VwGH 2009/01/0060

VwGH2009/01/006026.1.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde der 1. K K,

2. S K, beide in W, beide vertreten durch Mag. Robert Bitsche, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Nikolsdorfergasse 7-11/2, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 13. Juli 2009, Zl. MA 35/IV - K 223/2007, betreffend Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Normen

62006CJ0002 Kempter VORAB;
62008CJ0135 Janko Rottman VORAB;
StbG 1985 §34 Abs1 Z3 idF 1998/I/124;
VwGG §42 Abs2 Z1;
62006CJ0002 Kempter VORAB;
62008CJ0135 Janko Rottman VORAB;
StbG 1985 §34 Abs1 Z3 idF 1998/I/124;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Wien hat den Beschwerdeführerinnen Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Zweitbeschwerdeführerin ist die minderjährige Tochter der Erstbeschwerdeführerin. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 16. März 2004 wurde der Erstbeschwerdeführerin unter gleichzeitiger Erstreckung auf die Zweitbeschwerdeführerin die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen. Im Zuge der Ausfolgung des Verleihungs- und Erstreckungsbescheides bestätigte die Erstbeschwerdeführerin unter anderem niederschriftlich, dass sie alles unternehmen werde, was für das Ausscheiden aus ihrem bisherigen Staatsverband (Serbien-Montenegro) erforderlich sei und ehestmöglich und unaufgefordert den Nachweis über das Ausscheiden der belangten Behörde vorzulegen, andernfalls ihr die österreichische Staatsbürgerschaft entzogen werde.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde den Beschwerdeführerinnen die österreichische Staatsbürgerschaft gemäß § 34 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) entzogen.

Begründend führte die belangte Behörde aus, die Erstbeschwerdeführerin sei unmittelbar vor Ausfolgung des Verleihungsbescheides niederschriftlich über die Bestimmung des § 34 StbG belehrt worden; das Erfordernis des Ausscheidens aus dem Staatsverband von Serbien (dem früheren Serbien-Montenegro) sei von ihr nachweislich zur Kenntnis genommen worden.

Mit nachweislich zugestellten Schreiben vom 9. August 2007 und 26. November 2007 sei die Erstbeschwerdeführerin gemäß § 34 StbG über die Gesetzeslage und die beabsichtigte Entziehung der Staatsbürgerschaft in Kenntnis gesetzt worden. Sie sei ausdrücklich aufgefordert worden, bei der belangten Behörde vorzusprechen und eine Entlassung aus dem bisherigen Staatsverband für sich und die Zweitbeschwerdeführerin vorzulegen oder ihre Bemühungen um Entlassung aus dem serbischen Staatsverband nachzuweisen. Sie sei in allen zugestellten Schreiben ausdrücklich und unter Zitierung der Bestimmung des § 34 StbG auf die Rechtsfolgen der Entziehung hingewiesen worden.

Am 24. April 2008 sei die Erstbeschwerdeführerin außerdem von Mitarbeitern der belangten Behörde an ihrer Wohnadresse angetroffen und darauf hingewiesen worden, die erforderlichen Unterlagen vorzulegen, andernfalls die österreichische Staatsbürgerschaft entzogen werden könne.

Amtswegige Erhebungen bei der Botschaft der Republik Serbien hätten ergeben, dass die Erstbeschwerdeführerin am 10. Februar 2007 geladen worden sei, den Bescheid über die Entlassung aus dem Staatsverband der Republik Serbien zu übernehmen, was aber in weiterer Folge nicht geschehen sei.

Da die Erstbeschwerdeführerin den laut Aktenlage bei der Botschaft der Republik Serbien aufliegenden Bescheid hinsichtlich ihrer Entlassung bzw. der Entlassung der Zweitbeschwerdeführerin aus dem serbischen Staatsverband nicht vorgelegt habe, sei die Erstbeschwerdeführerin im Rahmen des Parteiengehörs mit Schreiben der belangten Behörde vom 7. Jänner 2009 auf die beabsichtigte Entziehung der österreichischen Staatsbürgerschaft hingewiesen worden; die Möglichkeit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen habe die Erstbeschwerdeführerin ungenützt verstreichen lassen.

Mit Schreiben der belangten Behörde vom 26. März 2009 sei der Erstbeschwerdeführerin das Schreiben der Botschaft der Republik Serbien (wonach die Erstbeschwerdeführerin den Bescheid über die Entlassung aus dem serbischen Staatsverband noch nicht übernommen habe) zur Kenntnis gebracht worden.

Die Erstbeschwerdeführerin sei somit seit 9. August 2007 mehrmals nachweislich über die beabsichtigte Entziehung der Staatsbürgerschaft im Sinne des § 34 StbG belehrt worden; die Belehrung sei zeitgerecht mehr als sechs Monate vor der beabsichtigten Entziehung erfolgt. Die Voraussetzungen für die Entziehung der Staatsbürgerschaft seien somit gegeben gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

§ 34 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985, BGBl. Nr. 311/1985 in der Fassung BGBl. I Nr. 124/1998 (StbG), lautet:

"§ 34. (1) Einem Staatsbürger ist die Staatsbürgerschaft ferner zu entziehen, wenn

1. er sie vor mehr als zwei Jahren durch Verleihung oder durch die Erstreckung der Verleihung nach diesem Bundesgesetz erworben hat,

2. hiebei weder § 10 Abs. 6 noch die §§ 16 Abs. 2 oder 17 Abs. 4 angewendet worden sind,

3. er trotz des Erwerbes der Staatsbürgerschaft seither aus Gründen, die er zu vertreten hat, eine fremde Staatsangehörigkeit beibehalten hat.

(2) Der betroffene Staatsbürger ist mindestens sechs Monate vor der beabsichtigten Entziehung der Staatsbürgerschaft über die Bestimmung des Abs. 1 zu belehren.

(3) Die Entziehung ist nach Ablauf der im Abs. 1 Z 1 genannten Frist ohne unnötigen Aufschub schriftlich zu verfügen. Nach Ablauf von sechs Jahren nach der Verleihung (Erstreckung der Verleihung) ist die Entziehung nicht mehr zulässig."

Im gegenständlichen Beschwerdefall ergibt sich aus der im Akt erliegenden Bestätigung des Ministeriums für innere Angelegenheiten der Republik Serbien vom 30. September 2005, dass die Erstbeschwerdeführerin an diesem Tag für sich und die Zweitbeschwerdeführerin das Ausscheiden aus dem Staatsverband der Republik Serbien (und dem Staatsverband von Serbien und Montenegro) beantragt hat; diese Bestätigung hat die Erstbeschwerdeführerin am 19. Oktober 2005 der belangten Behörde vorgelegt. Den Bescheid bzw. die Bescheide über die Entlassung aus dem Staatsverband der Republik Serbien hat sie jedoch bis zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht übernommen bzw. - trotz mehrfacher Aufforderung - der belangten Behörde nicht vorgelegt.

Die in der Beschwerde dazu erstmalig aufgestellte Behauptung, dass die Entlassungsbescheide durch die serbische Botschaft deshalb nicht an die Erstbeschwerdeführerin ausgefolgt worden seien, weil diese ihren in Verstoß geratenen Personalausweis nicht habe zurückstellen können, verhilft der Beschwerde nicht zum Erfolg. Die Erstbeschwerdeführerin hätte nämlich im Rahmen der sie im Verwaltungsverfahren treffenden Mitwirkungspflicht bereits im Verwaltungsverfahren ein entsprechendes Vorbringen erstatten und Unterlagen zur Untermauerung dieser Ausführungen vorlegen müssen. Das erwähnte Vorbringen unterliegt daher dem gemäß § 41 Abs. 1 VwGG geltenden Neuerungsverbot (vgl. das hg. Erkenntnis vom 5. November 2003, Zl. 2001/01/0356, mwN). Es kann der belangten Behörde somit nicht entgegen getreten werden, wenn sie im bekämpften Bescheid im Ergebnis davon ausging, dass die Beschwerdeführerinnen aus Gründen, die sie selbst zu vertreten haben - das Verhalten der Erstbeschwerdeführerin ist infolge ihrer gesetzlichen Vertretungsbefugnis für die Zweitbeschwerdeführerin auch dieser zuzurechnen - den Nachweis des Ausscheidens aus dem serbischen Staatsverband im Sinne des § 34 Abs. 1 Z. 3 StbG nicht erbracht haben (vgl. auch die hg. Erkenntnisse vom 26. März 2007, Zl. 2005/01/0377, und vom 24. Juni 2010, Zl. 2008/01/0779).

Eine Verletzung der Belehrungspflicht gemäß § 34 Abs. 2 StbG wird in der Beschwerde nicht behauptet.

Konnte die belangte Behörde sohin im Beschwerdefall zu Recht das Vorliegen der Entziehungsvoraussetzungen nach Maßgabe des § 34 StbG annehmen, muss dem angefochtenen Bescheid aus nachstehenden Gründen dennoch der Bestand verwehrt bleiben:

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) im Urteil vom 3. März 2010 in der Rechtssache C- 135/08 , Rottmann, ist, wenn eine Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung zur Folge hat, dass der Betroffene neben der Staatsangehörigkeit des Mitgliedstaats der Einbürgerung die Unionsbürgerschaft verliert, "zu prüfen, ob die Rücknahmeentscheidung hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die unionsrechtliche Stellung des Betroffenen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt" (Randnrn. 54, 55 und 59). Bei der Prüfung einer Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung sind - so der EuGH weiter - "die möglichen Folgen zu berücksichtigen, die diese Entscheidung für den Betroffenen und gegebenenfalls für seine Familienangehörigen in Bezug auf den Verlust der Rechte, die jeder Unionsbürger genießt, mit sich bringt. Hierbei ist insbesondere zu prüfen, ob dieser Verlust gerechtfertigt ist im Verhältnis zur Schwere des vom Betroffenen begangenen Verstoßes, zur Zeit, die zwischen der Einbürgerungsentscheidung und der Rücknahmeentscheidung vergangen ist, und zur Möglichkeit für den Betroffenen, seine ursprüngliche Staatsangehörigkeit wiederzuerlangen" (Randnr. 56).

Im Beschwerdefall konnte die belangte Behörde zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides dies noch nicht bedenken, nach den zeitlichen Wirkungen von Vorabentscheidungen des EuGH ist diese Rechtsprechung jedoch bei der Prüfung des Beschwerdefalles zu berücksichtigen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. September 2009, Zl. 2006/01/0855, mit Verweis auf das Urteil des EuGH vom 12. Februar 2008 in der Rechtssache C-2/06 , Kemptner KG gegen Hauptzollamt Hamburg-Jonas, Slg. 2008, I-00411, Randnrn. 35 und 36, mwN; vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 14. Dezember 2011, Zl. 2009/01/0064).

Ob nach der in den genannten Erkenntnissen angeführten Rechtsprechung des EuGH im Urteil "Rottmann" fallbezogen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass die Entziehung der Staatsbürgerschaft ausnahmsweise unverhältnismäßig ist, hat die belangte Behörde im Beschwerdefall nicht geprüft (vgl. das erwähnte hg. Erkenntnis vom 14. Dezember 2011, mit Hinweis auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. November 2010, Zl. BVerwG 5 C 12.10, Rz 23 bis 25).

Aus diesem Grund war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil gemäß § 53 Abs. 1 VwGG die Frage des Anspruches auf Aufwandersatz für den Fall, dass mehrere Beschwerdeführer einen Bescheid gemeinsam in einer Beschwerde angefochten haben, so zu beurteilen ist, wie wenn die Beschwerde nur von dem in der Beschwerde erstangeführten Beschwerdeführer eingebracht worden wäre.

Wien, am 26. Jänner 2012

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