VwGH 2006/21/0069

VwGH2006/21/006924.10.2007

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des G, vertreten durch Mag. Dr. Wolfgang Fromherz, Mag. Dr. Bernhard Glawitsch und Mag. Ulrike Neumüller-Keintzel, Rechtsanwälte in 4020 Linz, Graben 9, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 30. März 2006, Zl. Senat-FR-06-3017, betreffend Schubhaft, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §59 Abs1;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z4;
FrPolG 2005 §83 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AVG §59 Abs1;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z4;
FrPolG 2005 §83 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein russischer Staatsangehöriger, reiste am 19. September 2003 in das Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag die Gewährung von Asyl. Mit Bescheid vom 11. Oktober 2004 wies das Bundesasylamt diesen Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers (nach Russland) gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig. Außerdem traf das Bundesasylamt eine Ausweisungsentscheidung nach § 8 Abs. 2 AsylG. Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid fristgerecht Berufung, über die nach der Aktenlage noch nicht entschieden wurde.

Am 17. März 2006 begab sich der Beschwerdeführer in die Tschechische Republik und versuchte, von dort aus seine (im Einvernehmen mit ihm aus Russland angereiste) Ehefrau illegal in das österreichische Bundesgebiet zu bringen. Hievon wurden die österreichischen Behörden am Tag darauf verständigt.

Mit - nach seiner Rücküberstellung am selben Tag in Vollzug gesetztem - Bescheid vom 18. März 2006 ordnete die Bezirkshauptmannschaft Gmünd daraufhin gegen den Beschwerdeführer gemäß "§§ 76 Abs. 1 und 2, 76 Abs. 3, 113 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) in der geltenden Fassung" und § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft "zur Sicherung des Verfahrens:

Zurückschiebung/Abschiebung (Dublinbezug)" an.

In ihrer Begründung führte sie aus, der Beschwerdeführer sei am 17. März 2006 nach einem unbefugten Grenzübertritt von Österreich nach Tschechien von der tschechischen Polizei kontrolliert und festgenommen sowie am 18. März 2006 den Beamten der Grenzpolizeiinspektion Gmünd übergeben worden. Die Verhängung der Schubhaft sei erforderlich, weil "erfahrungsgemäß Fremde, gegen die ein fremdenpolizeiliches Verfahren anhängig (sei), trachten, sich diesem Verfahren zu entziehen". Hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der Anwendung des Sicherungsmittels der Schubhaft gegenüber allfälligen gelinderen Mitteln iSd § 77 FPG sei festzustellen, dass der Asylantrag in Österreich bereits im Jahr 2004 "negativ erledigt" und die Ausweisung verfügt worden sei. Nunmehr habe sich der Beschwerdeführer ungerechtfertigt aus Österreich entfernt und selbst eingeräumt, dass er seine Ehefrau illegal nach Österreich habe holen wollen. Die Behörde müsse daher annehmen, dass er versuchen wolle, sich dem Zugriff der Fremdenbehörde bzw. dem fremdenpolizeilichen Verfahren zu entziehen, sodass die Verhängung der Schubhaft erforderlich sei.

Gegen seine fortdauernde Anhaltung erhob der Beschwerdeführer am 27. und 29. März 2006 Schubhaftbeschwerde. Darin machte er (zusammengefasst) geltend, auf ihn sei das AsylG (1997) in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 101/2003 anzuwenden (§ 44 Abs. 1 AsylG). Die Voraussetzungen für die Teilanwendung des Asylgesetzes 2005 (§ 75 Abs. 1 leg. cit.) lägen nicht vor. § 76 Abs. 1 FPG sei somit gemäß § 1 Abs. 2 FPG auf ihn als Asylwerber nicht anwendbar. Auch komme eine Anwendung des § 76 Abs. 2 FPG nicht in Betracht, weil dieser nur für Asylwerber gelte, "die im Asylverfahren nach dem AsylG 2005 stehen". Im Übrigen wären auch inhaltlich die Voraussetzungen des § 76 Abs. 2 FPG nicht erfüllt, weil ein Dublin-Bezug im konkreten Zusammenhang lediglich nach Österreich gegeben sei, wo seit dem Jahr 2003 sein Asylverfahren anhängig sei. Hingegen bestehe kein Anhaltspunkt dafür, dass er in einen anderen Dublin-Staat ab- oder zurückzuschieben wäre. Es bestünde kein Sicherungszweck, die Voraussetzungen (insbesondere) des § 76 Abs. 2 Z. 4 FPG lägen nicht vor.

Selbst nach § 21 AsylG (1997) komme eine Haftverhängung nicht in Frage, weil auch durch diese Bestimmung die Anwendung des § 63 FrG (durch Verweis im § 124 Abs. 2 FPG nunmehr § 76 Abs. 1 FPG) ausgeschlossen und damit eine Haftverhängung unzulässig sei.

Sowohl nach alter als auch nach neuer Rechtslage wäre eine Haftverhängung nicht notwendig gewesen, weil sich der Beschwerdeführer rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe und keine Tatsachen dafür sprächen, dass er sich - zumal er in die Bundesbetreuung aufgenommen worden sei - dem Verfahren entziehen würde.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 30. März 2006 wies die belangte Behörde die Beschwerde gemäß § 83 FPG als unbegründet ab.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Zunächst ist anzumerken, dass der Ausspruch nach § 83 Abs. 4 FPG im Spruch des angefochtenen Bescheides und nicht nur in seiner Begründung vorzunehmen gewesen wäre.

Davon abgesehen ist darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer unbestritten und in Übereinstimmung mit der Aktenlage seinen Asylantrag bereits am 19. September 2003 gestellt hat. Sein anhängiges Asylverfahren musste daher gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 und § 44 Abs. 1 AsylG (1997) idF der Asylgesetz-Novelle 2003 nach den Bestimmungen des AsylG 1997 in der Fassung vor der letztgenannten Novelle zu Ende geführt werden. Die von der belangten Behörde ihrer Entscheidung (u.a.) zu Grunde gelegte und auf das AsylG 2005 Bezug nehmende Bestimmung des § 76 Abs. 2 FPG kann demnach nicht zum Tragen kommen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 25. April 2006, Zl. 2006/21/0039, und vom 28. Juni 2007, Zl. 2006/21/0382).

Die in der Sache auf die Bestimmung des § 76 Abs. 2 Z. 4 FPG abzielende Begründung der Bezirkshauptmannschaft Gmünd, die auch von der belangten Behörde nicht nachträglich "saniert" werden kann, ist überdies deshalb völlig verfehlt, weil nach dem eingangs wiedergegebenen unstrittigen Ablauf der Flucht des Beschwerdeführers vom unterstellten "Dublinbezug" im Sinn der Zuständigkeit eines anderen Staates zur Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz nicht die Rede sein kann.

Eine Verhängung von Schubhaft nach § 76 Abs. 1 FPG iVm § 21 Abs. 1 AsylG idF vor der Novelle 2003 (vgl. dazu allgemein das hg. Erkenntnis vom 28. Juni 2007, Zl. 2006/21/0360) kommt im vorliegenden Zusammenhang schon deshalb nicht in Betracht, weil der Beschwerdeführer nach der Aktenlage über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung verfügt und seinen Asylantrag initiativ gestellt hatte.

Nach dem Gesagten erweist sich der angefochtene Bescheide schon deshalb als verfehlt, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 24. Oktober 2007

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