VwGH 2008/18/0634

VwGH2008/18/063415.12.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Merl und Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des MD in W, vertreten durch Mag. Dr. Ralf Heinrich Höfler, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Türkenstraße 25/11, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 17. Juli 2008, Zl. E1/556.396/2007, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
EMRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
EMRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen serbischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 9 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein für die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe am 29. April 2004 einen Asylantrag gestellt und am 19. Mai 2004 eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet. Anschließend habe er einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "begünstigter Drittstaatsangehöriger - Ö, § 49 Abs. 1 FrG" eingebracht. Das Asylverfahren sei am 17. Februar 2005 eingestellt worden.

In weiterer Folge gab die belangte Behörde den Verfahrensgang wieder, stellte den wesentlichen Inhalt der Aussagen der Eheleute dar und zitierte wörtlich die Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 18. Jänner 2007. Als Ergebnis eigener Erhebungen stellte die belangte Behörde dar, dass die Ehe am 14. Dezember 2007 geschieden worden sei und die Frau nun in G an derselben Adresse wie der Vater ihres jüngsten Kindes gemeldet sei.

Beweiswürdigend hielt die belangte Behörde fest, dass trotz der Bestreitung des Beschwerdeführers, seiner österreichischen Ehefrau Geldbeträge gegeben zu haben und entgegen seiner Behauptung aus Liebe geheiratet und einen gemeinsamen Wohnsitz geführt zu haben, unter Bedachtnahme auf die zu Tage getretenen Widersprüche und die Erhebungen davon auszugehen sei, die Ehe sei ausschließlich deshalb geschlossen worden, um dem Beschwerdeführer die Möglichkeit zu verschaffen, problemlos eine Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung zu erlangen. Vor diesem Hintergrund habe die belangte Behörde von der Vernehmung der beantragten Zeuginnen Abstand genommen, weil nicht erkennbar gewesen sei, welche konkreten Sachverhaltselemente aus einer allfälligen Befragung der Zeuginnen gewonnen werden könnten, zumal das vorgebrachte Beweisthema "Liebesheirat" die innere Motivation der Ehepartner zum Gegenstand habe, über welche Außenstehende keine schlüssigen und zielführenden Angaben machen könnten, und das zweite genannte Beweisthema, "das Führen einer dem Wesen einer Ehe entsprechenden Gemeinschaft", derart unkonkret formuliert sei, dass auch hier nicht erkennbar sei, was aus einer solchen Zeugenvernehmung gewonnen werden könnte.

Angesichts der Erhebungsergebnisse und der offen zu Tage getretenen Widersprüche stehe sohin fest, dass der Beschwerdeführer die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin geschlossen und sich für die Erteilung eines Aufenthaltstitels auf die Ehe berufen habe, ohne ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK geführt zu haben.

Rechtlich führte die belangte Behörde aus, der Missbrauch des Rechtsinstituts der Ehe zur Erlangung fremdenrechtlich bedeutsamer Rechte stelle eine schwer wiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar, welche die Erlassung eines Aufenthaltsverbots rechtfertige. Es sei zwar von einem mit dieser Maßnahme verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers auszugehen, der jedoch zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens durch Verhindern von Aufenthaltsehen - zulässig und dringend geboten sei. Die durch den Aufenthalt im Bundesgebiet erzielte Integration des Beschwerdeführers werde durch die bewirkte Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses wesentlich gemindert und wiege keinesfalls schwerer als das öffentliche Interesse an der Erlassung des Aufenthaltsverbots.

Die vorgenommene Befristung begründete die belangte Behörde mit dem aufgezeigten Gesamt(fehl)verhalten des Beschwerdeführers, das selbst unter Bedachtnahme auf dessen private Situation einen früheren Wegfall der Gefährdung nicht erwarten lasse.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt (Z. 1) die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet oder (Z. 2) anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwider läuft.

Nach § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG hat als bestimmte Tatsache im Sinn des § 60 Abs. 1 FPG (u.a.) zu gelten, wenn ein Fremder eine Ehe geschlossen, sich für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung auf die Ehe berufen, aber mit dem Ehegatten ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nie geführt hat.

2.1. Gegen das Ergebnis der behördlichen Beweiswürdigung bringt die Beschwerde vor, die belangte Behörde habe nicht ausreichend aufgezeigt, aus welchen Gründen und aus welchen Widersprüchen eine Aufenthaltsehe nachzuweisen sei. Sie habe sein Recht auf Parteiengehör verletzt, weil ihm nicht die Möglichkeit gegeben worden sei, auf die Überlegungen der belangten Behörde einzugehen. Die im angefochtenen Bescheid für die Abweisung seiner Zeugenanträge unterstellten Beweisthemen habe der Beschwerdeführer niemals vorgebracht, vielmehr habe er die Vernehmung seiner Schwester zum Nachweis dafür beantragt, dass sie mit beiden Ehegatten im Zeitpunkt des Zusammenlebens einen Kontakt gehabt habe, dass sie diese wiederholt zu Hause besucht habe, und dass sie das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK bestätigen könne. In der Bekanntgabe vom 8. Juli 2008 sei die aktuelle Anschrift der "Zeugin des tatsächlichen Zusammenlebens" genannt worden.

2.2. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.

Die belangte Behörde begründet ihre Beurteilung, wonach der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG durch den Beschwerdeführer verwirklicht worden sei, mit dem Hinweis auf die Erhebungsergebnisse und die offen zu Tage getretenen Widersprüche in den Aussagen.

Nach ständiger hg. Judikatur dürfen Beweisanträge nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel - ohne zulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung - untauglich ist. Es ist nicht zulässig, ein vermutetes Ergebnis noch nicht aufgenommener Beweis vorwegzunehmen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 10. Mai 2011, Zl. 2007/18/0890, mwN).

Die in der Berufung begehrte nochmalige Vernehmung des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau zu "Fragestellungen wie Gewohnheiten, Tagesabläufe, Kontakt zu den Kindern etc." zeigt allerdings kein konkretes Verhalten, keine konkrete familiäre Begebenheit und auch keinen auf ein gelebtes Familienleben hindeutenden konkreten Umstand auf, wodurch auf ein tatsächliches Eheleben hätte geschlossen werden können und was durch die Befragung hätte bewiesen werden können. Die belangte Behörde war daher nicht gehalten, diese beiden Personen nochmals zu vernehmen (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 21. November 2011, Zl. 2008/18/0574, mwN).

Hingegen brachte der Beschwerdeführer bereits in der Berufung vor, seine Schwester habe mit ihm und seiner Ehefrau im Zeitpunkt des Zusammenlebens engen Kontakt gehabt und sei bei ihnen wiederholt zu Besuch gewesen. Auch wenn das weitere Beweisthema, dass tatsächlich ein Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK bestanden habe, eine Rechtsfrage betrifft, so sollte diese Zeugin - wie sich spätestens aus der Bekanntgabe vom 8. Juli 2008 ergibt - auch Angaben über das tatsächliche Zusammenleben der Eheleute machen. Im Hinblick darauf, dass die belangte Behörde ihrer Beurteilung zu Grunde legte, der Beschwerdeführer habe mit seiner Ehefrau ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nie geführt, wäre daher die Vernehmung der genannten Zeugin geboten gewesen.

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die belangte Behörde bei Vernehmung der beantragten Zeugin im Rahmen ihrer Beweiswürdigung zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Dem geltend gemachten Verfahrensmangel kommt daher Relevanz zu.

3. Aus den dargestellten Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

4. Der Spruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 15. Dezember 2011

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