VwGH 2007/13/0086

VwGH2007/13/008621.11.2007

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hargassner und die Hofräte Dr. Fuchs und Dr. Pelant als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lier, über die Beschwerde des PS in Wien, vertreten durch Dr. Lutz Moser, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Rögergasse 12/9, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom 27. Juni 2007, GZ. RV/1261-W/07, betreffend Nachsicht gemäß § 236 BAO, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §231;
BAO §235;
BAO §236 Abs1;
BAO §92;
VwRallg;
BAO §231;
BAO §235;
BAO §236 Abs1;
BAO §92;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Aus der Beschwerde und der ihr angeschlossenen Ablichtung des angefochtenen Bescheides ergibt sich folgender Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer hat einen Antrag gestellt, einen Abgabenbetrag in Höhe von 69.511,91 EUR, der aus einem Nachforderungsbetrag an Umsatz- und Einkommensteuer für die Jahre 1999 bis 2002 resultiere, gemäß § 236 BAO nachzusehen. Diesen Antrag habe der Beschwerdeführer nach den Ausführungen im angefochtenen Bescheid damit begründet, dass er für zwei Kinder sorgepflichtig sei und als Verkäufer monatlich 700 EUR netto verdiene. Er besitze weder Ersparnisse noch Vermögen und sei gesundheitlich schwer beeinträchtigt. Deshalb werde er voraussichtlich niemals die Möglichkeit haben, ein höheres als das derzeitige Einkommen zu erzielen. Es stehe daher "außer jedem Zweifel", dass er niemals in der Lage sein werde, den steuerlichen Nachforderungsbetrag zu bezahlen. Da er nur über das Existenzminimum verfüge, seien Einbringungsmaßnahmen offenkundig aussichtslos, sodass auch die Voraussetzungen einer amtswegigen Löschung der Abgabenschuld gemäß § 235 Abs. 1 BAO vorlägen. Darüber hinaus seien aber auch die Voraussetzungen einer Nachsicht nach § 236 Abs. 1 BAO erfüllt, wobei die persönliche Unbilligkeit darin liege, dass dem Beschwerdeführer die Bezahlung der steuerlichen Nachforderung wirtschaftlich unmöglich sei. Behördliche Einbringungsmaßnahmen, die erkennbar ohne jede Erfolgsaussicht seien, würden sich auch nur schädigend auf den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers auswirken. Sachliche Unbilligkeit liege ebenfalls vor, weil sich der Beschwerdeführer durch sein steuerunehrliches Verhalten "nicht im Mindesten bereichert habe".

Mit Bescheid vom 28. Februar 2007 wies das Finanzamt den Antrag auf Nachsicht im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass eine Abgabennachsicht zu keiner wesentlichen Veränderung der wirtschaftlichen Lage des Beschwerdeführers oder gar zu dessen Sanierung führen würde.

Der dagegen erhobenen Berufung gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid keine Folge. Zur Begründung führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe das Nachsichtsansuchen in der Hauptsache mit seinem schlechten Gesundheitszustand sowie mit seinem geringen Einkommen begründet. Es könne nicht in Abrede gestellt werden, dass die schlechte wirtschaftliche Lage des Beschwerdeführers durch seine Krankheiten zumindest mitverursacht sei. Eine Nachsicht nach § 236 BAO komme nach dem Wortlaut allerdings nur dann in Betracht, wenn eine Unbilligkeit der Abgabeneinhebung bestehe, somit die Voraussetzung gegeben sei, dass eine Einhebung der Abgabenschuldigkeiten prinzipiell möglich wäre. Bei Uneinbringlichkeit des Abgabenrückstandes liege auch nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine Unbilligkeit im Sinne des § 236 BAO nicht vor. Der Beschwerdeführer habe "selbst dargetan, dass sein Einkommen unter dem Existenzminimum liegt und er auch sonst über keinerlei Vermögen verfügt". Diesem Umstand habe das Finanzamt dahingehend Rechnung getragen, dass es einen Betrag von 68.594,78 EUR, bestehend aus aushaftenden Umsatzsteuernachforderungen der Jahre 1999 bis 2002 und Einkommensteuernachforderungen der Jahre 2000 und 2001 samt Nebengebühren, gemäß § 231 Abs. 1 BAO von der Einbringung ausgesetzt habe. Da es wegen der vom Beschwerdeführer zum Ausdruck gebrachten Uneinbringlichkeit der Abgabenschuldigkeiten und der verfügten Maßnahme gemäß § 231 BAO zu keinerlei Auswirkungen der Abgabeneinhebung auf die Einkommens- und Vermögenslage des Beschwerdeführers kommen könne, liege keine Unbilligkeit im Sinne des § 236 BAO vor. Ausführungen zum Vorbringen des Beschwerdeführers zur sachlichen Unbilligkeit seien bei dieser Sachlage entbehrlich. Der Vollständigkeit halber werde festgestellt, dass der bekämpfte Bescheid erster Instanz ausschließlich die Nachsicht gemäß § 236 BAO zum Gegenstand gehabt habe und im Übrigen auf eine Löschung von Abgabenschuldigkeiten nach § 235 BAO kein Rechtsanspruch bestehe.

In der Beschwerde erachtet sich der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in seinem Recht auf "rechtsrichtige Anwendung der §§ 235 Abs. 1, 236 Abs. 1 BAO und damit auf stattgebende Berufungsentscheidung, bzw. Nachsicht seiner Abgabenschuld von EUR 69.511,91" verletzt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Nach § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.

Die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nach der Lage des Falles ist dabei tatbestandsmäßige Voraussetzung für die in § 236 BAO vorgesehene Ermessensentscheidung. Verneint die Abgabenbehörde - wie im Beschwerdefall - die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung, so ist für eine Ermessensentscheidung kein Raum (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. Juli 1997, 95/13/0243, mwN., und vom 20. Jänner 2000, 95/15/0031).

Wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgeführt hat, liegt persönliche Unbilligkeit dann vor, wenn gerade die Einhebung der Abgaben die Existenz des Abgabepflichtigen oder seiner Familie gefährdet oder die Abstattung mit außergewöhnlichen Schwierigkeiten (so insbesondere einer Vermögensverschleuderung) verbunden wäre. Die deutlichste Form der persönlichen Unbilligkeit liegt in der Existenzgefährdung. Diese müsste gerade durch die Einhebung der Abgabe verursacht oder entscheidend ("auch") mitverursacht sein (vgl. das hg. Erkenntnis vom 9. Juli 1997, 95/13/0243, mwN). Eine Unbilligkeit ist dann nicht gegeben, wenn die finanzielle Situation eines Abgabenschuldners so schlecht ist, dass auch die Gewährung der beantragten Nachsicht an der Existenzgefährdung nichts ändert (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Mai 1995, 95/15/0053).

In der Beschwerde wird vorgebracht, der belangten Behörde sei in der rechtlichen Beurteilung insofern ein Irrtum unterlaufen, als eine Aussetzung der Abgabenschuld des Beschwerdeführers gemäß § 231 BAO tatsächlich nicht stattgefunden habe, eine solche zumindest mangels Zustellung eines "bezughabenden Bescheides" nicht rechtswirksam geworden sei. Zudem könne eine Aussetzung gemäß § 231 BAO als bloß temporäre Maßnahme "sehr wohl - entgegen der Rechtsansicht der belangten Behörde - Auswirkungen der Abgabeneinhebung auf die Einkommens- und Vermögenslage" des Beschwerdeführers nicht wirksam verhindern. "Rechtsrichtig" hätte daher wegen Vorliegens persönlicher und sachlicher Unbilligkeit der Abgabeneinhebung beim Beschwerdeführer der Berufung stattgegeben und die beantragte Abgabennachsicht bewilligt werden müssen.

Zunächst ist festzuhalten, dass der angefochtene Bescheid nur die Entscheidung über die Gewährung einer Nachsicht gemäß § 236 BAO zum Gegenstand hatte. Über ein Recht auf "rechtsrichtige Anwendung" des § 235 Abs. 1 BAO kann der Beschwerdeführer damit schon deshalb nicht verletzt sein. Im Übrigen besteht auf eine Löschung der fälligen Abgabenschuldigkeiten nach § 235 BAO ebenso kein Rechtsanspruch (vgl. Ritz, BAO3, § 235 Tz. 2, mwN) wie auf eine Aussetzung der Einbringung nach § 231 BAO, über die als rein behördeninterne Maßnahme auch kein Bescheid zu ergehen hat (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 31. März 2003, 97/14/0128, sowie Ritz, aaO, § 231 Tz. 3, mwN).

Die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid angenommene Uneinbringlichkeit der Abgabenschuld wird in der Beschwerde nicht bestritten (vielmehr in dem mit der Beschwerde verbundenen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ebenfalls darauf hingewiesen, dass eine Einbringlichkeit der verfahrensgegenständlichen Abgabenschuld nicht gegeben sei). Damit war aber im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine persönliche Unbilligkeit (Existenzgefährdung durch eine drohende Abgabeneinhebung) im Sinne des § 236 BAO gegeben, sodass nicht erkannt werden kann, dass die belangte Behörde die begehrte Nachsicht mit dem angefochtenen Bescheid, bei dem die Sachlage im Zeitpunkt der Bescheiderlassung zu berücksichtigen war (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 26. Juni 2007, 2006/13/0103), zu Unrecht verwehrt hätte (vgl. beispielsweise auch die hg. Erkenntnisse vom 22. September 2000, 95/15/0090, 10. Mai 2001, 2001/15/0033, und vom 26. Juni 2002, 98/13/0035).

Da bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die vom Beschwerdeführer behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 21. November 2007

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte