VwGH 96/08/0053

VwGH96/08/00533.4.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde der L in Wien, vertreten durch Dr. Robert Palka, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Brucknerstraße 4/4, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales (nunmehr: soziale Sicherheit und Generationen) vom 5. Jänner 1996, Zl. 120.778/8-7/95, betreffend Versicherungspflicht nach ASVG und AlVG (mitbeteiligte Parteien:

1. R, 1100 Wien; 2. Wiener Gebietskrankenkasse, Wienerbergstraße 15-19, 1103 Wien; 3. Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien; 4. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert-Stifter-Straße 65, 1200 Wien, 5. Arbeitsmarktservice, Landesgeschäftsstelle Wien, Weihburggasse 30, 1011 Wien), zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §4 Abs2;
ASVG §4 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen) Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Kostenbegehren der mitbeteiligten Wiener Gebietskrankenkasse wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid vom 2. Dezember 1994 stellte die mitbeteiligte Wiener Gebietskrankenkasse fest, dass der Erstmitbeteiligte auf Grund seiner Beschäftigung als Provisionsvertreter bei der Beschwerdeführerin als Dienstgeberin in der Zeit vom 4. Oktober 1992 bis 14. März 1994 gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 ASVG und § 1 Abs. 1 lit. a AlVG der Voll-(Kranken-, Unfall-, Pensions-) und Arbeitslosenversicherungspflicht unterlegen sei. Zur Begründung ihrer Entscheidung berief sich die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse auf einen zwischen der Beschwerdeführerin und dem Erstmitbeteiligten abgeschlossenen Kundenberatervertrag, der auszugsweise wie folgt wiedergegeben wurde:

"...Artikel 2

Der Mitarbeiter übernimmt die Akquisition von Bestellungen der Waren aus dem Verkaufsprogramm der Firma G. (gemeint: die Beschwerdeführerin).

Sein Aufgabenbereich ist die Beratung von potentiellen Kunden der Firma G. und die Vermittlung und Anbahnung von Verkaufsgeschäften für die Firma G.

Der Mitarbeiter verpflichtet sich zur absoluten Verschwiegenheit gegenüber Dritten im Hinblick auf Geschäftsvorfälle in der Firma G. und beim Kunden. Da er beim Kunden als Mitarbeiter der Firma G. auftritt, hat er sich genau an die Richtlinien der Firma G. zu halten, insbesondere den Weisungen der Firmenleitung Folge zu leisten, wie z.B.:

Wöchentlich, jeden Montag, musste er mündlich und schriftlich

Bericht beim Manager M. erstatten. Hiebei hatte er insbesondere

auch anzugeben, wieviele Kundentermine er vereinbart und wieviele

Kaufverträge er abgeschlossen hatte. ... Es wurde ihm ein

Musterkoffer und eine Musterkollektion für seine Tätigkeit zur

Verfügung gestellt. ... Eine Unterbrechung der Tätigkeit von

Herrn D. lag nicht vor."

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, dass bei der Tätigkeit von Vertretern insbesondere die Weisungsgebundenheit in einer bestimmten Art, das Konkurrenzverbot, der Bezug eines Fixums oder einer Spesenvergütung, die Berichterstattungspflicht sowie die mangelnde Verfügung über eine eigene Betriebsstätte und eigene Betriebsmittel als für die Beurteilung der Versicherungspflicht maßgebliche Merkmale zu bezeichnen seien. Schon allein auf Grund der vertraglichen Gestaltung des Beschäftigungsverhältnisses, aber auch nach dessen tatsächlicher Durchführung sei der Erstmitbeteiligte als Handelsvertreter einer Weisungsgebundenheit, einer Berichterstattungspflicht und einem Konkurrenzverbot unterlegen; auch sei er wirtschaftlich abhängig gewesen. Lediglich die Tatsache, dass er kein Fixum und grundsätzlich keinen Spesenersatz erhalten habe, könne zu keinem anderen Ergebnis führen. Eine Unterbrechung des Dienstverhältnisses sei nicht vorgelegen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt, jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen. Von den mitbeteiligten Parteien hat nur die Wiener Gebietskrankenkasse eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Ausgangspunkt für die hier zu beurteilende (Voll-)Versicherungspflicht ist § 4 Abs. 1 Z 1 ASVG, wonach - von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen - in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung auf Grund dieses Bundesgesetzes die bei einem oder mehreren Dienstgebern beschäftigten Dienstgeber versichert (vollversichert) sind. Für den Fall der Arbeitslosigkeit versichert (arbeitslosenversichert) sind Dienstnehmer, die bei einem oder mehreren Dienstgebern beschäftigt sind (§ 1 Abs. 1 lit. a AlVG).

