VwGH 2002/21/0056

VwGH2002/21/005615.3.2005

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerde des K, vertreten durch Mag. Wolfgang Paar, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Kaiserfeldgasse 29/II, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 13. Dezember 2001, Zl. Fr 26/1998, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art130 Abs2;
FrG 1997 §33 Abs1;
FrG 1997 §37 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs2;
FrG 1997 §75 Abs1;
EMRK Art3;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;
B-VG Art130 Abs2;
FrG 1997 §33 Abs1;
FrG 1997 §37 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs2;
FrG 1997 §75 Abs1;
EMRK Art3;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer, einen nigerianischen Staatsangehörigen, gemäß den §§ 31, 33 Abs. 1 und 37 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, aus dem Bundesgebiet aus.

Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus: Der Beschwerdeführer sei nach seinen Angaben am 24. Juli 1996 illegal nach Österreich gelangt. Sein Asylantrag vom 30. Juli 1996 sei letztinstanzlich mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 17. Juni 1999 abgewiesen worden. Der Verwaltungsgerichtshof habe die Behandlung der dagegen gerichteten Beschwerde mit Beschluss vom 19. April 2001 abgelehnt. Seit rechtskräftig negativem Abschluss des Asylverfahrens halte sich der Beschwerdeführer unrechtmäßig im Bundesgebiet auf. Der Anwendung des § 33 Abs. 1 FrG stehe daher kein rechtliches Hindernis entgegen.

Der Beschwerdeführer habe in Österreich keine nahen Verwandten. Weiters sei er als vollkommen mittellos anzusehen, nachdem er bereits seit Jahren eine Sozialhilfeunterstützung erhalte. Sein Zusatzeinkommen als Prospektverteiler könne nicht als geregeltes Einkommen berücksichtigt werden. Zum Umstand, dass der Beschwerdeführer seit 1997 wegen einer HIV-Infektion in ständiger Betreuung stehe und eine Dreierkombination von antiretroviralen Medikamenten und laufende Kontrollen des Immunsystems benötige, sei auszuführen, dass mit der Ausweisung kein Ausspruch darüber verbunden sei, dass der Beschwerdeführer in ein bestimmtes Land auszureisen habe oder dass er abgeschoben werde.

Zur Behandlungsmöglichkeit in Nigeria habe die Österreichische Botschaft in Lagos erhoben, dass die medizinische Betreuung von HIV-Patienten grundsätzlich in Nigeria möglich sei und jede Person freien Zugang zu staatlichen oder privaten Kliniken, Spitälern und Arztpraxen habe. Die Behandlung in staatlichen Spitälern sei vergleichsweise billiger als die bessere Behandlung in privaten Kliniken. Behandlungskosten seien jedenfalls von den Patienten zu ersetzen. Patienten müssten (derzeit monatlich) umgerechnet ca. DM 800,-- bis DM 1.000,-- zur HIV-Behandlung aufwenden. Wegen der großen Anzahl von HIVinfizierten Patienten in Nigeria könne in Bälde mit einer deutlichen Senkung der Marktpreise für diese Medikamente durch größere Importe gerechnet werden. Die Behandlungskosten dürften demnach in etwa US-$ 350,-- pro Jahr und Patient betragen. Die Organisation "Ärzte ohne Grenzen" und andere NGO kümmerten sich um HIV-Patienten. Die medizinische Versorgung in Nigeria sei mit Ausnahme weniger, entfernter und ländlicher Gebiete flächendeckend gewährleistet.

Der Beschwerdeführer habe sich anlässlich eines Direktflugs von Graz nach Frankfurt mit einem fremden - nicht für ihn ausgestellten - österreichischen Reisepass ausgewiesen. Er habe versucht, mit diesem Reisepass nach Montreal zu gelangen. Weiters sei der Beschwerdeführer wegen des Verdachts des Vergehens der Veruntreuung angezeigt worden.

Unter Berücksichtigung dieses Sachverhaltes gelangte die belangte Behörde zur Ansicht, dass die Ausweisung des Beschwerdeführers nach § 37 Abs. 1 FrG dringend geboten sei und sie erachtete sich außer Stande, von dem ihr eingeräumten Ermessen zur Abstandnahme von der Erlassung einer Ausweisung Gebrauch zu machen. Ein Feststellungsverfahren nach § 75 FrG sei anhängig; bis zur rechtskräftigen Entscheidung über diesen Antrag dürfe der Beschwerdeführer nicht in den von ihm bezeichneten Staat abgeschoben werden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Die Beschwerde bestreitet nicht, dass sich der Beschwerdeführer seit rechtskräftiger Beendigung seines Asylverfahrens unrechtmäßig in Österreich aufhalte, weshalb der Tatbestand des § 33 Abs. 1 VwGG erfüllt ist.

Entgegen der Beschwerdeansicht liegt eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht darin, dass zwar eine Ausweisung verfügt worden sei, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers auf Feststellung der Unzulässigkeit seiner Abschiebung in die Bundesrepublik Nigeria eine Abschiebung in diesen Staat aber nicht vorgenommen werden dürfe. Es besteht nämlich keine gesetzliche Verpflichtung, mit der Ausweisung bis zur rechtskräftigen Beendigung eines Verfahrens nach § 75 FrG zuzuwarten.

Bei der Prüfung, ob die Ausweisung nach § 37 Abs. 1 FrG dringend geboten sei, berücksichtigte die belangte Behörde - abgesehen von der HIV-Infektion des Beschwerdeführers - dessen Mittellosigkeit und das Fehlen von Familienangehörigen im Inland. Da dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. für viele etwa das hg. Erkenntnis vom 25. April 2003, Zl. 2003/21/0035), wäre unter Bedachtnahme auf das Fehlen familiärer Bindungen des Beschwerdeführers in Österreich und das Fehlen einer nennenswerten beruflichen Integration die Ansicht der belangten Behörde nicht als rechtswidrig zu beanstanden, dass die Ausweisung dringend geboten sei.

Entscheidend ist aber, ob mit dem mit dem angeordneten Verlassen des Bundesgebietes verbundenen Absetzen der medizinischen Behandlung des HIV-infizierten Beschwerdeführers in Österreich derart stark in seine privaten Interessen an einem Verbleib in Österreich eingegriffen wird, dass diese Maßnahme nicht mehr als dringend geboten im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG gewertet werden dürfte oder die Behörde im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung von der Ausweisung absehen müsste (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. Jänner 2003, Zl. 2000/21/0059).

Diesbezüglich hat sich die belangte Behörde vorliegend auf die Prüfung der Lage in Nigeria beschränkt und nicht festgestellt, dass die notwendige medizinische Behandlung konkret für den Beschwerdeführer auch woanders als in Österreich und Nigeria möglich wäre (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 19. Mai 2000, Zlen. 98/21/0283, 0284).

Bezogen auf eine Behandlungsmöglichkeit für HIV-Patienten in Nigeria gleicht der vorliegende Fall jenem, der dem hg. Erkenntnis vom 23. September 2004, Zl. 2001/21/0137, zu Grunde lag. Auch dort hat sich die belangte Behörde auf den Bericht der Österreichischen Botschaft in Lagos vom 3. Juni 2001 gestützt und ebenso wie in jenem Verfahren geht die belangte Behörde auch hier (lediglich) von der Möglichkeit aus, dass die Behandlungskosten gesenkt werden könnten, nahm dies jedoch nicht als sicher an. Ebenso wie dort wäre auch hier zu klären, mit welcher Wahrscheinlichkeit bei Absetzen der Therapie mit dem Wiederanstieg der Virusbelastung zu rechnen wäre und welche Auswirkungen physischer und psychischer Art auf den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers damit verbunden wären. Unter Darstellung der maßgebenden persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers (insbesondere zu seinen finanziellen Möglichkeiten und zum familiären und sonstigen sozialen Umfeld) wäre allenfalls weiter zu prüfen gewesen, ob ihm der Zugang zu notwendigen medizinischen Behandlungen nicht nur grundsätzlich, sondern auch tatsächlich angesichts deren konkreter Kosten und der Erreichbarkeit ärztlicher Hilfsorganisationen möglich wäre.

Da nach dem Gesagten ausreichende Feststellungen über die Eingriffsintensität der verfügten Ausweisung in Bezug auf die Krankheit des Beschwerdeführers fehlen, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 15. März 2005

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