VwGH 2003/05/0065

VwGH2003/05/006527.4.2004

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Kail und Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. König, über die Beschwerde der Franz Mann GmbH & CO KG in Wien, vertreten durch Dr. Erich Kafka, Dr. Manfred Palkovits, Dr. Robert Steiner, Mag. Boris Knirsch, Mag. Michael Braun und Mag. Christian Fellner, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Rudolfsplatz 12/12, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 26. Februar 2003, Zl. BOB- 176 und 222/02, betreffend Wiedereinsetzung in einer Bauangelegenheit und Zurückweisung einer Berufung, zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §1332;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;
ABGB §1332;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat der Bundeshauptstadt Wien Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Schreiben vom 19. April 2001 suchte die Bauwerberin um die Erteilung einer Baubewilligung an und legte die Unterlagen zum gegenständlichen Bauvorhaben vor. Die Beschwerdeführerin erhob umfassende Einwendungen iSd § 70a Abs 8 Bauordnung für Wien (BO) gegen dieses Bauvorhaben.

Mit Bescheid vom 30. Jänner 2002 wies der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 64, die von der Beschwerdeführerin erhobenen Einwendungen teils als unbegründet ab, teils als unzulässig zurück. Dieser Bescheid wurde den Rechtsvertretern der Beschwerdeführerin am 16. April 2002 zugestellt.

Am 27. Juni 2002 beantragte die Beschwerdeführerin die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist und holte die Berufung gleichzeitig nach. Sie führte insbesondere aus, eine zuverlässige Kanzleikraft, die die Post entgegennehme, habe als letzten Tag zur Erhebung der Berufung am Bescheid den 29. April 2002 vorgemerkt. Der berufsmäßige Vertreter der Beschwerdeführerin habe diesen Termin am Bescheid selbst überprüft. Die Termine würden in der elektronischen Datenverarbeitung gespeichert, so sei auch der gegenständliche Termin in der elektronischen Datenverarbeitung aufgenommen worden. Dadurch sei alles vorgekehrt gewesen, was die fristgerechte Einbringung der Berufung ermöglicht hätte. Es ergebe sich daraus, dass die Frist einen Tag vor deren tatsächlichem Ablauf vorgemerkt worden sei. Durch ein nicht nachvollziehbares Ereignis sei der gegenständliche Akt zur Verfassung der Berufung nicht vorgelegt worden. Es sei durch die Organisation vorgesorgt gewesen, dass es aller Voraussicht nach zu keiner Fristversäumnis kommen könne. In der Kanzlei werde ein EDV-System verwendet, wie es vom Marktführer im Bereich der Anwaltssoftware angeboten werde. Dieses System habe bisher noch nie versagt. In der Kanzlei der Vertreter der Beschwerdeführerin sei noch nie eine Frist versäumt worden, die in der EDV eingetragen worden sei.

Die Beschwerdeführerin führe gegen die Bauwerberin vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien ein Verfahren, in dem am 20. Juni 2002 eine mündliche Verhandlung stattgefunden habe. Der dort aufgetretene Vertreter der Beschwerdeführerin habe den gegenständlichen Bescheid im Teilakt über das Verfahren vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen aufgefunden und erkannt, dass die Berufung unterblieben sei und die Frist zur Einbringung der Berufung bereits verstrichen sei. Es liege sohin für die Beschwerdeführerin ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis vor. Es treffe sie daran ebenso wenig ein Verschulden wie ihren Rechtsvertreter, zumal sich auch bei größter Sorgfalt und Einsatz elektronischer Hilfsmittel menschliches Versehen offenbar nicht verhindern lassen.

Als Bescheinigungsmittel legte der Vertreter der Beschwerdeführerin die Ladung zur Verhandlung vom 20. Juni 2002 und eine Erklärung des Rechtsanwaltes Dr. K vor, die wörtlich aus dem Antrag entnommen wurde. Hervorzuheben ist folgende Passage:

"Es wurde von der zuverlässigen Kanzleikraft, welche die Post entgegennimmt als letzter Tag zur Erhebung der Berufung der 29.4.2002 vorgemerkt und dieser Termin auch von Rechtsanwalt Dr. K am Bescheid selbst überprüft. Die Termine selbst werden in der elektronischen Datenverarbeitung gespeichert, so wurde auch der gegenständliche Termin in der elektronischen Datenverarbeitung aufgenommen."

