VwGH 2007/21/0427

VwGH2007/21/042719.6.2008

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde der N, vertreten durch Dr. Renate Weinberger, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Stock im Eisen-Platz 3/26, gegen den Bescheid der Österreichischen Botschaft New Delhi vom 10. Juli 2007, Zl. VAN- 50777, betreffend Versagung eines Visums, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §58 Abs2;
FrPolG 2005 §11 Abs1;
FrPolG 2005 §11 Abs2;
FrPolG 2005 §11 Abs6;
FrPolG 2005 §21 Abs1 Z2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AVG §58 Abs2;
FrPolG 2005 §11 Abs1;
FrPolG 2005 §11 Abs2;
FrPolG 2005 §11 Abs6;
FrPolG 2005 §21 Abs1 Z2;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine indische Staatsangehörige, stellte am 24. Mai 2007 bei der österreichischen Botschaft in New Delhi den formularmäßigen Antrag auf Erteilung eines "Schengen-Visums" für die Dauer von sechs Wochen zum Zweck des Besuchs ihrer in Wien lebenden Tante (der Schwester ihrer Mutter), einer österreichischen Staatsangehörigen. Sie legte dazu diverse Unterlagen vor, unter anderem eine entsprechende Verpflichtungserklärung der einladenden Tante samt Einkommensnachweisen, eine Bestätigung über den Abschluss einer Krankenversicherung sowie Buchungsbestätigungen hinsichtlich des Hin- und Rückflugtickets.

Mit Schreiben vom 12. Juni 2007 teilte die genannte Botschaft der Beschwerdeführerin mit, seitens der Behörde würden keine weiteren Dokumente mehr benötigt. Dem Antrag könne jedoch nicht stattgegeben werden, weil Grund zu der Annahme bestehe, dass die Beschwerdeführerin das Bundesgebiet nach Ablauf der Gültigkeit des Visums nicht unaufgefordert verlassen werde. Sie habe nämlich nicht überzeugend nachweisen können, dass sie feste familiäre, soziale oder wirtschaftliche Bindungen an ihrem derzeitigen Wohnsitz habe. Außerdem könnte der Aufenthalt der Beschwerdeführerin in Österreich zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen, weil sie keine tragfähige Verpflichtungserklärung vorgelegt habe. Vor einer endgültigen Entscheidung über ihren Antrag werde der Beschwerdeführerin jedoch noch eine Äußerungsmöglichkeit gegeben.

Mit der hierauf erstatteten Stellungnahme der Beschwerdeführerin vom 4. Juli 2007 legte sie weitere Unterlagen vor, insbesondere weitere Lohnbestätigungen des Arbeitgebers der Tante, bei dem diese seit Mitte November 2000 beschäftigt ist, und die Kopie eines Sparbuches der Tante, aus der ein Guthaben von etwa EUR 6.750,-- ersichtlich ist, sowie eine Liste der an der Heimatadresse wohnhaften Familienangehörigen der Beschwerdeführerin (Eltern, Bruder und zwei Schwestern).

Ungeachtet dieser Stellungnahme wies die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid vom 10. Juli 2007 den Antrag auf Erteilung des begehrten Visums unter Verwendung eines formularmäßigen Vordrucks ab. Dabei wurde durch Ankreuzen der dafür vorgesehenen Felder zum Ausdruck gebracht, dass die belangte Behörde die Erteilungsvoraussetzungen nach § 21 Abs. 1 Z 2 und nach § 21 Abs. 5 Z 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG als nicht erfüllt erachtete.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Die (allgemeinen) Voraussetzungen für die Erteilung von Visa finden sich in § 21 FPG. Diese Bestimmung lautet samt Überschrift - auszugsweise - wie folgt:

"Erteilung von Visa

§ 21. (1) Visa dürfen einem Fremden auf Antrag erteilt werden, wenn

  1. 1. dieser ein gültiges Reisedokument besitzt;
  2. 2. die Wiederausreise des Fremden gesichert erscheint;
  3. 3. öffentliche Interessen der Erteilung des Visums nicht entgegenstehen, es sei denn, die Interessen des Fremden an der Erteilung des Visums wiegen schwerer, als die öffentlichen Interessen, das Visum nicht zu erteilen und

    4. kein Versagungsgrund (Abs. 7) wirksam wird.

    ...

