VwGH 2007/09/0385

VwGH2007/09/038516.12.2008

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des HR, vertreten durch Eisenberger & Herzog, Rechtsanwalts GmbH in 8010 Graz, Hilmgasse 10, gegen den Bescheid des Gemeinderates der Stadt Graz vom 18. Oktober 2007, Zl. Präs. 23272/2007-1, betreffend Dienstunfall, zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §6;
ASVG §175 Abs1;
ASVG §175 Abs2 Z2;
ASVG §175 Abs2;
ASVG §175;
BKUVG §90 Abs2 Z1;
BKUVG §90 Abs2 Z2;
BKUVG §90 Abs2 Z7;
BKUVG §90 Abs2 Z8;
BKUVG §90 Abs2;
BKUVG §90;
DGO Graz 1957 §37a Abs3 idF 2000/065;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
ABGB §6;
ASVG §175 Abs1;
ASVG §175 Abs2 Z2;
ASVG §175 Abs2;
ASVG §175;
BKUVG §90 Abs2 Z1;
BKUVG §90 Abs2 Z2;
BKUVG §90 Abs2 Z7;
BKUVG §90 Abs2 Z8;
BKUVG §90 Abs2;
BKUVG §90;
DGO Graz 1957 §37a Abs3 idF 2000/065;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Stadt Graz hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 18. Oktober 2007 wurde der Antrag des Beschwerdeführers, einen am 27. März 2006 erlittenen Unfall als Dienstunfall anzuerkennen, abgewiesen.

In der Begründung des angefochtenen Bescheides führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei am 27. März 2006 in einem Mehrparteienhaus in der D-Gasse in G, in welchem sich seine Wohnung befinde, nach Verlassen seiner Wohnung im Stiegenhaus dieses Wohnhauses beim Hinuntergehen über die Stiegen, noch bevor er die Außentüre des Wohnhauses durchschritten habe, gestürzt. Er habe sich dabei Verletzungen zugefügt. Die Wohnung befinde sich im zweiten Stock des Wohnhauses, der Unfall sei im Stiegenhaus in diesem Stockwerksbereich passiert. Der Stiegenaufgang sei über die Haupteingangstüre dieses Wohnhauses allgemein zugänglich und befinde sich nicht im Freien.

Rechtlich bewertete die belangte Behörde diesen Sachverhalt nicht als Dienstunfall, weil die Grenze zwischen dem unversicherten häuslichen Lebensbereich und dem mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weg starr gezogen sei. Der Versicherungsschutz beginne an der Außenfront eines Wohnhauses, also in der Regel an dem ins Freie führenden Haustor.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes geltend machende Beschwerde. Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer macht geltend, dass er eine Mietwohnung in einem Mehrparteien-Miethaus bewohne und das Treppenhaus eines solchen Hauses nicht seinem privaten Lebensbereich zugeordnet werden könne.

Gemäß § 37a Abs. 3 der Dienst- und Gehaltsordnung der Beamten der Landeshauptstadt Graz 1956, LGBl. Nr. 30/1957 (idF LGBl. Nr. 65/2000), ist für die Beurteilung eines Unfalles als Dienstunfall § 90 des Beamten-, Kranken- und Unfallversicherungsgesetzes (B-KUVG) maßgeblich.

§ 90 B-KUVG, BGBl. Nr. 200/1967 idF. BGBl. Nr. 679/1991, lautet:

"§ 90. (1) Dienstunfälle sind Unfälle, die sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit dem die Versicherung begründenden Dienstverhältnis oder mit der die Versicherung begründenden Funktion ereignen.

(2) Dienstunfälle sind auch Unfälle, die sich ereignen:

1. auf einem mit dem Dienstverhältnis (mit der die Versicherung begründenden Funktion) zusammenhängenden Weg zur oder von der Dienststätte; hat der Versicherte wegen der Entfernung seines ständigen Aufenthaltsortes von der Dienststätte auf dieser oder in ihrer Nähe eine Unterkunft, so wird die Versicherung des Weges von oder nach dem ständigen Aufenthaltsort nicht ausgeschlossen;

2. auf einem Weg von der Dienststätte oder der Wohnung zu einer Untersuchungs- oder Behandlungsstelle (wie freiberuflich tätiger Arzt, Ambulatorium, Krankenanstalt) zur Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe (§ 63), Zahnbehandlung (§ 69) oder der Durchführung einer Vorsorge(Gesunden)untersuchung (§ 61a) und anschließend auf dem Weg zurück zur Dienststätte oder zur Wohnung, sofern dem Dienstgeber oder einer sonst zur Entgegennahme von solchen Mitteilungen befugten Person der Arztbesuch vor Antritt des Weges bekanntgegeben wurde, ferner auf dem Weg von der Dienststätte oder von der Wohnung zu einer Untersuchungsstelle, wenn sich der Versicherte der Untersuchung auf Grund einer gesetzlichen Vorschrift oder einer Anordnung der Versicherungsanstalt oder des Dienstgebers unterziehen muß und anschließend auf dem Weg zurück zur Dienststätte oder zur Wohnung;

...