Mit Bescheid vom 10. Juli 2002 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgewiesen. Es sei dem Vertreter der Beschwerdeführerin nicht gelungen, ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis im Sinne des § 71 AVG glaubhaft zu machen, welches ihn an der rechtzeitigen Vorlage und Verfassung einer Berufung gehindert hätte. Wenn nicht nachvollziehbar sei, warum die Vorlage unterblieben sei, so könne nicht glaubhaft durch die Organisation dergestalt vorgesorgt worden sein, dass es aller Voraussicht nach zu keiner Fristversäumnis kommen könne. Es sei von der Beschwerdeführerin zwar glaubwürdig dargetan worden, dass in der Anwaltskanzlei alles Zumutbare vorgekehrt worden sei, um eine richtige Fristerfassung zu gewährleisten, es sei hingegen nicht die Glaubhaftmachung gelungen, dass eine nachprüfende Kontrolle hinsichtlich der tatsächlichen Entsprechung der vorgemerkten Frist bestanden hätte bzw diese Kontrolle durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis vereitelt worden wäre. In der geschilderten Kanzleisituation sei ein mehr als bloß minderer Grad des Versehens des dafür verantwortlichen Rechtsanwaltes zu erblicken, sodass der Parteienvertreter und mit ihm die Beschwerdeführerin für die Fristversäumung einzustehen habe.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung. Durch ein nicht nachvollziehbares Ereignis, welches jedenfalls unvorhersehbar oder unabwendbar war, sei die gegenständliche Frist nicht auf einer Fristenliste vermerkt gewesen und der gegenständliche Akt nicht zur Verfassung der Berufung vorgelegt worden. Im vorliegenden Fall dürfte es sich um ein EDV-mäßiges Problem handeln. Es sei aus nicht nachvollziehbaren Gründen die vorgemerkte Frist verloren gegangen. Wäre die im EDV-System erfasste Frist mittels Vorlage der Fristenliste auch ohne Akt vorgelegt worden, hätte der zuständige Rechtsanwalt Veranlassungen treffen können, dass der Akt gesucht bzw eine Bescheidkopie erwirkt werde. Es handle sich aller Voraussicht nach nicht um ein menschliches Versagen, sondern um ein EDV-mäßiges Problem, welches auf Grund der bisherigen ordnungsgemäßen Funktion für die Einschreiterin unvorhersehbar oder unabwendbar war. Der Rechtsanwalt habe nicht damit rechnen müssen oder können, dass die mehrfach überprüfte und vorgemerkte Frist in der Anwaltssoftware verschwinde. Es handle sich im vorliegenden Fall nicht um ein Versehen bei der Eintragung in die Fristvormerkung, sondern sei diese ordnungsgemäß und richtig erfolgt. Im vorliegenden Fall sei daher auf Grund eines unvorhersehbaren Ereignisses die fristgerechte Vorlage des Aktes nicht erfolgt, da die Frist nicht mehr in der Fristenliste aufgeschienen sei. Der Rechtsanwalt sei der entsprechenden Organisation seines Kanzleibetriebes nachgekommen, da er jede einzelne Frist selbst festsetze bzw überprüfe und die Eintragung selbst vornehme bzw jede einzelne Eintragung überwache. Es liege kein menschliches Versagen bzw Irrtum des Anwalts oder dessen Gehilfen vor, sondern es sei aus einem unvorhersehbaren Ereignis die EDV-mäßig erfasste Frist verschwunden. Als Beweis für dieses Vorbringen bot der Parteienvertreter seine Einvernahme sowie jene der Kanzleibediensteten C an.

Bei seiner Einvernahme wiederholte der Vertreter der Beschwerdeführerin Dr. K das bereits schriftlich erstattete Vorbringen und führte näher aus, dass für das Eintragen der Frist an diesem Tag (gemeint wohl: am 16. April 2002) Frau C zuständig gewesen sei. Andere Fristen seien am 29. April 2002 nicht versäumt worden. Eine derartige Fristversäumnis sei auch noch nie passiert. Nach diesem Vorfall führe die Kanzlei wieder händische Aufzeichnungen. Gleichzeitig legte der Vertreter der Beschwerdeführerin eine zur Erklärung vom 27. Juni 2002 wortgleiche Erklärung vor.

