VwGH 2004/01/0494

VwGH2004/01/049428.1.2005

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde des N in R, geboren 1984, vertreten durch Dr. Wolfgang Aigner, Rechtsanwalt in 4910 Ried im Innkreis, Gartenstraße 38, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 2. August 2004, Zl. 246.005/0- XIV/08/04, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §28;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FrG 1997 §57 Abs1;
AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §28;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FrG 1997 §57 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, seinen Angaben zufolge ein Staatsangehöriger von Nigeria und am 9. September 2002 in das Bundesgebiet eingereist, beantragte die Gewährung von Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 11. Oktober 2002 brachte er vor, als Findelkind in U (Anambra State) von einem "Schreinspriester" aufgezogen worden zu sein. Nach dem Tod seines Ziehvaters hätte er, damals etwa 17 Jahre alt, dessen Platz einnehmen sollen. Die dafür vorgesehenen Prüfungen habe er (Beschwerdeführer) nicht geschafft, trotzdem würde ihn "der Schrein ... zwingen". Der Beschwerdeführer fuhr wörtlich fort:

"Ich ging zu einem Priester, der gesagt hatte, ich könne ihn fragen, wenn ich Probleme habe. In dem Moment, wo ich bei dem Priester, Reverend Dr. U, war und ihm alles erzählen wollte, konnte ich plötzlich nicht mehr sprechen und wurde krank.

Der Priester brachte mir bei, wie man den Rosenkranz betet. Er erzählte mir auch, dass Gott ihm mitgeteilt hätte, dass er nicht wolle, dass ich diesem Schrein diene. Gott hätte dem Priester gesagt, ich dürfe sieben Tage lang nichts essen, wenn mir geholfen werden sollte. Ich versuchte es. Aber nach drei Tagen konnte ich nicht mehr. Ein anderer Priester kam und brachte mich aus dem Dorf hinaus, nach B, dort schaffte ich es dann, sieben Tage lang zu fasten. Danach konnte ich wieder sprechen.

Dieser Priester kannte auch einen weißen Mann, der mich dann auf das Schiff brachte."

Auf die Frage, was ihm (Beschwerdeführer) im Falle einer Rückkehr nach Nigeria passieren könne, antwortete der Beschwerdeführer:

"Wenn ich dem Schrein dienen würde, müsste ich die Rituale vollführen und würde dann so werden wie O (Ziehvater). Wenn ich ihm nicht dienen wollte, würde der Schrein mich vernichten. Ich würde krank werden, könnte nicht mehr sprechen ... der Schrein würde mit mir machen, was er wolle."

Bei einer weiteren erstinstanzlichen Einvernahme am 12. Oktober 2003 gab der Beschwerdeführer befragt nach persönlicher Verfolgung an, dass er "ein Problem mit den Dorfbewohnern" gehabt hätte, "wegen dem Schrein". Die Dorfältesten hätten den Schrein konsultiert und dieser habe "gesagt", dass der Beschwerdeführer der Nachfolger werden müsse; er sei jede Woche einmal krank geworden. Im Fall seiner Rückkehr nach Nigeria befürchte er, dass ihn "der Schrein ... überkommen" würde; er würde den Rest seines Lebens von Menschenblut leben müssen.

Mit Bescheid vom 12. Dezember 2003 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und stellte fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria gemäß § 8 AsylG zulässig sei. Es stellte fest, dass der Beschwerdeführer christlichen Glaubens und der Volksgruppe der Ibo zugehörig sei. Was die von ihm als Fluchtgrund geltend gemachte Furcht vor Übergriffen auf seine Person durch einen "Schrein" anlange, so sei dies als Aberglaube einzustufen; die Furcht des Beschwerdeführers sei weder mit den allgemein geltenden Denkgesetzen noch mit den Naturgesetzen erklärbar. Legte man - so das Bundesasylamt weiter - das Vorbringen dem Verfahren "als zu beurteilender Sachverhalt" zu Grunde, so ergäbe sich, dass die geäußerten Befürchtungen und Beschränkungen nicht zur Asylgewährung führen könnten; die Furcht des Beschwerdeführers vor einem "Schrein" sei nämlich objektiv nicht begründ- und nachvollziehbar und erfülle somit nicht das Kriterium einer wohlbegründeten Furcht vor Verfolgung aus den im Asylgesetz genannten Gründen. Es komme somit weder die Zuerkennung von Asyl noch die Gewährung von Refoulement-Schutz in Betracht.

Die dagegen erhobene Berufung wies die belangte Behörde mit Bescheid vom 2. August 2004 gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt I.); weiters stellte sie "gemäß § 8 Abs. 1 AsylG idF BGBl. I Nr. 101/2003" fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt II.). Begründend führte die belangte Behörde nach Wiedergabe der maßgeblichen Gesetzesbestimmungen und dazu entwickelter abstrakter Rechtssätze aus, das Bundesasylamt habe ein mängelfreies Ermittlungsverfahren durchgeführt und in seinem Bescheid die Ergebnisse dieses Verfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgeblichen Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst. Es sei auf Grund schlüssiger Beweiswürdigung zum Ergebnis gelangt, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers "unglaubwürdig und weder asyl- noch refoulementschutzrelevant" sei. In der Berufung werde nicht einmal ansatzweise dargetan, warum entgegen der Argumentation im erstinstanzlichen Bescheid eine Verfolgung des Beschwerdeführers glaubhaft sein sollte. Die belangte Behörde schließe sich daher den nicht zu beanstandenden Ausführungen des Bundesasylamtes im angefochtenen Bescheid an und erhebe sie zum Inhalt ihres Bescheides. Weder könne angenommen werden, dass es dem Beschwerdeführer gelungen sei, wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus Gründen der FlKonv glaubhaft zu machen, noch sei anzunehmen, dass er nach einer Rückkehr nach Nigeria einer Bedrohungssituation im Sinne des § 57 FrG ausgesetzt wäre. Die Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung habe gemäß Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG unterbleiben können.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die belangte Behörde verwies auf den erstinstanzlichen Bescheid und hielt ua. fest, das Bundesasylamt sei auf Grund schlüssiger Beweiswürdigung zum Ergebnis gelangt, das Vorbringen des Beschwerdeführers sei unglaubwürdig. Dass das Bundesasylamt dem Beschwerdeführer insgesamt die Glaubwürdigkeit abgesprochen habe, lässt sich seinem Bescheid bei näherer Betrachtung allerdings nicht entnehmen. Es führte lediglich aus, dass die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Furcht vor Übergriffen durch "einen Schrein" als Aberglaube einzustufen sei und dass diese Furcht weder mit den allgemein geltenden Denkgesetzen noch mit den Naturgesetzen erklärt werden könne. Im selben Sinn wird im Rahmen der rechtlichen Erwägungen dargelegt, dass die Furcht vor "einem Schrein" objektiv nicht begründ- und nachvollziehbar sei. Der erstinstanzliche Bescheid lässt hingegen nicht erkennen, dass dem Beschwerdeführer auch darin nicht geglaubt werde, dass er von einem "Schreinspriester" aufgezogen worden sei, dessen Nachfolge er - über Aufforderung des Dorfältesten - hätte antreten müssen, dass er (in diesem Zusammenhang) "jede Woche einmal krank" geworden sei und dass er sich nunmehr vor "dem Schrein" tatsächlich fürchte. Im Ergebnis ist damit davon auszugehen, dass das Bundesasylamt dem Beschwerdeführer subjektive Aussageehrlichkeit zubilligte, das von ihm Befürchtete jedoch als mit den Naturgesetzen nicht in Einklang stehend als nicht nachvollziehbar erachtete. Diese Betrachtungsweise greift freilich, wie zuletzt im hg. Erkenntnis vom 25. März 2003, Zl. 2001/01/0509, dargelegt, zu kurz. Aus den im genannten, zu § 6 Z 3 AsylG (in der Fassung vor der AsylG-Novelle 2003) ergangenen Erkenntnis angestellten Überlegungen, die auch außerhalb der Erwägungen zum "Offensichtlichkeitskalkül" tragen und auf die daher gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, hätte sich das Bundesasylamt vielmehr in einem solchen Fall bei Beschäftigung mit der Fluchtgeschichte des Beschwerdeführers auch allgemein mit dem in Nigeria gepflogenen Schreinswesen" (die Anbetung eines "Schreins" oder die Nachfolge zum Priester eines "Schreins" werden etwa im ACCORD Länderbericht für Nigeria vom August 2004 auf Seiten 67 und 68 erwähnt) auseinander setzen und die dabei gewonnenen Ergebnisse in die Bewertung miteinbeziehen müssen (zu vergleichbaren Ermittlungspflichten der Asylbehörden siehe etwa das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 2. Oktober 2001, B 2136/00). Dabei wäre insbesondere zu beachten gewesen, dass es nicht auf die persönlichen Überzeugungen des Beschwerdeführers hinsichtlich der Ursachen von Beeinträchtigungen von Leib und Leben ankommt, sondern darauf, ob über derartige Beeinträchtigungen für den Fall der Verweigerung der Priesternachfolge tatsächlich berichtet wird (zu Gift als möglichem naturwissenschaftlichen Hintergrund im ähnlichen Zusammenhang vgl. etwa den schon zitierten Länderbericht, Seite 60). Ohne entsprechende Erhebungen durfte das Bundesasylamt demnach nicht ohne Weiteres mit dem bloßen Verweis auf Aberglauben bzw. mangelnde Nachvollziehbarkeit der Behauptungen des Beschwerdeführers - unter gleichzeitiger Annahme subjektiver Aussageehrlichkeit - das Auslangen finden. Diese Rechtswidrigkeit schlägt auf den im Wesentlichen lediglich verweisenden, nicht auf einer eigenständigen Auseinandersetzung mit dem vorgetragenen Sachverhalt beruhenden Bescheid der belangten Behörde durch, weshalb er - neben dem Vorliegen einer nach § 57 Abs. 1 FrG maßgeblichen Bedrohungssituation kann entgegen der ergänzend geäußerten Ansicht der belangten Behörde das Vorhandensein eines Konventionsgrundes nicht von vornherein ausgeschlossen werden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 24. April 2003, Zl. 2000/20/0326) - zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 28. Jänner 2005

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