VwGH 2006/18/0222

VwGH2006/18/022229.6.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und den Hofrat Dr. Enzenhofer, die Hofrätin Mag. Merl sowie die Hofräte Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schmidt, über die Beschwerde des V K, vertreten durch Dr. Paul Delazer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maximilianstraße 2/1, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 24. Mai 2006, Zl. 2/4033/35/00, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §2 Abs4 Z11 idF 2005/I/157;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z11;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z15;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z8;
FrPolG 2005 §9 Abs1;
FrPolG 2005 §9;
FrPolG 2005 Art1 Z12 idF 2005/I/157;
FrPolG 2005 Art1 Z3 idF 2005/I/157;
VwRallg;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z11 idF 2005/I/157;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z11;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z15;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z8;
FrPolG 2005 §9 Abs1;
FrPolG 2005 §9;
FrPolG 2005 Art1 Z12 idF 2005/I/157;
FrPolG 2005 Art1 Z3 idF 2005/I/157;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol (der belangten Behörde) vom 24. Mai 2006 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen kroatischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 Z. 1 iVm den §§ 61, 63 und 66 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein mit zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Der Beschwerdeführer sei kein begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinn des § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG. Seine Eltern und sein Bruder besäßen zwar seit 1996 die österreichische Staatsbürgerschaft und gewährten ihm Unterhalt, sie hätten jedoch das "europarechtliche Recht" auf Freizügigkeit nie in Anspruch genommen. Diese lebten seit 1971 in Österreich.

Der Beschwerdeführer sei vom Landesgericht X am 21. September 1999 wegen des Verbrechens des teils versuchten, teils vollendeten schweren gewerbs- und bandenmäßigen bewaffneten Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127, 128 Abs. 1 Z. 4, § 129 Z. 1, 2 und 4, § 130 erster und zweiter Fall und § 15 StGB sowie wegen des Vergehens der Bandenbildung nach § 278 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Dem Urteil sei (u.a.) zugrunde gelegen, dass der Beschwerdeführer gemeinsam mit anderen Tätern Sachen in einem S 25.000,-- übersteigenden Wert anderen mit dem Vorsatz, sich oder Dritte durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, bandenmäßig und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung der Taten eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, weggenommen habe, und zwar zwischen dem 17. und 19. April 1999 einem Berechtigten eines Unternehmens 150 Computerspiele und einen Rucksack im Gesamtwert von ca. S 85.000,-- nach Aufdrücken eines Fensters und Einsteigen durch dieses in die Geschäftsräumlichkeiten und Aufbrechen einer Vitrine, in der Nacht zum 19. April 1999 Verfügungsberechtigten eines weiteren Unternehmens diverse Uhren, Schmuck, technische Geräte und Taschen im Gesamtwert von ca. S 73.700,-- sowie Bargeld von S 3.985,20 nach Aufbrechen eines Fensters, mehrerer Türen und zweier Vitrinen, in der Nacht zum 21. April 1999 einem weiteren Opfer diverse Waren und Bargeld im Wert von insgesamt S 33.722,-- nach Aufbrechen einer Eingangstür und eines Automaten sowie in derselben Nacht zwei anderen Opfern Bargeld in der Höhe von S 53.940,-- nach Aufbrechen einer Türe und mehrerer Automaten. Weiters habe der Beschwerdeführer gemeinsam mit anderen Tätern in der Zeit zwischen dem 17. und 19. April 1999 und am 28. April 1999 jeweils versucht, durch Einbruch in Geschäftsräumlichkeiten Bargeld und sonstige Wertgegenstände zu stehlen, wobei am 28. April 1999 ein Mittäter mit Wissen des Beschwerdeführers eine Waffe, nämlich eine Gaspistole mit sieben Schuss Munition, bei sich geführt habe, um den Widerstand einer Person zu überwinden oder zu verhindern. Darüber hinaus hätten sich Anfang April 1999 der Beschwerdeführer und andere mit der Verabredung, gemeinsam Geschäftseinbrüche und Einbrüche in Tankstellen zu begehen, verbunden, dies mit dem Vorsatz, dass von einem oder mehreren Mitgliedern dieser Verbindung fortgesetzt nicht nur geringfügige Diebstähle ausgeführt würden.