Ob bei einer Beschäftigung die Merkmale persönlicher Abhängigkeit des Beschäftigten vom Empfänger der Arbeitsleistung gegenüber jenen persönlicher Unabhängigkeit überwiegen und somit persönliche Abhängigkeit im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG gegeben ist, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes davon ab, ob nach dem Gesamtbild dieser konkret zu beurteilenden Beschäftigung die Bestimmungsfreiheit des Beschäftigten durch diese Beschäftigung weitgehend ausgeschaltet oder - wie bei anderen Formen der Gestaltung einer Beschäftigung - nur beschränkt ist.

Für das Vorliegen der persönlichen Abhängigkeit sind im Ergebnis - in Übereinstimmung mit dem arbeitsrechtlichen Verständnis dieses Begriffes - als Ausdruck der weitgehenden Ausschaltung der Bestimmungsfreiheit des Beschäftigten durch seine Beschäftigung nur seine Bindung an Ordnungsvorschriften über den Arbeitsort, die Arbeitszeit, das arbeitsbezogene Verhalten sowie die sich darauf beziehenden Weisungs- und Kontrollbefugnisse und die damit eng verbundene (grundsätzlich) persönliche Arbeitspflicht unterscheidungskräftige Kriterien zur Abgrenzung von anderen Formen der Gestaltung einer Beschäftigung, während das Fehlen anderer (im Regelfall auch vorliegender) Umstände (wie z.B. die längere Dauer des Beschäftigungsverhältnisses oder ein das Arbeitsverfahren betreffendes Weisungsrecht des Empfängers der Arbeitsleistung) dann, wenn die unterscheidungskräftigen Kriterien kumulativ vorliegen, persönliche Abhängigkeit nicht ausschließt. Erlaubt allerdings im Einzelfall die konkrete Gestaltung der organisatorischen Gebundenheit des Beschäftigten in Bezug auf Arbeitsort, Arbeitszeit und arbeitsbezogenes Verhalten keine abschließende Beurteilung des Überwiegens der Merkmale persönlicher Abhängigkeit, so können im Rahmen der vorzunehmenden Beurteilung des Gesamtbildes der Beschäftigung auch diese an sich nicht unterscheidungskräftigen Kriterien von maßgebender Bedeutung sein (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 10. Dezember 1986, Slg. Nr. 12325/A).

Auf dem Boden dieser Judikatur ist zu prüfen, ob die belangte Behörde zu Recht jene Merkmale angenommen hat, die für ein sozialversicherungspflichtiges Dienstverhältnis zwischen der Beschwerdeführerin und dem Erstmitbeteiligten sprechen. Bei der Wertung der Tätigkeit eines Vertreters als eine unselbstständige Beschäftigung im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG ist nach nunmehr ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes zu beachten, dass bei dieser Tätigkeit die ansonsten für die abhängigen Arbeitsverhältnisse typische, oben näher dargestellte Unterordnung nicht so auffällig zutage tritt, sodass bei der Beurteilung der Frage, ob bei einer solchen Tätigkeit ein Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit vorgelegen ist, anderen Merkmalen eine ganz besondere Bedeutung zugemessen werden muss. Insbesondere sind in diesem Zusammenhang die Weisungsgebundenheit in einer bestimmten Art, das Konkurrenzverbot, der Bezug eines Fixums oder einer Spesenvergütung, die Berichterstattungspflicht sowie die mangelnde Verfügung über eine eigene Betriebsstätte und eigene Betriebsmittel als für die Beurteilung der Versicherungspflicht von Vertretern maßgebliche Merkmale zu bezeichnen. Diese Grundsätze gebieten aber im Einzelfall die Auseinandersetzung mit der Frage, ob tatsächlich diese Kriterien vorliegen, wobei dann bei einem Zusammentreffen von Merkmalen der Abhängigkeit und solchen, die auf eine Unabhängigkeit hinweisen, das Überwiegen der einen oder anderen Merkmale entscheidend ist (vgl. die Erkenntnisse vom 20. Oktober 1988, 85/08/0062, mit Hinweis auf die Vorjudikatur; vom 15. Dezember 1992, 91/08/0077; vom 21. Dezember 1993, 90/08/0224, und vom 2. Juli 1996, 94/08/0080).

