VwGH 2007/18/0864

VwGH2007/18/086422.9.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Mag. Haunold und Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerden des JMA in W, vertreten durch Dr. Markus Andreewitch, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Stallburggasse 4, gegen die Bescheide der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien je vom 4. Juli 2007, 1.) Zl. SD 1248/06, betreffend Ausweisung gemäß § 53 FPG (hg. Zl. 2007/18/0865), und 2.) Zl. SD 1247/06, betreffend Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung (hg. Zl. 2007/18/0864), zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;

 

Spruch:

Der erstangefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Die Beschwerde gegen den zweitangefochtenen Bescheid wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen, erstangefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Bangladesch, gemäß § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG ausgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei nach eigenen Angaben im Juni 1996 illegal nach Österreich gekommen und seither hier aufhältig. Der von ihm am 24. Juni 1996 eingebrachte Asylantrag sei rechtskräftig abgewiesen worden. Ein weiterer, am 3. Juni 1998 gestellter Asylantrag sei mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 28. Jänner 1999 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen worden. Nach den Feststellungen in dem (die dagegen erhobene Berufung abweisenden) Bescheid des Bundesasylamtes (richtig: des unabhängigen Bundesasylsenates) vom 20. April 1999 seien vom Beschwerdeführer im Zuge dieses Asylantrages zum Beweis dafür, dass eine Anzeige aus fälschlicher politischer Rache gegen ihn erfolgt sei, vorgelegte Urkunden nach kriminaltechnischer Untersuchung eindeutig als gefälscht oder verfälscht erklärt worden.

Ein Antrag des Beschwerdeführers vom 10. Februar 2003 auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung sei im Instanzenzug (mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 2. August 2004) abgewiesen worden. Die dagegen erhobene Beschwerde sei vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 20. April 2006, Zl. 2005/18/0022, als unbegründet abgewiesen worden.

Im Ausweisungsverfahren habe der Beschwerdeführer vorgebracht, dass er mittlerweile integriert sei, gut Deutsch spreche und als selbständiger Zeitungskolporteur arbeite. Im Übrigen habe er auf Art. 8 EMRK und den (damals geltenden) § 37 Abs. 2 Fremdengesetz 1997 - FrG verwiesen.

In ihren rechtlichen Erwägungen führte die belangte Behörde nach Zitierung des § 53 Abs. 1 FPG aus, dass sich der Beschwerdeführer schon etwa elf Jahre im Bundesgebiet befinde. Diesem Aufenthalt - soweit er rechtmäßig gewesen sei - könne aber keine entscheidende Wirkung zukommen, weil er auf als letztlich unbegründet erkannten Asylanträgen beruht habe und seit 1999 (allenfalls mit einer Unterbrechung vom November 2005 bis April 2006) unrechtmäßig gewesen sei. Eine Aufenthaltsverfestigung im Sinne des § 55 FPG wegen des langen unrechtmäßigen Aufenthaltes könne nicht vorliegen.

Angesichts des elfjährigen Aufenthalts des Beschwerdeführers müsse von einem mit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme einhergehenden Eingriff in sein Privatleben ausgegangen werden. Der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften durch den Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der geordneten Abwicklung des Fremdenwesens (Art. 8 Abs. 2 EMRK) aber ein sehr hoher Stellenwert zu. Diese Regelungen seien vom Beschwerdeführer, der sich seit vielen Jahren unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte und längst ausreisen hätte müssen, in gravierender Weise missachtet worden. Auch die Zeit des legalen Aufenthaltes während des Asylverfahrens sei angesichts des letztlich nicht zuerkannten Asyls "als nicht wirklich relevant" anzusehen. Die Beeinträchtigung des hoch zu veranschlagenden Interesses an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens sei von solchem Gewicht, dass die vorhandenen gegenläufigen privaten Interessen, die vor allem durch die Berufsausübung, nicht aber durch familiäre Bindungen im Bundesgebiet gekennzeichnet seien, nicht höher zu bewerten seien als das sehr große Interesse der Allgemeinheit an der Ausreise des Beschwerdeführers aus dem Bundesgebiet.

2. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 7. September 2006 wurde auf Grund eines Antrages des Beschwerdeführers gemäß § 51 Abs. 1 FPG festgestellt, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass er in Bangladesch gemäß § 50 Abs. 1 oder 2 FPG bedroht sei. Mit dem zweitangefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde der dagegen eingebrachten Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG keine Folge gegeben.

Der Beschwerdeführer habe in seinem am 29. März 2003 gestellten Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung ausgeführt, dass er im Juni 1996 als Flüchtling nach Österreich gekommen und seither hier aufhältig sei. Er verdiene seinen Lebensunterhalt als Zeitungskolporteur und gehöre der Religionsgemeinschaft "Ahmadiyya Muslim Jamat" (im Folgenden: "AMJ") an, als deren Mitglied er in seiner Heimat im Falle der Abschiebung einer Verfolgung ausgesetzt wäre. Diese Religionsgemeinschaft sei zwar nicht verboten, jedoch immer wieder Angriffen oder Übergriffen anderer muslimischer Bewegungen ausgesetzt, wobei der Staat nicht die erforderliche Hilfe gewähre. So sei etwa der Anzeige eines solchen Übergriffs im Jahr 1992 von polizeilicher Seite nicht nachgegangen worden. 1993 sei in eine Moschee ein Molotowcocktail geworfen worden, wobei der anwesende Beschwerdeführer aber nicht verletzt worden sei. Der Konflikt habe sich 2001 noch verschärft, seit die "Jammat-E-Islami" (im Folgenden: "J-E-I") Regierungspartei geworden sei.

Nach Darlegungen zu den bereits unter 1. erwähnten Entscheidungen über die vom Beschwerdeführer eingebrachten Asylanträge führte die belangte Behörde aus, laut Mitteilung des Bundesasylamtes vom 18. Mai 1999 sei im Asylverfahren keine Feststellung erfolgt, ob bzw. dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Heimatstaat des Beschwerdeführers zulässig sei.

In einer Stellungnahme habe der Beschwerdeführer der Einschätzung widersprochen, seine Verfolgung im Heimatstaat sei nicht der Staatsgewalt zuzuschreiben. Durch die massive Verfolgung der "AMJ" in den letzten Jahren, die von staatlichen Organen nicht verhindert werde, sei klargestellt, dass seine Abschiebung nach Bangladesch unzulässig sei.

Nach den Ausführungen des Beschwerdeführers in seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid habe sich die Lage seit 2005 noch verschlechtert. Der Staat Bangladesch sei schutzunwillig oder schutzunfähig. Sein Engagement in der österreichischen Ahmadiyya-Gemeinde würde im Falle einer Rückkehr in den Heimatstaat zu seiner Verfolgung führen. Wie schon zuvor - so die belangte Behörde - seien erneut diverse englischsprachige Unterlagen ohne deutsche Übersetzung beigefügt worden.

Schließlich sei der Beschwerdeführer aufgefordert worden, in qualifizierter Weise (konkrete und nachvollziehbare Beispiele) vorzubringen, inwieweit die Regierung (und deren Organe bzw. die Polizei) von Bangladesch insbesondere im Jahr 2006 und gegenwärtig nicht in der Lage oder willens sei, von Gegnern der "AMJ" ausgehende Verfolgungen zu verhindern. Die Behörde habe dem Beschwerdeführer auch anhand von in die deutsche Sprache übersetzten Auszügen aus Reporten und Zeitungen dargelegt, dass es in den letzten Jahren keine Verschlechterungen, sondern eher Verbesserungen der "Lage" in Bangladesch gegeben habe. Der Beschwerdeführer sei aufgefordert worden, allfällige Nachweise, die er als Stütze für seine Behauptungen verwenden wolle, (auch) in deutscher Übersetzung vorzulegen.

Ungeachtet dieser Aufforderung habe der Beschwerdeführer wieder nur diverse, in englischer Sprache abgefasste Unterlagen und Zitate aus Internetquellen vorgelegt und die Ansicht vertreten, dass die behördlich vorgehaltenen Polizeieingriffe keinesfalls den Grad an Effektivität erreichten, der zum Schutz seiner Person notwendig sei.