Mit Schreiben vom 17. Dezember 2002 teilte der Vertreter der Beschwerdeführerin mit, dass Frau C am betreffenden Tag die Fristenliste nicht bearbeitet habe und die Eingabe nicht von ihr erfolgt sei. Zu dieser Zeit sei mit diesen Aufgaben eine Mitarbeiterin betraut gewesen, die bereits am 30. Juni 2002 aus der Kanzlei ausgeschieden sei. Der Vertreter der Beschwerdeführerin zog den Antrag auf Einvernahme der C zurück und ersuchte, auf Grund der bisher gewonnenen Beweisergebnisse zu entscheiden. Am 9. Jänner 2002 teilte er auf Ersuchen der Magistratsdirektion hin mit, dass das Verhältnis zur ehemaligen Mitarbeiterin durch Kündigung geendet habe und diese in Unfrieden aus der Kanzlei geschieden sei. Er wolle daher nicht, dass es zu einer Einvernahme dieser Mitarbeiterin komme und ersuche abermals auf Grund der bisherigen Beweisergebnisse zu entscheiden.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die gegen den Bescheid vom 10. Juli 2002 rechtzeitig eingebrachte Berufung als unbegründet ab (Pkt I) und die Berufung gegen den Bescheid vom 30. Jänner 2002 als verspätet zurück (Pkt II). Die belangte Behörde führte in ihrer Begründung aus, dass es der Beschwerdeführerin nicht gelungen sei, das Vorliegen des Wiedereinsetzungsgrundes nicht nur zu behaupten, sondern die Behörde auch davon zu überzeugen, dass die Behauptungen wahrscheinlich den Tatsachen entsprechen. Der Name der zu diesem Zeitpunkt die Fristenliste bearbeitenden Mitarbeiterin sei trotz Aufforderung nicht genannt worden. Es sei der belangten Behörde daher nicht möglich gewesen, das Vorliegen des zwar behaupteten, nicht aber glaubhaft gemachten Wiedereinsetzungsgrundes zu beurteilen. So habe nicht beurteilt werden können, ob die im Wiedereinsetzungsantrag gemachten Angaben stimmen und ob die Eintragung der Frist in das EDV-System einer verlässlichen Mitarbeiterin überlassen worden sei.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Sie erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach den Vorschriften der §§ 71 "ff" AVG verletzt und begehrt den angefochtenen Bescheid aufzuheben. Eine Bezugnahme auf Pkt II des angefochtenen Bescheides enthält die Beschwerde nicht.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass sich auf Grund der Eigenart von Software auch bei größter Vorsicht einmal ein Fehler ereignen könne. Die Termine, wann der letzte Tag für die Erhebung eines Rechtsmittels sei, würden mit rotem Kugelschreiber auf dem Bescheid angebracht und in der elektronischen Datenverarbeitung gespeichert. Die EDV-gestützte Verarbeitung von Schriften, aber auch Fristen werde seit 1993 in der Kanzlei der einschreitenden Anwälte durchgeführt. Ein Fall wie der Gegenständliche sei noch nie vorher oder nachher aufgetreten. Es liege daher für die Beschwerdeführerin ein unabwendbares und unvorhersehbares Hindernis vor, zumal für einen solchen Fehler, der weder davor, noch danach jemals aufgetreten sei, keine Vorsorge getroffen werden konnte. Die belangte Behörde habe die Vorschriften der §§ 71 ff AVG unrichtig ausgelegt, zumal gerade für einen solchen Fall, dass noch nie ein derartiges Versehen aufgetreten sei, eben die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom Gesetzgeber vorgesehen worden sei, um bei unverschuldeten, auch bei Anwendung größter Vorsicht auftretenden Fehlern der Partei keinen Rechtsnachteil zuzufügen. Es erscheine der Beschwerdeführerin nachvollziehbar und verständlich, dass Dienstnehmer, von denen man sich getrennt habe, nicht als Zeugen zur Unterstützung aufgeboten werden. Trotz aller Vorschriften über die Wahrheitspflicht von Zeugen könne nicht ausgeschlossen werden, dass dadurch für die Beschwerdeführerin ein Nachteil entstehe. Die belangte Behörde habe sich mit der Zeugenaussage des Vertreters der Beschwerdeführerin überhaupt nicht auseinander gesetzt, sondern diese vielmehr übergangen. Aus den Darstellungen des Vertreters der Beschwerdeführerin ergebe sich, dass nachvollziehbar alles vorgekehrt worden sei, um eine Versäumung der Frist zu verhindern. Aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen sei es nicht zur Vorlage des Rechtsmittels gekommen.

Die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind im § 71 AVG geregelt. Diese Bestimmung lautet auszugsweise:

"Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

§ 71. (1) Gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn:

1. die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, oder

2. ...

(2) Der Antrag auf Wiedereinsetzung muss binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses oder nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Berufung Kenntnis erlangt hat, gestellt werden.

(3) Im Fall der Versäumung einer Frist hat die Partei die versäumte Handlung gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag nachzuholen."

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes trifft das Verschulden des Parteienvertreters die von diesem vertretene Partei. Der Begriff des minderen Grades des Versehens wird als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB verstanden. Der Wiedereinsetzungswerber oder sein Vertreter dürfen also nicht auffallend sorglos gehandelt, somit die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben. Dabei ist an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige oder bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen. Für die richtige Berechnung der jeweiligen Rechtsmittelfrist in einem bestimmten Fall ist in einer Rechtsanwaltskanzlei stets der Anwalt selbst verantwortlich. Der Rechtsanwalt selbst hat die entsprechende Frist festzusetzen, ihre Vormerkung anzuordnen sowie die richtige Eintragung im Kalender im Rahmen der ihm gegenüber seinen Kanzleiangestellten gegebenen Aufsichtspflicht zu überwachen (hg Erkenntnis vom 30. November 1999, Zl. 99/05/0232, mwN).

Diese Überwachungspflicht trifft den Anwalt unabhängig davon, ob der Kalender "händisch" oder "EDV-mäßig" geführt wird. Allein dadurch, dass die Frist auf dem behördlichen Schriftstück mit Rotstift vermerkt wird, ist noch keine Garantie gegeben, dass im Kanzleikalender eine Vormerkung tatsächlich erfolgt ist.

Mit seiner Formulierung, "die Termine selbst werden in der elektronischen Datenverarbeitung gespeichert, so wurde auch der gegenständliche Termin in der elektronischen Datenverarbeitung aufgenommen", hat der Vertreter der Beschwerdeführerin nur eine Schlussfolgerung aus dem Umstand wiedergegeben, dass (üblicherweise) die Termine in der Datenverarbeitung gespeichert werden, aber nicht behauptet, dass er die Eintragung in den Kalender kontrolliert hätte.

Grundsätzlich ist festzuhalten, dass eine Fehlausweisung der Fristvormerkungen in einem EDV-mäßig geführten Fristenbuch bei Anwendung eines gut eingeführten Programmes ein "Ereignis" im Sinne des § 71 Abs 1 AVG sein kann, wenn die Partei nach den Umständen des Einzelfalles dessen Eintritt unter Bedachtnahme auf die zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwarten konnte. Bei Klärung der Frage, ob ein minderer Grad des Versehens vorliegt, wird man von einem Rechtsanwalt, der eine EDVunterstützte Fristenverwaltung unterhält, verlangen müssen, dass er, nachdem er kontrolliert hat, ob Fristbeginn, Art der Frist und Fristdauer richtig eingetragen sind, besondere Vorkehrungen für die Art der Friststreichung ergriffen hat (hg Erkenntnis vom 30. Mai 1995, Zl. 95/05/0060).

Eine Auffassung, es würde eine überspitzte und lebensfremde Forderung an den Kanzleibetrieb eines Rechtsanwalts darstellen, wenn dieser jede einzelne Frist festsetzen und deren Eintragung selbst vornehmen bzw jede einzelne Eintragung überwachen müsste, kann nicht beigepflichtet werden, es erscheint durchaus zumutbar, dass ein Rechtsanwalt seiner Verantwortung auf diese Weise persönlich nachkommt (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998), § 71 AVG, E 190 zitierte hg. Judikatur).

Ein Rechtsanwalt verstößt gegen seine anwaltliche Sorgfaltspflicht, wenn er weder im Allgemeinen noch im Besonderen (wirksame) Kontrollsysteme vorgesehen hat, die im Falle des Versagens eines Mitarbeiters Fristversäumung auszuschließen geeignet sind. Ein Verschulden trifft ihn in einem solchen Fall nur dann nicht, wenn dargetan wird, dass die Fristversäumung auf einem ausgesprochen weisungswidrigen Verhalten des entsprechenden Kanzleiangestellten beruht (siehe die bei Walter/Thienel, aaO, § 71 AVG, E 207 zitierte hg. Judikatur), diesbezüglich liegen aber keine Behauptungen vor. Die entsprechenden Kontrollen, die durchzuführen sind, um Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen, haben nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes auch dort stattzufinden, wo sich Kanzleikräfte eines EDV-Systems bedienen, weil auch in diesem Bereich Fehlbedienungen der Kanzleiangestellten nicht ausgeschlossen sind (hg Erkenntnis vom 21. Mai 1996, Zl. 96/05/0047).

