VwGH 99/05/0232

VwGH99/05/023230.11.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl und Dr. Kail als Richter, im Beisein der Schriftführerin Rätin Dr. Gritsch, in der Beschwerdesache des WV in W,

vertreten durch Dr. Christian Kuhn und Dr. Wolfgang Vanis, Rechtsanwälte in Wien I, Elisabethstraße 22, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 17. August 1999, Zl. MD-VfR - B XXIII - 15/99, betreffend Kostenvorschreibung gemäß § 129 Abs. 6 der Bauordnung für Wien, die Beschlüsse gefasst:

Normen

ABGB §1332;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1999:1999050232.X00

 

Spruch:

1. Dem Antrag des Beschwerdeführers auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einbringung der Beschwerde wird gemäß § 46 VwGG keine Folge gegeben.

2. Die Beschwerde wird als verspätet zurückgewiesen.

Begründung

In seinem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand führte der Beschwerdeführer aus, der Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 17. August 1999 sei am 1. September 1999 (zu Handen der ausgewiesenen Rechtsanwälte) zugestellt worden. Die Kanzleigemeinschaft bestehe aus den Rechtsanwälten Dr. Christian Kuhn und Dr. Wolfgang Vanis. Derzeit würden vier Rechtsanwaltsanwärter als juristische Mitarbeiter beschäftigt. Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers habe gemeinsam mit seinem Kanzleipartner zur Kontrolle der richtigen Eintragung von Fristen folgende Vorkehrungen getroffen: "Die zumeist am Vormittag einlaufenden Schriftstücke werden von einer erfahrenen und zuverlässigen Kanzleikraft geöffnet und Fristen sofort im Fristenbuch vermerkt. Diese Vormerkung dokumentiert die Kanzleikraft mit der Abkürzung "vorg." und ihrer Unterschrift. Ist das Fristende durch Benennung des Tages am Schriftstück nicht klar erkennbar, so wird der Rechtsanwalt vor der Postbesprechung darauf aufmerksam gemacht, dass die Vormerkung hier noch nicht vorgenommen wurde. Bei der täglich stattfindenden Postbesprechung werden die einlaufenden Schriftstücke den mit den jeweiligen Rechtssachen betrauten juristischen Mitarbeitern mit der klaren, auf den Schriftstücken vermerkten, Anweisung der weiteren Vorgangsweise übergeben. Unmittelbar nach der Postbesprechung wird unter Aufsicht des jeweils zuständigen Juristen die Eintragung der Fristen im Fristenbuch von einer Kanzleikraft vorgenommen und bereits vor der Postbesprechung eingetragene Fristen kontrolliert. Dieses Kontroll- und Überwachungssystem hat sich durch viele Jahre bewährt und stets rechtzeitige Erledigungen gewährleistet (weshalb die Vertreter des Beschwerdeführers zumindest seit Jahren keinen Wiedereinsetzungsantrag stellen mussten)."

Am 1. September 1999 sei Mag. E.B. als Rechtsanwaltsanwärter in die Kanzlei eingetreten. An seinem ersten Arbeitstag sei ihm insbesondere auch das oben beschriebene Kontrollsystem zur richtigen Eintragung von Fristen erklärt worden. E.B. arbeite seit 1996 in Rechtsanwaltskanzleien, er sei zuletzt als Rechtsanwaltsanwärter in einer "streitigen" Kanzlei tätig gewesen, wo ihm die selbstständige Eintragung von Fristen oblag; er habe dies stets zuverlässig und gewissenhaft und ohne jede Fristversäumnis vorgenommen. An seinem ersten Arbeitstag in der Kanzlei des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers sei ihm in der Postbesprechung der Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 17. August 1999 mit darauf vermerkten folgenden Anweisungen übergeben worden:

"1.) Frist vorm

  1. 2.)

    ber

  2. 3.) B. prüfen"

Diese Vermerke bedeuteten, dass Mag. B. 1.) die Frist für die Erhebung der Verwaltungsgerichtshofsbeschwerde entsprechend der ständigen Übung der Kanzlei im Fristenbuch vormerken lassen sollte,

  1. 2.) dem Mandanten von der Zustellung des Bescheides berichten und
  2. 3.) die Beschwerdemöglichkeiten prüfen und gegebenenfalls einen Entwurf für die Beschwerde ausarbeiten sollte.

Obwohl ihm zuvor obiges System der Eintragung der Fristen erklärt und darauf verwiesen worden sei, dass diese Frist noch nicht von einer Kanzleikraft vorgemerkt worden sei, sei Mag. B. nach der Postbesprechung in das Sekretariat gegangen und habe selbst im Fristenbuch in der Spalte Fristenanmerkung bei Donnerstag, dem 14.10.1999 "Dir. V, Bauverf. fix" vermerkt. Er sei weder den klaren Anweisungen gefolgt, Eintragungen von Fristen nur von erfahrenen Kanzleikräften vornehmen zu lassen und lediglich diese Eintragung zu kontrollieren, noch sei ihm der Fehler seiner Fristberechnung aufgefallen. Im Anschluss daran habe er als Zeichen für seine Erledigung (entsprechend seiner bisherigen Gewohnheit) den Punkt 1) der auf dem Bescheid vermerkten Anweisung ("Frist vorm") abgehakt und den Entwurf für ein Berichtsschreiben an den Mandanten verfasst. Am späteren Abend habe er den Entwurf des Berichtsschreibens dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers zur Unterfertigung vorgelegt. Nach Verbesserung habe der Rechtsvertreter das Berichtsschreiben unterfertigt. Dabei habe er den abgehakten Punkt 1) "Frist vorm" bemerkt und Mag. B. gefragt, ob er die Frist richtig vormerken habe lassen. Dies habe Mag. B. bejaht. Der Rechtsvertreter habe auf Grund der Vorpraxis von Mag. B. davon ausgehen können, dass dieser seinen Anweisungen gefolgt sei und die einschlägigen Bestimmungen zur Berechnung von Fristen kenne. Im Anschluss daran habe er Mag. B. angewiesen, den letzten Tag der Frist am Bescheid zu vermerken und den Akt an den sonst mit dieser Angelegenheit betrauten RAA Dr. E.R. nach dessen Rückkehr aus dem Urlaub zur Erhebung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zu übergeben. Mag. B. habe daraufhin am rechten oberen Bereich des Originalbescheides 14.10.1999 vermerkt, den Punkt 2) der Anweisung "ber" abgehakt und den Akt in das Zimmer von Dr. R. gelegt. Am 14. Oktober 1999 habe Dr. R. einen unterzeichnungsfähigen Entwurf einer Beschwerde verfasst, dabei sei ihm die Unrichtigkeit des Fristendes aufgefallen. Ein Irrtum könne ein Ereignis im Sinne des § 71 Abs. 1 lit. a AVG sein, der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers habe auch unter Bedachtnahme auf zumutbare Aufmerksamkeit und Vorsicht nicht erwarten können, dass trotz eingehender Belehrung Mag. B. durch eine derartige Verkettung von Versehen "alten" Gewohnheiten und Irrtümern das seit Jahren bewährte Kontroll- und Überwachungssystem allein schuldhaft umgehe. Das unvorhersehbare Ereignis sei am 14. Oktober 1999 offenkundig geworden, sodass das Hindernis, das der rechtzeitigen Erhebung der Beschwerde entgegenstand, am 14. Oktober 1999 aufhörte und der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen das Versäumnis der Frist rechtzeitig eingebracht wurde. Der Wiedereinsetzungsantrag wurde am 20. Oktober 1999 eingebracht. Dem Wiedereinsetzungsantrag ist eine eidesstattliche Erklärung des Mag. E.B. beigelegt, worin der geschilderte Sachverhalt bestätigt wird.

Gemäß § 46 VwGG ist auf Antrag der Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u. a. den Beschluss vom 24. Spetember 1990, Zl. 90/19/0437) trifft das Verschulden des Parteienvertreters die von diesem vertretene Partei. Der Begriff des minderen Grades des Versehens wird als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB verstanden. Der Wiedereinsetzungswerber oder sein Vertreter dürfen also nicht auffallend sorglos gehandelt, somit die im Verkehr mit gerichtlichen und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben. Dabei ist an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige oder bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen (vgl. u.a. den hg. Beschluss vom 28. Juni 1994, Zl. 94/05/0111, m.w.N.).

Für die richtige Berechnung der jeweiligen Rechtsmittelfrist in einem bestimmten Fall ist in einer Rechtsanwaltskanzlei stets der Anwalt selbst verantwortlich. Der Rechtsanwalt selbst hat die entsprechende Frist festzusetzen, ihre Vormerkung anzuordnen sowie die richtige Eintragung im Kalender im Rahmen der ihm gegenüber seinen Kanzleiangestellten gegebenen Aufsichtspflicht zu überwachen (vgl. den schon zitierten hg. Beschluss vom 28. Juni 1994). Zwar kann mit der Prüfung der Grundlagen der Fristberechnung zulässigerweise auch ein rechtskundiger Mitarbeiter betraut sein (vgl. den hg. Beschluss vom 23. Jänner 1992, Zl. 91/06/0177), doch gebietet es die einem Rechtsanwalt zumutbare Sorgfalt, zumindest am ersten Tag des Eintrittes eines rechtskundigen Mitarbeiters zu überprüfen, ob dieser das in der Kanzlei herrschende System verstanden und richtig vollzogen hat. Die an den rechtskundigen Mitarbeiter Mag. E.B. seitens des Beschwerdevertreters gestellte Frage, ob dieser die Frist habe richtig vormerken lassen, kann nicht als geeigneter Ersatz für die erforderliche Überprüfung durch den Rechtsfreund gesehen werden. Der Rechtsfreund hat daher die ihm zumutbare Sorgfalt bei der ihm gegebenen Aufsichtspflicht gegenüber seinen Kanzleiangestellten außer Acht gelassen, sodass bei dieser Sachlage im vorliegenden Fall nicht davon gesprochen werden kann, dass auf Seiten des Rechtsanwaltes nur ein minderer Grad des Versehens, das dem Beschwerdeführer zuzurechnen ist, vorliege.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war somit abzuweisen.

Die gleichzeitig mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eingebrachte Beschwerde gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 17. August 1999 war als verspätet zurückzuweisen. Als Zustelldatum des angefochtenen Bescheides wurde der 1. September 1999 angegeben. Bezogen auf diesen Tag ist die erst am 20. Oktober 1999 zur Post gegebene Beschwerde nach Ablauf der sechswöchigen Frist des § 26 Abs. 1 VwGG eingebracht worden. Die Beschwerde war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG als verspätet zurückzuweisen.

Wien, am 30. November 1999

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