VwGH 95/19/0926

VwGH95/19/092625.4.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Holeschofsky, Dr. Zens, Dr. Bayjones und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde der B in W, vertreten durch Dr. Z, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 19. Juli 1995, Zl. 302.431/2-III/11/95, betreffend Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz, zu Recht erkannt:

Normen

AufG 1992 §5 Abs1;
AufG 1992 §6 Abs1;
AVG §13 Abs3;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §56;
AVG §73 Abs2;
AufG 1992 §5 Abs1;
AufG 1992 §6 Abs1;
AVG §13 Abs3;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §56;
AVG §73 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin beantragte am 6. Dezember 1994 (Datum des Einlangens) beim Landeshauptmann von Wien die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. In ihrem Antrag behauptete sie nicht, in Österreich polizeilich gemeldet zu sein. Unter der Rubrik "gesicherte Unterkunft in Österreich" gab sie eine Adresse in Wien an. Einen Mietvertrag betreffend diese Wohnung legte sie dem Antrag nicht bei. Hinsichtlich in Österreich verfügbarer eigener Mittel zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes berief sie sich auf ihr Einkommen als Arbeiterin bei einem österreichischen Unternehmen. Eine Arbeits- und Lohnbestätigung dieses Unternehmens legte sie dem Antrag bei (vgl. Seite 6 des Verwaltungsaktes).

Am 29. März 1995 lud der Landeshauptmann von Wien die Beschwerdeführerin für den 9. Mai 1995 und forderte sie auf, unter anderem eine aktuelle Lohnbestätigung, einen Meldezettel sowie den gegenständlichen Mietvertrag vorzulegen.

Am 9. Mai 1995 erschien die Beschwerdeführerin nicht. Mit einer am 12. Mai 1995 beim Landeshauptmann von Wien eingelangten Eingabe legte die Beschwerdeführerin Beilagen vor, wobei in dieser Eingabe behauptet wurde, daß auch der geforderte Meldezettel und der Mietvertrag, nicht jedoch, daß die aktuelle Lohnbestätigung angeschlossen wären. Meldezettel und Mietvertrag sind in den vorgelegten Verwaltungsakten der erstinstanzlichen Behörde allerdings nicht enthalten.

Am 16. Mai 1995 lud die erstinstanzliche Behörde die Beschwerdeführerin für den 8. Juni 1995 und forderte sie abermals auf, Unterlagen, unter anderem eine aktuelle Lohnbestätigung, den Meldezettel und den "kompletten Mietvertrag", vorzulegen.

Mit ihrem am 8. Juni 1995 bei der belangten Behörde eingelangten Devolutionsantrag machte die Beschwerdeführerin den Übergang der Entscheidungspflicht vom Landeshauptmann von Wien auf die belangte Behörde geltend.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dieser Antrag gemäß § 73 Abs. 1 und 2 AVG abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin sei der Aufforderung der erstinstanzlichen Behörde, am 9. Mai 1995 unter Mitnahme von Urkunden zu erscheinen, nicht nachgekommen. Sie habe am 10. Mai 1995 ein Schreiben an den Landeshauptmann von Wien abgeschickt, dem jedoch die unter "Beilage" angeführten Urkunden nicht zur Gänze beigelegt gewesen seien. Insbesondere hätten die Urkunden, welche Voraussetzung für die Prüfung einer gesicherten Unterkunft und eines gesicherten Lebensunterhaltes gewesen seien (Meldezettel, Mietvertrag und aktuelle Lohnbestätigung), gefehlt. Statt der neuerlichen Ladung des Landeshauptmannes von Wien für den 8. Juni 1995 zu entsprechen und die dort geforderten Belege beizubringen, habe die Beschwerdeführerin den gegenständlichen Devolutionsantrag eingebracht.

Aufgrund dieses Sachverhaltes stehe fest, daß die Verzögerung, welche zur Überschreitung der Frist des (richtig wohl:) § 73 Abs. 1 AVG geführt habe, nicht ausschließlich auf ein Verschulden des Landeshauptmannes von Wien zurückzuführen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Sie macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit dem Antrag geltend, ihn aus diesen Gründen aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 73 Abs. 1 und 2 AVG lauten:

"§ 73. (1) Die Behörden sind verpflichtet, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, über Anträge von Parteien (§ 8) und Berufungen ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlangen den Bescheid zu erlassen.