Es kann im Beschwerdefall dahingestellt bleiben, ob die stichprobenweise Überwachung der Fristeintragung im (in welcher Art auch immer) geführten Kalender die Annahme eines die Wiedereinsetzung hindernden groben Verschuldens ausschließt (siehe hierzu die Zitate der hg. Judikatur bei Walter/Thienel, aaO, § 71 AVG, E 202 ff), weil die Beschwerdeführerin nicht einmal eine stichprobenweise Überprüfung durch ihre Rechtsvertreter behauptet hat. Mindestvoraussetzung für die bloß stichprobenweise Überwachung ist nach der Judikatur, dass sich der Anwalt einer besonders verlässlichen und erfahrenen Kanzleikraft bedient. Diesbezüglich hat die Beschwerdeführerin aber nicht einmal ein Vorbringen erstattet.

Die Behauptung im Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, dass sich ein derartiger Fehler vorher noch nie ereignet habe, kann das erforderliche Sachvorbringen über die erwiesene Verlässlichkeit der im konkreten Fall tätig gewordenen Mitarbeiterin der Rechtsanwaltskanzlei nicht ersetzen; das bisherige Funktionieren betrieblicher Abläufe gibt nämlich dann nicht Auskunft über die Verlässlichkeit einer mit bestimmten Agenden betrauten Person, wenn nicht gleichzeitig dargelegt wird, dass es auch diese Person war, deren klaglose Aufgabenerfüllung am bisherigen Funktionieren der betrieblichen Abläufe ihren Anteil hatte (vgl. die in Walter/Thienel, aaO, § 71 AVG, E 224 zitierte hg. Judikatur).

Eine Partei, die einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung einer Frist stellt, hat den behaupteten Wiedereinsetzungsgrund im Wiedereinsetzungsantrag glaubhaft zu machen. Zur Erfüllung dieser Obliegenheit ist es erforderlich, ladungsfähige Adressen der vom Wiedereinsetzungswerber zur Bescheinigung seines Vorbringens geführten Personen anzugeben (hg Erkenntnis vom 12. November 1996, Zl. 96/19/0948). Hat die Partei in ihrem Wiedereinsetzungsantrag z. B. nicht einmal jene Person, der sie den Auftrag zur Postaufgabe ihres Rechtsmittels erteilt haben will und die dieses weisungswidrig einen Tag zu spät zur Post gegeben haben soll, namentlich genannt, war es der belangten Behörde objektiv gar nicht möglich, das Vorliegen des zwar behaupteten, nicht aber glaubhaft gemachten Wiedereinsetzungsgrundes zu beurteilen (hg Erkenntnis vom 19. Oktober 1993, Zl. 93/08/0209).

Die Beschwerdeführerin erstattete auch kein Vorbringen zur Verlässlichkeit jener Mitarbeiterin, die den eingelangten Bescheid bearbeitet hat. Wird vom Antragsteller die Verlässlichkeit seiner mit der Bearbeitung der Fristenliste und der Eingabe der Fristen beauftragten Büroangestellten nicht behauptet, so lässt er es in entscheidender Weise an der Erstattung eines solchen Vorbringens fehlen, bei dessen Bescheinigung der unterlaufene Fehler rechtlich auf ein ihm zuzurechnendes Versehen bloß minderen Grades zurückgeführt werden könnte (vgl. die in Walter/Thienel, aaO, § 71 AVG, E 224 zitierte hg. Judikatur).

Die belangte Behörde hat aus all diesen Gründen zu Recht die Berufung gegen den abweisenden Bescheid über den Wiedereinsetzungsantrag ab- und die Berufung als verspätet zurückgewiesen.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen. Auf Basis der zitierten Rechtsprechung konnte die Entscheidung in einem gemäß § 12 Abs 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat getroffen werden.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003, insbesondere deren § 3 Abs 2.

Wien, am 27. April 2004

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