6. auf einem Weg von der Dienststätte, den der Versicherte zurücklegt, um während der Dienstzeit, einschließlich der in der Dienstzeit liegenden gesetzlichen sowie kollektivvertraglich oder betrieblich vereinbarten Arbeitspausen, in der Nähe der Dienststätte oder in seiner Wohnung lebenswichtige persönliche Bedürfnisse zu befriedigen, anschließend auf dem Weg zurück zur Dienststätte sowie bei dieser Befriedigung der lebensnotwendigen Bedürfnisse, sofern sie in der Nähe der Dienststätte, jedoch außerhalb der Wohnung des Versicherten erfolgt;

7. auf einem mit der unbaren Überweisung des Entgelts zusammenhängenden Weg von der Dienststätte oder der Wohnung zu einem Geldinstitut zum Zweck der Behebung des Entgelts und anschließend auf dem Weg zurück zur Dienststätte oder zur Wohnung;

..."

Die belangte Behörde weist zunächst zu Recht darauf hin, dass bei einem Dienstunfall auf die Definition eines Arbeitsunfalles gemäß § 175 Abs. 1 ASVG zurückzugreifen ist, was abgesehen vom im Wesentlichen übereinstimmenden

Text des § 90 B-KUVG und des § 175 ASVG durch die Erläuterungen (Erläut RV 463 BlgNR 11. GP) klargestellt ist, wonach der Versicherungsfall des Dienstunfalles unter den gleichen Voraussetzungen als eingetreten gelte wie in der Unfallversicherung nach dem ASVG; auch die Voraussetzungen seien die gleichen.

Die belangte Behörde weist auch richtig darauf hin, dass deshalb die zu § 175 ASVG ergangene Rechtsprechung und Lehre zur Auslegung maßgeblich ist.

Allerdings ist bei der Auslegung eines Gesetzes vom Vorrang des Wortlautes auszugehen. Es ist nach der objektiven Methode die Frage zu beantworten, was der kundgemachte Text bedeutet; führt diese Vorgangsweise zu einem klaren Ergebnis, so ist dieses maßgeblich. Lässt der Wortlaut (Wortsinn) keine Zweifel offen, so ist für eine teleologische oder historische Auslegung kein Raum (vgl. zB. das hg. Erkenntnis vom 23. Mai 2002, Zl. 2001/07/0127).

§ 90 Abs. 2 B-KUVG und § 175 Abs. 2 ASVG regeln jeweils in deren Ziffern 1, 2, 7 und 8 mehrere Arten von Wegunfällen, bei denen es auf den räumlichen Bezugspunkt des Verlassens des vom Versicherten bewohnten Bereichs ankommt. Außer in Ziffer 1 leg. cit. spricht der Gesetzgeber immer von der "Wohnung" als Ausgangs- bzw. Endpunkt des versicherten Weges.

"Wohnung" ist ein "selbständiger, aus einem od. mehreren Räumen bestehender, nach außen abgeschlossener Bereich in einem Wohnhaus, der einer od. mehreren Personen als ständiger Aufenthaltsort, als Heim dient" (Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 1984, 6. Band, S. 771; fast ident in Duden "Das große Wörterbuch der deutschen Sprache", 1981, S. 2898).

"Wohnhaus" ist ein "Haus mit einer od. mehreren Wohnungen" (vgl. Brockhaus/Wahrig, aaO, S. 770).

Eine vom Stiegenhaus abgeschlossene Mietwohnung in einem Mehrparteienhaus kann demnach nicht von vornherein mit dem gesamten Wohnhaus gleichgesetzt werden.

In § 90 Abs. 2 Z. 1 B-KUVG (ebenso § 175 Abs. 2 Z. 2 ASVG) wird die Abgrenzung zwischen versichertem und unversichertem Weg nicht mit "Wohnung" umschrieben, dem Sinngehalt ("ständiger Aufenthaltsort" in dessen letztem Halbsatz) nach stellt aber auch Z. 1 unmissverständlich auf die "Wohnung" ab. Zudem ist kein Grund ersichtlich, dass in Z. 1 leg. cit. eine andere örtliche Abgrenzung zwischen versichertem und unversichertem Weg getroffen werden sollte als in den anderen Fällen des "Wegunfalles" der Ziffern 2, 7 und 8 leg. cit. Damit kommt es für den Beginn des Versicherungsschutzes jedenfalls in einem Haus, das mehrere Mietwohnungen aufweist, auf das Verlassen des nach außen abgeschlossenen Bereiches einer Mietwohnung an, was in der Regel durch deren Außentüre erfolgt. Der Beginn des Versicherungsschutzes könnte sich allerdings dann zur Außentüre des "Wohnhauses" (dabei könnte es sich auch um die Außentür einer der Wohnung zuzurechnenden Garage (vgl. zB. die Urteile des OGH vom 9. Februar 1998, 10 Ob S 19/98m, und des OLG-Wien vom 28. Jänner 2004, 8 Rs 9/04) oder einer Betriebsstätte (vg. das Urteil des OLG-Wien vom 3. Mai 1984, 35 R 97/84) handeln) verlagern, wenn sich in diesem "Wohnhaus" keine mehreren eigenständigen, als "Wohnungen" anzusehende Räumlichkeiten befänden und deshalb "Wohnung" und "Wohnhaus" ident wären.

Damit ist schon nach dem Wortsinn klar, dass der geschützte Weg jedenfalls im gegenständlichen Fall mit dem Durchschreiten der Außentüre der Mietwohnung des Beschwerdeführers im zweiten Stock des gegenständlichen Hauses in das allgemein zugängliche Stiegenhaus begann.

Demgegenüber beruft sich die belangte Behörde insbesondere auf des Urteil des OGH vom 25. April 2006, 10 Ob S 44/06b. Es ist richtig, dass darin (auch unter Hinweis auf Vorjudikatur und Lehre) ausgeführt wird, die Grenze zwischen dem unversicherten und dem versicherten Weg sei im Interesse der Rechtssicherheit "starr gezogen" und knüpfe an "objektive Merkmale an, die im Allgemeinen leicht feststellbar" seien. Auch angesichts "geänderter Wohnverhältnisse oder besonderer baulicher Verhältnisse des Wohnhauses - auch im Zusammenhang mit Garagen -" seien "keine anderen Abgrenzungskriterien aufgestellt" worden. Die Grenze bilde die "Außentüre" des Wohnhauses. In diesem Fall spielte es vom Sachverhalt her gesehen (der Kläger hatte nach Verlassen seiner Wohnung einen Weg zu einer in einem anderen Wohnhaus gelegenen Garage zurückzulegen, in der sein Kfz eingestellt war, und war im Stiegenhaus des "Garagenwohnhauses" gestürzt) keine wesentliche Rolle, ob der versicherte Weg an der Wohnungstür oder an der Wohnhaustür des Hauses, in dem seine Wohnung lag, begann, sodass die gegenständliche Frage in concreto offen blieb.

Der dieser höchstgerichtlichen Rechtsprechung zu Grunde liegende Sachverhalt bezog sich somit nicht auf einen Fall wie den vorliegenden, sodass er hier nicht unbesehen übernommen werden darf.

Der gegenständliche Sachverhalt zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass der Beschwerdeführer, der nach dem Akteninhalt nicht (Mit-)Eigentümer des gegenständlichen Hauses ist, als Bewohner einer Mietwohnung nicht jenen Einfluss auf die Ausgestaltung und den Zustand des allgemein zugänglichen Stiegenhauses, in dem seine Mietwohnung liegt, ausüben kann wie ein (Mit-)Eigentümer.

Der OGH sprach in ständiger Rechtsprechung aus (vgl. zB. das Urteil vom 3. April 2001, 10 Ob S 76/01a; in diesem Fall war die Außentür des Wohnhauses zugleich die Wohnungstür, sodass auch dieser Sachverhalt dem gegenständlichen nicht gleicht), dass der Versicherte innerhalb des Wohnhauses nicht den für einen Arbeitsweg typischen Gefahren ausgesetzt ist, gegen die er in der Unfallversicherung geschützt werden soll, sondern es gehen die Gefahren auf die Umstände des Privatbereichs zurück, die dem Versicherungsschutz im Allgemeinen nicht unterliegen. Hat aber ein Mieter einer Wohnung auf die Ausgestaltung und den Zustand eines (eingeschränkt) allgemein zugänglichen Stiegenhauses keinen oder nur geringen Einfluss, so kann auch nicht davon gesprochen werden, dass er im Stiegenhaus nicht zumindest teilweise (da die Gefahren des Straßenverkehrs hier noch nicht bestehen, wohl aber die typischen Weggefahren, die etwa auf einem baulichen oder von der Pflege her gesehen (zB. Nässe) bestehenden Mangel beruhen) den typischen Weggefahren ausgesetzt wäre.

Nicht zuletzt sind auch das Verlassen einer Wohnung durch deren Außentüre und die Eigentumsverhältnisse objektive Merkmale, die im Allgemeinen leicht feststellbar sind, sodass auch das auf die leichte Abgrenzbarkeit abgestellte Argument des OGH zu keiner anderen Betrachtungsweise führen kann.

Der angefochtene Bescheid erweist sich daher mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 16. Dezember 2008

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