VwGH 88/11/0015

VwGH88/11/001529.11.1988

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely , über die Beschwerde des R P in W, vertreten durch Dr. Wolf-Dieter Arnold, Rechtsanwalt in Wien I, Wipplingerstraße 10, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 29. Mai 1987, Zl. MA 62-III/741/86, betreffend Familienunterhalt und Wohnkostenbeihilfe nach dem Zivildienstgesetz, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §59 Abs1;
AVG §63 Abs1;
AVG §66 Abs4;
HGG 1985 §25;
HGG 1985 §26;
HGG 1985 §28;
HGG 1985 §29;
HGG 1985 §30;
HGG 1985 §32 Abs1;
HGG 1985;
ZDG 1986 §34 Abs2;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §59 Abs1;
AVG §63 Abs1;
AVG §66 Abs4;
HGG 1985 §25;
HGG 1985 §26;
HGG 1985 §28;
HGG 1985 §29;
HGG 1985 §30;
HGG 1985 §32 Abs1;
HGG 1985;
ZDG 1986 §34 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird, soweit damit über den Antrag auf Zuerkennung von Familienunterhalt entschieden wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und, soweit damit über den Antrag auf Zuerkennung von Wohnkostenbeihilfe entschieden wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.270,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Ehegattin des Beschwerdeführers beantragte im Sinne der §§ 34 Abs. 2 ZDG und 32 Abs. 1 HGG am 6. Oktober 1986 die Zuerkennung von Familienunterhalt, Wohnkostenbeihilfe und Kostenvergütung für die Benützung der eigenen Wohnung für die Dauer des vom Beschwerdeführer ab 1. Oktober 1986 zu leistenden Zivildienstes.

Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 1. und 8. Bezirk, vom 22. Oktober 1986 wurde dem Beschwerdeführer für die Dauer des Zivildienstes Familienunterhalt in der Höhe von S 11.984,89 und Wohnkostenbeihilfe in der Höhe von S 2.680,-- monatlich zuerkannt und festgestellt, daß der Beschwerdeführer keinen Anspruch auf Vergütung der Kosten für die Benützung der eigenen Wohnung besitze. In der Begründung dieses Bescheides ging die erstinstanzliche Behörde von einer Bemessungsgrundlage für den Familienunterhalt in der Höhe von S 19.974,82 aus und bestimmte den Familienunterhalt mit 60 S dieser Bemessungsgrundlage. Hinsichtlich der Wohnkostenbeihilfe vertrat sie die Auffassung, die nachgewiesenen Kosten für die 233 m2 große Wohnung seien in diesem Ausmaße nicht notwendig. Es könnten nur die anteiligen Kosten für 90 m2 Nutzfläche als notwendige Kosten berücksichtigt werden. Die Kostenvergütung für die Benützung der eigenen Wohnung gebühre dem Beschwerdeführer deshalb nicht, weil die vorgelegten Belege auf den Namen seiner Ehegattin lauteten.

Gegen die Bemessung der Wohnkostenbeihilfe und die Entscheidung über die Kostenvergütung erhoben der Beschwerdeführer und seine Ehegattin Berufung.

Mit dem angefochtenen Bescheid änderte die belangte Behörde den erstinstanzlichen Bescheid dahin ab, daß der Familienunterhalt für die Zeit vom 1. Oktober 1986 bis 31. Dezember 1986 mit S 4.908,38 monatlich und für die restliche Dauer des Zivildienstes ab 1. Jänner 1987 mit S 5.050,66 monatlich festgesetzt wurde. Das Begehren auf Zuerkennung einer über den Betrag von S 1.636,13 bzw. S 1.683,55 monatlich hinausgehenden Wohnkostenbeihilfe wurde abgewiesen. Der Ausspruch der erstinstanzlichen Behörde über die Kostenvergütung für die Benützung der eigenen Wohnung wurde behoben. Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe nach den vorgelegten Unterlagen nur in dem dem Antritt des Zivildienstes unmittelbar vorangegangenen Kalendermonat ein Nettoeinkommen in der Höhe von S 19.974,82 bezogen. Auf die Diskrepanz zwischen den hohen Lebenshaltungskosten und der behaupteten Einkommenserzielung nur in einem einzigen Monat seien die Berufungswerber hingewiesen und eingeladen worden, dazu Stellung zu nehmen. Da mangels Mitwirkung der Berufungswerber an der Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes davon auszugehen sei, daß die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 dritter Satz HGG nicht vorgelegen seien, sei bei der Berechnung des Familienunterhaltes und der Wohnkostenbeihilfe von der Mindestbemessungsgrundlage auszugehen gewesen, die im Jahre 1986 S 8.180,64 und im Jahre 1987 S 8.417,76 betragen habe. Obwohl sich die Berufung nur gegen die Höhe der Wohnkostenbeihilfe und den Ausspruch über die Kostenvergütung für die Benützung der eigenen Wohnung gerichtet habe, sei auch der Ausspruch über den Familienunterhalt abzuändern gewesen, weil dieser im Hinblick auf die gleiche Bemessungsgrundlage mit dem Ausspruch über die Wohnkostenbeihilfe rechtlich untrennbar verbunden sei.

Gegen diesen Bescheid, und zwar nur, soweit darin über den Familienunterhalt und die Wohnkostenbeihilfe abgesprochen wurde, richtet sich die Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer wendet sich mit Recht gegen die Auffassung der belangten Behörde, sie sei berechtigt gewesen, auch den nicht angefochtenen Ausspruch der erstinstanzlichen Behörde über den Familienunterhalt abzuändern. Die in § 66 Abs. 4 erster Satz AVG 1950 enthaltene Bestimmmung, wonach die Berufungsbehörde -

abgesehen von dem im Abs. 2 erwähnten Fall und der Zurückweisung der Berufung als unzulässig oder verspätet immer in der Sache selbst zu entscheiden hat, hat zur Folge, daß die im zweiten Satz dieser Gesetzesstelle eingeräumte weite Entscheidungsbefugnis insofern eingeschränkt ist, als "Sache" in diesem Sinne nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Angelegenheit ist, die den Inhalt des Spruches des Bescheides der Unterbehörde gebildet hat, im Falle einer eingeschränkten Berufung der vom Rechtsmittel erfaßte Teil des Bescheides, wenn dieser vom übrigen Bescheidinhalt trennbar ist. Nur wenn der angefochtene Teil des Bescheides vom übrigen Teil nicht trennbar ist, kann Teilrechtskraft nicht eintreten und ist auch bei bloß teilweiser Anfechtung die Berufungsbehörde berechtigt, auch den nicht angefochtenen Teil abzuändern. Eine Untrennbarkeit in diesem Sinne setzt einen solchen engen Zusammenhang zwischen dem angefochtenen und dem nicht angefochtenen Abspruch des unterinstanzlichen Bescheides voraus, kraft dessen die Absprüche in Wahrheit nur einen Abspruch mit unselbständigen Teilen darstellen, von denen der Sache nach keiner für sich allein bestehen und daher auch nicht in Teilrechtskraft erwachsen kann (siehe Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. November 1983, Slg. Nr. 11.237/A, mit weiteren Judikaturhinweisen).

Zwischen dem Familienunterhalt und der Wohnkostenbeihilfe besteht kein Zusammenhang im Sinne dieser Ausführungen. Jeder der beiden Ansprüche kann selbständig von dem anderen bestehen, geltend gemacht und zuerkannt werden. Ein Zusammenhang besteht zwischen diesen beiden Ansprüchen nur insofern, als die Wohnkostenbeihilfe nach dem gemäß § 34 ZDG auf Zivildienstleistende sinngemäß anzuwendenden § 30 Abs. 1 und 3 HGG in Prozentsätzen von der Bemessungsgrundlage für den Familienunterhalt gebührt. Die Tatsache, daß die Bemessungsgrundlage für beide Ansprüche die gleiche ist, hat nicht zur Folge, daß dann, wenn beide Ansprüche gebühren und über beide in einem Bescheid abgesprochen wird, der nicht angefochtene Teil nicht in Rechtskraft erwachsen kann. Der Umstand allein, daß verschiedene gesetzliche Tatbestände ein Tatbestandsmerkmal gemeinsam haben, bewirkt nicht die Untrennbarkeit der Absprüche über die aus den verschiedenen Tatbeständen abgeleiteten Ansprüche.

Aus den dargelegten Gründen ist die Abänderung des unangefochten gebliebenen Ausspruches der erstinstanzlichen Behörde über den Familienunterhalt inhaltlich rechtswidrig.

Der Beschwerdeführer macht auch mit Recht geltend, daß der angefochtene Bescheid jede Feststellung vermissen läßt, auf Grund welcher sich der Schluß rechtfertigen ließe, daß der Beschwerdeführer in den Monaten Juli und August 1986 Nettoeinkommen im Sinne des § 26 Abs. 3 HGG erzielt habe, diese aber so gering gewesen seien, daß der Durchschnitt der letzten drei Monate vor Antritt des Zivildienstes nicht einmal die Mindestbemessungsgrundlage erreicht habe.

HGG kennt eine formelle Behauptungslastregel des Inhalts, daß schon das Fehlen der Behauptung einer bestimmten Tatsache den Anspruchsverlust zur Folge hätte, oder eine von den §§ 37, 39 Abs. 2 AVG 1950 abweichende Verschiebung der Beweislast nicht. Auch im Verfahren nach den Bestimmungen des V. Abschnittes des HGG, der gemäß § 34 Abs. 2 ZDG auf den Familienunterhalt und die Wohnkostenbeihilfe anzuwenden ist, obliegt es somit der Behörde, innerhalb der Grenzen ihrer Möglichkeiten und des vom Verfahrenszweck her gebotenen und zumutbaren Aufwandes ihrer nach den §§ 37, 39 Abs. 2 AVG 1950 bestehenden amtswegigen Ermittlungspflicht nachzukommen. Wenn es jedoch der Behörde nicht möglich ist, von sich aus und ohne Mitwirkung der Partei weiter tätig zu werden, weil sie Angaben und Beweisanbote der Partei benötigt, ist von einer Mitwirkungspflicht der Partei auszugehen (siehe Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. Jänner 1987, Zl. 86/11/0044). Hat eine Partei die sie treffende Mitwirkungspflicht verletzt, kann dies von der Behörde im Rahmen der freien Beweiswürdigung berücksichtigt werden.

