VwGH 2009/18/0118

VwGH2009/18/01183.11.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok, den Hofrat Dr. Enzenhofer, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des SP, geboren am 28. November 1991, vertreten durch Mag. Robert Bitsche, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Nikolsdorfergasse 7-11/2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 17. Februar 2009, Zl. E1/55295/2009, betreffend Aufhebung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §66 Abs4;
FrPolG 2005 §60;
FrPolG 2005 §62;
FrPolG 2005 §65 Abs1;
VwRallg;
AVG §66 Abs4;
FrPolG 2005 §60;
FrPolG 2005 §62;
FrPolG 2005 §65 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 17. Februar 2009 wurde der Antrag des Beschwerdeführers, eines serbischen Staatsangehörigen, vom 4. September 2008 auf Aufhebung des mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 25. Februar 2008 erlassenen, auf die Dauer von sieben Jahren befristeten Aufenthaltsverbotes gemäß § 65 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, abgewiesen.

Begründend führte die Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei in Wien geboren, halte sich seither durchgehend in Österreich auf und habe (bis zur Erlassung des rechtskräftigen Aufenthaltsverbotes) einen gültigen Aufenthaltstitel besessen.

Am 3. Oktober 2007 sei der Beschwerdeführer vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen des Verbrechens des schweren Raubes zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 27 Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Dem Urteil sei zugrunde gelegen, dass der Beschwerdeführer mit Mittätern am 2. Juli 2007 in Wien einer namentlich bekannten Frau mit Gewalt und Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben unter Verwendung einer Waffe fremde bewegliche Sachen weggenommen habe, um sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern. Die Täter hätten die Frau vom Fahrrad gestoßen, sie zu Boden gedrückt und ihr einen Faustschlag ins Gesicht versetzt; der Beschwerdeführer habe ein Butterflymesser gegen ihren Bauch gerichtet und mehrmals Geld gefordert, woraufhin die Frau ihr Mobiltelefon und ihren MP3- Player herausgegeben habe. Aus dem Urteil gehe hervor, dass der Beschwerdeführer die Mittäter zum Raubüberfall angestiftet habe, wobei zunächst ein zufällig vorbeikommender Passant, also eine willkürlich ausgewählte Person, Raubopfer werden hätte sollen. Neben der Tatanstiftung sei für den Beschwerdeführer auch die Brutalität des Vorganges als Erschwerungsgrund herangezogen worden. Andererseits sei er immerhin voll geständig gewesen.

Der Beschwerdeführer habe in Wien die Volksschule und mehrere Jahre lang ein Gymnasium besucht. Vor der oben dargestellten Straftat habe er sich wegen "familiärer Eskalationen" im Krisenzentrum Augarten befunden. Am 18. August 2008 sei die (bedingte) Entlassung aus der Haft erfolgt.

Der Beschwerdeführer habe - eigenen Angaben zufolge - eine ebenfalls in Wien lebende Schwester. Die Mutter, die bezüglich des noch minderjährigen Beschwerdeführers obsorgeberechtigte sei, sowie die Schwester seien nach wie vor serbische Staatsbürgerinnen und verfügten über Aufenthaltstitel.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde unter Hinweis auf § 65 Abs. 1 FPG aus, ein Antrag auf Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes könne nur zum Erfolg führen, wenn sich seit Erlassung des Aufenthaltsverbotes die dafür maßgebenden Umstände zu Gunsten des Beschwerdeführers geändert hätten, wobei auch auf die nach der Verhängung des Aufenthaltsverbotes eingetretenen und gegen die Aufhebung dieser Maßnahme sprechenden Umstände Bedacht zu nehmen sei. Maßgeblich sei, ob eine Gefährlichkeitsprognose im Grunde des § 60 Abs. 1 FPG weiterhin zu treffen und die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes im Sinn des § 66 FPG zulässig sei. Die Rechtmäßigkeit des Bescheides, mit dem das Aufenthaltsverbot rechtskräftig erlassen worden sei, könne nicht mehr überprüft werden.

