VwGH 99/01/0133

VwGH99/01/013322.12.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Bachler und Dr. Rigler als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerden 1) der MI in L, geboren am 3. Oktober 1974, vertreten durch Dr. Helmut Hackl, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Hauptplatz 23/II (Zl. 99/01/0159), 2) des AI in L, geboren am 28. März 1998, vertreten durch die erstbeschwerdeführende Mutter, diese vertreten durch Mag. Reinhard Grasböck, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Landstraße 47 (Zl. 99/01/0133), gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates vom 29. Oktober 1998,

1) Zl. 205.742/0-III/09/98, betreffend Zurückweisung eines Asylantrages, 2) Zl. 205.743/0 III/09/98, betreffend Erstreckung von Asyl gemäß §§ 10 und 11 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §4 Abs2;
AsylG 1997 §4 Abs3;
AsylG 1997 §4 Abs2;
AsylG 1997 §4 Abs3;

 

Spruch:

Der erstangefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, der zweitangefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von je S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren der Erstbeschwerdeführerin wird abgewiesen.

Begründung

Die Erstbeschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Bundesrepublik Jugoslawien, stellte am 21. September 1998 einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Aufgrund ihrer Angabe anlässlich der vom Bundesasylamt durchgeführten Ersteinvernahme, sie habe sich vor ihrer Einreise nach Österreich in Ungarn aufgehalten, wurde ihr vorgehalten, Asylwerber seien während des Verfahrens in Ungarn zum Aufenthalt berechtigt, dies nach Art. 14 bis 16 des neuen Asylgesetzes Nr. CXXXIX/1997. Dieses Gesetz (insbesondere dessen Art. 61 Abs. 1 und Art. 6) sehe auch Schutz vor Abschiebung in den Herkunftsstaat vor, falls dort eine Bedrohung im Sinne des § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG gegeben wäre.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 1. Oktober 1998 wurde der Asylantrag der Erstbeschwerdeführerin gemäß § 4 Abs. 1 des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 - AsylG, als unzulässig zurückgewiesen. Begründend wurde u.a. ausgeführt, nach den Vorhalten, darunter auch zur Rechtslage in Ungarn, sei davon auszugehen, dass "Asylwerber während des Verfahrens in Ungarn zum Aufenthalt berechtigt" seien und ihnen Schutz vor Abschiebung im oben ausgeführten Umfang zukomme.

Die dagegen erhobene Berufung wurde vom unabhängigen Bundesasylsenat mit Bescheid vom 29. Oktober 1998 gemäß § 4 Abs. 1 AsylG abgewiesen. Der unabhängige Bundesasylsenat begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die über Ungarn in das Bundesgebiet eingereiste Erstbeschwerdeführerin dort Schutz vor Verfolgung finden könne, wobei er auf die Ausführungen der Behörde erster Instanz verwies und sich diesen anschloss.

Mit dem zweitangefochtenen Bescheid vom 29. Oktober 1998 hat der unabhängige Bundesasylsenat den Antrag des Zweitbeschwerdeführers auf Erstreckung des Asyls gemäß §§ 10 und 11 AsylG abgewiesen. Dies wurde damit begründet, dass der Asylantrag der Mutter des Zweitbeschwerdeführers mit dem im Instanzenzug bestätigten Bescheid des Bundesasylamtes vom 1. Oktober 1998 zurückgewiesen worden sei. Die Erstreckung von Asyl sei nicht möglich, weil die gemäß § 10 Abs. 1 AsylG geforderte Voraussetzung, nämlich die einen Angehörigen im Sinne dieser Bestimmung betreffende Asylgewährung, nicht vorliege.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden, aufgrund ihres persönlichen, sachlichen und rechtlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Beschwerden, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt § 4 Abs. 2 AsylG für die Zurückweisung eines Asylantrages wegen Drittstaatsicherheit voraus, dass die Asylbehörden im Einzelfall zunächst die Rechtslage im potentiellen Drittstaat ermitteln (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0284).