(2) Wird der Bescheid der Partei nicht innerhalb dieser Frist zugestellt, so geht auf ihren schriftlichen Antrag die Zuständigkeit auf die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde, wenn aber gegen die ausständige Entscheidung die Berufung an den unabhängigen Verwaltungssenat vorgesehen ist, auf diesen über. Ein solcher Antrag ist unmittelbar bei der Oberbehörde (beim unabhängigen Verwaltungssenat) einzubringen. Der Antrag ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht ausschließlich auf ein Verschulden der Behörde zurückzuführen ist."

§ 5 Abs. 1 und § 6 Abs. 1 erster und zweiter Satz AufG lauten:

"§ 5. (1) Eine Bewilligung darf Fremden nicht erteilt werden, bei denen ein Sichtvermerksversagungsgrund (§ 10 Abs. 1 FrG) vorliegt, insbesondere aber, wenn deren Lebensunterhalt oder eine für Inländer ortsübliche Unterkunft in Österreich für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert ist.

§ 6. (1) Außer in den Fällen des § 7 Abs. 1 wird die Bewilligung und deren Verlängerung auf Antrag erteilt. In dem Antrag ist der Zweck des vorgesehenen Aufenthaltes in Österreich genau anzugeben und glaubhaft zu machen, daß kein Ausschließungsgrund (§ 5) vorliegt."

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Verzögerung der Entscheidung dann ausschließlich auf ein Verschulden der Behörde zurückzuführen, wenn diese Verzögerung weder durch ein Verschulden der Partei noch durch unüberwindliche Hindernisse verursacht wurde (vgl. unter anderem die Erkenntnisse vom 15. September 1969, Slg. Nr. 7632/A, vom 6. Juni 1973, Slg. Nr. 8426/A, vom 20. Juni 1980, Zl. 1567/76, vom 26. Februar 1981, Zl. 08/2878/79, und vom 14. April 1983, Zl. 82/08/0129). Relevanz kommt dem Verschulden einer Partei nach dem Vorgesagten daher nur dann zu, wenn es kausal für die Verzögerung, also die nicht fristgerechte Erledigung des Antrages, ist (vgl. für die im Bereich des Schadenersatzrechtes erforderliche Kausalität des Mitverschuldens Reischauer in Rummel II2 Rz 2 zu § 1304 ABGB).

§ 6 Abs. 1 AufG enthält KEINE FORMVORSCHRIFT, wonach der Fremde, der einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung einbringt, diesen durch Vorlage eines Mietvertrages, eines Meldezettels oder einer Gehaltsbestätigung (letztere wurde mit dem Antrag ohnedies vorgelegt) zu belegen hätte. Ein Vorgehen der Behörde nach § 13 Abs. 3 AVG bei Fehlen derartiger Belege kommt daher keinesfalls in Betracht. Die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wonach die Verzögerung einer Erledigung dann nicht ausschließlich auf ein Verschulden der Behörde zurückzuführen ist, wenn der Erlassung des Bescheides der Umstand entgegensteht, daß das von der Partei eingebrachte Ansuchen mit einem FORMGEBRECHEN behaftet ist, was auch dann gelten soll, wenn kein Verbesserungsauftrag im Sinne des § 13 Abs. 3 AVG erteilt wurde (vgl. hiezu die hg. Erkenntnisse vom 15. Oktober 1996, Zl. 94/05/0327, und vom 28. Juni 1994, Zl. 92/05/0066), findet im vorliegenden Fall daher keine Anwendung.

Im Rahmen seiner aus § 6 Abs. 1 AufG abgeleiteten Obliegenheit, glaubhaft zu machen, daß kein Versagungsgrund im Sinne des § 5 Abs. 1 AufG vorliege, hat der Fremde initiativ darzulegen, daß sein Lebensunterhalt gesichert ist (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 20. Juni 1996,

Zlen. 95/19/1466, 1467, 1479) und daß er über eine für Inländer ortsübliche Unterkunft für die Geltungsdauer der Bewilligung verfügt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 10. Dezember 1996, Zl. 95/19/0470).

Der Nachweis einer aufrechten Meldung an einer bestimmten Adresse ist zur Glaubhaftmachung einer ortsüblichen Unterkunft für die Dauer der zu erteilenden Bewilligung nicht erforderlich (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. Mai 1996, Zl. 95/19/0590).

