VwGH 94/13/0215

VwGH94/13/021515.3.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Pokorny und Dr. Hargassner als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über den Antrag des E in W, vertreten durch Dr. B, Rechtsanwalt in W, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist für die Einbringung der Beschwerde gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 13. April 1993, Zl. 6/3-3210/92-07, betreffend Einkommensteuer 1989, den Beschluß gefaßt:

Normen

AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Gemäß § 46 VwGG wird dem Antrag stattgegeben.

Begründung

Mit hg. Beschluß vom 27. Juli 1994, 93/13/0102, wurde die Verwaltungsgerichtshofbeschwerde des Antragstellers gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 13. April 1993, Zl. 6/3-3210/92-07, betreffend Einkommensteuer 1989, wegen Versäumung der Beschwerdefrist zurückgewiesen.

Im gegenständlichen Wiedereinsetzungsantrag wird die Fristversäumnis wie folgt erklärt:

Der bevollmächtigte Rechtsanwalt des Antragstellers sei erst am 11. Juni 1993 mit der Abfassung des Beschwerdeschriftsatzes beauftragt worden. Die Beschwerdefrist sei am 14. Juni 1993 abgelaufen. Vorsichtshalber sei aber als letzter Tag der Frist nicht dieser Tag, sondern der 13. Juni 1993 (dies war ein Sonntag) im Kanzleikalender eingetragen worden. Die Beschwerde sei dementsprechend am 13. Juni 1993 verfaßt und der auch am Wochenende in der Kanzlei anwesenden Kanzleisekretärin mit dem Auftrag übergeben worden, sie zur Post zu geben. Dem stehe nicht entgegen, daß der Beschwerdeschriftsatz mit dem 14. Juni 1993 (dem letzten Tag der Beschwerdefrist) datiert worden sei. Irrtümlicherweise habe die Kanzleisekretärin die bereits kuvertierte Beschwerde jedoch erst am 16. Juni 1993 zur Post gegeben. Dieses Fehlverhalten sei für den Parteienvertreter trotz eines in seiner Kanzlei eingerichteten Kontrollsystems und der darauf aufbauenden Organisationsstruktur zunächst unerkannt geblieben, weil die Causa im Fristenbuch am Abend des 13. Juni 1993 bereits als erledigt ausgetragen ("durchgestrichen") worden sei und auch die (spätere) Kontrolle des "Einschreibzettels" keine Zweifel am Postaufgabetag "13. Juni 1993" ergeben habe. Mit freiem Auge sei nämlich infolge eines eckigen Stempelaufdruckes nicht erkennbar gewesen, daß die als 3 lesbare Zahl in Wahrheit 6 bedeutete.

Die Kanzleisekretärin bestätigt schriftlich auf einer Beilage zum Wiedereinsetzungsantrag, daß sie am 13. Juni 1993 vom Parteienvertreter beauftragt worden sei, die Beschwerde zur Post zu geben, wobei sie ausdrücklich auf den Ablauf der Frist am 14. Juni 1993 hingewiesen worden sei. Da das auch sonntags geöffnete Hauptpostamt nur 50 m von der Kanzlei entfernt sei, habe sie beabsichtigt, die Beschwerde sicherheitshalber noch am Sonntag, dem 13. Juni 1993, zusammen mit anderen Schriftstücken zur Post zu bringen. Dabei müsse es passiert sein, daß die bereits fertig kuvertierte Beschwerde irrtümlich in der Kanzlei liegen geblieben sei. Sie sei dann erst am 16. Juni 1993 eingeschrieben zur Post gegeben worden. Der Irrtum sei nicht aufgefallen, weil das Kuvert von außen nicht erkennen ließ, welchen Inhalt es hatte.

Diese Darstellung gibt keine Erklärung dafür, wieso bei Aufgabe einer EINGESCHRIEBENEN Postsendung für den Aufgebenden nicht erkennbar gewesen sein soll, WELCHE Sendung eingeschrieben zur Post gegeben wurde. Dient doch die eingeschriebene Aufgabe eines Poststückes dem Nachweis, daß ein BESTIMMT BEZEICHNETES Poststück tatsächlich der Post zur Beförderung übergeben wurde. Läßt sich nicht erkennen, welche Sendung eingeschrieben zur Post gegeben wird, so wird dieser Zweck nicht nur verfehlt, sondern es besteht auch nicht die Möglichkeit, den betreffenden Einschreibzettel nach Postaufgabe in den richtigen Akt einzulegen.

Ungeachtet der Bedenken, die der Gerichtshof gegen die Darstellung der Kanzleisekretärin hegt, - möglicherweise sollte damit ein Fehlverhalten der Kanzleisekretärin ihrem Dienstgeber gegenüber kaschiert werden - steht diese Darstellung einer Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht entgegen. Ein an der Fristversäumnis schuldhaftes Verhalten ist der Partei nämlich nur dann zuzurechnen, wenn sie selbst oder ihr Vertreter dieses Verhalten gesetzt hat, wobei das Verschulden des Vertreters wiederum in einem schuldhaften Tun oder Unterlassen, so insbesondere auch in einem Unterlassen der Organisationspflicht und der Überwachungspflicht bestehen kann. Ein derartiges Verschulden ist weder beim Antragsteller noch bei seinem Vertreter erkennbar. Die Überwachungspflicht eines Parteienvertreters geht nämlich nicht soweit, jede einzelne einfache Arbeitsverrichtung seiner Angestellten zu kontrollieren. Die Aufgabe von Postsendungen gehört regelmäßig zu diesen einfachen Arbeitsverrichtungen, auf deren auftragsgemäße Erfüllung der Parteienvertreter vertrauen darf, es sei denn, daß für ihn Veranlassung besteht, das pflichtgemäße Verhalten seines Angestellten in Zweifel zu ziehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Mai 1988, 86/13/0115). Dem Wiedereinsetzungsantrag war somit stattzugeben.

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