Weiters gilt für die Berufungsbehörde nach dem gemäß § 67 AVG auch von ihr anzuwendenden § 60 leg. cit., dass in der Begründung des Berufungsbescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und darauf gestützt die Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen sind. Demnach muss in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung der Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglichen Weise dargelegt werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, dass gerade dieser Sachverhalt vorliege und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einem bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete (vgl. die in Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998), 1044 wiedergegebene ständige hg. Rechtsprechung).

Im vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die Berufungsbehörde die ungarische Rechtslage festzustellen und darzulegen gehabt hätte, auf Grund welcher Überlegungen sie zu dem Ergebnis gelangte, dass die von ihr ermittelte ungarische Rechtslage derart beschaffen sei, dass rechtlich gemäß § 4 Abs. 2 AsylG zu folgern sei, Asylwerber seien während des Asylverfahrens (wobei darauf hinzuweisen ist, dass der Verwaltungsgerichtshof darunter das gesamte Asylverfahren einschließlich des gerichtlichen Überprüfungsverfahrens versteht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0284, auf das gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird), was von der belangte Behörde aber offen gelassen wurde) in Ungarn "zum Aufenthalt berechtigt". Diesen Anforderungen wird der angefochtene Bescheid jedoch nicht gerecht. Die belangte Behörde begnügt sich im entscheidenden Punkt ihrer von der Behörde erster Instanz übernommenen Begründung, nach der Feststellung, seit dem 1. März 1998 stehe in Ungarn das Gesetz Nr. CXXXIX/1997 in Geltung, das die einschlägigen Fragen des Flüchtlingsrechts regle, mit den Sätzen:

"Des weiteren sind Asylwerber während des Verfahrens in Ungarn zum Aufenthalt berechtigt (vgl. Art. 14 bis 16 des obgenannten Gesetzes)"

sowie

"Schließlich sieht das Gesetz Nr. CXXXIX/1997 auch Schutz vor Abschiebung in den Herkunftsstaat vor, falls dort eine Bedrohung im Sinne des § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG gegeben wäre (vgl. insbesondere Art. 61 Abs. 1 und Art. 61 Abs. 6 leg. cit.)".

Weder aus den vorgelegten Verwaltungsakten noch aus der weiteren Bescheidbegründung wird allerdings der genaue Inhalt der zitierten Gesetzesbestimmungen deutlich. Wie die belangte Behörde zu ihrer rechtlichen Beurteilung gelangte, die - von ihr im Einzelnen gar nicht dargestellte - ungarische Rechtslage sei so beschaffen, dass Asylwerber "während des Verfahrens" - wobei die belangte Behörde nicht eindeutig sagt, was sie darunter versteht - in Ungarn im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG "zum Aufenthalt berechtigt" und vor Abschiebung geschützt seien, entzieht sich daher einer Nachprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. März 1999, Zl. 98/01/0313).

Da somit Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war der erstangefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Gemäß § 42 Abs. 3 VwGG tritt durch die Aufhebung des erstangefochtenen Bescheides die Rechtssache in die Lage zurück, in der sie sich vor Erlassung des angefochtenen Bescheides befunden hatte.

Für den Zweitbeschwerdeführer folgt daraus, dass mit der rechtskräftigen Erledigung seines Antrages bis zur rechtskräftigen Erledigung des durch die Aufhebung des den Asylantrag der Mutter des Zweitbeschwerdeführers (der Erstbeschwerdeführerin) abweisenden Bescheides wieder offenen Verfahrens über den Hauptantrag zuzuwarten ist und den Zweitbeschwerdeführer in dem genannten Verfahren die ihm durch § 11 Abs. 2 erster Satz AsylG eingeräumte Parteistellung zukommt (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 15. Dezember 1998, Zl. 98/20/0311, sowie vom 16. Dezember 1998, Zl. 98/01/0402).

Der zweitangefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren der Erstbeschwerdeführerin hinsichtlich des Schriftsatzaufwandes war abzuweisen, weil neben dem pauschalierten Ersatz des Schriftsatzaufwandes ein Kostenersatz unter dem Titel der Umsatzsteuer nicht zusteht.

Wien, am 22. Dezember 1999

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