VfGH B476/09

VfGHB476/0929.11.2010

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch eine meritorische Entscheidung über eine Berufung gegen ein Schreiben betreffend die Verwendungsänderung des Beschwerdeführers in der Finanzprokuratur; erstinstanzliche Erledigung kein Bescheid mangels Anführung der bescheiderlassenden Behörde

Normen

B-VG Art83 Abs2
AVG §18 Abs4, §58 Abs3
BDG 1979 §38, §40
FinanzprokuraturG §10, §17
B-VG Art83 Abs2
AVG §18 Abs4, §58 Abs3
BDG 1979 §38, §40
FinanzprokuraturG §10, §17

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.620,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer steht in einem

öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Er war als Leiter der Abteilung 1 der Finanzprokuratur tätig. Mit Schreiben vom 29. Oktober 2008 setzte der Präsident der Finanzprokuratur den Beschwerdeführer von der Absicht in Kenntnis, ihn ab 1. Jänner 2009 von seiner Funktion des Leiters der Abteilung 1 abzuberufen und ihn als Prokuraturanwalt zu verwenden. Gegen die geplante Maßnahme erhob der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 10. November 2008 Einwendungen.

In weiterer Folge wurde dem Beschwerdeführer die folgende Erledigung ausgefolgt:

"Herrn HR Dr. M F

Abteilung 1

im Haus

771-Präs/2008

Bescheid

Mit Ablauf des 31.12.2008 werden Sie gemäß §40 iVm §38 Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 idgF (BDG 1979) von Ihrer Funktion als Leiter der Abteilung 1 (Arbeitsplatzwertigkeit A1/6) von Amts wegen aus wichtigem dienstlichem Interesse abberufen und mit Wirksamkeit vom 1.1.2009 mit der Funktion eines Prokuraturanwaltes (Arbeitsplatzwertigkeit A1/4) betraut.

Gemäß §38 Abs7 BDG 1979 wird festgestellt, dass sie die für

die Abberufung maßgebenden Gründe gemäß §141a BDG 1979 nicht zu

vertreten haben.

Begründung

...

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid können Sie binnen zwei Wochen nach

seiner Zustellung beim Präsidium der Finanzprokuratur schriftlich

Berufung einbringen. ...

Wien, am 26. November 2008

Der Präsident:

Unterschrift

(Dr. W P)"

2. Dagegen erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 2. Dezember 2008 Berufung. In der Folge erließ die Berufungskommission beim Bundeskanzleramt (in der Folge: Berufungskommission) einen mit 3. März 2009 datierten Bescheid folgenden Inhaltes:

"Die Berufungskommission beim Bundeskanzleramt hat ... über

die Berufung ... gegen den Bescheid des Präsidenten der

Finanzprokuratur vom 26. November 2008 ... zu Recht erkannt:

Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen."

Begründend wird u.a. Folgendes ausgeführt:

"Bescheidmerkmale:

Dem für die Bescheidqualifikation einer Erledigung wesentlichen Erfordernis der Bezeichnung der Behörde (vgl. §58 Abs3 in Verbindung mit §18 Abs4 erster Satz AVG) ist - wie der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen hat - Rechnung getragen, wenn - nach objektiven Gesichtspunkten für jedermann, also unabhängig von der subjektiven Kenntnis des Adressaten des Schriftstückes - erkennbar ist, von welcher Behörde der Bescheid erlassen wurde; nur wenn die Bescheid erlassende Behörde nicht erkennbar (die Erledigung einer bestimmten Behörde nicht zurechenbar) ist, so liegt ein Bescheid nicht vor (vgl. etwa VwGH 26.4.1996, 96/17/0086).