(4) Die Behörde hat bei der Beurteilung der nach Abs. 1 Z 3 zu treffenden Interessensabwägung jeweils vom Zweck sowie von der Dauer des geplanten Aufenthalts des Fremden ausgehend

1. auf seine persönlichen Verhältnisse, insbesondere seine familiären Bindungen, seine finanzielle Situation und gegebenenfalls die Dauer seines bisherigen Aufenthalts im Bundesgebiet und

2. auf öffentliche Interessen, insbesondere die sicherheitspolizeilichen und wirtschaftlichen Belange und die Volksgesundheit

Bedacht zu nehmen.

(5) Öffentliche Interessen stehen der Erteilung eines Visums insbesondere dann entgegen, wenn

...

3. der Aufenthalt des Fremden zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte, es sei denn, diese Belastung ergäbe sich aus der Erfüllung eines vor der Einreise bestehenden gesetzlichen Anspruchs;

...

(6) Die Behörde kann einem Fremden trotz Vorliegens von Tatsachen gemäß Abs. 5 Z 1, 2 oder 3 ein Visum erteilen, wenn ... auf Grund der Verpflichtungserklärung einer Person mit Hauptwohnsitz oder Sitz im Bundesgebiet die Tragung aller Kosten gesichert erscheint, die öffentlichen Rechtsträgern durch den Aufenthalt des Fremden entstehen könnten.

..."

Die belangte Behörde begründete - wie oben dargestellt - die Versagung des Visums nur mit dem Hinweis auf die für maßgeblich angesehenen Gesetzesstellen, nämlich auf § 21 Abs. 1 Z 2 FPG einerseits und auf § 21 (Abs. 1 Z 3 iVm) Abs. 5 Z 3 FPG andererseits. Das allein stellt zwar vor dem Hintergrund der besonderen Regeln für das Verfahren vor den österreichischen Vertretungsbehörden (vgl. § 11 Abs. 2 iVm Abs. 6 letzter Satz FPG) - anders als die Beschwerdeführerin meint - noch keinen Begründungsmangel dar, weil es danach genügt, dass der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt zumindest im Akt nachvollziehbar ist (vgl. ausführlich den hg. Beschluss vom 24. Oktober 2007, Zl. 2007/21/0216). Das trifft aber im vorliegenden Fall nicht zu, weil sich in den vorgelegten Akten keine nachvollziehbaren Anhaltspunkte für die behördlichen Annahmen finden, die Wiederausreise der Beschwerdeführerin erscheine nicht gesichert und es bestehe die Gefahr einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft.

In der Gegenschrift weist die belangte Behörde unter dem Gesichtspunkt der nicht gesicherten Wiederausreise darauf hin, dass die Beschwerdeführerin im Antrag angegeben habe, arbeitslos zu sein, und keinen Nachweis über ein geregeltes Einkommen erbracht habe.

Im Erkenntnis vom 20. Dezember 2007, Zl. 2007/21/0104, beschäftigte sich der Verwaltungsgerichtshof näher mit der Erteilungsvoraussetzung nach § 21 Abs. 1 Z 2 FPG. Zunächst kann daher gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen werden. Insbesondere wurde dort zum Ausdruck gebracht, es dürfe nicht ohne Weiteres ("generell") unterstellt werden, dass Fremde - mag es auch einzelne Gesichtspunkte geben, die auf ein Naheverhältnis zu Österreich oder auf eine bloß "lockere" Verbindung zum Herkunftsland hinweisen - unter Missachtung der fremdenrechtlichen Vorschriften im Anschluss an die Gültigkeitsdauer eines Visums weiterhin in Österreich (unrechtmäßig) aufhältig bleiben werden. Es bedürfe vielmehr konkreter Anhaltspunkte in diese Richtung, andernfalls werde davon auszugehen sein, dass die Wiederausreise des Fremden gesichert erscheint (vgl. in diesem Sinne im Anschluss an die genannte Entscheidung auch das Erkenntnis vom 7. Februar 2008, Zl. 2007/21/0207). Liegen allerdings entsprechende Anhaltspunkte für den Verdacht eines Verbleibens in Österreich über die Gültigkeitsdauer des Visums hinaus vor, die die Behörde im Rahmen ihrer sich aus § 11 Abs. 1 letzter Halbsatz FPG resultierenden Verpflichtung zur Wahrung des Parteiengehörs gegenüber dem Fremden konkret darzulegen hat, so ist es dessen Sache, die sich daraus ergebenden Bedenken durch unter Beweis zu stellendes geeignetes Vorbringen zu zerstreuen.