In rechtlicher Hinsicht hielt die belangte Behörde u.a. fest, es liege keine Entscheidung einer Asylbehörde im Sinne des § 51 Abs. 1 zweiter Satz FPG vor. Auf Grund der rechtskräftigen Abweisung der Asylanträge des Beschwerdeführers stehe fest, dass dieser in seiner Heimat keiner Gefährdung oder Bedrohung im Sinn des § 50 Abs. 2 FPG (früher: § 57 Abs. 2 FrG) ausgesetzt (gewesen) sei. Das Vorliegen anderer als in § 50 Abs. 2 FPG genannter Gefährdungen, d.h. solcher im Sinne des § 50 Abs. 1 FPG, habe der Beschwerdeführer nicht behauptet. Er habe jedoch vorgebracht, dass sich die Umstände in seiner Heimat seit der rechtskräftigen Abweisung der Asylanträge zu seinem Nachteil verändert hätten.

Es sei zunächst von den Angaben des Beschwerdeführers im Asylverfahren auszugehen. Danach sei er Mitglied der Religionsgemeinschaft "AMJ". Eine offizielle Verfolgung seiner Person durch die Regierung bestehe nicht. Nur in dem Fall, dass er "seine" Ideologie öffentlich verbreite, bekomme er Schwierigkeiten mit Angehörigen der "J-E-I"-Partei. Er habe die Ideologie verbreitet, indem er von Haus zu Haus gegangen sei, weshalb er sogar von seinem Onkel mit dem Umbringen bedroht worden sei. Anzeigen gegen Angehörige der "J-E-I"-Partei seien von der Polizei nicht entgegengenommen worden. Er sei täglich in die Moschee seiner Religionsgemeinschaft gegangen und dabei immer von Angehörigen anderer Religionsgruppen bedroht worden, wobei er dies als geistige Folterung verstanden habe, zumal er körperlich nicht attackiert worden sei. Über Vorhalt, dass die letzte derartige Attacke gegen ihn bereits 1993 erfolgt sei, er aber erst im Mai 1996 seinen Heimatstaat verlassen habe, habe der Beschwerdeführer nur entgegnet, dass er "psychisch völlig fertig" gewesen sei und seine Religion frei ausüben habe wollen. Er sei in Bangladesch niemals politisch tätig gewesen. Eine staatliche Verfolgung hätte er im Falle seiner Rückkehr in die Heimat nicht zu befürchten. Mit der Polizei habe er nie Schwierigkeiten gehabt. Die Religionsausübung sei durch die staatlichen Behörden nie behindert worden.

Das Vorbringen im Feststellungsantrag des Beschwerdeführers - so die belangte Behörde weiter - befasse sich zum Teil mit Umständen (aus 1992 bzw. 1993), die vor der rechtskräftigen Abweisung der Asylanträge gelegen seien. Darüber hinaus führe der Beschwerdeführer aus, dass im Oktober 1999 eine "unserer" Moscheen bombardiert und zerstört worden sei und sich mit der Regierungsbeteiligung der "J-E-I" im Oktober 2001 der Konflikt mit seiner Religionsgemeinschaft verstärkt habe.

Mit den dem Beschwerdeführer von der belangten Behörde mit Schreiben vom 10. April 2007 vorgehaltenen - im angefochtenen Bescheid beschriebenen - Auszügen aus Reporten bzw. Zeitungsberichten in deutscher Sprache solle nicht gesagt werden, dass es keine religiös motivierten Übergriffe gegen Ahmadiyya-Anhänger mehr gebe. In zunehmendem Maß versuche die Regierung jedoch, der Verfassung, nach der zwar der Islam Staatsreligion sei, aber darüber hinaus Religionsfreiheit herrsche, gerecht zu werden. Der Staat Bangladesch bemühe sich offenkundig in letzter Zeit verstärkt, Ahmadiyya-Anhänger vor religiös motivierten Übergriffen gegen ihr Eigentum sowie Leib und Leben zu schützen.

