Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, seinen Angaben zufolge ein Staatsangehöriger von Nigeria und am 28. Mai 2001 in das Bundesgebiet eingereist, beantragte die Gewährung von Asyl. Diesen Asylantrag begründete er damit, dass er befürchte, vom "Chief-Priest of Akokwa" getötet zu werden. Dazu führte er im Wesentlichen aus, dass sein Vater die Krone von Akokwa hätte übernehmen sollen; infolge seiner Weigerung sei er am 26. oder 27. Februar 2001 getötet worden; in der Folge sei auch der ältere Bruder des Beschwerdeführers getötet worden, weil er sich gleichfalls geweigert habe, die Krone zu übernehmen; nun wäre er, der Beschwerdeführer, an der Reihe gewesen, weshalb er, da er die Krone ebenfalls nicht habe übernehmen wollen, geflüchtet sei. Auf weitere Befragung gab der Beschwerdeführer an, im Fall einer Rückkehr nach Nigeria vom "Chief-Priest" mit spirituellen Mitteln getötet zu werden; dieser würde ein Ritual abhalten und den Namen des Beschwerdeführers rufen, der daraufhin "in einer Art Fernseher erscheinen" würde; dann würde der "Chief-Priest" mit einer Nadel oder einem Zaubermesser in den Fernseher stechen und er, der Beschwerdeführer, wäre tot; auch der Vater und der Bruder wären auf diese Art getötet worden.
Mit Bescheid vom 30. Juli 2001 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 3 AsylG als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria gemäß § 8 AsylG zulässig sei.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung. Im Zuge seiner Einvernahme in der Berufungsverhandlung vor der belangten Behörde gab er gemäß dem in den Verwaltungsakten erliegenden Verhandlungsprotokoll vom 26. September 2001 u.a. Folgendes an (VL = Verhandlungsleiter, BW = Beschwerdeführer):
"VL: Warum sind Sie aus Nigeria weggegangen?
BW: Ich habe meine Heimat wegen des Problems, das es zwischen mir und dem Oberpriester gegeben hat, verlassen. Es ging um die Krone, die benützt wird, um jemanden zum König zu krönen. Das Ganze begann im letzten Jahr, als unser Großvater verstarb.
...
VL: Was war nach dem Tod Ihres Großvaters?
BW: Da kamen die Leute und forderten meinen Vater auf, die Krone anzunehmen. Er ist aber Christ und hat sich geweigert.
VL: Wie ist der Titel der Person, die die Krone innehat?
BW: 'King of Akokwa'.
...
BW: Nachdem mein Vater die Krone abgelehnt hatte, zwangen sie ihn, sie dennoch anzunehmen. Mein Vater stellte ihnen aber Bedingungen, wie zB das Idol nicht anzubeten und keine Opfer zu bringen.
VL: Wer zwang Ihren Vater?
BW: 4 Chiefs von 4 Dörfern kamen zu meinem Vater.
VL: Was passierte dann?
BW: Er sagte, er würde sie in christlicher Weise regieren, was sie aber ablehnten. Sie begannen mit ihm zu streiten. Der Chefpriester sagte, wenn mein Vater nicht nachgebe, werde er unsere gesamte Familie aus der Stadt vertreiben.
VL: Hat der Vater nachgegeben oder nicht?
BW: Es entwickelte sich ein Streitfall daraus, mit dem Dorfälteste und andere erfahrene Personen konfrontiert wurden, um deren Meinungen einzuholen. Auf diese Weise kam mein Vater mit dem Oberpriester in Streit, der ihm androhte ihn umzubringen. Mein Vater ging später zur Polizei, um dort auszusagen, was der Oberpriester ihm angedroht hatte. Die Polizisten hinterbrachten dem Oberpriester die Aussage meines Vaters. Später als der Oberpriester meinen Vater in der Öffentlichkeit traf, sagte er ihm, er werde ihn allein schon wegen der Polizeianzeige in kurzer Zeit töten.
VL: Hat er das dann gemacht?
BW: Er hat ihn tatsächlich getötet. Einen Tag vor dem Ablauf
der Entscheidungsfrist im Rechtsstreit starb mein Vater.
VL: Woran starb er?
BW: Er starb im Schlaf.
VL: Woran starb er?