Welcher Behörde die angefochtene Erledigung zuzurechnen ist, ist anhand des äußeren Erscheinungsbildes nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen (vgl. VwGH 26.2.1997, 96/12/0330). Anderes lässt sich auch aus dem vom BW [Berufungswerber; Beschwerdeführer im verfassungsgerichtlichen Verfahren] herangezogenen Zitat aus Hengstschläger/Leeb, AVG §18 RZ 15 nicht entnehmen. An welcher Stelle des Bescheides die Behörde genannt ist, ist für die rechtliche Qualifikation der Erledigung als Bescheid irrelevant. Im vorliegenden Fall erfolgte die Unterfertigung des Bescheides durch eine eigenhändige Unterschrift des Präsidenten der Finanzprokuratur unter Hinzufügung der Bezeichnung 'Der Präsident' und der leserlichen Angabe des Namens desselben. In der Rechtsmittelbelehrung wird die für Bescheide der Finanzprokuratur als Dienstbehörde vorgesehene Einbringungsstelle (Präsidium der Finanzprokuratur) beschrieben. Im Spruch wird die Betrauung mit der Funktion eines Prokuraturanwaltes vorgenommen, wobei auch hieraus unmissverständlich abgeleitet werden muss, dass die Finanzprokuratur als Bescheid erlassende Dienstbehörde auftritt. Wenngleich den Ausführungen der belangten Behörde hinsichtlich der Verwendung eines Briefpapiers mit geprägtem Logo der Finanzprokuratur nicht zweifelsfrei gefolgt werden kann, da diese auch nicht ansatzweise auf der im Akt enthaltenen Kopie des Bescheides erkannt werden kann und aus der Vorlage eines entsprechenden Briefpapiers allein nicht zwingend darauf zu schließen ist, dass dieses auch im gegenständlichen Fall verwendet wurde, und auch die Ausführungen zur in der Finanzprokuratur erfolgten Reorganisation allein nicht zwingend auf die Bescheid erlassende Stelle schließen lassen, kann aus den übrigen oben näher dargestellten Gründen im vorliegenden Fall gerade noch davon ausgegangen werden, dass ein objektiver Adressat des Schriftstückes zweifelsfrei davon ausgehen kann, dass der Präsident der Finanzprokuratur als Bescheid erlassende Stelle auftritt. Daraus ergibt sich, dass von einem 'Nichtbescheid' im Sinne der Ausführungen des BW hier nicht die Rede sein kann."

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

Der Beschwerdeführer bringt dazu u.a. Folgendes vor:

"1. Bescheidcharakter.

In meiner Berufung habe ich mangelnden Bescheidcharakter im

Hinblick darauf geltend gemacht, dass die mir zugestellte Erledigung

keine Behördenbezeichnung aufwies. Die Ausführungen der belangten

Behörde dazu ... zeigen entgegen deren Auffassung nicht, dass die

bescheiderlassende Behörde für jedermann zweifelsfrei erkennbar war

... bzw. ist, sondern lediglich, dass diesbezügliche fundierte

Vermutungen angestellt werden können. Es ist meines Erachtens rechtsstaatlich inakzeptabel, dass das als ausreichend für das Vorliegen eines Bescheides angesehen und damit eine Unterschreitung jenes Grundstandards jedes Schriftverkehres toleriert wird, gemä[ß] welchem jedermann sich auf seinen Schriftstücken selbst explizit identifiziert und es nicht dem anderen überlässt, aus Anhaltspunkten zu erraten, mit wem er es wohl zu tun habe.

Liegt aber damit ein erstinstanzlicher Bescheid nicht vor, so durfte die belangte Behörde nicht inhaltlich entscheiden, sondern sie hätte (unter Zurückweisung meiner Berufung) eine Entscheidung zu fällen gehabt, durch welche der erstinstanzlichen Behörde auferlegt wird, eine gesetzmä[ß]ige Bescheiderlassung nachzuholen. Ich bin unter diesem Blickwinkel dadurch im verfassungsgesetzlich geschützten Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt worden, dass die erstinstanzliche Behörde keine wirksame Entscheidung erlassen und die zweitinstanzliche Behörde trotz ihrer davon ausgehend gegebenen Unzuständigkeit eine Sachentscheidung gefällt hat."

Die Berufungskommission als die im verfassungsgerichtlichen Verfahren belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde; von der Erstattung einer Gegenschrift wurde Abstand genommen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige -

Beschwerde erwogen:

1. Die §10 Abs1 und §17 Abs1 des Finanzprokuraturgesetzes - ProkG, BGBl. I 2008/110, lauten - auszugsweise - wie folgt:

"§10. (1) Die Finanzprokuratur wird von ihrem Präsidenten

geleitet, ... ."

"§17. (1) Die Finanzprokuratur ist Dienstbehörde erster

Instanz und Personalstelle im Sinne des VBG."

2. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg. 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt der Bezeichnung der Behörde in schriftlichen Bescheidausfertigungen (vgl. §58 Abs3 iVm §18 Abs4 AVG) so wesentliche Bedeutung zu, dass dann, wenn eine solche Bezeichnung fehlt, das betreffende Schriftstück - mag es auch sonst die Merkmale eines Bescheides aufweisen - nicht als Bescheid angesehen werden kann (zB VwGH 14.5.1987, 87/02/0036; 5.6.1987, 85/18/0149; 30.10.1991, 91/03/0247; 23.10.2002, 2002/16/0231). Dem Erfordernis der Bezeichnung der Behörde ist nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes dann Rechnung getragen, wenn für jedermann erkennbar ist, von welcher Behörde der Bescheid erlassen wurde, wobei die Frage, welcher Behörde eine Erledigung zuzuordnen ist, anhand des äußeren Erscheinungsbildes nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen ist (zB VwGH 30.9.1996, 96/12/0268; vgl. auch VwGH 14.6.1993, 92/10/0448).

Der Verfassungsgerichtshof hat sich dieser Auffassung angeschlossen (VfSlg. 15.175/1998; vgl. auch VfSlg. 17.669/2005). Vor ihrem Hintergrund ist es offenkundig, dass es sich bei der dem Beschwerdeführer ausgefolgten erstinstanzlichen Erledigung um keinen Bescheid handelt: Auf dem Schriftstück findet sich kein Hinweis auf die Behörde, von der es herrührt. Dem Spruch ist diesbezüglich nichts zu entnehmen; darin wird nur die Betrauung des Beschwerdeführers mit einer bestimmten Funktion beschrieben, woraus - anders als die Berufungskommission im angefochtenen Bescheid meint - keinesfalls ableitbar ist, dass "die Finanzprokuratur als Bescheid erlassende Dienstbehörde auftritt". Entgegen der von der Berufungskommission weiters vertretenen Auffassung ist die bescheiderlassende Behörde auch aus der Rechtsmittelbelehrung nicht ersichtlich. Das in dieser bezeichnete "Präsidium der Finanzprokuratur" ist nämlich keine Behörde (bei einer solchen sind jedoch Berufungen gemäß §63 Abs5 AVG einzubringen). Die Fertigungsklausel enthält neben dem Namen des Präsidenten der Finanzprokuratur und dessen Unterschrift den Zusatz "Der Präsident". Daraus ergibt sich aber nicht, dass der Präsident für die Dienstbehörde (vgl. die unter Pkt. II.1. wiedergegebenen §10 Abs1 und §17 Abs1 ProkG) handelt.

Bei der Anführung der bescheiderlassenden Behörde muss aber klar und unmissverständlich zum Ausdruck kommen, welche Behörde gehandelt hat; es genügt nicht, dass die Behörde in Korrektur des äußeren Anscheines des Bescheides aus dem rechtlichen Zusammenhang erschlossen werden kann (vgl. VwGH 30.9.1996, 96/12/0268). Im Übrigen dürfte für die belangte Behörde selbst zweifelhaft sein, wem der bei ihr bekämpfte Bescheid zuzurechnen ist, weil sie als Gegenstand ihrer Entscheidung in deren Kopf den "Bescheid des Präsidenten der Finanzprokuratur" nennt, in der Begründung dagegen anführt, dass "die Finanzprokuratur als Bescheid erlassende Dienstbehörde auftritt", dann aber meint, dass "der Präsident der Finanzprokuratur als Bescheid erlassende Stelle auftritt".

Die Berufungskommission war - da es sich nach dem soeben Gesagten bei der erstinstanzlichen Erledigung um keinen Bescheid handelt - zur meritorischen Entscheidung über die Berufung des Beschwerdeführers gegen die erstinstanzliche Erledigung nicht befugt. Sie hätte vielmehr die Berufung als unzulässig zurückweisen müssen. Dadurch, dass sie dennoch die Berufung abgewiesen hat, hat sie den Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

Der angefochtene Bescheid war daher allein schon aus diesem Grund wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG. Im zugesprochenen Betrag sind Umsatzsteuer in Höhe von € 400,-- sowie Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in Höhe von € 220,-- enthalten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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