Nun ist die belangte Behörde zwar dieser Verpflichtung insofern nachgekommen, als sie im Schreiben vom 12. Juni 2007 auch auf das Fehlen fester wirtschaftlicher Bindungen der Beschwerdeführerin Bezug genommen hat. Ungeachtet dessen lässt sich mit der ins Treffen geführten mangelnde beruflichen Verankerung der Beschwerdeführerin in ihrem Heimatland der in Rede stehende Abweisungsgrund im vorliegenden Fall aber nicht tragfähig begründen. Einerseits hat die belangte Behörde nämlich die in ihrer Stellungnahme aufgezeigten familiären Bindungen der Beschwerdeführerin in ihrer Heimat völlig außer Acht gelassen und andererseits hat sie zu Unrecht dem (auch in der Beschwerde hervorgehobenen) Umstand, dass die Beschwerdeführerin eine Bestätigung für die Buchung von Hin- und Rückflug vorgelegt hatte, keine Bedeutung beigemessen (vgl. zur Präsentation eines "Rückkehrtickets" das Erkenntnis vom 22. Mai 2007, Zl. 2006/21/0117, und darauf Bezug nehmend das schon erwähnte Erkenntnis vom 20. Dezember 2007, Zl. 2007/21/0104; siehe dazu auch das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2007/21/0229).

In der Gegenschrift erläutert die belangte Behörde unter dem Gesichtspunkt des weiteren Abweisungsgrundes der möglichen finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft, die vorgelegte Verpflichtungserklärung habe sich angesichts des monatlichen Nettoeinkommens der Tante der Beschwerdeführerin von nur rund EUR 800,-- als nicht tragfähig erwiesen.

Diese Überlegung ist nicht nachvollziehbar. Unbestritten ist, dass sich die die Beschwerdeführerin einladende Tante in der genannten Erklärung verpflichtete, für den Unterhalt und die Unterkunft ihrer Nichte für die Dauer des Besuches ("6 - 8 Wochen") aufzukommen. Die belangte Behörde stellte auch nicht in Abrede, dass die Unterbringung der Beschwerdeführerin während dieser Zeit in der Wohnung der Tante, die sie laut vorgelegtem Meldezettel seit 1995 bewohnt, möglich sei. Den vorgelegten Lohnbestätigungen lässt sich ein monatliches Nettoeinkommen zwischen EUR 810,38 und EUR 1069,28 entnehmen, woraus sich durchschnittlich und unter Einbeziehung der Sonderzahlungen ein Nettoverdienst von monatlich etwa EUR 1.100,-- errechnen lässt. Warum diese Mittel in Verbindung mit dem - von der belangten Behörde überhaupt nicht einbezogenen - Sparguthaben von mehr als EUR 6.500,-- nicht zur Unterhaltsgewährung für einen Zeitraum von sechs Wochen hätten reichen sollen und es trotz Abschlusses einer Krankenversicherung realistisch betrachtet zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft hätte kommen können, bleibt vor diesem Hintergrund unerfindlich (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 7. Februar 2008, Zl. 2007/21/0012, und vom 28. Februar 2008, Zl. 2007/21/0389).

Im Übrigen ist noch anzumerken, dass sich auch nicht erkennen lässt, die belangte Behörde hätte die nach § 21 Abs. 1 Z 3 iVm Abs. 4 FPG erforderliche Interessenabwägung vorgenommen.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Das Mehrbegehren auf Ersatz der Pauschalgebühr war in Anbetracht der gewährten Verfahrenshilfe abzuweisen.

Abschließend ist zur formularmäßigen Rechtsmittelbelehrung des bekämpften Bescheides noch darauf hingewiesen, dass gegen Bescheide der österreichischen Vertretungsbehörden in Visaangelegenheiten - abgesehen von der für begünstigte Drittstaatsangehörige vorgesehenen Berufungsmöglichkeit an den unabhängigen Verwaltungssenat nach § 9 Abs. 4 FPG - nicht nur Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, sondern gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG (bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen) auch an den Verfassungsgerichtshof erhoben werden kann.

Wien, am 19. Juni 2008

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte