Normen
FrPolG 2005 §76 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der (infolge eigener Aussage vom 30. März 2004 und eines am 16. Februar 2006 ausgestellten Heimreisezertifikates nunmehr unstrittig) am 14. August 1985 geborene Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, reiste im Mai 2002 in das Bundesgebiet ein und beantragte hier am 21. Mai 2002 die Gewährung von Asyl. Das Bundesasylamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom 22. Juli 2003 ab und erklärte die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria für zulässig.
Der genannte Bescheid wurde am 22. Juli 2003 beim Bundesasylamt hinterlegt, weil aufrechte Meldungen des Beschwerdeführers im Bundesgebiet nur bis zum 15. Juli 2003 ersichtlich waren; eine Zustellung an einen Jugendwohlfahrtsträger ist nicht erfolgt. Am 22. März 2004 wurde dem Beschwerdeführer im Rahmen einer Akteneinsicht eine Kopie des genannten Bescheides ausgefolgt. Dabei wurde ihm - unter Mithilfe eines Dolmetschers - mitgeteilt, dass das Asylverfahren mit 6. August 2003 rechtskräftig negativ abgeschlossen worden sei. Der Beschwerdeführer brachte damals vor, beginnend mit Juli 2003 bei diversen Freunden in Wien gewohnt zu haben.
Am 8. April 2004 erhob der rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführer gegen den genannten Bescheid des Bundesasylamtes vom 22. Juli 2003 Berufung.
(Mit Bescheid vom 2. November 2006 wies der unabhängige Bundesasylsenat diese Berufung gemäß § 63 Abs. 5 AVG als unzulässig zurück. Die Hinterlegung des Bescheides beim Bundesasylamt sei unzulässig gewesen und habe keine wirksame Zustellung begründet, weil dem unbegleiteten Minderjährigen gemäß § 25 Abs. 2 AsylG 1997 idF vor der AsylG-Novelle 2003 wirksam durch Übermittlung einer Bescheidausfertigung an den zuständigen Jugendwohlfahrtsträger zugestellt hätte werden müssen. Auch die Kenntnisnahme eines Bescheides durch Akteneinsicht und Anfertigung einer Kopie - hier am 22. März 2004 - führe nicht zu einer Heilung des ursprünglichen Zustellmangels im Sinn des § 7 Zustellgesetz. Da der Bescheid vom 22. Juli 2003 somit noch nicht wirksam zugestellt worden sei, sei das Asylverfahren weiterhin in erster Instanz anhängig. Die Berufung, die sich gegen einen tatsächlich noch nicht wirksam erlassenen Bescheid richte, sei als unzulässig zurückzuweisen.
Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid vom 10. Dezember 2004 hatte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien gegen den Beschwerdeführer wegen der Begehung verschiedener Suchtmitteldelikte gemäß § 36 Abs. 1 und 2 Z. 1 des (bis zum 31. Dezember 2005 geltenden) Fremdengesetzes 1997 (FrG) ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot verhängt.
Mit - am selben Tag (nach Entlassung aus gerichtlich angeordneter Strafhaft) in Vollzug gesetztem - Bescheid vom 21. April 2006 verhängte der Magistrat der Stadt Krems an der Donau über den Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz - FPG die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung. Begründend wurde vor allem auf das genannte Aufenthaltsverbot, die fortdauernde Gefährlichkeit und das Fehlen einer Integration des Beschwerdeführers im Bundesgebiet verwiesen. Auf Grund des genannten Bescheides wurde der Beschwerdeführer bis zum 24. April 2006 in Schubhaft angehalten.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 29. September 2006 wies die belangte Behörde (unabhängiger Verwaltungssenat im Land Niederösterreich) eine vom Beschwerdeführer erhobene Schubhaftbeschwerde gemäß § 83 FPG ab.
Begründend wurde ausgeführt, der am 14. August 1985 geborene Beschwerdeführer sei zwar im Zeitpunkt der Hinterlegung "des negativen Asylbescheides" (am 22. Juli 2003) noch nicht volljährig gewesen, "allerdings schon bei dessen persönlicher Ausfolgung am 22.3.2004". Da gegen diesen Bescheid erst am 8. April 2004, also nach Ablauf der Rechtsmittelfrist, berufen worden sei, sei davon auszugehen, dass zum 31. Dezember 2005 kein Asylverfahren mehr anhängig und der Beschwerdeführer daher am 1. Jänner 2006 nicht mehr Asylwerber gewesen sei, sodass er nicht "unter die Übergangsbestimmungen im Fremdenrechtspaket 2005" falle. Daher bestehe ein rechtskräftiges Aufenthaltsverbot, auch seien die Bestimmungen über die Schubhaft anzuwenden.
