Normen
AVG §17 Abs1;
AVG §56;
AVG §63 Abs1;
AVG §63 Abs5;
AVG §66 Abs4;
AVG §69 Abs1;
KFG 1967 §75 Abs2;
ZustG §2;
ZustG §7;
AVG §17 Abs1;
AVG §56;
AVG §63 Abs1;
AVG §63 Abs5;
AVG §66 Abs4;
AVG §69 Abs1;
KFG 1967 §75 Abs2;
ZustG §2;
ZustG §7;
Spruch:
1. Die oben unter 2. und 3. angeführten Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer diesbezüglich Aufwendungen in der Höhe von je S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
2. Die Beschwerden gegen die oben unter 1. und 4. genannten Bescheide werden als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- und S 4.188,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid vom 26. Februar 1997 forderte die Bezirkshauptmannschaft Baden (im Folgenden: Erstbehörde) den Beschwerdeführer gemäß § 75 Abs. 2 KFG 1967 auf, sich bis spätestens 20. März 1997 vom Amtsarzt der Erstbehörde untersuchen zu lassen. Die Erstbehörde ordnete die Zustellung dieses Bescheides durch öffentliche Bekanntmachung gemäß § 25 Zustellgesetz an. Der entsprechende Anschlag an der Amtstafel der Erstbehörde erfolgte am 28. Februar 1997.
Mit Bescheid vom 2. April 1997 entzog die Erstbehörde dem Beschwerdeführer die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen A, B, C, F und G gemäß § 75 Abs. 2 KFG 1967. Auch hinsichtlich dieses Bescheides ordnete die Erstbehörde die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung an. Der Anschlag an der Amtstafel der Erstbehörde erfolgte am 7. April 1997.
Am 20. Mai 1997 wurde dem Beschwerdeführer anlässlich einer Lenker- und Fahrzeugkontrolle aufgrund des Bescheides vom 2. April 1997 der Führerschein abgenommen.
Am 29. Dezember 1997 erschien der Beschwerdeführer bei der Erstbehörde und ersuchte um "Akteneinsicht bzw. Erstellung von Kopien". Für angefertigte Kopien aus dem Akt bezahlte er S 165,--.
Mit Schreiben vom 13. Jänner 1998 (bei der Erstbehörde eingelangt am 14. Jänner 1998) erhob der Beschwerdeführer Berufung gegen die Bescheide vom 26. Februar 1997 und vom 2. April 1997. Weiters beantragte er die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Abgabe einer Stellungnahme zum Ergebnis der Beweisaufnahme vom 28. Jänner 1997 und zur Erhebung von Berufungen gegen die Bescheide vom 26. Februar 1997 und vom 2. April 1997. Er machte u.a. geltend, dass die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung unzulässig gewesen sei, weil der Erstbehörde (in einem gegen ihn geführten Verwaltungsstrafverfahren) eine Abgabestelle an einer näher bezeichneten Wiener Adresse ohnedies bekannt gewesen sei. Er stelle die Wiedereinsetzungsanträge nur vorsichtshalber für den Fall, dass die Erstbehörde auf ihrer Auffassung beharren sollte, dass die Zustellungen durch öffentliche Bekanntmachung rechtswirksam gewesen seien. "Zur besonderen Vorsicht" beantrage er auch die Wiederaufnahme des mit Entziehungsbescheid vom 2. April 1997 abgeschlossenen Verfahrens.
Mit Schriftsätzen vom 21. April 1998, 22. Mai 1998 und 19. Juni 1998 stellte der Beschwerdeführer weitere Anträge auf Wiederaufnahme des mit Entziehungsbescheid vom 2. April 1997 abgeschlossenen Verfahrens.
