VwGH 96/09/0239

VwGH96/09/02399.9.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Blaschek und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Loibl, über die Beschwerde des W in Innsbruck, vertreten durch Dr. Karl Hepperger, Rechtsanwalt in Innsbruck, Müllerstraße 27/II, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 12. Juni 1996, Zl. 1/20-3/1995, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Angelegenheit Bestrafung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 12. Juni 1996 wurde der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 17. April 1996 nach Versäumung der Berufungsfrist gegen das Straferkenntnis des Bürgermeisters von Innsbruck als Bezirksverwaltungsbehörde vom 30. März 1995 gemäß § 71 AVG iVm §§ 24, 51, 51c und 51e Abs. 2 VStG abgewiesen.

Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung nach wörtlicher Wiedergabe des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und des wesentlichen Inhaltes der gegen die diesen Antrag abweisende Entscheidung der Erstbehörde vom 13. Mai 1996 erhobene Berufung folgendermaßen:

"Ein Rechtsanwalt hat gegenüber seinen Kanzleibediensteten der ihm zumutbaren und der Sachlage nach gebotenen Überwachungspflicht nachzukommen (VwGH 10.05.1985, 84/11/0163 u. a.). Der Antragsteller hat seinen Antrag in Hinsicht auf die Erfüllung der nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht seiner Büroangestellten zu substantiieren; allgemeine Behauptungen genügen nicht (VwGH 26.09.1979, 904, 906/79).

Es kann im gegenständlichen Verfahren dahingestellt bleiben, ob die Sekretärin des Rechtsvertreters des Berufungswerbers tatsächlich oder nur vermeintlich überlastet war (Hervorhebung durch Unterstreichen durch den Verwaltungsgerichtshof); in seinem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 17.04.1996 hat der Rechtsvertreter des Berufungswerbers in keiner Weise dargelegt, in welcher Weise er Vorsorge gegen Fristversäumungen durch "vergessen" seiner Büroangestellten getroffen hat. Ein derartiges Vorbringen wäre aber unbedingt erforderlich gewesen, um im Sinne der vorangeführten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes überprüfen zu können, ob er seiner Überwachungspflicht gegenüber seiner Kanzleiangestellten nachgekommen ist. Mit diesem seinen Vorbringen vermochte der Rechtsvertreter des Berufungswerbers daher nicht glaubhaft zu machen, daß er durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten und ihm kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, weshalb die Berufung als unbegründet abzuweisen war."

Die Beschwerde umschreibt den "Umfang der Bekämpfung" folgendermaßen:

"Das bezeichnete Berufungserkenntnis des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 12.06.1996, Zl. 1/20-3/1995, wird seinem gesamten Umfang nach, sohin im Umfang der Abweisung der Berufung des Beschwerdeführers gegen das Straferkenntnis des Stadtmagistrates Innsbruck vom 13. Mai 1996, Zl. I-721/1995, angefochten."

Da das zitierte "Straferkenntnis" vom 13. Mai 1996 der Bescheid der Behörde erster Instanz ist, mit welchem der mit Schriftsatz vom 17. April 1996 gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung des Beschwerdeführers abgewiesen wurde, nicht jedoch um das zugrundeliegende Straferkenntnis vom 30. März 1995, hinsichtlich dessen die dagegen erhobene Berufung mit Spruchpunkt 2 des angefochtenen Bescheides als verspätet zurückgewiesen wurde, und sich die Beschwerdeausführungen in der Folge inhaltlich ausschließlich mit der Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand befassen, ist davon auszugehen, daß der Beschwerdeführer ausschließlich den oben wiedergegebenen Spruchpunkt 1 des Bescheides der belangten Behörde vom 12. Juni 1996 angefochten hat. Zudem geht der Beschwerdeführer in der Beschwerde selbst von der Verspätung der gegen den Bescheid vom 30. März 1995 erhobenen Berufung aus.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Ein an der Fristversäumnis schuldhaftes Verhalten ist der Partei nur dann zuzurechnen, wenn sie selbst oder ihr Vertreter dieses Verhalten gesetzt hat, wobei das Verschulden des Vertreters in einem schuldhaften Tun oder Unterlassen, so insbesondere auch in einem Unterlassen der Organisationspflicht und der Überwachungspflicht bestehen kann. Die diesbezügliche Überwachungspflicht eines Parteienvertreters geht jedoch nicht soweit, jede einzelne einfache Arbeitsverrichtung seiner Angestellten zu kontrollieren. Die Aufgabe von Postsendungen gehört regelmäßig zu diesen einfachen Arbeitsverrichtungen, auf deren auftragsgemäße Erfüllung der Parteienvertreter vertrauen darf, es sei denn, daß für ihn Veranlassung besteht, das pflichtgemäße Verhalten seines Angestellten in Zweifel zu ziehen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 22. Jänner 1992, Zl. 91/13/0254 = VwSlg. 6327 F, vom 15. März 1995, Zl. 94/13/0215, u.a.).

