VwGH 2009/09/0154

VwGH2009/09/015415.9.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Rosenmayr und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des S, vertreten durch Mag. Dr. Thomas Nirk, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Prinz-Eugen-Straße 56/7, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 19. Mai 2009, Zl. Senat-KR-08-0008, betreffend Übertretungen des NÖ Polizeistrafgesetzes und des Sicherheitspolizeigesetzes, zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art10 Abs1 Z7;
B-VG Art118 Abs3 Z3;
B-VG Art15 Abs2;
MRKZP 07te Art4;
PolStG NÖ 1975 §1 litb;
SPG 1991 §81 Abs1 idF 2005/I/158;
VwGG §42 Abs2 Z1;
B-VG Art10 Abs1 Z7;
B-VG Art118 Abs3 Z3;
B-VG Art15 Abs2;
MRKZP 07te Art4;
PolStG NÖ 1975 §1 litb;
SPG 1991 §81 Abs1 idF 2005/I/158;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

1.) Die Beschwerde wird, insoweit sie die Bestätigung des Schuld- und Strafausspruches zu Spruchpunkt 2. des erstinstanzlichen Straferkenntnisses bekämpft, als unbegründet abgewiesen.

2.) Im Umfang der Bestätigung des Schuld- und Strafausspruches zu Spruchpunkt 1. des erstinstanzlichen Straferkenntnisses wird der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

3.) Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Straferkenntnis des Bezirkshauptmannes K. vom 4. Februar 2008 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe dadurch, dass er am 1. Jänner 2008 in R. an der Bundesstraße 35 im Bereich einer öffentlichen Bushaltestelle eine ca. zwei Meter hohe - mit Hose und Hemd bekleidete, mit einem echten Schweinekopf sowie mit einem aus dem Hosenschlitz herausragenden (offenbar einen Penis darstellenden) Schweineschwanz ausgestattete - (stehende) Figur aufgestellt habe, die für alle, vor allem auch für Kleinkinder, Kindergartenkinder und Volksschulkinder, deutlich sichtbar gewesen sei, und die für die Passagiere der Busse, die diese Bushaltestelle angefahren hätten, und für die Passanten, vor allem für die Kinder, ein sehr schockierender Anblick gewesen sei, ein besonders rücksichtsloses Verhalten gesetzt und die öffentliche Ordnung ungerechtfertigt gestört und dadurch § 81 Abs. 1 des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG) verletzt (Spruchpunkt 1. des erstinstanzlichen Straferkenntnisses), sowie den öffentlichen Anstand verletzt und § 1 lit. b des NÖ Polizeistrafgesetzes übertreten (Spruchpunkt 2. des erstinstanzlichen Straferkenntnisses). Es handle sich beim Aufstellungsort um den Gehsteig vor einer öffentlichen Bushaltestelle, die sich in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof befinde. Beim Schweinekopf seien nicht einmal die frischen blutigen Schnittwunden, durch welche der Kopf vom Körper des Schweines abgetrennt worden sei, abgedeckt gewesen. Durch das Aufstellen dieser Figur vor der Bushaltestelle sei der übliche Ablauf der Busfahrt geändert worden.

Wegen dieser Verwaltungsübertretungen wurde über den Beschwerdeführer zu 1. eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 150,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 3 Tage) und zu 2. eine Geldstrafe von EUR 300,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 6 Tage) verhängt.

Gegen dieses Straferkenntnis erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er vorbrachte, die belangte Behörde habe nicht berücksichtigt, dass es sich bei der Aufstellung dieser Figur "um ortsübliches Brauchtum" handle. Die belangte Behörde habe in verfehlter Anwendung eines subjektiven Kunstbegriffs verkannt, dass es sich bei der Figur um ein vom Beschwerdeführer geschaffenes Kunstwerk handle.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen.

Der Beschwerdeführer habe nicht bestritten, diese Figur mit Schweinekopf und einem einen Penis darstellenden Schweineschwanz zur Tatzeit am bezeichneten Ort aufgestellt zu haben. Er habe eingeräumt, dass dieses "Kunstwerk" zwei Tage dort gestanden sei, bis es unbekannte Täter entfernt hätten. Einer Klärung der Eigentumsverhältnisse bezüglich des Aufstellungsorts der Figur habe es nicht bedurft, weil diese Figur für unbeteiligte Passanten unbestrittenermaßen deutlich wahrnehmbar gewesen sei. Für jeden am öffentlichen Tatort befindlichen Betrachter, habe sich durch die inkriminierte Figur ein Belästigungseffekt ergeben, wenngleich sich die Figur selbst gänzlich oder teilweise auf dem Privatgrund des Beschwerdeführers befunden haben möge. Dem Einwand des Beschwerdeführers, sein Kunstwerk sei jenen bekannter Künstler, wie Deix und Nitsch, gleichzuhalten, sei entgegenzuhalten, dass er seine Künstlereigenschaft nicht habe hinreichend glaubhaft machen können. Überdies seien die von ihm genannten Kunstwerke in Museen und nicht an öffentlichen Orten aufgestellt. Dem Beschwerdeführer sei ein Alternativverhalten dahingehend zumutbar, dass er die Figur an einem nicht frei zugänglichen Ort ausgestellt hätte. Seinem weiteren Einwand, es handle sich beim Aufstellen einer derartigen Figur um ortsübliches Brauchtum, sei das zum gegenteiligen Ergebnis gelangende Gutachten des Sachverständigen auf dem Gebiet der Volkskunde entgegenzuhalten.

Der im Genitalbereich einen Penis darstellende Schweineschwanz sei von unbefangenen, objektiven Betrachtern als obszön zu beurteilen. Das Verhalten des Beschwerdeführers widerspreche den allgemein anerkannten Grundsätzen der Schicklichkeit in der Öffentlichkeit. Er habe an einem öffentlichen Ort einen Zustand geschaffen, wie er geordneten Verhältnissen in der Öffentlichkeit widerspreche. Sein besonders rücksichtsloses Verhalten sei objektiv geeignet, Ärgernis zu erregen. Es habe bei unbeteiligten Personen berechtigtes Ärgernis erregt. Die Öffentlichkeit sei gegeben gewesen, da die Wahrnehmung der Figur durch Unbeteiligte auf einem frei zugänglichen öffentlichen Ort, nämlich vom Gehsteig aus, erfolgt sei. Der Beschwerdeführer habe durch den Sachverhalt die Verwaltungsübertretungen der Anstandsverletzung und der Ordnungsstörung verwirklicht.

Im Übrigen legte die belangte Behörde ihre Strafbemessungsgründe dar.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 81 Abs. 1 des Sicherheitspolizeigesetzes, BGBl. Nr. 566/1991 in der Fassung BGBl. I Nr. 158/2005, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 218,-- EUR zu bestrafen, wer durch besonders rücksichtsloses Verhalten die öffentliche Ordnung ungerechtfertigt stört. Anstelle einer Geldstrafe kann bei Vorliegen erschwerender Umstände eine Freiheitsstrafe bis zu einer Woche, im Wiederholungsfall bis zu zwei Wochen verhängt werden.

Gemäß § 1 lit. b des Niederösterreichischen Polizeistrafgesetzes (NÖ PolStG) begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe bis zu 1.000,-- EUR zu bestrafen, wer den öffentlichen Anstand verletzt.

Der Beschwerdeführer bringt vor, es sei nicht zu ersehen, warum ein besonders rücksichtsloses Verhalten vorliegen soll. Die belangte Behörde habe keine Güterabwägung vorgenommen. Die Frage, ob auf Grund der ortsüblichen Bräuche bei Beobachtern eine "besonders schockierende Wirkung" hervorgerufen werde bzw. ob das Aufstellen der Figur ein besonders rücksichtsloses Verhalten des Beschwerdeführers darstelle, sei unbeantwortet geblieben. Tatsache sei, "dass in unserer Zeit sich die Grenzen der Ästhetik verschoben haben, inwieweit dies manchmal tolerabel ist, kann und muss dahingestellt bleiben". In einer aufgeklärten Demokratie müsse Platz auch für Exzentriker sein. Die Grenzen des Anstößigen werde sich immer weiter verschieben. Eine pluralistische Demokratie müsse in der Lage sein, sich solchen Objekten, wie der vorliegenden Figur, mit der notwendigen Distanz zu nähern.

Mit diesen Argumenten vermag die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides in Bezug auf den Spruchpunkt 2. des erstinstanzlichen Straferkenntnisses aufzuzeigen.

Nach § 1 lit. b NÖ PolStrG ist zu bestrafen, wer den öffentliche Anstand verletzt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird der Tatbestand der Verletzung des öffentlichen Anstandes durch ein Verhalten erfüllt, das mit den allgemeinen Grundsätzen der Schicklichkeit nicht im Einklang steht und das einen groben Verstoß gegen diejenigen Pflichten darstellt, die jedermann in der Öffentlichkeit zu beachten hat. Bei der Beurteilung der Verletzung jener Formen des äußeren Verhaltens, die nach Auffassung gesitteter Menschen der Würde des Menschen als sittlicher Person bei jedem Heraustreten aus dem Privatleben in die Öffentlichkeit entsprechen, ist ein objektiver Maßstab anzulegen (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 19. Oktober 2005, Zl. 2003/09/0074, und vom 30. September 1985, Zl. 85/10/0120, samt der dort angeführten Vorjudikatur).

Dass das Aufstellen der beschriebenen Figur auf einem der Öffentlichkeit einsehbaren Platz diesen Kriterien entspricht, liegt auf der Hand und muss nicht näher erläutert werden, zumal sich dieses Objekt in unmittelbarer Nähe zu einer Bushaltestelle befand und sich dort wartende Fahrgäste dessen Anblick offenbar nicht entziehen konnten. Der Beschwerdeführer wurde durch den bekämpften Bescheid auch nicht in seinem durch Art. 17a StGG gewährleisteten Recht auf Freiheit der Kunstausübung verletzt, weil - wie die belangte Behörde zutreffend erkannte - eine Abwägung der durch das Aufstellen der Figur berührten Rechtsgüter ergibt, dass im vorliegenden Fall der Wunsch des Beschwerdeführers, seine künstlerischen Ambitionen im öffentlichen Raum auszuleben, weniger schützenswert ist als das Recht der betroffenen Passanten, eine Verletzung des öffentlichen Anstandes hintanzuhalten. Angesichts des in § 1 lit. b NÖ PolStrG normierten Strafrahmens von EUR 1.000,-- erscheint die zu Spruchpunkt 1. des erstinstanzlichen Straferkenntnisses verhängte, etwa ein Drittel der Höchststrafe ausmachende Strafe auch angemessen; ein Ermessensmissbrauch wird in der Beschwerde auch nicht geltend gemacht.

Die Beschwerde war daher, was den Schuldvorwurf und den Strafausspruch hinsichtlich der Übertretung des § 1 lit. b NÖ PolStrG (Spruchpunkt 2. des erstinstanzlichen Straferkenntnisses) anbelangt, gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Insoweit die inkriminierte Tathandlung jedoch auch (kumulativ) unter die Bestimmung des § 81 Abs. 1 SPG subsumiert wurde (Spruchpunkt 1. des erstinstanzlichen Straferkenntnisses), erweist sich der angefochtene Bescheid als nicht mit der Rechtslage im Einklang stehend. Die Bestimmungen des SPG stützen sich auf den Kompetenztatbestand des Art. 10 Abs. 1 Z. 7 B-VG. Dieser weist die "Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit einschließlich der ersten allgemeinen Hilfeleistung ..." in Gesetzgebung und Vollziehung dem Bund zu, nimmt aber ausdrücklich die "örtliche Sicherheitspolizei" davon aus. Nach Art. 15 Abs. 2 B-VG gehört zur örtlichen Sicherheitspolizei jener Teil der Sicherheitspolizei, der im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse der in der Gemeinde verkörperten örtlichen Gemeinschaft gelegen und geeignet ist, durch die Gemeinschaft innerhalb ihrer örtlichen Grenzen besorgt zu werden. Als Beispiele für solche Angelegenheiten wurden mit der B-VG-Nov 1974 (BGBl. Nr. 444) u.a. die Wahrung des öffentlichen Anstandes in diese Bestimmung aufgenommen. Zur gesetzlichen Regelung der örtlichen Sicherheitspolizei ist somit der Landesgesetzgeber zuständig (vgl. die diversen "Landespolizeistrafgesetze"), während die Vollziehung - mit Ausnahme der Durchführung eines Strafverfahrens - nach Art. 118 Abs. 3 Z 3 B-VG in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde fällt. Zum Wesen einer Ordnungsstörung im Sinne des § 81 Abs. 1 SPG gehört, dass am konkreten Zustand der öffentlichen Ordnung durch das Verhalten des Beschuldigten eine Änderung eingetreten ist. Soweit die behauptete Störung der öffentlichen Ordnung nach § 81 Abs. 1 SPG aber in einem Verhalten besteht, das - wie hier - zweifelsfrei ausschließlich als Verletzung des öffentlichen Anstandes zu qualifizieren ist, und sich demgemäß die Störung der öffentlichen Ordnung in dieser Anstandsverletzung erschöpft, fehlt dem Bund die Kompetenz, ein solches Verhalten unter Strafe zu stellen. Ein derartiges Verhalten unterfällt daher - soweit es nicht überdies zu Störungen der öffentlichen Ordnung geführt hat, die über das durch die bloße Anstandsverletzung zwangsläufig verursachte Aufsehen hinausgeht - ausschließlich den nach landespolizeilichen Vorschriften bestehenden Strafbestimmungen hierüber (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 6. September 2007, Zl. 2005/09/0168, mwN, und - ebenfalls den Beschwerdeführer betreffend - vom 15. Oktober 2009, Zl. 2008/09/0272).

Im vorliegenden Fall erschöpfte sich die dem Beschwerdeführer zum Vorwurf gemachte Tathandlung in dem Aufstellen einer Figur mit Schweinekopf und einem aus dem Hosenschlitz ragenden Schweineschwanz. Damit unterfiel dieses Verhalten nicht neben der landespolizeilichen auch der bundesgesetzlichen Regelung des § 81 Abs. 1 SPG. Dies hat die belangte Behörde verkannt. Im Übrigen steht die Vorgangsweise der belangten Behörde auch mit Art. 4

7. ZPEMRK in Widerspruch (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 2011, Zl. 2007/09/0361).

Aus diesem Grunde war der angefochtene Bescheid im Umfange der Bestätigung des Schuld- und Strafausspruches zu Spruchpunkt 1. des erstinstanzlichen Straferkenntnisses gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Der Kostenausspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 15. September 2011

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