Normen
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2 Z8;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2 Z8;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen des Sudan, gemäß den §§ 31, 53 und 66 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG aus dem Bundesgebiet aus.
Begründend führte sie aus, der Beschwerdeführer sei am 26. April 1999 illegal nach Österreich eingereist und habe einen Asylantrag gestellt. Das Asylverfahren sei seit 6. April 2006 "rk negativ abgeschlossen". Die Behandlung einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof (der mit Beschluss vom 19. April 2006 die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden war) sei mit Beschluss vom 9. November 2007 (Zl. 2006/01/0170) abgelehnt worden. Der Beschwerdeführer halte sich somit seit November 2007 insofern rechtswidrig im Bundesgebiet auf, als ihm weder ein Einreisetitel nach dem FPG noch ein Aufenthaltstitel nach dem NAG erteilt worden sei. Ein Aufenthaltsrecht auf Grund einer anderen gesetzlichen Bestimmung sei weder behauptet worden noch aktenkundig.
Der Beschwerdeführer, der sich "seit ca. 10 Jahren" in Österreich aufhalte, sei hier einer Beschäftigung nachgegangen. Sein Rechtsvertreter habe verschiedene Unterlagen zur Bescheinigung seiner Integration (Teilnahmebescheinigungen an Deutschkursen, Mietvertrag, Meldebestätigung, Verdienstnachweise, Befreiungsschein, Versicherungsdatenauszug, Führerschein und ecard) vorgelegt. Ihm sei daher eine der Dauer seines Aufenthalts entsprechende Integration in Österreich zuzubilligen. Das Gewicht dieser aus der Aufenthaltsdauer ableitbaren Integration werde jedoch maßgeblich dadurch gemindert, dass der Aufenthalt während des Asylverfahrens lediglich auf Grund dieses Antrages, der sich letztlich als unberechtigt erwiesen habe, temporär berechtigt gewesen sei. Dem Beschwerdeführer sei bewusst gewesen, ein Privatleben während des genannten Zeitraumes geschaffen zu haben, in dem er einen "unsicheren" Aufenthaltsstatus gehabt habe. Er habe nicht von vornherein damit rechnen können, nach einem allfällig negativen Ausgang des Asylverfahrens weiterhin in Österreich verbleiben zu dürfen. Dadurch relativiere sich auch die lange Dauer der unselbständigen Erwerbstätigkeit.
Der Beschwerdeführer halte sich seit rund zwei Jahren illegal in Österreich auf. Bereits ein mehrmonatiger unrechtmäßiger Aufenthalt gefährde die öffentliche Ordnung in hohem Maße, sodass die Ausweisung gemäß § 66 Abs. 1 FPG zu deren Wahrung dringend geboten sei. Die Übertretung fremdenpolizeilicher Vorschriften, denen aus Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein sehr hoher Stellenwert zukomme, begründe einen gravierenden Verstoß gegen die österreichische Rechtsordnung. Die öffentliche Ordnung würde schwerwiegend beeinträchtigt, wenn sich einwanderungswillige Fremde, ohne das betreffende Verfahren abzuwarten, unerlaubt nach Österreich begäben, um damit die österreichischen Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Dasselbe gelte, wenn Fremde nach Abschluss eines Asylverfahrens das Bundesgebiet nicht rechtzeitig verließen. Die Ausweisung sei in solchen Fällen erforderlich, um jenen Zustand herzustellen, der bestünde, wenn sich der Fremde gesetzestreu verhalten hätte. Vor diesem Hintergrund seien auch keine tauglichen Gesichtspunkte erkennbar, um das der Behörde durch § 53 Abs. 1 FPG eingeräumte Ermessen zu Gunsten des Beschwerdeführers zu üben.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:
Unter der Überschrift "Ausweisung Fremder ohne Aufenthaltstitel" ordnet § 53 Abs. 1 FPG an, dass Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden können, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. In der Beschwerde wird eingeräumt, dass das Asylverfahren des Beschwerdeführers rechtskräftig beendet ist. Auch sind ihr keine Behauptungen zu entnehmen, dass eine der Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 31 Abs. 1 FPG - insbesondere die Erteilung eines Aufenthaltstitels - beim Beschwerdeführer vorläge. Dafür bestehen nach der Aktenlage auch keine Anhaltspunkte, sodass keine Bedenken gegen die behördliche Annahme bestehen, der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG sei im vorliegenden Fall verwirklicht.
Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben eines Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Gemäß § 66 Abs. 2 FPG in der hier anzuwendenden Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:
"1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;
- 2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;
- 3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;
- 4. der Grad der Integration;
- 5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;
- 6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit;
- 7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren."
Unter diesem Gesichtspunkt kritisiert der Beschwerdeführer die von der belangten Behörde vorgenommene Interessenabwägung. Er verweist auf die im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (im Jänner 2010) bereits knapp 10 Jahre und 9 Monate betragende Dauer seines Aufenthaltes im Bundesgebiet und führt ins Treffen, seit Dezember 2000 kontinuierlich unselbständig erwerbstätig gewesen zu sein. Darüber hinaus sei er unbescholten und habe vor allem durch den Erwerb tadelloser Kenntnisse der deutschen Sprache einen hohen Grad der Integration erreicht, wogegen zum Heimatstaat keine Kontakte mehr bestünden.
Diese Ausführungen verhelfen der Beschwerde zum Erfolg:
Der belangten Behörde ist zwar zuzugestehen, dass die während des Aufenthalts erlangten Gesichtspunkte der Integration großteils in einem Zeitraum erworben wurden, als sich der Beschwerdeführer der Unsicherheit seines Aufenthaltsstatus bewusst war, er also - für den Fall eines negativen Ausgangs seines Asylverfahrens - nicht mit einem dauernden Aufenthalt im Bundesgebiet rechnen durfte. Allerdings hat § 66 Abs. 2 Z. 8 FPG schon vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass der während eines unsicheren Aufenthaltsstatus erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen wäre und ein solcherart begründetes privates bzw. familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Ausweisung führen könnte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Dezember 2009, Zl. 2009/21/0348). Im vorliegenden Fall sind nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes die genannten zugunsten des Beschwerdeführers sprechenden Umstände in ihrer Gesamtheit betrachtet von solchem Gewicht, dass sie eine Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung begründen.
Abgesehen davon, dass sich die belangte Behörde mit dem wiedergegebenen - bereits im Berufungsverfahren erstatteten - Vorbringen nicht im Einzelnen auseinandergesetzt hat, teilt der Verwaltungsgerichtshof nämlich die in der Beschwerde vertretene Ansicht, dass der rund 10 Jahre und 9 Monate dauernde Aufenthalt sowie die mehr als 9 Jahre lang kontinuierlich ausgeübte unselbständige Erwerbstätigkeit (in Verbindung mit den geltend gemachten, von der belangten Behörde jedenfalls nichts in Abrede gestellten weiteren Aspekten der erreichten Integration) den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet ein derart großes Gewicht verleihen, dass die Ausweisung gemäß § 66 Abs. 1 FPG - auch bei einem Eingriff nur in das Privatleben - unverhältnismäßig erscheint.
Der angefochtene Bescheid war daher schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am 26. August 2010
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