Normen
FSG-GV 1997 §14 Abs1;
FSG-GV 1997 §14 Abs5;
FSG-GV 1997 §14 Abs1;
FSG-GV 1997 §14 Abs5;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich (UVS) vom 12. November 2010 wurde der Beschwerdeführer aufgefordert, sich bis 31. Dezember 2010 amtsärztlich untersuchen zu lassen, ob seine gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Klasse B noch gegeben sei. Weiters wurde der Beschwerdeführer unter einem aufgefordert, die zur Erstattung des amtsärztlichen Gutachtens erforderlichen Befunde - zwei aktuelle Laboruntersuchungen seines Harns durch ein zertifiziertes Labor auf THC (Tetrahydrocannabinoid) im Abstand von vier Wochen - zur amtsärztlichen Untersuchung mitzubringen.
Begründend führte der UVS aus, mit Meldung der Polizeiinspektion P. an die Bezirksverwaltungsbehörde als Gesundheitsbehörde gemäß § 14 Abs. 2 SMG sei der Erwerb, Besitz und Konsum von Cannabiskraut durch den Beschwerdeführer im Zeitraum vom 1. Mai 2006 bis zum 1. Jänner 2010 angezeigt worden. Es sei auch ausgeführt worden, dass es sich nicht um die erstmalige Beanstandung handelte. Die Amtsärztin der Erstbehörde habe in ihrem Schreiben vom 16. Juli 2010 ausgeführt, dass der Beschwerdeführer "seit Jahren wiederholt Canabis einnehme", einer Harnuntersuchung jedoch nicht zustimme. Eine endgültige amtsärztliche Stellungnahme könne nicht abgegeben werden, es "bestehe der hochgradige Verdacht, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen einer Lenkberechtigung nicht mehr gegeben seien".
Es treffe zwar zu, dass lange zurückliegender oder nur gelegentlicher Konsum von Cannabis die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kfz nicht berühre, die Erstbehörde hege aber "unter Zugrundelegung eines wiederholten, jahrelangen Cannabiskonsums zu Recht Bedenken", ob die Voraussetzungen der gesundheitlichen Eignung noch gegeben seien. Sohin sei nach § 24 Abs. 4 FSG ein von einem Amtsarzt erstelltes Gutachten gemäß § 8 FSG einzuholen, für welches ein Harnscreening erforderlich sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:
1.1. Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Führerscheingesetzes (FSG) idF der Novelle BGBl. I Nr. 93/2009 lauten (auszugsweise):
"Allgemeine Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkberechtigung
§ 3. (1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:
...
3. gesundheitlich geeignet sind, ein Kraftfahrzeug zu lenken (§§ 8 und 9),
...
Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung
Allgemeines
§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit
- 1. die Lenkberechtigung zu entziehen oder
- 2. die Gültigkeit der Lenkberechtigung durch Auflagen, Befristungen oder zeitliche, örtliche oder sachliche Beschränkungen einzuschränken. Diesfalls ist gemäß § 13 Abs. 5 ein neuer Führerschein auszustellen.
...
(4) Bestehen Bedenken, ob die Voraussetzungen der gesundheitlichen Eignung noch gegeben sind, ist ein von einem Amtsarzt erstelltes Gutachten gemäß § 8 einzuholen und gegebenenfalls die Lenkberechtigung einzuschränken oder zu entziehen. Bei Bedenken hinsichtlich der fachlichen Befähigung ist ein Gutachten gemäß § 10 einzuholen und gegebenenfalls die Lenkberechtigung zu entziehen.…. Leistet der Besitzer der Lenkberechtigung innerhalb der festgesetzten Frist einem rechtskräftigen Bescheid, mit der Aufforderung, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen, die zur Erstattung des amtsärztlichen Gutachtens erforderlichen Befunde zu erbringen oder die Fahrprüfung neuerlich abzulegen, keine Folge, ist ihm die Lenkberechtigung bis zur Befolgung der Anordnung zu entziehen.
