VwGH 2008/23/0517

VwGH2008/23/051723.2.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke sowie die Hofräte Dr. Hofbauer, Dr. Fasching, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Mag. Feiel als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerden 1. der H O, geboren 1985, und

2. des J O, geboren 2006, beide vertreten durch Dr. Peter Lechenauer und Dr. Margrit Swozil, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Hubert-Sattler-Gasse 10, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates jeweils vom 4. September 2007, Zl. 302.577-C1/5E-V/13/06 (ad 1., protokolliert zur hg. Zl. 2008/23/0517) und Zl. 308.361-C1/2E-V/13/06 (ad 2., protokolliert zur hg. Zl. 2008/23/0522), betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (ad 1.) bzw. §§ 3, 8 und 10 Asylgesetz 2005 (ad 2.; weitere Partei: Bundesministerin für Inneres),

Normen

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AsylG 1997 §8 Abs2;
AsylG 2005 §10 Abs1 Z2;
AsylG 2005 §3 Abs1;
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1;
EMRK Art8 Abs2;
EMRK Art8;
VwGG §33a;
VwGG §42 Abs2 Z3 lita;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AsylG 1997 §8 Abs2;
AsylG 2005 §10 Abs1 Z2;
AsylG 2005 §3 Abs1;
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1;
EMRK Art8 Abs2;
EMRK Art8;
VwGG §33a;
VwGG §42 Abs2 Z3 lita;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

I. zu Recht erkannt:

Die angefochtenen Bescheide werden hinsichtlich der Ausweisung der beschwerdeführenden Parteien nach Nigeria wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.106,40, insgesamt somit EUR 2.212,80, binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. II. den Beschluss

gefasst:

Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerden abgelehnt.

Begründung

Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter des mj. Zweitbeschwerdeführers und wie dieser Staatsangehörige Nigerias.

Mit den im Instanzenzug ergangenen erstangefochtenen Bescheid wurde der Asylantrag der Erstbeschwerdeführerin gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) abgewiesen und gemäß § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 50 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) festgestellt, dass deren Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria zulässig sei.

Mit dem zweitangefochtenen Bescheid wurde der Antrag auf internationalen Schutz des Zweitbeschwerdeführers gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) abgewiesen und diesem der Status des Asylberechtigten sowie gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 jener des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Nigeria nicht zuerkannt.

Beide beschwerdeführenden Parteien wurden gemäß § 8 Abs. 2 AsylG bzw. gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria ausgewiesen.

Die Ausweisungsentscheidungen begründete die belangte Behörde fallbezogen damit, dass die Erstbeschwerdeführerin in Österreich zwar über soziale Bindungen zum Vater des Zweitbeschwerdeführers verfüge und mit diesem (ebenso wie der Zweitbeschwerdeführer) in einem gemeinsamen Haushalt lebe. Der Vater des Zweitbeschwerdeführers und Lebensgefährte der Erstbeschwerdeführerin, ebenfalls nigerianischer Staatsangehöriger, sei jedoch nicht im Besitz einer dauernden Aufenthaltsberechtigung, sondern verfüge lediglich über eine befristete Niederlassungsbewilligung, sodass keinerlei Umstände hervorgetreten seien, wonach eine Fortsetzung des "zweifellos bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK" im Herkunftsstaat nicht möglich wäre.

Gegen beide Bescheide richten sich die vorliegenden - wegen des persönlichen und sachlichen Zusammenhangs zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen - Beschwerden, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Einleitung des Vorverfahrens und Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde, die von der Erstattung von Gegenschriften Abstand nahm und lediglich die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden beantragte, erwogen hat:

Zu I.:

Die Beschwerden machen u.a. geltend, dass es sich bei dem dem Vater des Zweitbeschwerdeführers und Lebensgefährten der Erstbeschwerdeführerin erteilten Niederlassungsnachweis um einen unbefristeten Aufenthaltstitel handle, womit sie einen im Hinblick auf die verfügten Ausweisungen der beschwerdeführenden Parteien relevanten Verfahrensmangel aufzeigen.

Vorweg ist auszuführen, dass - wie auch die belangte Behörde zutreffend erkannte - nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) das nach Art. 8 EMRK geschützte Familienleben nicht auf durch Heirat rechtlich formalisierte Beziehungen beschränkt ist, sondern auch faktische Familienbindungen erfasst, bei welchen die Partner außerhalb des Ehestandes zusammenleben (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 20. Jänner 2011, Zl. 2007/01/1400, sowie vom 16. Dezember 2010, Zl. 2007/01/0388, mwN).

Zur Erforderlichkeit der Begründung einer Ausweisung nach § 8 Abs. 2 AsylG (bzw. § 10 AsylG 2005) und der damit verbundenen fallbezogenen Abwägung wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Entscheidungsgründe der hg. Erkenntnisse vom 15. März 2010, Zl. 2007/01/0537, und vom 9. September 2010, Zl. 2006/20/0176 (mwH auf hg. Rechtsprechung sowie Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes und des EGMR und die darin entwickelten Kriterien), verwiesen.

Entgegen den dort entwickelten Entscheidungskriterien stellte die belangte Behörde in diesem Zusammenhang lediglich fest, dass der Lebensgefährte der Erstbeschwerdeführerin und Vater des Zweitbeschwerdeführers über eine "befristete Niederlassungsbewilligung" verfüge, während er nach der Aktenlage einen am 18. März 2005 ausgestellten Niederlassungsnachweis inne hat und zufolge § 11 Abs. 1 Abschnitt C lit. b Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung damit nunmehr seit Inkrafttreten des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) mit 1. Jänner 2006 über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" verfügt. Abgesehen davon, dass das Bestehen eines unsicheren Aufenthalts des Asylwerbers bei Eheschließung (oder hier bei Eingehen der Lebensgemeinschaft) nur eines der bei der Interessenabwägung zu beachtenden Kriterien darstellt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 2010, Zl. 2007/19/1081, mit Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 1. Juli 2009, U 1104/08), unterließ die belangte Behörde aufgrund ihrer insoweit unrichtigen Ansicht, der Lebensgefährte der Erstbeschwerdeführerin und Vater des Zweitbeschwerdeführers verfüge bloß über einen befristeten Aufenthaltstitel, insbesondere auch eine Prüfung der näheren Umstände der Zumutbarkeit der Fortsetzung des Familienlebens im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer (siehe das bereits erwähnte hg. Erkenntnis vom 15. März 2010).

Die angefochtenen Bescheide waren daher in dem im Spruch angeführten Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. a, b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Zu II.

Gemäß Art. 131 Abs. 3 B-VG und § 33a VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung einer Beschwerde gegen einen Bescheid eines unabhängigen Bundesasylsenates durch Beschluss ablehnen, wenn die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wird, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Beschwerden werfen - soweit sie sich nicht auf die Ausweisung beziehen - keine für die Entscheidung dieser Fälle maßgeblichen Rechtsfragen auf, denen im Sinne der zitierten Bestimmungen grundsätzliche Bedeutung zukäme. Gesichtspunkte, die dessen ungeachtet gegen eine Ablehnung der Beschwerdebehandlung in diesem Umfang sprechen würden, liegen nicht vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat daher beschlossen, die Behandlung der Beschwerden im Übrigen abzulehnen.

Wien, am 23. Februar 2011

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