Insbesondere wegen der strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers sei die Überwachung seiner Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit notwendig, es liege jedenfalls der Abschiebungsgrund des § 46 Abs. 1 FPG vor. Die Anwendung eines gelinderen Mittels nach § 77 Abs. 1 FPG scheide aus, weil der Beschwerdeführer, der fallweise gar nicht oder nur als "obdachlos" gemeldet gewesen und überdies mittellos sei, im Bundesgebiet weder beruflich noch sozial integriert sei.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Eingangs ist festzuhalten, dass - entgegen der von der belangten Behörde vertretenen Ansicht - auch die oben wiedergegebenen Vorgänge anlässlich der Akteneinsicht des (mittlerweile volljährigen) Beschwerdeführers am 22. März 2004 keine Heilung der ursprünglich (mangels Zustellung an den zuständigen Jugendwohlfahrtsträger) unwirksamen Zustellung des Bescheides des Bundesasylamtes vom 22. Juli 2003 bewirkt haben: Es entspricht nämlich ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass eine bloße Kenntnisnahme vom Inhalt eines Bescheides - etwa durch Akteneinsicht oder auch durch Ausfertigung einer Fotokopie - einem tatsächlichen Zukommen nach § 7 des Zustellgesetzes bei Mängeln der Zustellung nicht gleichzusetzen ist (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 7. Mai 1998, Zl. 96/20/0187, vom 30. September 1999, Zl. 99/02/0102, vom 27. Juni 2000, Zl. 99/11/0193, und vom 2. Oktober 2000, Zl. 98/18/0198, jeweils mwN). Demgemäß war - wie vom unabhängigen Bundesasylsenat richtig erkannt - das Asylverfahren des Beschwerdeführers am 31. Dezember 2005 noch anhängig.
Dieses anhängige Asylverfahren des Beschwerdeführers musste gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 und § 44 Abs. 1 AsylG 1997 idF der AsylG-Novelle 2003 nach den Bestimmungen des AsylG 1997 idF vor der letztgenannten Novelle zu Ende geführt werden (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 28. Juni 2007, Zl. 2006/21/0360, und vom 24. Oktober 2007, Zl. 2006/21/0069, mwN).
§ 21 Abs. 1 AsylG 1997 in der Stammfassung ordnet dazu
Folgendes an:
"Schutz vor Aufenthaltsbeendigung
§ 21. (1) Auf Asylwerber findet - soweit im Folgenden nicht anderes festgelegt wird - das Fremdengesetz insgesamt Anwendung, die §§ 33 Abs. 2, 36 Abs. 2 Z 7, 55 und 61 bis 63 FrG jedoch nicht auf Asylwerber mit vorläufiger Aufenthaltsberechtigung, sofern sie
1. den Antrag außerhalb einer Vorführung persönlich beim Bundesasylamt eingebracht haben;
2. den Antrag anlässlich der Grenzkontrolle oder anlässlich eines von ihnen sonst mit einer Sicherheitsbehörde oder einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes aufgenommenen Kontaktes gestellt haben."
Die in dieser Gesetzesstelle normierten Voraussetzungen für die grundsätzliche Anwendbarkeit der die Schubhaft ermöglichenden Bestimmung des an die Stelle des § 61 Abs. 1 FrG getretenen § 76 Abs. 1 FPG (vgl. § 124 Abs. 2 FPG) sind jedoch bislang ungeprüft geblieben.
Weiters ist darauf hinzuweisen, dass die Argumentation der belangten Behörde, bereits wegen der strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers sei die Überwachung seiner Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit notwendig, es liege jedenfalls der "Abschiebungsgrund des § 46 Abs. 1 FPG" vor, auch deshalb verfehlt ist, weil damit nur Grundlagen für die Notwendigkeit der Außerlandesschaffung des Beschwerdeführers, nicht aber das Erfordernis deren Absicherung durch seine Anhaltung in Haft angesprochen werden (vgl. zuletzt das hg. Erkenntnis vom 30. August 2007, Zl. 2006/21/0107, mwN).
Nach dem Gesagten ist der angefochtene Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 22. November 2007
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