..."
1.2. Die im Beschwerdefall einschlägigen Bestimmungen der FSG-GV lauten (auszugsweise):
"Allgemeine Bestimmungen über die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen
§ 3. (1) Als zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer bestimmten Fahrzeugklasse im Sinne des § 8 FSG gesundheitlich geeignet gilt, wer für das sichere Beherrschen dieser Kraftfahrzeuge und das Einhalten der für das Lenken dieser Kraftfahrzeuge geltenden Vorschriften
1. die nötige körperliche und psychische Gesundheit besitzt,
...
... . Um die gesundheitliche Eignung nachzuweisen, ist der
Behörde ein ärztliches Gutachten gemäß § 8 Abs. 1 oder 2 FSG vorzulegen.
...
Gesundheit
§ 5. (1) Als zum Lenken von Kraftfahrzeugen hinreichend gesund gilt eine Person, bei der keine der folgenden Krankheiten festgestellt wurde:
...
4. schwere psychische Erkrankungen gemäß § 13 sowie:
- a) Alkoholabhängigkeit oder
- b) andere Abhängigkeiten, die das sichere Beherrschen des Kraftfahrzeuges und das Einhalten der für das Lenken des Kraftfahrzeuges geltenden Vorschriften beeinträchtigen könnten,
...
Alkohol, Sucht- und Arzneimittel
§ 14. (1) Personen, die von Alkohol, einem Sucht- oder Arzneimittel abhängig sind oder den Konsum dieser Mittel nicht so weit einschränken können, dass sie beim Lenken eines Kraftfahrzeuges nicht beeinträchtigt sind, darf, soweit nicht Abs. 4 anzuwenden ist, eine Lenkberechtigung weder erteilt noch belassen werden. Personen, bei denen der Verdacht einer Alkohol-, Suchtmittel- oder Arzneimittelabhängigkeit besteht, haben eine fachärztliche psychiatrische Stellungnahme beizubringen.
...
(5) Personen, die alkohol-, suchtmittel- oder arzneimittelabhängig waren oder damit gehäuften Missbrauch begangen haben, ist nach einer befürwortenden fachärztlichen Stellungnahme und unter der Auflage ärztlicher Kontrolluntersuchungen eine Lenkberechtigung der Gruppe 1 zu erteilen oder wieder zu erteilen."
2. Die Beschwerde ist begründet.
2.1. In ständiger Judikatur vertritt der Verwaltungsgerichtshof die Auffassung, Voraussetzung für die Erlassung eines Aufforderungsbescheides nach § 24 Abs. 4 FSG seien begründete Bedenken in der Richtung, dass der Inhaber einer Lenkberechtigung die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen derjenigen Klassen, die von seiner Lenkberechtigung erfasst werden, nicht mehr besitzt. Hiebei gehe es zwar noch nicht darum, konkrete Umstände zu ermitteln, aus denen bereits mit Sicherheit auf das Fehlen einer Erteilungsvoraussetzung geschlossen werden kann, es müssten aber genügend begründete Bedenken in dieser Richtung bestehen, die die Prüfung des Vorliegens solcher Umstände geboten erscheinen lassen. Im Zusammenhang mit einem Suchtmittelkonsum des Inhabers einer Lenkberechtigung wäre ein Aufforderungsbescheid rechtens, wenn ausreichende Anhaltspunkte für den Verdacht bestünden, dem Betreffenden fehle infolge Suchtmittelabhängigkeit (oder wegen Fehlens der Bereitschaft zur Verkehrsanpassung) die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 25. Mai 2004, Zl. 2003/11/0310, mwN., vom 13. Dezember 2005, Zl. 2005/11/0191, vom 27. September 2007, Zl. 2006/11/0143, und vom 24. Mai 2011, Zl. 2011/11/0026, mwN).
Ebenfalls in ständiger Judikatur vertritt der Verwaltungsgerichtshof die Auffassung, wie sich aus § 14 FSG-GV ergebe, berühre ein geringfügiger Suchtmittelgenuss die gesundheitliche Eignung (noch) nicht. Erst dann, wenn der Konsum zu einer Abhängigkeit zu führen geeignet sei oder wenn die Gefahr bestehe, dass die betreffende Person nicht in der Lage sein könnte, den Konsum so weit einzuschränken, dass ihre Fähigkeit zum Lenken von Kraftfahrzeugen nicht (mehr) beeinträchtigt sei, läge ein Grund vor, unter dem Aspekt eines festgestellten - wenn auch verbotenen - Suchtmittelkonsums die gesundheitliche Eignung begründeterweise in Zweifel zu ziehen (vgl. auch hiezu die erwähnten hg. Erkenntnisse vom 25. Mai 2004, und vom 24. Mai 2011, mwN.).
Wie die Beschwerde zutreffend vorbringt, hat der Verwaltungsgerichtshof weiters ausdrücklich die Auffassung vertreten, dass ein Aufforderungsbescheid nur dann zulässig sei, wenn im Zeitpunkt seiner Erlassung (im Falle einer Berufungsentscheidung im Zeitpunkt der Erlassung des Berufungsbescheides) von Seiten der Behörde (nach wie vor) begründete Bedenken bestehen (vgl. zB. das hg. Erkenntnis vom 21. September 2010, Zl. 2010/11/0105).
2.2. Die belangte Behörde stützt den angefochtenen Bescheid im Wesentlichen auf die Annahme, der Beschwerdeführer habe jahrelang "wiederholt" Cannabis konsumiert.
Der angefochtene Bescheid enthält aber nicht einmal ansatzweise Feststellungen zur Häufigkeit des Cannabiskonsums des Beschwerdeführers, und zwar weder bezüglich des Zeitraums, auf den sich die Anzeige der Polizeiinspektion P. bezog (bis Anfang 2010), noch bezüglich des nachfolgenden Zeitraums bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides. Es kann schon deshalb nicht beurteilt werden, ob es sich beim eingeräumten Cannabiskonsum um einen mehr als bloß gelegentlichen Konsum handelt, der begründete Bedenken dahin rechtfertigt, dass es dem Beschwerdeführer an der gesundheitlichen Eignung zum Lenken von Kfz mangle. Die in der Bescheidbegründung erwähnten Angaben der Amtsärztin der Erstbehörde, der Beschwerdeführer nehme seit Jahren wiederholt Cannabis ein, ersetzen derartige Feststellungen zur Konsumfrequenz in den Monaten vor der Erlassung des Berufungsbescheides ebensowenig wie der Hinweis der Amtsärztin auf einen hochgradigen Verdacht, dass der Beschwerdeführer nicht länger über die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kfz verfüge, weil auch diese Angaben im Lichte der oben wiedergegebenen hg. Judikatur nicht aussagekräftig sind. Für die - unter dem Blickwinkel der gesundheitlichen Eignung zum Lenken von Kfz wesentliche - Häufigkeit des Konsums gibt auch der Hinweis in der Anzeige der Polizeiinspektion P., es habe sich nicht um die erste Beanstandung gehandelt, nichts her.
Die belangte Behörde kann sich im Übrigen auch nicht auf das hg. Erkenntnis vom 24. April 2001, Zl. 2001/11/0035, berufen, weil die diesem Erkenntnis zugrunde liegende Konstellation mit dem Beschwerdefall insofern nicht vergleichbar ist, als anders als im vorliegenden Beschwerdefall eine längere Phase intensiveren Suchtmittelkonsums feststand.
2.3. Da der belangten Behörde, offenbar auf der Grundlage einer verfehlten Rechtsansicht, Verfahrensmängel unterlaufen sind, bei deren Vermeidung sie zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen zu werden brauchte.
3. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am 30. September 2011
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