VwGH 2008/22/0458

VwGH2008/22/04586.7.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des D, vertreten durch Mag. Dr. Ingrid Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rotenturmstraße 19/1/1/30, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 29. Oktober 2007, Zl. 317.473/2- III/4/2007, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

EMRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;
VwGG §42 Abs2 Z1;
EMRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres (der belangten Behörde) vom 29. Oktober 2007 wurde der Antrag des Beschwerdeführers, eines serbischen Staatsangehörigen, vom 7. November 2005 auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "begünstigter Drittsta. - Ö, § 49 Abs. 1 FrG" gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei am 13. Mai 2002 nach Österreich eingereist und habe einen Asylantrag gestellt, der am 10. November 2005 rechtskräftig negativ entschieden worden sei. Unmittelbar davor, nämlich am 10. Oktober 2005, habe er eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet und - darauf gestützt - den gegenständlichen Antrag eingebracht.

Seit dem rechtskräftigen Abschluss seines Asylverfahrens im Jahr 2005 sei der Beschwerdeführer illegal in Österreich aufhältig.

Der gegenständliche Antrag sei als Erstantrag zu werten, weil der Beschwerdeführer noch nie im Besitz eines Aufenthaltstitels für Österreich gewesen sei. Gemäß § 21 Abs. 1 NAG seien Anträge vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen; die Entscheidung sei im Ausland abzuwarten. Für die belangte Behörde stehe eindeutig fest, dass der Beschwerdeführer den Antrag im Inland gestellt habe und sich vor, während und nach der Antragstellung in Österreich aufgehalten habe, was auch durch die durchgehende polizeiliche Meldung seit 16. Mai 2002 bekräftigt werde. § 21 Abs. 1 NAG stehe somit einer Bewilligung des gegenständlichen Antrages entgegen.

Ein weiteres Eingehen auf die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers sei, auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK, entbehrlich.

In der Berufung habe der Beschwerdeführer auf seine gute Integration in Österreich hingewiesen. Dieser Aspekt stelle für sich allein jedoch keinen humanitären Grund dar.

Eine Inlandsantragstellung könne gemäß § 74 NAG von Amts wegen zugelassen werden, wenn die Voraussetzungen des § 72 erfüllt würden. Gemäß § 72 NAG lägen besonders berücksichtigungswürdige Gründe insbesondere vor, wenn der Drittstaatsangehörige einer Gefahr gemäß § 50 FPG ausgesetzt sei. Drittstaatsangehörigen, die ihre Heimat als Opfer eines bewaffneten Konflikts verlassen hätten, dürfe eine Aufenthaltsbewilligung nur für die voraussichtliche Dauer dieses Konfliktes, höchstens jedoch für drei Monate, erteilt werden.

Im vorliegenden Fall werde daher festgestellt, dass kein besonders berücksichtigungswürdiger humanitärer Aspekt gegeben sei.

Dass die Ehegattin des Beschwerdeführers einen sogenannten "Freizügigkeitssachverhalt" gesetzt habe, sei weder behauptet worden noch sei dies aus den vorliegenden Verwaltungsakten erkennbar.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde entschieden hat:

Die Beschwerde stellt nicht in Abrede, dass der Beschwerdeführer noch nie über einen Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet verfügt und die Entscheidung über den gegenständlichen Antrag im Inland abgewartet hat. Soweit sie rügt, dem Beschwerdeführer sei kein Parteiengehör zu der Feststellung, dass er sich vor, während und nach der Antragstellung in Österreich aufgehalten habe, eingeräumt worden, übersieht sie, dass in der Berufung der Aufenthalt des Beschwerdeführers seit 2002 in Österreich ausdrücklich bestätigt wird. Die Auffassung der belangten Behörde, dass es sich bei dem gegenständlichen Antrag um einen Erstantrag handle und der Bewilligung die Bestimmung des § 21 Abs. 1 NAG entgegenstehe, begegnet somit keinen Bedenken des Gerichtshofes.

Die Beschwerde bringt jedoch vor, der Beschwerdeführer habe bereits in der Berufung geltend gemacht, er sei auf Grund der langen Aufenthaltsdauer in Österreich integriert.

In der Berufung hat der Beschwerdeführer u.a. vorgebracht, die (erstinstanzliche) Behörde habe offenbar die Judikatur des EGMR nicht bedacht, die ein Aufenthaltsrecht bei entsprechender Integration gemäß Art. 8 EMRK nicht nur auf das Familienleben, sondern auch auf das Privatleben bezogen zubillige. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 8 EMRK müsse dem Beschwerdeführer bei grundrechtskonformer Auslegung die Möglichkeit der Inlandsantragstellung zugebilligt werden, anderenfalls stehe dies im Widerspruch zu dem Recht auf Privat- und Familienleben.

Das Recht, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Inland zu stellen und die Entscheidung darüber hier abzuwarten, kommt daher im vorliegenden Fall nur gemäß § 74 iVm § 72 NAG (jeweils in der Stammfassung) in Betracht. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen - nach ständiger hg. Judikatur - besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung auch dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch, etwa auf Familiennachzug, besteht (vgl. beispielsweise die hg. Erkenntnisse vom 22. September 2009, 2008/22/0766, sowie vom 18. März 2010, 2008/22/0408, mwN).

Indem die belangte Behörde im Rahmen der Prüfung hinsichtlich des Vorliegens humanitärer Gründe gemäß § 72 NAG - trotz ausdrücklichen Vorbringens in der Berufung - der "gute(n) Integration in Österreich" die Eignung als humanitären Grund abgesprochen hat, das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers gänzlich unberücksichtigt ließ und ein "Eingehen auf die persönlichen Verhältnisse, auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK" sogar ausdrücklich für entbehrlich erachtete, hat sie die Rechtslage - schon vom Ansatz her - verkannt (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 10. November 2009, 2008/22/0249, mwN). Da angesichts des über Jahre dauernden - zum Teil rechtmäßigen - Aufenthalts des Beschwerdeführers im Inland, seiner familiären Bindungen hier (dass die Ehe mit der österreichischen Ehegattin nicht mehr aufrecht sei, hat die belangte Behörde nicht festgestellt) und der behaupteten integrationsbegründenden Umstände (den Verwaltungsakten ist beispielsweise eine Lohn- und Gehaltsbestätigung vom 11. November 2005 zu entnehmen, wonach sich der Beschwerdeführer in einem ungekündigten Dienstverhältnis bei einem näher genannten Unternehmen befindet) nicht von vornherein auszuschließen ist, dass die belangte Behörde zur Bejahung humanitärer Gründe im Sinn des § 72 NAG gelangen könnte (vgl. zu einer ähnlichen Fallkonstellation das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2010, 2008/22/0287), war der angefochtene Bescheid wegen des auf unrichtiger rechtlicher Beurteilung beruhenden Feststellungsmangels gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 6. Juli 2010

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