BW: Der Oberpriester benützt einen Spiegel und auch einen Fernsehschirm, um Leute zu töten, die er durch magische Sprüche auf den Bildschirm bringt, und danach mit einem Instrument sticht, sodass die natürliche Personen an den betroffenen Körperstellen verletzt werden. Auf diese Weise hat er meinen Vater zu Tode gestochen.
VL: Wo ist Ihr Vater verletzt worden (an welcher Körperstelle)?
BW: Dies sind Verletzungen, die sich im Inneren der Körper ereignen und von außen nicht gesehen werden können. Ich habe aber den Leichnam meines Vaters sehr wohl gesehen.
VL: Woher wissen Sie, wie der Chiefpriest vorgeht?
BW: Dieser Oberpriester ist in der ganzen Region so bekannt, dass jeder weiß, wie er seine Opfer tötet.
VL: Legt er selbst Hand an, indem er jemanden aufsucht, oder schickt er jemanden? BW: Er geht nirgendwo hin und schickt auch keine Leute, um jemanden anzugreifen. Er macht das ausschließlich spirituell.
VL: Was ist nun Ihr Problem?
BW: Nach meinem Vater tötete er meinen Bruder nach dem selben System. Dieser hatte sich bei der Polizei beschwert, dass die Beamten dem Oberpriester die Aussagen meines Vaters vorgehalten hatten. Daraufhin kündigte der Oberpriester an, als Strafe auch meinen Bruder zu töten.
VL: Wann ist der Bruder gestorben und wo?
BW: Am 10.3.2001 in Onisha, nachdem er sich dorthin begeben hatte. Als die Polizei herausfand, wo sich mein Bruder aufhielt, verrieten sie dem Oberpriester dessen Aufenthaltsort. Der Oberpriester meinte, dies wäre kein Problem, der Bruder sei bereits demselben Schicksal wie sein Vater erlegen. Er hatte ihn innerhalb zweier Tage getötet. Ich sah die Leiche meines Bruders, war aber zum Zeitpunkt seines Begräbnisses nicht anwesend.
VL: War Ihr Bruder auch nicht sichtbar verletzt?
BW: Nein, war er nicht. Er wurde auf spirituelle Weise getötet.
VL: Was ist nun Ihr Schicksal?
BW: Meine Mutter und die Verwandten sagten, ich solle nicht am Begräbnis meines Bruders teilnehmen, vielmehr meinen Aufenthaltsort verändern. Sie sagten mir, dass ich beim Begräbnis meines Bruders Gefahr laufe, vom Oberpriester und den Dorfbewohnern entdeckt zu werden und danach ebenfalls gezwungen zu werden, die von meinem Vater abgelehnte Krone als sein letzter Nachkomme anzunehmen bzw. im Falle einer Weigerung mein Leben zu verlieren, wie es meinem Vater ergangen war. Ich sollte also weglaufen und mich verborgen halten, damit er nicht wisse, wo ich mich befinde.
VL: Warum sind Sie nicht woanders hin in Nigeria gegangen?
BW: Wäre ich in Nigeria geblieben, hätte mich der Oberpriester an jedem Ort aufgespürt.
VL: In welcher Form?
BW: Er hätte nur vor dem Spiegel bzw. vor dem Fernsehschirm meinen Namen aussprechen müssen, um mich zu entdecken.
VL: Jetzt kann er das nicht, wenn Sie in Europa sind?
BW: Hier ist es zu weit, als dass die Spiegelmagie noch funktioniert.
VL: Wovon hängt das ab?
BW: Wenn ich in Afrika bin, kann mich dort jemand sehen und dem Oberpriester meinen Aufenthaltsort verraten. Wenn ich in Österreich bin, muss er zusammen mit meinem Namen den Namen Österreich nennen und könnte mich dann ebenfalls auf seinem Spiegel entdecken.
VL: Dann kann er Sie auch töten?
BW: Wenn ich es mir überlege, denke ich, dass er mich in ganz
Österreich auch unter Anwendung seiner Magie nicht töten könnte.
Österreich ist schlicht zu weit.
VL: Finden kann er Sie, aber nicht töten?
BW: Ja er kann mich finden, aber nicht töten.
VL: Was würden Sie im Falle einer heutigen Rückkehr nach
Nigeria befürchten müssen?
BW: Wenn ich nach Nigeria komme, werde ich auch ohne dass
jemand den Oberpriester meinen Aufenthaltsort verrät von diesem sofort auf dem Spiegel entdeckt und durch seine Magie getötet.
VL: Was sollte er heute für einen Grund haben, Sie zu töten, Sie gingen nicht zur Polizei und haben auch sonst keine Aktivitäten gesetzt, die dem Willen des Oberpriesters entgegenstünden?
BW: Der Grund für das Einschreiten des Oberpriesters gegen mich ist derselbe wie früher, nämlich der, dass er mich trotz versuchter Zwangsmaßnahmen nicht würde überzeugen können ins Dorf zu kommen, um König zu werden.
VL: Man hat Sie nach Ihrer Schilderung noch nie angesprochen, König zu werden? BW: Da wir eine christliche Familie sind, weiß jeder automatisch, dass auch ich mich weigern würde, König zu werden, um Götzendienste zu verrichten.
VL: Würden Sie außer vom Oberpriester noch von jemandem bedroht?
BW: Die vier Chiefs der vier obgenannten Dörfer würden, wie sie es schon bei meinem Vater gemacht haben, versuchen mich zu zwingen, die Krone anzunehmen.
VL: Was würde die Gefahr von diesen 4 Chiefs sein?
BW: Auch mit Gewaltmaßnahmen würden die 4 Chiefs versuchen, mich zu überzeugen.
VL: Welche Art Gewalt sollte das sein?
BW: Sie würden mich tätlich angreifen, um mich zur Übernahme
der Krone zu zwingen.
VL: Wenn Sie tot sind, können Sie keine Krone haben?
BW: Die Chiefs riskieren nichts, wenn Sie mich töten, da im Falle des Ausbleibens eines weiteren Kronkandidaten innerhalb einer Familie der Oberpriester das Recht hat, aus einer beliebigen Familie eine Person seiner Wahl zum König zu krönen.
VL: Das kann er jetzt nicht?
BW: Niemand würde in der gegenwärtigen Situation die Krone annehmen, da er dadurch riskiert, im Falle meiner Rückkehr sein Leben zu verlieren, da ja ich der berechtigte Kroneanwärter bin.
VL: Welcher Volksgruppe gehören Sie an?
BW: Ibo.
VL: Wenn Sie vorher gesagt haben, dass Sie Angehöriger des Stammes Umuezeaga bzw. Akokwa seien, stimmt das demnach nicht?
BW: Es sind geographische Begriffe, es handelt sich um eine Gegend, die ausschließlich von Ibos bewohnt wird.
VL: Möchten Sie von sich aus noch etwas ausführen?
BW: Ich habe kein weiteres Vorbringen zu erstatten."
Mit Bescheid vom 29. September 2001 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 3 AsylG ab (Spruchpunkt I.); weiters stellte sie gemäß § 8 AsylG iVm § 57 FrG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt II.). Sie begründete diese Entscheidung damit, dass die vorgebrachte Verfolgung unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar sein müsse. Hiebei komme es nicht darauf an, ob sich der Asylwerber in einer konkreten Situation tatsächlich fürchte, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Die vom Beschwerdeführer zunächst ins Treffen geführte Furcht, von einem Oberpriester auf rein spirituelle Weise getötet zu werden, sei objektiv nicht nachvollziehbar. Vielmehr sei auf Grund der Erfahrungen des täglichen Lebens, denen zufolge eine solche Todesursache auch in Afrika nicht objektivierbar sei, davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer keine derartige Gefahr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohe. Was das weitere, bis zum Ende der mündlichen Berufungsverhandlung deutlich gesteigerte Vorbringen anlange, wonach der Beschwerdeführer von vier der regionalen Chiefs mit Einsatz von Gewalt in Form von Tätlichkeiten zur Übernahme der Krone gezwungen werden würde, so werde dieses Vorbringen - aus näher dargestellten Gründen - als offensichtlich konstruiert beurteilt. Zusammenfassend sei daher davon auszugehen, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers mangels jedweder Nachvollziehbarkeit (hinsichtlich der vom Oberpriester ausgehenden Gefahr) bzw. offenkundiger Unglaubwürdigkeit (hinsichtlich der von den regionalen Chiefs ausgehenden Gefahr) offensichtlich den Tatsachen nicht entspreche. Da kein sonstiger Hinweis auf eine Verfolgung des Beschwerdeführers aus Gründen der Flüchtlingskonvention hervorgekommen sei, sei seine Berufung im Asylteil sohin abzuweisen gewesen. Es sei aus näher dargestellten Gründen auch nicht zu erkennen, dass er in Nigeria iS des § 57 FrG bedroht wäre.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Die belangte Behörde hat nur einen Teil des Vorbringens des Beschwerdeführers als offensichtlich unglaubwürdig beurteilt, nämlich jenen, der die Bedrohung durch "regionale Chiefs" zum Gegenstand hatte. Was das primär geltend gemachte Bedrohungsszenario anlangt, die vom "Chief-Priest" ausgehende Gefahr, so billigte sie dem Beschwerdeführer hingegen erkennbar zu, dass er insoweit aus seiner Sicht tatsächlich Vorgefallenes wiedergegeben habe. Allerdings sei die in diesem Zusammenhang geäußerte Furcht, vom "Chief-Priest" auf rein spirituelle Weise getötet zu werden, nicht nachvollziehbar, weshalb davon auszugehen sei, dass dem Beschwerdeführer die dargestellte Gefahr nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohe.
Ausgehend davon, dass die belangte Behörde subjektive Aussageehrlichkeit des Beschwerdeführers bezüglich seines Vorbringens über eine Bedrohung durch den "Chief-Priest" unterstellt, ist der Tatbestand des § 6 Z 3 AsylG nicht verwirklicht. Wie im hg. Erkenntnis vom 12. Dezember 2002, Zl. 99/20/0609, ausgeführt, wäre es nämlich unter der Annahme, dass sich im Vorbringen des Beschwerdeführers tatsächlich Erlebtes und aus europäischer Sicht "Irreales" vermengten, nicht "offensichtlich", dass dem Beschwerdeführer auf Grund der behaupteten Vorgänge nicht zumindest lokal begrenzt auch reale Gefahren drohten. Damit soll nicht zum Ausdruck gebracht werden, dass die behauptete Gefahr spiritueller Tötung in der vom Beschwerdeführer dargestellten Form tatsächlich stattfinden könnte. Legt man allerdings die naturwissenschaftlich unbedenklichen Angaben des Beschwerdeführers zu Grunde, so wurden sein Vater und sein Bruder im Zusammenhang mit ihrer Weigerung, die Position bzw. Krone des "King of Akokwa" einzunehmen, seitens des "Chief-Priest" mit dem Tode bedroht und sind beide kurze Zeit nach dieser Drohung tatsächlich tot aufgefunden worden, wovon offenbar auch die belangte Behörde in ihren diesbezüglichen Überlegungen - zumindest hypothetisch - ausging. Das vermag aber nachvollziehbar die auch objektiv begründete Besorgnis zu erwecken, der "Chief-Priest" sei für den Tod des Vaters und des Bruders des Beschwerdeführers (wie auch immer) verantwortlich und er werde gegebenenfalls auch den Beschwerdeführer selbst zu töten versuchen. Die als "Tatsache" formulierte Vermutung des Beschwerdeführers über den konkreten Ablauf der Tötung ändert daran nichts, weil insoweit dem naturwissenschaftlich Unmöglichen nur die persönliche Überzeugung des Beschwerdeführers gegenüber steht und sich die Sachlage von da her nicht anders darstellt, als wenn der Beschwerdeführer die präsumtive Tötung durch den "Chief-Priest" überhaupt nicht hätte erklären können. MaW: Dass der Beschwerdeführer die Tötung seines Vaters und seines Bruders nur auf eine wissenschaftlich nicht haltbare Weise zu deuten vermag, schließt, jedenfalls innerhalb des hier maßgeblichen Kalküls nach § 6 AsylG, nicht aus, dass eine solche Tötung - wie auch immer dabei vorgegangen worden sein mag - tatsächlich erfolgt ist. Allein der Hinweis auf den vom Beschwerdeführer dargestellten Ablauf der behaupteten bzw. befürchteten Tötung(en) vermag daher die Abweisung seines Asylantrages als offensichtlich unbegründet nicht zu tragen, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 25. März 2003
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