Diese Ausführungen der belangten Behörde seien vom Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme vom 21. Mai 2007 nicht in Zweifel gezogen worden. Er habe entgegen der behördlichen Aufforderung keine konkreten und nachvollziehbaren Beispiele - insbesondere nicht in deutscher Sprache - geliefert, wonach die Staatsgewalt in Bangladesch nicht in der Lage oder willens sei, von Gegnern der Ahmadiyya-Sekte ausgehende Verfolgungen zu verhindern.

Es gebe in Bangladesch zweifellos nach wie vor gewisse Spannungen zwischen den Anhängern der Religionsgemeinschaft des Beschwerdeführers und anderen islamischen Religionsgemeinschaften. Andererseits bemühten sich die Behörden, derartigen Vorfällen vorzubeugen bzw. diese, soweit sie vorfielen, in Grenzen zu halten und erforderlichenfalls auch aufzuklären. Die Angriffe auf Angehörige der "AMJ" gingen weder von staatlicher Seite aus, noch sei Bangladesch unwillig oder unfähig, sie hintanzuhalten. Der Umstand, dass gelegentlich dennoch Attacken erfolgten, könne nicht der Staatsgewalt zugerechnet werden, die sie jedenfalls auch nicht billige. Es sei nicht richtig, dass sich die Umstände in der Heimat des Beschwerdeführers seit der rechtskräftigen Abweisung seiner Asylanträge zu seinem Nachteil verändert hätten.

3. Gegen die beiden genannten Bescheide richtet sich die Beschwerde mit dem Begehren, sie wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

4. Die belangte Behörde legte die Akten der Verwaltungsverfahren vor und beantragt in ihrer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

A) Zur Ausweisung gemäß § 53 FPG:

1. Die Beschwerde bestreitet nicht die im erstangefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, dass der erste Asylantrag des Beschwerdeführers abgewiesen, sein zweiter Asylantrag wegen entschiedener Sache rechtskräftig zurückgewiesen und sein Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung sowie die in weiterer Folge erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof abgewiesen worden sind.

Da auch sonst nicht ersichtlich ist, dass der Beschwerdeführer über eine Berechtigung zum Aufenthalt im Bundesgebiet verfügt, begegnet die - unbekämpfte - Auffassung der belangten Behörde, dass sich der Beschwerdeführer unrechtmäßig in Österreich aufhalte und die Tatbestandsvoraussetzung des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei, keinen Bedenken.

2.1. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen das Ergebnis der von der belangten Behörde gemäß § 66 FPG durchgeführten Interessenabwägung und verweist in diesem Zusammenhang auf seinen elfjährigen Aufenthalt, seine gute Integration und seine sozialen Bindungen in Österreich.

2.2. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Erlassung einer Ausweisung nach § 66 FPG unzulässig ist, ist eine gewichtende Gegenüberstellung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit dem persönlichen Interesse des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich vorzunehmen. Dieses Interesse nimmt grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zu. Die bloße Aufenthaltsdauer ist freilich nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles vor allem zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen, die eine Ausweisung auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 10. Mai 2011, Zl. 2011/18/0100, mwN).

Aufenthaltszeiten während eines Asylverfahrens kommt grundsätzlich nur ein vermindertes Gewicht zu; dies bedeutet vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung aber nicht, dass der während eines unsicheren Aufenthalts erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen und ein solcherart begründetes privates und familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Ausweisung führen könnte. Ferner kann im Rahmen der Interessenabwägung der Umstand Bedeutung erlangen, dass sich der Fremde illegal bzw. trotz rechtskräftiger Abweisung seines Asylantrages unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, weil dies eine erhebliche Beeinträchtigung des großen öffentlichen Interesses an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften darstellt, dem aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. dazu erneut das hg. Erkenntnis, Zl. 2011/18/0100, mwN).

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann ein über zehnjähriger inländischer Aufenthalt den persönlichen Interessen eines Fremden am Verbleib im Bundesgebiet - unter Bedachtnahme auf die jeweils im Einzelfall zu beurteilenden Umstände - ein großes Gewicht verleihen bzw. eine Ausweisung als unverhältnismäßig erscheinen lassen (vgl. das bereits zitierte Erkenntnis, Zl. 2011/18/0100, mwN).