Es kann hier dahingestellt bleiben, ob die Beschwerdeführerin ihre Obliegenheit zur Glaubhaftmachung einer gesicherten Unterkunft allein durch die Angabe der diesbezüglichen Adresse erfüllte oder nicht. Sollte man die Meinung vertreten, dies sei nicht der Fall gewesen, so hätte für die erstinstanzliche Behörde keine Veranlassung für weitere Ermittlungsschritte in diese Richtung bestanden. Die Unterlassung der Vorlage des Mietvertrages hätte diesfalls zum Ergebnis geführt, die in § 6 Abs. 1 AufG vorgesehene Glaubhaftmachung des Nichtvorliegens eines Versagungsgrundes im Sinne des § 5 Abs. 1 AufG sei der Beschwerdeführerin nicht gelungen. Das Fehlen dieser unerläßlichen Bewilligungsvoraussetzung hätte zu einer bescheidmäßigen Abweisung des Bewilligungsantrages zu führen gehabt. Eine Nichterledigung desselben aus diesem Grunde wäre dann nicht gerechtfertigt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 4. April 1989, Zl. 88/07/0150).

Ginge man demgegenüber davon aus, daß die Beschwerdeführerin durch ihre Antragsangaben über ihre Unterkunft in Österreich ausreichende Schritte zur Glaubhaftmachung im Sinne des § 6 Abs. 1 AufG gesetzt hätte und der Landeshauptmann von Wien im vorliegenden Fall daher zutreffend in Anwendung des § 39 Abs. 2 AVG amtswegige Ermittlungen über den Inhalt des Mietvertrages anstellte, wäre deren Erforderlichkeit nicht auf ein Verschulden der Beschwerdeführerin rückführbar.

Wohl aber traf die Partei eine Mitwirkungspflicht an der amtswegigen Feststellung des Sachverhaltes. Auch diesfalls hat aber die Behörde von Amts wegen zu bestimmen, welche Tatsachen zu beweisen sind und die Erbringung der Beweise anzuordnen (vgl. Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts6 Rz 321). Eine Aufforderung in diesem Sinne hat die erstinstanzliche Behörde am 29. März 1995 in Ansehung des Mietvertrages und des Meldezettels, aber auch einer aktuellen Lohnbestätigung, an die Beschwerdeführerin gerichtet. Auf Basis der Bescheidfeststellungen kam die Beschwerdeführerin dieser Aufforderung nicht nach.

Die Beschwerdeführerin, der der Abweisungsgrund des § 73 Abs. 2 AVG nicht vorgehalten wurde, bringt demgegenüber vor, sie habe Meldezettel und Mietvertrag vorgelegt.

Unstrittig ist, daß die Reaktion auf die Aufforderung vom 29. März 1995 nicht am 9. Mai 1995, sondern erst am 12. Mai 1995 (Einlangen des Schreibens der Beschwerdeführerin beim Landeshauptmann von Wien) erfolgte. Unstrittig ist auch, daß die von der Behörde ebenfalls verlangte aktuelle Lohnbestätigung nicht vorgelegt wurde.

Unabhängig davon, welche der vom Landeshauptmann von Wien angeforderten Urkunden die Beschwerdeführerin nun am 12. Mai 1995 vorgelegt hatte, stand spätestens zu diesem Zeitpunkt fest, ob und inwieweit sie ihrer Mitwirkungspflicht nachgekommen war oder nicht. Der Landeshauptmann von Wien hätte das Ergebnis seiner Aufforderung, entsprechende Beweise zu erbringen, schon zu diesem Zeitpunkt in seine Beweiswürdigung einbeziehen können (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 12. Oktober 1982, Zl. 82/11/0162, vom 29. November 1988, Zl. 88/11/0015, vom 11. Juni 1991, Zl. 90/07/0166, und vom 22. Februar 1994, Zl. 92/04/0249). Für die Erteilung weiterer Aufträge zur Beibringung von Urkunden bestand daher keine Veranlassung.

Der Beschwerdeführerin ist im vorliegenden Fall ein im Sinne des § 73 Abs. 2 AVG allenfalls relevantes Verschulden lediglich insoweit anzulasten, als sie auf das Schreiben vom 29. März 1995 verspätet, nämlich statt am 9. Mai 1995 erst am 12. Mai 1995 reagierte. Dieses Verschulden könnte jedoch nur dann zu einer Abweisung des Devolutionsantrages führen, wenn es für die Verzögerung im Sinne des § 73 Abs. 2 AVG kausal war. Dies setzte zum einen voraus, daß sich die Entscheidungsgrundlagen für die Behörde durch das Einlangen des Schreibens der Beschwerdeführerin am 12. Mai 1995 gegenüber dem 9. Mai 1995 maßgeblich verändert hätten, und zum anderen, daß die Behörde fristgerecht entschieden hätte, wäre die Reaktion auf das Schreiben vom 29. März 1995 bereits am 9. Mai 1995 erfolgt.

Zu diesen entscheidungserheblichen Fragen hat die belangte Behörde jedoch keine Feststellungen getroffen, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Von der beantragten Verhandlung wurde gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 und 6 VwGG abgesehen.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

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