Im vorliegenden Fall hat die Ehegattin des Beschwerdeführers nach dem Inhalt des Aktenvermerks vom 23. Februar 1987 schon vor der Antragstellung gegenüber der erstinstanzlichen Behörde erklärt, daß der Beschwerdeführer erst seit 1. September 1987 arbeite und zuvor kein Einkommen aus selbständiger oder unselbständiger Tätigkeit gehabt habe. Hinsichtlich der Herkunft der entsprechenden Mittel für die Sanierung der Wohnung habe sie wie in der Berufung auf die Hilfe der Eltern und die Verwendung des "Heiratsgutes" und von Ersparnissen verwiesen. Die belangte Behörde hat eine Auskunft der Wiener Gebietskrankenkasse eingeholt, welche die Richtigkeit dieser Behauptungen insofern bestätigte, als im Jahre 1986 Versicherungszeiten des Beschwerdeführers vor dem Antritt des Zivildienstes nur vom 1. bis 30. September 1986 aufscheinen. Eine Anfrage beim Zentralgewerbekataster brachte keinen Hinweis auf eine gewerbliche Tätigkeit des Beschwerdeführers. Die belangte Behörde äußerte in einem Schreiben an die erstinstanzliche Behörde die Vermutung, daß der Beschwerdeführer nicht nur im September Einkommen bezogen habe, und ersuchte die erstinstanzliche Behörde, die Ehegattin des Beschwerdeführers darüber zu befragen, wobei allfällige zusätzliche Einkommen nachzuweisen wären. Die Ehegattin des Beschwerdeführers leistete der Aufforderung zur Abgabe einer Stellungnahme zu diesen Ausführungen der belangten Behörde nicht Folge. Der Beschwerdeführer befolgte eine Ladung zur erstinstanzlichen Behörde nicht.

Der belangten Behörde kann insoweit nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, als sie im Hinblick auf die Aktenlage die Möglichkeit weiterer Einkünfte des Beschwerdeführers oder seiner Ehegattin ins Auge gefaßt hat. Ihr ist auch insoweit zu folgen, als sie die Mitwirkungspflicht des Beschwerdeführers in dieser Frage bejaht hat. Ihre Ausführungen lassen aber nicht erkennen, welche Schlußfolgerung sie in tatsächlicher Hinsicht an die Verletzung der Mitwirkungspflicht geknüpft hat, d.h. ob und allenfalls in welcher Höhe sie weitere Einkünfte des Beschwerdeführers der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt hat. Die belangte Behörde ist im Hinblick auf die Verletzung der Mitwirkungspflicht von der Mindestbemessungsgrundlage gemäß § 28 HGG ausgegangen, ohne darzutun, auf Grund welcher Überlegung sie zu dem Ergebnis gekommen ist, die Bemessungsgrundlage übersteige diesen Betrag nicht. Legt man der Entscheidung zugrunde, daß der Beschwerdeführer - wie er behauptet - nur im September 1986 Einkünfte erzielt hat, dann ist die Anwendung der Mindestbemessungsgrundlage verfehlt, weil in diesem Fall gemäß § 26 Abs. 1 letzter Satz HGG das für diesen Monat nachgewiesene Nettoeinkommen Bemessungsgrundlage wäre. Geht man hingegen davon aus, daß der Beschwerdeführer auch in den Monaten zuvor ein Nettoeinkommen in dieser Höhe erzielt hat, würde sich an der Bemessungsgrundlage nichts ändern, weil dann gemäß § 26 Abs. 1 erster Satz HGG der Durchschnitt der letzten drei Monate vor Antritt des Zivildienstes maßgebend wäre. Eine Verschlechterung in dem von der belangten Behörde verfügten Ausmaß könnte sich für den Beschwerdeführer nur dann ergeben, wenn er in den Monaten Juli und August 1986 zwar Bezüge im Sinne des § 26 Abs. 3 HGG gehabt hätte, diese aber so gering gewesen wären, daß sie zusammen mit dem für September 1986 nachgewiesenen Nettoeinkommen von S 19.974,82 nicht das Dreifache der Mindestbemessungsgrundlage (das sind S 24.541,92) überstiegen hätten. Ob eine derartige Tatsachenfeststellung mit einer schlüssigen Beweiswürdigung begründet werden könnte, kann hier dahingestellt bleiben, weil die belangte Behörde Feststellungen über Bezüge des Beschwerdeführers in den Monaten Juli und August 1986 nicht getroffen und daher auch keine diesbezüglichen Erwägungen im Rahmen der Beweiswürdigung angestellt hat.

Aus den dargelegten Gründen war der angefochtene Bescheid in seinem Ausspruch über den Familienunterhalt wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG und in seinem Ausspruch über die Wohnkostenbeihilfe wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z.

3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte

gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 und 6 VwGG abgesehen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die

§§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985.

Wien, am 29. November 1988

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