2.3. Der Beschwerdeführer hält sich seit elf Jahren im Bundesgebiet auf. Er bestreitet jedoch nicht, dass nach der Abweisung seines ersten Asylantrages auch sein zweiter Asylantrag im Jahr 1999 erfolglos geblieben ist und er sich seither unrechtmäßig in Österreich aufhält. Er kann auf keine familiären Bindungen im Bundesgebiet verweisen. Soweit er eine "gute Integration" im Bundesgebiet sowie den Aufbau sozialer Bindungen behauptet, bleibt er in der Beschwerde eine entsprechende Konkretisierung ebenso schuldig wie hinsichtlich seines an die belangte Behörde gerichteten Vorwurfs, im Rahmen der Interessenabwägung seien mehrere maßgebliche Kriterien nicht berücksichtigt worden.

Dennoch führt das genannte Vorbringen die Beschwerde zum Erfolg.

Im Verwaltungsverfahren hat der Beschwerdeführer, abgesehen von seinen Deutschkenntnissen, darauf verwiesen, "viele Jahre" als selbständiger Zeitungskolporteur gearbeitet zu haben und zurzeit im Auftrag eines näher genannten Unternehmens Zeitungen bzw. Zeitschriften zu verteilen. Auch die belangte Behörde nahm Bezug auf das Vorbringen des Beschwerdeführers, als selbständiger Zeitungskolporteur zu arbeiten, ohne dieses als unrichtig festzustellen, und erkannte an späterer Stelle des Bescheides, dass seine privaten Interessen "vor allem durch die Berufsausübung" gekennzeichnet seien. Nähere Feststellungen, insbesondere zum Umfang und zur Dauer der beruflichen Tätigkeit des Beschwerdeführers enthält der angefochtene Bescheid jedoch nicht.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann aber ein über zehnjähriger Aufenthalt in Verbindung mit einer sehr langen kontinuierlich ausgeübten Erwerbstätigkeit und allenfalls weiteren Aspekten der erreichten Integration den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet ein derart großes Gewicht verleihen, dass die Ausweisung gemäß § 66 Abs. 1 FPG - auch bei einem Eingriff nur in das Privatleben - unverhältnismäßig erscheint (vgl. etwa die Erkenntnisse je vom 26. August 2010, Zl. 2010/21/0009, und Zl. 2010/21/0206).

Der der belangten Behörde in diesem Zusammenhang mangels näherer Feststellungen zur Erwerbstätigkeit des Beschwerdeführers vorzuwerfende Verfahrensmangel ist relevant, ist doch nicht auszuschließen, dass auf der Grundlage der zitierten Judikatur eine auf eine langjährige berufliche Tätigkeit zurückzuführende maßgebliche Verstärkung der persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet zu einem anderen Ergebnis der Interessenabwägung führen könnte, weshalb der erstangefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben war.

3. Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

B) Zur Abweisung des Antrages auf Feststellung der Unzulässigkeit der

Abschiebung:

1. Im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 51 Abs. 1 FPG hat der Fremde das Bestehen einer aktuellen, also im Fall seiner Abschiebung in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 50 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FPG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 50 Abs. 1 oder Abs. 2 FPG im Verfahren gemäß § 51 FPG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob allenfalls gehäufte Verstöße der im § 50 Abs. 1 FPG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 2011, Zl. 2008/21/0581, mwN).

2.1. Zur Bekämpfung des zweitangefochtenen Bescheides verweist der Beschwerdeführer auf sein im Verwaltungsverfahren erstattetes Vorbringen, wonach er Mitglied der "AMJ" sei, welche durch islamistische Mitglieder einer Regierungspartei des Staates Bangladesch verfolgt werde. Einen funktionierenden Schutz vor diesen Übergriffen könne oder wolle sein Heimatstaat nicht bereitstellen. Er sei mehrmals auf Grund seiner Religionsausübung bedroht worden und es sei auf eine Moschee, in welcher er sich gerade befunden habe, ein Brandanschlag mittels eines Molotowcocktails verübt worden. Die belangte Behörde habe sich formelhafter Rechtfertigungen bedient, sei auf sein im Berufungsverfahren erstattetes Vorbringen, dass sich die Situation seit der rechtskräftigen Abweisung der Asylanträge geändert (verschlechtert) habe, nicht eingegangen und habe die von ihm vorgelegten Berichte von internationalen Hilfsorganisationen nicht beachtet.