Die wirtschaftliche Abhängigkeit, die nach der Rechtsprechung ihren sinnfälligen Ausdruck im Fehlen der im eigenen Namen auszuübenden Verfügungsmacht über die nach dem Einzelfall für den Betrieb wesentlichen organisatorischen Einrichtungen und Betriebsmittel findet, ist bei entgeltlichen Arbeitsverhältnissen die zwangsläufige Folge persönlicher Abhängigkeit (vgl. das schon zitierte Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 10. Dezember 1986).

Wirft die Beschwerdeführerin nun der belangten Behörde vor, sie hätte nicht auf die vertragliche Ausgestaltung des Beschäftigungsverhältnisses, sondern einzig und allein auf die tatsächliche, konkrete Ausübung der Tätigkeit abgestellt, ist ihr entgegenzuhalten, dass die belangte Behörde der Ausübung der Beschäftigung entscheidende Bedeutung beigemessen, dabei aber nicht übersehen hat, dass die vertragliche Gestaltung der Beschäftigung in die Beurteilung mit einzubeziehen ist, weil der Vertrag (sofern keine Anhaltspunkte für ein Scheinverhältnis bestehen) die von den Parteien in Aussicht genommenen Konturen des Beschäftigungsverhältnisses sichtbar werden lässt. Beruht die Beschäftigung einer Person auf einer vertraglichen Verpflichtung, so hat das vertraglich Vereinbarte zunächst die Vermutung der Richtigkeit (im Sinne einer Übereinstimmung mit der Lebenswirklichkeit) für sich (vgl. das Erkenntnis vom 8. Oktober 1991, 90/08/0057). Die Geltung der von der erstmitbeteiligten Gebietskrankenkasse auszugsweise festgestellten Vereinbarung blieb unbestritten. Auch zeigt die Beschwerdeführerin keine für ihren Standpunkt günstige Abweichungen des tatsächlichen Arbeitsablaufes des Erstmitbeteiligten vom vertraglich Vereinbarten auf.

Zur Frage der Weisungsgebundenheit entfernt sich die Beschwerdeführerin durch die Behauptung, die Kundenlisten seien nicht verpflichtend gewesen und hätten keine Weisungen dargestellt, vom festgestellten Sachverhalt, ohne ihn zu bekämpfen. Nach den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen war der Erstmitbeteiligte zur Betreuung jener Kunden verpflichtet, deren Adresse er am Anfang seiner Tätigkeit von der Beschwerdeführerin erhalten hatte. Nicht stichhältig ist daher das Argument in der Beschwerde, die Kundenliste sei ein gar nicht benötigtes Hilfsmittel gewesen. Als weitere Ausformungen der Weisungsgebundenheit stellen sich die verpflichtende Teilnahme an den Montagsmeetings, die persönliche Lieferpflicht sowie die Einhaltung der (Verhaltens-)Richtlinien und Weisungen der Firmenleitung (Artikel 2 Kundenberatervertrag) dar. Insgesamt ist somit vom Vorliegen des unterscheidungskräftigen Merkmals der Weisungsgebundenheit des Erstmitbeteiligten auszugehen.