Diese drei Anträge wies die Erstbehörde mit Bescheid vom 30. September 1998 als unzulässig zurück. Sie führte begründend aus, der Beschwerdeführer habe mit Schreiben vom 13. Jänner 1998 u. a. Berufung gegen den Entziehungsbescheid vom 2. April 1997 erhoben, über die noch nicht entschieden worden sei. Die Rechtskraft des Bescheides, mit dem das Verfahren abgeschlossen wurde, sei eine der Voraussetzungen für die Wiederaufnahme. Da das vom Beschwerdeführer initierte Berufungsverfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen worden sei, seien die Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens zurückzuweisen.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 21. Oktober 1998 Berufung, in der er darauf hinwies, dass die Wiederaufnahmsanträge nur für den Fall gestellt worden seien, dass die Entziehungsbehörde ihre Auffassung weiter vertrete, das Entziehungsverfahren sei durch Zustellung des Bescheides vom 2. April 1997 im Wege der öffentlichen Bekanntmachung rechtskräftig abgeschlossen. Er beantrage die Aussetzung des Berufungsverfahrens bis zur Entscheidung über seine Berufungen gegen die Bescheide vom 26. Februar 1997 und 2. April 1997, weil erst dann feststehe, ob das Entziehungsverfahren bereits rechtskräftig abgeschlossen worden sei.
Mit Bescheid vom 11. Dezember 1998 gab die belangte Behörde dieser Berufung keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid vom 30. September 1998. In der Begründung ihres Bescheides führt die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer bestreite nicht, gegen die Bescheide der Erstbehörde vom 26. Februar 1997 und vom 2. April 1997 Berufung erhoben zu haben, über die noch nicht entschieden worden sei. Da der Bescheid der Behörde erster Instanz noch nicht rechtskräftig gewesen sei, sei die Wiederaufnahme unzulässig. Der Beschwerdeführer habe seine Interessen im Zuge des noch anhängigen Berufungsverfahrens wahrzunehmen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die zur hg. Zl. 99/11/0193 protokollierte Beschwerde.
Mit Bescheid vom 15. Juni 1999 wies die Erstbehörde die (im Schriftsatz vom 13. Jänner 1998 enthaltenen) Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Abgabe einer Stellungnahme zum Ergebnis der Beweisaufnahme vom 28. Jänner 1997 sowie zur Erhebung der Berufung gegen den Entziehungsbescheid vom 2. April 1997 als verspätet zurück. In der Begründung führte die Erstbehörde dazu aus, der Beschwerdeführer habe am 29. Dezember 1997 Akteneinsicht genommen, sodass er an diesem Tag über den Akteninhalt informiert gewesen sei. Die Frist von zwei Wochen (§ 71 Abs. 2 AVG) sei am 12. Jänner 1998 abgelaufen. Die mit Schreiben vom 13. Jänner 1998 gestellten Anträge seien daher verspätet.
Dagegen erhob der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 16. Juli 1999 Berufung, in der er u.a. ausführte, er habe die Aktenkopie erst am 30. Dezember 1997 lesen können.
Mit (zwei) Bescheiden vom 5. Juli 1999 wies die belangte Behörde die (im Schriftsatz vom 13. Jänner 1997 enthaltenen) Berufungen des Beschwerdeführers gegen die erstinstanzlichen Bescheide vom 26. Februar 1997 und 2. April 1997 als verspätet zurück. Sie führte in diesen Bescheiden begründend im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe am 29. Dezember 1997 bei der Erstbehörde Akteneinsicht genommen und sich eine Aktenkopie anfertigen lassen, worunter sich auch Kopien der Bescheide vom 26. Februar 1997 und 2. April 1997 befunden hätten. Die Zustellung dieser Bescheide durch öffentliche Bekanntmachung sei unwirksam gewesen, weil die Erstbehörde nicht alle ihr zu Gebote stehenden Mittel für die Ermittlung der Abgabestelle des Beschwerdeführers ausgeschöpft habe. Dieser Zustellmangel sei aber gemäß § 7 Zustellgesetz geheilt, und zwar durch die am 29. Dezember 1997 im Rahmen der Akteneinsicht erfolgte Übergabe der Aktenkopie einschließlich der Kopien der Bescheide. Die beiden Bescheide gälten daher als am 29. Dezember 1997 zugestellt, weshalb die mit Schreiben vom 13. Jänner 1998 erhobenen Berufungen verspätet seien.