Mit Urteil des Landesgerichtes X vom 7. Oktober 1999 sei über den Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des Raubes in der Begehungsform der Beitragstäterschaft gemäß § 12 dritte Alternative, § 142 Abs. 1 StGB und wegen des Verbrechens des teils versuchten, teils vollendeten Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127, 129 Z. 1 und 2 und § 15 StGB eine Freiheitsstrafe von einem Jahr als Zusatzstrafe rechtskräftig verhängt worden, weil er gemeinsam mit anderen am 6. Juni 1999 dazu beigetragen habe, dass zwei Mittäter im bewussten und gewollten Zusammenwirken einem anderen mit Gewalt gegen dessen Person, nämlich durch Zubodenreißen, Festhalten und Fesseln mit Klebebänden an Händen und Füßen sowie Festbinden an einem Stuhl, fremde bewegliche Sachen, nämlich Bargeld in der Höhe von S 160.000,--, mit dem Vorsatz weggenommen hätten, sich oder Dritte durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem er (der Beschwerdeführer) die Mittäter im Tatentschluss bestärkt, den Überfall mit anderen geplant und als Aufpasser während des Überfalles fungiert habe. Ferner habe der Beschwerdeführer gemeinsam mit einem bzw. zwei verschiedenen Mittätern im Zeitraum vom 31. Mai 1999 bis 12. Juni 1999 in insgesamt zehn Angriffen Bargeld und andere Waren zum Teil durch Einbruch oder Einsteigen in Gebäude oder Aufbrechen von Behältnissen gestohlen.

Das den Verurteilungen vom 21. September 1999 und 7. Oktober 1999 zugrunde liegende Gesamt(fehl)verhalten des Beschwerdeführers zeige seine negative Einstellung zur Rechtsordnung, woraus sich die Folgerung ergebe, dass sein Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit gefährde (§ 60 Abs. 1 Z. 1 FPG). Seine Verurteilungen, die als Einheit zu betrachten seien, zu Freiheitsstrafen in der Gesamtdauer von 2 1/2 Jahren erfüllten den Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 erster Fall FPG.

Ein relevanter Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG liege zwar vor, mache jedoch das Aufenthaltsverbot im Grunde dieser Gesetzesbestimmung nicht unzulässig. Die sich im Gesamt(fehl)verhalten des Beschwerdeführers manifestierende Neigung, sich über die Rechtsordnung hinwegzusetzen, mache das Aufenthaltsverbot zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele der Verhinderung (weiterer) strafbarer Handlungen und des Schutzes der Rechte anderer (auf Vermögen) dringend geboten.

Die privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers an einem Aufenthalt im Bundesgebiet wögen schwer. So sei er in Österreich geboren worden und habe sich anschließend bis 1984 (Schuleintritt in Jugoslawien) zum Großteil hier aufgehalten. Seit 1994 sei er wieder erlaubt im Bundesgebiet aufhältig. Im Bundesgebiet sei er dementsprechend gut integriert und habe eine intensive familiäre Bindung zu seinen ebenfalls hier gut integrierten Eltern und seinem 1981 in Österreich geborenen Bruder, welchen Personen 1996 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen worden sei und mit denen er in einem gemeinsamen Haushalt gelebt habe. Das Gewicht der privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers werde durch seine Volljährigkeit und den Umstand gemindert, dass er ledig sei und keine Sorgepflichten habe. Eine intensive Integration am Arbeitsmarkt sei ihm nicht gelungen, obwohl ihm das Arbeitsmarktservice bereits im Jahr 1996 schriftlich bestätigt habe, dass er nicht (mehr) dem Geltungsbereich des Ausländerbeschäftigungsgesetzes unterläge. Das Gewicht seiner privaten und familiären Interessen an einem Aufenthalt im Bundesgebiet werde ferner durch die Beeinträchtigung der sozialen Komponente seiner Integration auf Grund seiner schweren Straftaten verringert. Diese Interessen wögen höchstens gleich schwer wie die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes, weshalb dieses auch im Grund des § 66 Abs. 2 FPG zulässig sei. Der Schutz der Rechte anderer (auf Vermögen) habe einen großen öffentlichen Stellenwert und ein großes öffentliches Gewicht. Zum Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers, dass er bereits große Fortschritte gemacht und ein Reifungsprozess eingesetzt hätte, der tatsächlich eine vollkommene Änderung und ein tatsächliches Erwachsenwerden hervorgerufen hätte, werde bemerkt, dass die seit den schweren Straftaten des Beschwerdeführers verstrichene Zeit seines Wohlverhaltens noch zu kurz und das Risiko seines neuerlichen Aufenthaltes im Bundesgebiet für die Rechte anderer zu groß sei. Der Beschwerdeführer sei erst am 21. Februar 2001 aus der Freiheitsstrafe bedingt entlassen worden und lebe seither in Kroatien im Haus der Familie. Sein Bruder und seine Schwester bestritten seinen Unterhalt, weil er selbst nichts arbeite.

Die Zuständigkeit der belangten Behörde gemäß § 9 Abs. 1 Z. 2 FPG sei gegeben, weil der Beschwerdeführer weder ein EWR-Bürger noch ein Schweizer Bürger oder ein begünstigter Drittstaatsangehöriger sei.