2.2. Diesem Vorbringen ist zu entgegnen, dass die belangte Behörde im Verwaltungsverfahren und im angefochtenen Bescheid durch die Anführung mehrerer - näher genannten Reporten bzw. Berichten, u.a. des Länderreports des US-State Departments für 2006, entnommener - Beispiele aufgezeigt hat, dass der Staat Bangladesch in jüngerer Zeit zunehmend in der Lage ist, die Anhänger der "AMJ" vor religiös motivierten Übergriffen gegen Eigentum, Leib und Leben zu schützen und Religionsfreiheit zu gewährleisten. Die im angefochtenen Bescheid zur Untermauerung dieser Ansicht beschriebenen Sachverhalte ereigneten sich überwiegend im Jahr 2006, somit zeitnah vor der Erlassung des angefochtenen Bescheides und genießen weitestgehend eine größere Aktualität als die in den vom Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren vorgelegten Dokumenten erwähnten Vorfälle. Auf die entsprechenden Feststellungen geht die Beschwerde nicht konkret ein. Weshalb es sich bei den von der belangten Behörde erwähnten Polizeieingriffen zum Schutz der "AMJ" (z.B. der Vereitelung der Inbesitznahme von Moscheen der "AMJ" durch feindlich gesinnte Organisationen am 23. Juni 2006 und am 6. Oktober 2006, oder der Verhaftung von Personen, die verdächtigt seien, mit der Brandlegung und den Bombenattentaten auf eine Moschee der "AMJ" im Zusammenhang zu stehen) oder etwa bei der Aufhebung des Verbotes der Verbreitung von Ahmadiyya-Publikationen durch die Regierung lediglich um - wie der Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme vom 21. Mai 2007 ausführte - "erfreuliche Einzelfälle" handeln sollte, wird auch in der Beschwerde nicht nachvollziehbar begründet.

Der Beschwerdehinweis auf einen mit einem Molotowcocktail auf eine Moschee verübten Brandanschlag ist nicht geeignet, die behördlichen Feststellungen zur aktuellen Entwicklung als unrichtig darzustellen, hat sich dieser Anschlag nach den Angaben des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren doch bereits im Jahr 1993 ereignet.

Den Feststellungen des angefochtenen Bescheides, wonach insbesondere westliche bzw. US-amerikanische Staatsangehörige die Zielgruppe einer vom Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren vorgelegten, seitens des Staates Australien im Jahr 2007 für Bangladesch ausgesprochenen Reisewarnung gewesen seien, tritt die Beschwerde nicht entgegen.

Darüber hinaus werden in der Beschwerde die Ausführungen der belangten Behörde, wonach die in Bangladesch gebliebene Ehefrau des Beschwerdeführers zwar derselben Religionsgemeinschaft wie dieser angehöre, jedoch offensichtlich persönlich keinen Angriffen durch Anhänger anderer religiöser Gruppierungen ausgesetzt gewesen sei, nicht bestritten und dieser Umstand auch nicht begründet.

Vor diesem Hintergrund erweist sich aber das vom Beschwerdeführer in der Beschwerde und im Verwaltungsverfahren erstattete Vorbringen als nicht ausreichend, im Sinne der eingangs zitierten hg. Judikatur eine für eine Feststellung gemäß § 51 Abs. 1 FPG erforderliche aktuelle und die Person des Beschwerdeführers betreffende Bedrohungssituation nachvollziehbar darzutun; dies gilt auch für die Behauptung von - gegenüber dem Zeitpunkt der Entscheidungen über die Asylanträge - nunmehr maßgeblichen bzw. gehäuften Verstößen der in § 50 Abs. 1 oder 2 FPG umschriebenen Art durch den Heimatstaat des Beschwerdeführers.

3. Der Beschwerde gegen den zweitangefochtenen Bescheid kommt daher keine Berechtigung zu, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 22. September 2011

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