Der Beschwerdeführer hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im wesentlichen damit begründet, daß er die Berufung bereits am 5. April 1995, somit dem der Übernahme des Straferkenntnisses folgenden Tag ausgearbeitet und versandbereit gemacht habe. Er habe einer verläßlichen Mitarbeiterin den Auftrag erteilt, diese Berufung noch am 5. April 1995 eingeschrieben zur Post zu geben. "Aufgrund von Arbeitsüberlastung" sei ihr dahingehend ein Fehler unterlaufen, daß sie versehentlich die Berufung erst am 24. April 1995 zur Post gebracht habe. Ein derartiger Fehler sei ihr in ihrer bisherigen langjährigen Tätigkeit noch nicht passiert, es handle sich um ein einmaliges Versehen.

Die Behörde erster Instanz leitete daraus ab, daß der Vertreter des Beschwerdeführers aufgrund der "in seiner Kanzlei herrschenden Arbeitsüberlastung" über die bloße Anweisung der Postaufgabe hinaus auch eine Kontrolle der Einhaltung der Anweisungen durch den Vertreter des Beschwerdeführers geboten gewesen wäre. In der dagegen erhobenen Berufung wendete der Beschwerdeführer ein, daß nicht der Vertreter des Beschwerdeführers selbst von einer in seiner Kanzlei herrschenden Arbeitsüberlastung ausgehe, sondern daß die Sekretärin in subjektiver Hinsicht von Arbeitsüberlastung ausgegangen sei. Die von ihr behauptete Arbeitsüberlastung könne nicht als Grundlage dafür gelten, daß "auch tatsächlich Arbeitsüberlastung vorgelegen hätte". Für den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers sei aus seiner Sicht keine Arbeitsüberlastung gegeben gewesen, da er "ansonsten sehr wohl weitere Kontrollen bezüglich der Einhaltung von Anweisungen durchgeführt hätte". Dieses Vorbringen wird in der Beschwerde wiederholt.

Im Gegensatz zur Behörde erster Instanz hat es die belangte Behörde offengelassen, ob die Sekretärin des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers tatsächlich oder nur vermeintlich überlastet gewesen sei. Sie hat weder die Angaben des Beschwerdeführers hinsichtlich der "Arbeitsüberlastung" im Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - die Partei bleibt im Verfahren wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand an den im Antrag vorgebrachten Wiedereinsetzungsgrund gebunden, eine Auswechslung dieses Grundes im Berufungsverfahren ist rechtlich unzulässig - einer Beweiswürdigung im Sinne des erstinstanzlichen Bescheides unterzogen, noch ein Ermittlungsverfahren für den Fall durchgeführt, daß sie Zweifel an der von der Behörde erster Instanz erfolgten Würdigung gehabt hätte, durchgeführt.

Die Überprüfungsbefugnis des Verwaltungsgerichtshofes ist jedoch gemäß § 41 Abs. 1 VwGG auf den von der belangten Behörde festgestellten Sachverhalt bzw. darauf beschränkt, ob dieser Sachverhalt in einem mängelfreien Verfahren ermittelt wurde. Dem Verwaltungsgerichtshof ist es verwehrt, eine Beweiswürdigung anstelle der belangten Behörde durchzuführen. Daran ändert auch eine in einer Gegenschrift der belangten Behörde nachgetragene Beweiswürdigung nichts.

Im gegenständlichen Fall bedeutet dies, daß der Vertreter des Beschwerdeführers nur dann gehalten gewesen wäre, hinsichtlich des Auftrags zur Aufgabe von Postsendungen an seine Mitarbeiterin Kontrollen durchzuführen, wenn er selbst von Arbeitsüberlastung seiner Sekretärin gewußt hätte oder davon auszugehen hatte. Gerade diesen Umstand hat die belangte Behörde aber im angefochtenen Bescheid offengelassen. Erst in ihrer Gegenschrift vertritt die belangte Behörde die Ansicht, aus dem Erstantrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 17. April 1996 ergebe sich, daß der Vertreter des Beschwerdeführers von der "Arbeitsüberlastung" seiner Sekretärin gewußt habe.

Da die belangte Behörde diese Frage im angefochtenen Bescheid ausdrücklich "dahingestellt" gelassen hat, erweist sich der angefochtene Bescheid mit einem Begründungsmangel behaftet, da ihm nicht zu entnehmen ist, welchen konkreten Sachverhalt die belangte Behörde ihrer Entscheidung zugrundelegte, aus welchen Erwägungen sie zur Ansicht gelangte, daß gerade dieser Sachverhalt vorliege und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes über einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete.

Da sich dieser Verfahrensmangel aus den oben dargestellten Gründen als wesentlich darstellt, weil die belangte Behörde bei der Einhaltung der Verfahrensvorschriften zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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