Einvernahme absehen. Die Behörde muss sich vielmehr durch Aufnahme des beantragten Beweises und Würdigung des Beweisergebnisses eine nachvollziehbare Überzeugung davon verschaffen, welche der möglicherweise voneinander abweichenden Darstellungen der Ehefrau des Beschwerdeführers glaubwürdig ist bzw. inwieweit sie bei einem Teil dieser Aussagen falsch ausgesagt hat. Das Unterlassen ihrer Vernehmung stellt daher einen relevanten Verfahrensmangel dar (vgl. abermals das bereits zitierte Erkenntnis Zl. 2008/18/0432).

Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das Mehrbegehren auf gesonderten Ersatz der Umsatzsteuer findet darin keine Deckung und war daher abzuweisen.

Wien, am 29. März 2012

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte