VwGH 85/10/0120

VwGH85/10/012030.9.1985

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schima und die Hofräte Mag. Onder und Dr. Stoll als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Berger, über die Beschwerde der HL in W, vertreten durch Dr. Wilhelm Klade, Rechtsanwalt in Wien I, Spiegelgasse 2, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 5. Juni 1985, Zl. MA 62- III/884/84/Str, betreffend Bestrafung wegen Verletzung des öffentlichen Anstandes, zu Recht erkannt:

Normen

EGVG Art8/Wr Fall1 Anstandsverletzung;
StGB §115 Abs3;
VStG §19;
VStG §5 Abs1;
VStG §6;
EGVG Art8/Wr Fall1 Anstandsverletzung;
StGB §115 Abs3;
VStG §19;
VStG §5 Abs1;
VStG §6;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Land Wien Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Wiener Landesregierung (belangte Behörde) vom 5. Juni 1985 wurde die Beschwerdeführerin für schuldig befunden, am 19. April 1984 um

4.50 Uhr in einem näher bezeichneten Gastlokal durch den Gebrauch des Schimpfwortes "Arschloch" gegenüber dem Peter P., den öffentlichen Anstand verletzt und dadurch eine Verwaltungsübertretung nach Art. VIII erster Fall EGVG 1950 begangen zu haben. Über die Beschwerdeführerin wurde eine Geldstrafe von S 500,-- (Ersatzarrest 36 Stunden) verhängt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof, in welcher Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß Art. VIII (erster Fall) EGVG 1950 begeht eine Verwaltungsübertretung, wer den öffentlichen Anstand verletzt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird der Tatbestand der Verletzung des öffentlichen Anstandes durch ein Verhalten erfüllt, das mit den allgemeinen Grundsätzen der Schicklichkeit nicht im Einklang steht und das einen groben Verstoß gegen diejenigen Pflichten darstellt, die jedermann in der Öffentlichkeit zu beachten hat. Bei der Beurteilung der Verletzung jener Formen des äußeren Verhaltens, die nach Auffassung gesitteter Menschen der Würde des Menschen als sittlicher Person bei jedem Heraustreten aus dem Privatleben in die Öffentlichkeit entsprechen, ist ein objektiver Maßstab anzulegen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 8. Juni 1983, Zl. 81/10/0076, und die dort zitierte Vorjudikatur).

Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung vermag der Verwaltungsgerichtshof die Rechtsansicht der belangten Behörde, der Gebrauch des in Rede stehenden Schimpfwortes sei nach einem objektiven Maßstab geeignet, das Tatbild der Anstandsverletzung zu verwirklichen, nicht als rechtswidrig zu erkennen. Daran ändert auch nichts der von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführte Umstand, dass die "Hemmschwelle" für das Verwenden dieses Ausdruckes in letzter Zeit "stark herabgesetzt" worden sei (vgl. im übrigen zur Anstandsverletzung durch Verwendung unflätiger bzw. obszöner Schimpfworte das hg. Erkenntnis vom 25. November 1975, Zl. 2287/74). Auch ist die Beschwerdeführerin mit ihrem Vorbringen, es wäre bei der Subsumtion ihres Verhaltens der in dem gegenständlichen Gastlokal, einem nicht zu den "Nobellokalen" zählenden Nachtlokal, herrschende Umgangston zu berücksichtigen gewesen, nicht im Recht: Zutreffend verweist die belangte Behörde in der Gegenschrift in diesem Zusammenhang auf das hg. Erkenntnis vom 5. Februar 1964, Zl. 1856/62, wonach eine derartige These, wäre sie richtig, zu dem Ergebnis führen müsste, dass sich jeder Besucher eines derartigen Gastlokales jenem Umgangston zu unterwerfen hätte, und dass es eben - wie oben ausgeführt - auf einen objektiven Maßstab ankommt und nicht darauf, ob sich die tatsächlich anwesenden Personen in ihrem "Anstandsgefühl" verletzt gefühlt haben.

Was die Frage der "Öffentlichkeit" der Anstandsverletzung betrifft, so gehört nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. auch dazu das obzitierte hg. Erkenntnis vom 8. Juni 1983, Zl. 81/10/0076, und die dort zitierte Vorjudikatur), zum Tatbild derselben nicht, dass das Delikt an einem öffentlichen Ort begangen wird, jedoch muss die konkrete Möglichkeit der Kenntnisnahme über den Kreis der Beteiligten hinaus gegeben sein. Weiters genügt dazu die so genannte "Sukzessivöffentlichkeit", d.h., die "Öffentlichkeit" bei einer Anstandsverletzung ist zu bejahen, wenn die Möglichkeit bestand, dass die Handlung durch einen Zeugen im Hinblick auf den mit der Tat verbundenen Belästigungseffekt auch einer anderen Person bekannt werden würde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Juni 1984, Zl. 84/10/0023). Da die belangte Behörde selbst dann, wenn man den Zeugen Peter P. als "Beteiligten" ansehen wollte, unbedenklicherweise davon ausgehen konnte, dass jedenfalls der Gastwirt das von der Beschwerdeführerin gar nicht in Abrede gestellte Schimpfwort gehört hat, war die Öffentlichkeit der der Beschwerdeführerin angelasteten Tat gegeben.

Auch hat die belangte Behörde zu Recht angenommen, dass eine (von Peter P. ausgehende) Provokation das inkriminierte Verhalten der Beschwerdeführerin nicht entschuldigen konnte und eine als Verletzung des öffentlichen Anstandes zu qualifizierende Handlung nicht den Charakter der Rechtswidrigkeit dadurch verliert, dass sie vermeintlich oder tatsächlich durch das Verhalten eines anderen hervorgerufen worden ist (vgl. Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. April 1971, Slg. Nr. 8007/A, und die dort zitierte Vorjudikatur, sowie Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 8. März 1977, Slg. Nr. 7987, wonach ein dem § 115 Abs. 3 StGB vergleichbarer Strafausschließungsgrund dem Verwaltungsstrafgesetz 1950 fremd ist). Im Einklang mit der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 21. Jänner 1966, Zl. 1776/64, und die dort zitierte Vorjudikatur) wurde der Beschwerdeführerin von der belangten Behörde allerdings ein diesbezüglicher Milderungsgrund zuerkannt.

Soweit die Beschwerdeführerin schließlich eine "kurzfristige Störung des Bewusstseins und Herabsetzung der Diskretionsfähigkeit im Sinne des § 3 VStG 1950" behauptet, war darauf nicht einzugehen, da es sich hiebei - wie die belangte Behörde in der Gegenschrift zu Recht vorbringt - um eine unzulässige Neuerung im Sinne des § 41 Abs. 1 VwGG handelt.

Die sohin unbegründete Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985.

Wien, am 30. September 1985

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