Mit Bescheid vom 19. August 1999 gab die belangte Behörde der Berufung gegen den Bescheid der Erstbehörde vom 15. Juni 1999 keine Folge und bestätigte diesen Bescheid. In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dem Beschwerdeführer sei bei seiner Vorsprache am 29. Dezember 1997 eine Aktenkopie inklusive der Bescheide übergeben worden. Dabei sei er darauf hingewiesen worden, dass er bezüglich der Entziehungszeit aufpassen müsse, dass er nicht über die 18 Monate komme. "Die Kenntnisnahme des gegenständlichen kraftfahrrechtlichen Verfahrensaktes" durch den Beschwerdeführer sei bereits am 29. Dezember 1997 und nicht erst, wie vom Beschwerdeführer behauptet, am 30. Dezember 1997 an seinem Urlaubsort erfolgt. Die Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrages sei daher am 12. Jänner 1998 abgelaufen. Die mit Schreiben vom 13. Jänner 1998 gestellten Wiedereinsetzungsanträge seien daher verspätet.
Gegen die zwei Bescheide vom 5. Juli 1999 und den Bescheid vom 19. August 1999 richtet sich die zu den hg. Zlen. 99/11/0311 bis 0313 protokollierte Beschwerde.
Die belangte Behörde hat zu den Beschwerden jeweils Kopien der Verwaltungsakten vorgelegt und beantragt in ihren Gegenschriften die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beschwerden wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und darüber erwogen:
Vorweg ist festzuhalten, dass die belangte Behörde in der Begründung ihrer Bescheide vom 5. Juli 1999 die Zustellungen durch öffentliche Bekanntmachung (infolge des Fehlens von Versuchen der Erstbehörde, die Abgabestelle zu ermitteln) ausdrücklich als unzulässig bezeichnet hat. Diese Beurteilung entspricht der Aktenlage und wird vom Verwaltungsgerichtshof geteilt.
Es ist daher zu prüfen, ob die mangelhaften Zustellungen - wie die belangte Behörde meint - durch tatsächliches Zukommen im Sinne des § 7 Zustellgesetz als geheilt anzusehen sind.
Unterlaufen bei der Zustellung Mängel, so gilt sie gemäß § 7 Zustellgesetz als in dem Zeitpunkt vollzogen, in dem das Schriftstück der Person, für die es bestimmt ist (Empfänger), tatsächlich zugekommen ist.
In den vorliegenden Beschwerdeverfahren ist nicht strittig, dass dem Beschwerdeführer die für ihn bestimmten Bescheidausfertigungen nicht ausgehändigt wurden, sondern bloß eine Kopie des Akteninhaltes, in dem sich auch Kopien der Bescheide befunden haben. Die bloße Kenntnisnahme von einem Bescheid durch Akteneinsicht ist kein tatsächliches Zukommen im Sinne des § 7 Zustellgesetz (siehe dazu die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998), unter E. Nr. 34 zu § 7 Zustellgesetz zitierte hg. Rechtsprechung). Dies gilt auch für die anlässlich einer Akteneinsicht angefertigte Aktenkopie, in der sich auch eine Kopie des Bescheides befindet. Die Anfertigung einer Aktenkopie dient letztlich der Beschleunigung der Akteneinsicht, weil die Partei dadurch nicht gezwungen ist, den Akteninhalt abzuschreiben, und nicht der Heilung aller Zustellmängel in Ansehung der im Akt befindlichen Schriftstücke. Sie ersetzt demnach nicht das durch die Ausfolgung bewirkte tatsächliche Zukommen des für den Empfänger bestimmten Schriftstückes im Sinne des § 7 Zustellgesetz.