Es spreche allerdings kaum etwas für den Beschwerdeführer. Die seit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes verstrichene Zeit sei viel zu kurz, um die damals angestellte Gefährlichkeitsprognose als unzutreffend erscheinen zu lassen. Die Tatsache, dass der Beschwerdeführer als nach der derzeitigen Rechtslage probates Mittel zur Verlängerung eines an sich unrechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet einen Asylantrag gestellt habe und darüber noch nicht rechtskräftig abgesprochen worden sei, vermöge dem gegenständlichen Antrag nicht zum Erfolg zu verhelfen. Nach Ansicht der belangten Behörde werde dem Asylantrag mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht stattgegeben werden. Der Asylantrag ändere auch nichts am aufrechten Bestand des Aufenthaltsverbotes. § 65 FPG sei nicht zu entnehmen, dass einem Asylantrag ein maßgeblicher Einfluss auf die Entscheidung über den Antrag auf Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes zukomme.

Dass der Beschwerdeführer mittlerweile aus der Haft bedingt entlassen worden sei, binde die Fremdenpolizeibehörde nicht, weil sie die Sachlage nicht aus strafrechtlichen, sondern nach fremdenpolizeilichen Gesichtspunkten zu bewerten habe; die bedingte Haftentlassung sei somit nicht entscheidungsrelevant.

Entgegen der Beschwerdeansicht sei die Minderjährigkeit des Beschwerdeführers bei Verhängung des Aufenthaltsverbotes berücksichtigt worden. Immerhin habe die Behörde trotz der vom Beschwerdeführer im Zuge seines strafbaren Verhaltens gezeigten starken kriminellen Energie nur ein auf sieben Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen und dies - insbesondere auch die Herabsetzung des ursprünglich unbefristet erlassenen Aufenthaltsverbotes auf ein solches für die Dauer von sieben Jahren - entsprechend begründet.

Seit der bedingten Entlassung des Beschwerdeführers aus der Haft sei bloß ein halbes Jahr vergangen; dem Wohlverhalten in diesem kurzen Zeitraum - die Zeit der Haft müsse ja überhaupt von der Betrachtung ausgeschlossen werden - komme kaum eine Bedeutung in dem Sinn zu, dass die von der Behörde im Aufenthaltsverbotsverfahren getroffene Gefährdungs- und Zukunftsprognose in Frage gestellt werden könnte. Die äußerst brutale Tathandlung des Beschwerdeführers stelle nach Ansicht der belangten Behörde ohne Zweifel ein persönliches Verhalten dar, das die Annahme gerechtfertigt erscheinen lasse, die öffentliche Ordnung der Republik Österreich werde durch den Weiterverbleib des Beschwerdeführers im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet. Die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes erweise sich auf Grund des gravierenden Fehlverhaltens des Beschwerdeführers nach wie vor gemäß § 66 Abs. 1 FPG als dringend geboten, habe doch der Beschwerdeführer durch dieses Fehlverhalten die im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit und eines geordneten Fremdenwesens erheblich beeinträchtigt. Von daher stehe auch § 66 Abs. 2 FPG dem Aufenthaltsverbot nicht entgegen; auch die starken persönlichen bzw. familiären Interessen des Beschwerdeführers am Aufenthalt in Österreich könnten das durch sein Fehlverhalten schwer und nachhaltig beeinträchtigte Allgemeininteresse nicht überwiegen.

Eine weiter gehende Ermessensentscheidung sei nicht in Betracht gekommen, weil keine diesbezüglichen Gründe erkannt oder vorgebracht worden seien.

Summa summarum hätten sich seit Erlassung des Aufenthaltsverbotes die dafür maßgebenden Umstände zu Gunsten des Fremden keinesfalls geändert.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 65 Abs. 1 FPG ist ein Aufenthaltsverbot oder ein Rückkehrverbot auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, wenn die Gründe, die zu seiner Erlassung geführt haben, weggefallen sind.

Nach der hg. Judikatur kann ein Antrag auf Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes oder Rückkehrverbotes nur dann zum Erfolg führen, wenn sich - wie die belangte Behörde zutreffend ausführt - seit der Erlassung der Maßnahme die dafür maßgebenden Umstände zu Gunsten des Fremden geändert haben, wobei auch auf die nach der Verhängung des Aufenthaltsverbotes oder Rückkehrverbotes eingetretenen und gegen die Aufhebung dieser Maßnahme sprechenden Umstände Bedacht zu nehmen ist. Die Rechtmäßigkeit eines Bescheides, mit dem das Aufenthaltsverbot oder Rückkehrverbot erlassen wurde, kann bei der Entscheidung über die Aufhebung nicht mehr überprüft werden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 4. Juni 2009, Zl. 2006/18/0102, mwN).

2. Als einzigen Umstand, der sich nach Erlassung des Aufenthaltsverbotes ereignet hat, bringt der Beschwerdeführer vor, dass er nach lediglich 13 Monaten Haft bedingt entlassen worden und der Richter von seinem zukünftigen Wohlverhalten ausgegangen sei.

Damit zeigt die Beschwerde jedoch keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.

Der Erlassung des Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer im Juli 2007 Mittäter zu einem Raubüberfall angestiftet hat; gemeinsam haben sie eine Frau vom Fahrrad gestoßen, zu Boden gedrückt und unter Verwendung einer Waffe bedroht, geschlagen und beraubt. Erschwerend kommt hinzu, dass der Beschwerdeführer dabei ein Butterflymesser verwendet und die Tat mit besonderer Brutalität ausgeführt hat.

Entgegen der Beschwerdeansicht hatte die belangte Behörde das Fehlverhalten des Fremden eigenständig aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts und unabhängig von den gerichtlichen Erwägungen betreffend die Gewährung bedingter Strafnachsicht zu beurteilen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. März 2010, Zl. 2010/18/0041, mwN). Zutreffend hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid darauf hingewiesen, dass die seit Erlassung des Aufenthaltsverbotes verstrichene Zeit viel zu kurz ist, um von einem Wegfall oder einer erheblichen Minderung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit im Sinn des § 60 Abs. 1 FPG ausgehen zu können, zumal nach der ständigen hg. Judikatur (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 29. Juni 2010, Zl. 2006/18/0222, mwN) in Haft verbrachte Zeiten nicht als solche des Wohlverhaltens angesehen werden können und der Beschwerdeführer erst etwa sechs Monate vor Erlassung des angefochtenen Bescheides (bedingt) aus der Haft entlassen wurde.

3. Entgegen der Beschwerdeansicht hat die belangte Behörde nicht die Notwendigkeit einer Interessenprüfung im Sinne des Art. 8 EMRK auf Grund des kurzen, seit Erlassung des Aufenthaltsverbotes verstrichenen Zeitraumes verneint, sondern - zutreffend - ausgeführt, dass dem Wohlverhalten während dieser kurzen Zeit kaum eine Bedeutung im Hinblick auf eine allfällige Änderung der Gefährdungsprognose zukomme.

Nach den - unbestrittenen - Feststellungen im angefochtenen Bescheid hat der in Wien geborene Beschwerdeführer in Österreich die Schule besucht; vor seiner Straftat befand er sich auf Grund "familiärer Eskalationen" im Krisenzentrum Augarten. In Österreich leben seine Mutter und seine Schwester. Eine allfällige Veränderung der persönlichen Bindungen und Interessen des Beschwerdeführers nach Erlassung des Aufenthaltsverbotes wurde weder in der Beschwerde vorgebracht, noch sind solche den Verwaltungsakten zu entnehmen. Daher kommt auch dem in diesem Zusammenhang geltend gemachten Begründungsmangel keine Berechtigung zu. Die Ansicht der belangten Behörde, dass die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes bzw. Rückkehrverbotes gemäß § 66 FPG nach wie vor dringend geboten und auch zulässig sei, begegnet somit keinen Bedenken.

4. Der dem zitierten Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) vom 22. April 2004 (Radovanovic gegen Österreich) zugrunde liegende Sachverhalt ist mit dem gegenständlichen nicht vergleichbar. In jenem Verfahren hat der EGMR die Verhängung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes als zu strenge Maßnahme angesehen, weil eine weniger schwer wiegende Reaktion, wie etwa ein befristetes Aufenthaltsverbot, ausgereicht hätte. Dem gegenständlichen Fall liegt hingegen ein nur auf sieben Jahre befristetes Aufenthaltsverbot zugrunde; der Vorgabe des EGMR wurde somit bereits Rechnung getragen.

Im Übrigen hat der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 11. März 2010, B 405/09-14, die gegen denselben Bescheid an diesen gerichtete Beschwerde mit der Begründung abgewiesen, dass der Beschwerdeführer weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden sei.

5. Soweit sich die Beschwerdeausführungen auf die Frage der Zulässigkeit der Erlassung von Aufenthaltsverboten beziehen, war darauf nicht weiter einzugehen, weil - wie bereits erwähnt - die Frage, ob die Erlassung des mit Bescheid vom 25. Februar 2008 erlassenen Aufenthaltsverbotes rechtmäßig war, im gegenständlichen Verfahren nicht mehr überprüft werden kann (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis vom 4. Juni 2009, mwN).

6. Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

7. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Wien, am 3. November 2010

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