Bestreitet die Beschwerdeführerin in der Folge mit nicht nachvollziehbaren Argumenten eine Pflicht zur Berichterstattung, sind ihr wiederum der Vertrag und die tatsächliche Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses entgegenzuhalten.

Vereinbarungsgemäß hatte jeder Mitarbeiter mindestens zweimal pro Woche in der Firma zu erscheinen, einen Wochenbericht abzugeben und hatte bei zweimaligem Fortbleiben mit einer Kündigung zu rechnen. Schließlich musste der Erstmitbeteiligte jeden Montag mündlich und schriftlich Bericht beim Manager M. erstatten und hatte hiebei insbesondere auch anzugeben, wie viele Kundentermine er vereinbart und wie viele Kaufverträge er abgeschlossen hatte. Aus all dem ergibt sich die Verpflichtung zur Berichterstattung.

Verweist die Beschwerdeführerin zur Frage der "stillen Autorität" auf die angeblich nicht verbindlichen Kundenlisten, ist sie auf die Ausführungen zur Weisungsgebundenheit zu verweisen. Ergänzt sei, dass - unabhängig von anderen Eingriffen - der Arbeitsablauf durch die Beschwerdeführerin auch insofern beeinflusst worden ist, als sich der Erstmitbeteiligte bei seinem Auftreten "genau an die Richtlinien der Firma" zu halten hatte (Artikel 2).

Im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Abhängigkeit nimmt die Beschwerdeführerin Bezug auf das Konkurrenzverbot, ohne dies aber - anders als in der Berufung - nunmehr in Frage zu stellen.

Keiner näheren Erläuterung bedarf die in der Beschwerde angesprochene Vereinbarung einer Provision anstelle eines Fixums, zumal auch die belangte Behörde diese vom Arbeitserfolg abhängende Entlohnung nicht in ihre Beurteilung einbezogen hat.

Zwar fehlt es mangels Vereinbarung einer fixen oder sonstigen vom Arbeitserfolg unabhängigen Entlohnung an einem von der Rechtsprechung bei Vertreterverhältnissen zur Unterscheidung zusätzlich herangezogenen Kriterium; das Fehlen eines an sich unterscheidungskräftigen Merkmales persönlicher Abhängigkeit lässt im Hinblick darauf, dass schon das Überwiegen dieser Merkmale bei der anzustellenden Gesamtbetrachtung genügt, aber keinen zwingenden Schluss darauf zu, dass die zu beurteilende Tätigkeit nicht der Versicherungspflicht unterliegt; es kommt vielmehr darauf an, ob unter Berücksichtigung aller im Einzelfall gegebenen Umstände die Bestimmungsfreiheit des Beschäftigten durch seine Beschäftigung weitgehend ausgeschaltet ist (vgl. das Erkenntnis vom 21. Dezember 1993, 90/08/0224). Vor dem Hintergrund der dargestellten Weisungsgebundenheit, der Berichterstattungspflicht, der Befolgung genauer Anweisungen den Verkauf betreffend und des Konkurrenzverbotes kann kein begründeter Zweifel daran bestehen, dass trotz erfolgsabhängiger Entlohnung jene unterscheidungskräftigen Merkmale überwiegen, die für das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses eines Vertreters in persönlicher Abhängigkeit maßgeblich sind.

Die von der Beschwerdeführerin bezweifelte wirtschaftliche Abhängigkeit des Erstmitbeteiligten ist bei entgeltlichen Arbeitsverhältnissen die zwangsläufige Folge persönlicher Abhängigkeit, was von der belangten Behörde ebenfalls zutreffend bejaht wurde.

Insgesamt ist es der Beschwerdeführerin nicht gelungen, relevante Mängel des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen, weshalb die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Einer nicht durch einen Rechtsanwalt vertretenen mitbeteiligten Partei steht kein Ersatz des Schriftsatzaufwandes zu (vgl. das Erkenntnis vom 26. Jänner 2000, 94/08/0139). Das Kostenbegehren der mitbeteiligten Wiener Gebietskrankenkasse war daher abzuweisen.

Wien, am 3. April 2001

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