Im Hinblick auf die schweren Verurteilungen des Beschwerdeführers sei das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes eindeutig und eine gesonderte Begründung der Ermessensentscheidung im Grunde des § 60 Abs. 1 FPG zu seinem Nachteil entbehrlich.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Der Beschwerdeführer stellt in der Beschwerde nicht in Abrede, dass - wie im angefochtenen Bescheid ausgeführt - sein Vater und dessen Ehefrau noch nie das "europarechtliche" (gemeinschaftliche) Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen haben. Er vertritt allerdings die Auffassung, dass er dennoch begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinn des § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG sei, weil es nicht denkbar sei, dass ein Österreicher ein Recht auf Freizügigkeit in Anspruch nehmen könne. Es hätte daher der unabhängige Verwaltungssenat über seine Berufung entscheiden müssen.

Diese - im Ergebnis gleichheitsrechtlichen - Bedenken der Beschwerde teilt der Gerichtshof schon im Hinblick auf den Verfassungsrang der Bestimmung des § 9 Abs. 1 FPG nicht (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 18. Mai 2006, Zl. 2006/18/0119, auf das gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird).

Was die in der Beschwerde angesprochene Richtlinie 64/221/EWG und das dieser Beschwerdesache vorangegangene Erkenntnis vom 15. November 2005, Zl. 2005/18/0247, anlangt, so bestand im Hinblick darauf, dass diese Richtlinie vor Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits außer Kraft getreten war, in Bezug auf eine Zuständigkeit eines unabhängigen Verwaltungssenates keine Bindung.

Gegen die Zuständigkeit der belangten Behörde im vorliegenden Fall bestehen daher keine Bedenken.

2.1. Auf dem Boden der insoweit unbestrittenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid zu den rechtskräftigen Verurteilungen des Beschwerdeführers ist auch die - unbekämpfte - Beurteilung der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG erfüllt sei, nicht zu beanstanden.

2.2. Nach den von der Beschwerde insoweit nicht bestrittenen Feststellungen der belangten Behörde hat der Beschwerdeführer - wie oben (I. 1.) näher dargestellt - zahlreiche schwere gewerbs- und bandenmäßige Diebstähle durch Einbruch und auch mit einer Waffe, das Vergehen der Bandenbildung und darüber hinaus das Verbrechen des Raubes verübt, wobei er Mittäter im Tatentschluss bestärkt und den Raubüberfall mitgeplant hat. Aus diesem massiven Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers resultiert eine schwerwiegende Gefährdung des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung von Gewalt- und Eigentumskriminalität. Wenn die Beschwerde in diesem Zusammenhang vorbringt, dass die Taten des Beschwerdeführers bereits mehr als sieben Jahre zurücklägen und er eine Persönlichkeitsentwicklung zum Positiven durchgemacht habe, so ist diesem Vorbringen zu erwidern, dass das genannte Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers bei Erlassung des angefochtenen Bescheides noch nicht so lange zurücklag, um von einem Wegfall oder einer entscheidungswesentlichen Minderung der von ihm ausgehenden Gefahr ausgehen zu können. Entgegen der Beschwerdeansicht kann von einem hier zu berücksichtigenden Wohlverhalten in der Dauer von mehr als sieben Jahren (bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides) keine Rede sein, befand sich der Beschwerdeführer doch - was die Beschwerde nicht in Abrede stellt - bis zum 21. Februar 2001 in Haft und können nach der ständigen hg. Judikatur (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom 21. Jänner 2010, Zl. 2009/18/0485, mwN) in Haft verbrachte Zeiten nicht als solche des Wohlverhaltens angesehen werden.

Die Auffassung der belangten Behörde, dass die in § 60 Abs. 1 Z. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, begegnet daher keinem Einwand.

3. Die Beschwerde bestreitet nicht, dass der Beschwerdeführer ledig ist, keine Sorgepflichten hat und (bis zu seiner Inhaftierung) nicht intensiv am Arbeitsmarkt integriert war. Seit seiner bedingten Entlassung aus dem Strafvollzug am 21. Februar 2001 lebt er in Kroatien im Haus seiner Familie. Die von der belangten Behörde gemäß § 60 Abs. 6 iVm § 66 Abs. 1 und 2 FPG getroffene Beurteilung begegnet keinem Einwand, und es genügt daher, auf die insoweit zutreffende Begründung des angefochtenen Bescheides zu verweisen.

4. Schließlich kann der Verwaltungsgerichtshof auch nicht finden, dass der belangten Behörde ein (materieller) Ermessensfehler unterlaufen sei, zumal bereits auf Grund der Verurteilung des Beschwerdeführers im Sinne des § 55 Abs. 3 Z. 1 FPG eine auf einer Ermessenserwägung beruhende Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht im Sinne des Gesetzes gelegen wäre (vgl. dazu nochmals das Erkenntnis, Zl. 2009/18/0485, mwN).

5. Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

6. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 29. Juni 2010

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte