VwGH 2010/18/0041

VwGH2010/18/004123.3.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger sowie den Hofrat Dr. Enzenhofer, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Jäger, über die Beschwerde des R S in W, geboren 1984, vertreten durch Dr. Michael Drexler, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hörlgasse 4/5, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 2. Jänner 2010, Zl. E1/476.834/2009, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
EMRK Art8 Abs2;
StGB §207 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
EMRK Art8 Abs2;
StGB §207 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 2. Jänner 2010 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen indischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.

Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung im Wesentlichen die Feststellungen zugrunde, dass der Beschwerdeführer am 2. Dezember 2002 illegal in das Bundesgebiet eingereist sei und einen Asylantrag gestellt habe; der Antrag sei am 14. Juli 2006 in zweiter Instanz rechtskräftig abgewiesen worden. Die Behandlung einer dagegen eingebrachten "höchstgerichtlichen Beschwerde" sei abgelehnt worden. Aufgrund des seither unrechtmäßigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers sei dieser mit Berufungsbescheid der belangten Behörde vom 23. Juni 2009 rechtskräftig ausgewiesen worden. Einer dagegen eingebrachten Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden. (In diesem Zusammenhang sei angemerkt, dass diese Beschwerde mit hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 2009, Zl. 2009/18/0319, als unbegründet abgewiesen wurde.)

Der Beschwerdeführer sei nach der Aktenlage ledig und habe keine Sorgepflichten; familiäre Bindungen zum Bundesgebiet seien nicht geltend gemacht worden.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 4. August 2009 sei der Beschwerdeführer (wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen) gemäß § 207 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt worden. Dem Urteil liege zugrunde, dass der Beschwerdeführer am 4. Mai 2008 einem zehnjährigen Mädchen über der Kleidung auf die Scheide gegriffen und solcherart eine geschlechtliche Handlung an einer unmündigen Person vorgenommen habe.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, dass aufgrund dieses Urteils zweifelsfrei der in § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG normierte Tatbestand erfüllt sei, weshalb die Voraussetzungen zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes - vorbehaltlich der Bestimmung des § 66 Abs. 1 FPG - im Grunde des § 60 Abs. 1 FPG gegeben seien.

Zwar sei angesichts aller Umstände von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers auszugehen; dieser Eingriff sei jedoch zulässig, weil er zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Verhinderung weiterer Straftaten und zum Schutz der "sexuellen Selbstbestimmtheit" anderer - dringend geboten sei. Das bisherige Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers lasse seine Geringschätzung für maßgebliche, in Österreich gültige Rechtsvorschriften erkennen. Seine Straftat sei auch - entgegen einem diesbezüglichen Versuch in der Berufung - einer Relativierung oder Verharmlosung nicht zugänglich, weshalb eine zu Gunsten des Beschwerdeführers ausfallende Verhaltensprognose nicht möglich gewesen sei.

Was die privaten Interessen des Beschwerdeführers betreffe, so erwiesen sich diese als keinesfalls ausgeprägt. Der Beschwerdeführer halte sich unrechtmäßig in Österreich auf und gehe einer selbständigen Erwerbstätigkeit nach, für deren Ausübung er eines Aufenthaltstitels bedürfe. Da er lediglich aufgrund des Asylantrages, der sich als unberechtigt erwiesen habe, vorübergehend zum vorläufigen Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt gewesen sei, könne er insgesamt keinesfalls als besonders integriert gelten. Dabei sei auch zu bedenken, dass die einer jeglichen Integration zugrunde liegende soziale Komponente durch das geschilderte strafbare Verhalten entsprechend an Gewicht gemindert werde. Das dem Beschwerdeführer solcherart insgesamt zuzusprechende Interesse an einem Weiterverbleib im Bundesgebiet sei daher kaum ausgeprägt. Dass dem Beschwerdeführer - aus welchen Gründen auch immer - ein Verlassen des Bundesgebietes bzw. eine Rückkehr in seine Heimat nicht möglich sei, sei nicht einmal geltend gemacht worden. Solcherart wögen die privaten Interessen des Beschwerdeführers keinesfalls derart schwer, dass dem gegenüber das genannte öffentliche Interesse in den Hintergrund zu treten habe, weshalb sich die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes auch im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG als zulässig erweise.

Ein Sachverhalt gemäß § 61 FPG sei nicht gegeben.

Mangels sonstiger, besonders zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechender Umstände habe die belangte Behörde keine Veranlassung gesehen, von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand zu nehmen.

Was die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes betreffe, so erscheine die von der Erstbehörde vorgenommene Befristung nach Ansicht der belangten Behörde gerechtfertigt. Im Hinblick auf das dargestellte Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers einerseits könne auch unter Bedachtnahme auf seine aktenkundige Lebenssituation andererseits vor Ablauf der festgesetzten Frist nicht erwartet werden, dass die für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Gründe weggefallen sein würden.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Aufgrund der unstrittig feststehenden rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers zu einer bedingten Freiheitsstrafe von neun Monaten ist der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 dritter Fall FPG erfüllt.

2. Nach den in der Beschwerde nicht bestrittenen Feststellungen des angefochtenen Bescheides hat der Beschwerdeführer am 4. Mai 2008 einem zehnjährigen Mädchen über der Kleidung auf die Scheide gegriffen.

Aus diesem gravierenden Fehlverhalten des Beschwerdeführers resultiert eine schwerwiegende Gefährdung des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen, der eine schwere und besonders verwerfliche strafbare Handlung gegen die Sittlichkeit darstellt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 2. September 2008, Zl. 2006/18/0333, mwN). Daran vermag auch das Vorbringen, dass es sich bei der "strafrechtlichen Übertretung" um einen einmaligen Fehltritt handle, den der Beschwerdeführer zutiefst bereue, nichts zu ändern.

Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang weiter vorbringt, das Strafgericht habe festgestellt, dass der Beschwerdeführer zum Tatzeitpunkt in einem der Zurechnungsunfähigkeit nahe kommenden Zustand gehandelt habe, was seine Schuldfähigkeit gemindert habe und daher bei der Strafbemessung als mildernd berücksichtigt worden sei, so ist dem zu entgegnen, dass die belangte Behörde das Fehlverhalten des Fremden eigenständig aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts und unabhängig von den gerichtlichen Erwägungen betreffend die Strafbemessung oder die Gewährung bedingter Strafnachsicht zu beurteilen hatte (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 16. Dezember 2008, Zl. 2008/18/0747, mwN).

Aus diesen Gründen begegnet die Ansicht der belangten Behörde, dass angesichts des schwerwiegenden Fehlverhaltens des Beschwerdeführers die in § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, keinem Einwand.

3.1. Die Beschwerde bekämpft den angefochtenen Bescheid auch unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK bzw. des § 66 FPG und bringt im Wesentlichen vor, dass der Beschwerdeführer seit neun Jahren in Österreich lebe und "als gut integriert zu bezeichnen" sei. Der Beschwerdeführer übe eine selbständige Erwerbstätigkeit aus, sei sozial- und krankenversichert und verfüge über eine gesicherte Unterkunft. Die belangte Behörde habe die neunjährige Integration des Beschwerdeführers, seine wirtschaftliche Unabhängigkeit und "soziale Abgesichertheit mittels Sozialversicherung und Verdienst" überhaupt nicht überprüft, gewichtet und gegen sein einmaliges Fehlverhalten abgewogen. Es sei "nicht hinreichend" dargetan worden, worin die "Sozialschädlichkeit" des Beschwerdeführers bestehe, und die belangte Behörde habe den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz außer Acht gelassen.

3.2. Dem Beschwerdeführer gelingt es allerdings mit diesem Vorbringen nicht, eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen.

Bei der im angefochtenen Bescheid vorgenommenen Interessenabwägung nach § 66 FPG und Art. 8 Abs. 2 EMRK hat die belangte Behörde den mehrjährigen - seit Abweisung des Asylantrages allerdings unrechtmäßigen - Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet (vgl. § 66 Abs. 2 Z. 1 FPG) berücksichtigt und zutreffend einen mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers angenommen. Der belangten Behörde ist auch darin beizupflichten, dass die aus seinem bisherigen inländischen Aufenthalt resultierende Integration in ihrer sozialen Komponente durch sein strafbares Verhalten erheblich geschmälert wird (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 25. Februar 2010, Zl. 2010/18/0014, mwN).

Überdies bestreitet der Beschwerdeführer nicht, dass er niemals über einen Aufenthaltstitel verfügt hat, der ihn zur Ausübung einer selbständigen Beschäftigung berechtigt hätte. Daher kommt auch den von ihm ausgeübten Beschäftigungen - worauf die belangte Behörde zutreffend hingewiesen hat - keine wesentliche Bedeutung zu (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 20. Jänner 2009, Zl. 2008/18/0651, mwN).

Den - somit relativierten - persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet steht die aus seiner Straftat resultierende Gefährdung des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung strafbarer Handlungen gegen die Sittlichkeit - vgl. oben unter II.2. - gegenüber. Unter gehöriger Abwägung dieser Umstände kann die Ansicht der belangten Behörde, dass die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen (Verhinderung weiterer Straftaten und Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) dringend geboten und im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG zulässig sei, auch dann nicht als rechtswidrig erkannt werden, wenn man dieser Abwägung das Beschwerdevorbringen zugrunde legt, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner langjährigen Integration "Kontakte zu Freunden und Verwandten im Inland" aufgebaut habe.

4.1. Die Beschwerde bringt ferner vor, dass gegen den Beschwerdeführer überhaupt kein Aufenthaltsverbot hätte erlassen werden dürfen, weil "die aufenthaltsbeendende Maßnahme bereits mit rechtskräftiger Ausweisung abgeschlossen" worden sei und somit bereits eine entschiedene Sache vorliege.

4.2. Dem ist zu entgegnen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Voraussetzung für die Zurückweisung wegen "entschiedener Sache" im Sinn des § 68 Abs. 1 AVG die tatsächliche Identität der Sache ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26. Mai 2003, Zl. 2000/18/0197).

Während im früheren Verwaltungsverfahren über die Ausweisung des Beschwerdeführers abgesprochen wurde, zielte das gegenständliche Verfahren auf die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes ab. Der Gegenstand des angefochtenen Bescheides ist somit ein anderer als die in der Beschwerde angesprochene Ausweisung gemäß § 53 FPG, weshalb Identität der Sache im Sinn des § 68 AVG nicht vorliegt.

5. Soweit die Beschwerde auf die "Kann-Bestimmung" des § 60 Abs. 1 FPG hinweist und damit erkennbar die Ermessensübung durch die belangte Behörde beanstandet, kann der Verwaltungsgerichtshof auch diesen Ausführungen nicht folgen:

Angesichts der rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers wegen eines Verbrechens (§ 55 Abs. 3 Z. 1 FPG) ist das Vorliegen der Voraussetzung für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes eindeutig; eine auf einer Ermessenserwägung beruhende Abstandnahme von dessen Verhängung würde offensichtlich nicht im Sinn des Gesetzes (Art. 130 Abs. 2 B-VG) erfolgen, sodass für die belangte Behörde keine Veranlassung bestand, im Rahmen der Ermessensübung gemäß § 60 Abs. 1 FPG von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes Abstand zu nehmen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 2. September 2008, Zl. 2007/18/0421, mwN).

6. Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 23. März 2010

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