Daraus folgt, dass eine Heilung der Zustellmängel nicht erfolgt ist und die erstinstanzlichen Bescheide vom 26. Februar 1997 und 2. April 1997 bisher nicht wirksam erlassen worden sind. Das Fehlen eines anfechtbaren Bescheides hat zwar ebenso wie die Verspätung der Berufung deren Zurückweisung zur Folge, doch wird der Besitzer einer Lenkerberechtigung in seinen Rechten verletzt, wenn die mangels Vorliegens eines anfechtbaren Bescheides zurückzuweisende Berufung als verspätet zurückgewiesen wird. Die Wirkungen der Zurückweisung der Berufung wegen Nichterlassung des Bescheides sind nämlich für den Besitzer einer Lenkerberechtigung völlig unterschiedlich von denen der Zurückweisung der Berufung als verspätet. Im ersten Fall stünde fest, dass der Betreffende weiterhin im Besitz der Lenkerberechtigung ist, während im zweiten Fall von der rechtskräftigen Entziehung der Lenkerberechtigung auszugehen ist (siehe dazu die hg. Erkenntnisse vom 26. Juni 1990, Zl. 90/11/0042, und vom 28. November 1996, Zl. 96/11/0143). Aus diesen Gründen waren die im Spruch unter 2. und 3. genannten Bescheide gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben. Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass im Falle der Fortsetzung des Verfahrens zu prüfen sein wird, ob die Erstbehörde für das Verfahren zur Entziehung der Lenkerberechtigung des Beschwerdeführers örtlich zuständig ist, zumal sich für die Annahme, der Beschwerdeführer habe im örtlichen Wirkungsbereich der Erstbehörde seinen Hauptwohnsitz, nach der Aktenlage keine ausreichenden Anhaltspunkte bieten.
Da nach dem Gesagten mangels wirksamer Zustellung die Fristen, gegen deren Versäumung der Beschwerdeführer Wiedereinsetzung begehrt hat, gar nicht zu laufen begonnen haben, war sein Wiedereinsetzungsantrag jedenfalls zurückzuweisen. Die Begründung der belangten Behörde, der Wiedereinsetzungsantrag sei verspätet erhoben worden, erweist sich zwar auch hier als verfehlt, doch hat dies - im Gegensatz zur Zurückweisung der Berufung gegen den Aufforderungs- und den Entziehungsbescheid - keinerlei Auswirkungen auf die materiell-rechtliche Position des Beschwerdeführers, der nach dem oben Gesagten weiterhin im Besitz der Lenkerberechtigung ist (und gegen den auch kein Aufforderungsbescheid erlassen wurde). Der Beschwerdeführer wurde daher durch den im Spruch unter 4. genannten Bescheid nicht in Rechten verletzt, weshalb seine Beschwerde gegen diesen Bescheid gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.
Mit dem im Spruch unter 1. genannten Bescheid wurden Anträge auf Wiederaufnahme des mit Bescheid vom 2. April 1997 abgeschlossenen (Entziehungs-)Verfahrens mit der Begründung zurückgewiesen, das Verfahren über die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid vom 2. April 1997 sei noch nicht rechtskräftig abgeschlossen. Diese Begründung ist zwar verfehlt, wenn man die von der belangten Behörde (bereits im Schreiben vom 23. Juni 1998) vertretene Auffassung zugrunde legte, die Berufung gegen den Bescheid vom 2. April 1999 sei verspätet erhoben worden. In diesem Falle wäre nämlich ein Rechtsmittel gegen den Bescheid vom 2. April 1997 nicht mehr zulässig gewesen. Ein unzulässiges oder verspätetes Rechtsmittel gegen einen Bescheid macht aber einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 69 Abs. 1 nicht unzulässig. Der Hinweis der belangten Behörde in ihrem Bescheid vom 11. Dezember 1998, der Beschwerdeführer habe seine rechtlichen Interessen im Zuge des anhängigen Berufungsverfahrens wahrzunehmen, ist im Falle einer verspäteten Berufung verfehlt, weil es in einem solchen Fall nicht zu einer Sachentscheidung kommt.
Die Zurückweisung der Wiederaufnahmsanträge erweist sich aber im Ergebnis als berechtigt, weil - wie oben dargelegt wurde - der Entziehungsbescheid vom 2. April 1997 nicht erlassen wurde. Damit liegt kein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren im Sinne des § 69 Abs. 1 AVG vor, das wieder aufgenommen werden könnte. Die Beschwerde gegen den unter 1. genannten Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere § 52 Abs. 1, VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren der belangten Behörde an Ersatz für Vorlageaufwand war abzuweisen, weil der im Verfahren Zlen. 99/11/0311 bis 0313 entstandene Vorlageaufwand von S 565,-- entsprechend aufzuteilen war, sodass der zur Zl. 99/11/0313 obsiegenden belangten Behörde nur ein Drittel des Vorlageaufwandes zuzusprechen war.
Wien, am 27. Juni 2000
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