OGH 4Ob138/24h

OGH4Ob138/24h21.1.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Stadt *, vertreten durch die BINDER GRÖSSWANG Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. * KG und 2. * KG, beide pA *, und vertreten durch die Gheneff Rami Sommer Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, wegen Unterlassung, Widerruf und Urteilsveröffentlichung (Gesamtstreitwert 110.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei (Streitwert im Provisorialverfahren [richtig:] 95.000 EUR) gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 28. Juni 2024, GZ 5 R 74/24z‑34, sowie die außerordentliche Revision der klagenden Partei (Streitwert im Revisionsverfahren [richtig:] 78.750 EUR) gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. September 2024, GZ 5 R 88/24h‑39, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0040OB00138.24H.0121.001

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Gewerblicher Rechtsschutz

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs und die außerordentliche Revision werden gemäß §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO bzw gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin ist eine Gebietskörperschaft und betreibt ein Krankenhaus, über das die beklagten Medieninhaberinnen in der Print- und Onlineausgabe der von ihnen herausgegebenen Tageszeitung am 20. und 21. 9. 2023 ua berichteten wie folgt:

[2] Nach den erstgerichtlichen Feststellungen stürzte in der Nacht vom 17. auf den 18. 9. 2023 ein Patient der Ortho‑Trauma Abteilung in einer von der Klägerin betriebenen Klinik aus dem Bett. Die diensthabenden Pfleger bemerkten den Sturz bei einem routinemäßigen Rundgang, den sie um ca 5:30 Uhr morgens in einem anderen Zimmer begannen, um 6:02 Uhr, als sie das Zimmer betraten; einen vorhergehenden Alarm gab es nicht. Zuletzt waren die Pfleger um 5:15 Uhr im Zimmer, weil ein anderer Patient sie wegen Schmerzen gerufen hatte. Damals war der später gestürzte Patient noch im Bett. Es ist möglich, dass er kurz nach 5:15 Uhr aus dem Bett fiel; der genaue Sturzzeitpunkt steht nicht fest.

[3] Die Pfleger der Ortho‑Trauma Abteilung absolvieren drei Mal pro Nacht routinemäßige Rundgänge, und zwar um ca 20:00 Uhr, um Mitternacht und am Morgen zwischen 5:00 und 6:00 Uhr. Diese routinemäßigen Rundgänge bleiben von der Frequenz her gleich, egal wie angespannt die Pflegesituation ist. Es kommt aber sehr oft dazu, dass Pfleger die Zimmer auch zwischen diesen Rundgängen aufsuchen, nämlich immer dann, wenn sie von einem Patienten gerufen werden.

[4] Zum Zeitpunkt des Vorfalls herrschte in der Ortho‑Trauma Abteilung ein Mangel an Pflegern. Dieser war darauf zurückzuführen, dass grundsätzlich zu wenige Pflegekräfte im Spital vorhanden waren, und zusätzlich sehr viele Pflegekräfte auf Urlaub oder im Krankenstand waren. Dies hatte zur Folge, dass rund um den Vorfallszeitpunkt nur zwei statt wie vorgesehen drei Pfleger Nachtdienst versahen. Darauf wurde vom Spital derart reagiert, dass die Bettenanzahl in der Abteilung um fünf Betten reduziert wurde. Diese Reduktion hatte zur Folge, dass zwei Pfleger für 25 Patienten statt wie im Normalbetrieb vorgesehen drei Pfleger für 30 Patienten verfügbar waren. Die Frequenz der Routinerundgänge wurde dadurch nicht verändert. Die ohnehin angespannte Situation beim Pflegepersonal war noch drastischer, weil etliche Pfleger der Ortho‑Trauma Abteilung damals bereits ein Versetzungsgesuch abgegeben hatten. Am 18. 9. 2023 kam es zu einer offiziellen Überlastungsanzeige der Pfleger der Ortho‑Trauma Abteilung an die Klägerin.

[5] Die Klägerin begehrt, gestützt auf § 1330 ABGB und §§ 1, 7 UWG, die Beklagten für schuldig zu erkennen, es zu unterlassen,

„1.1 die nachstehenden Aussagen

a) der Orthopädie- und Traumaabteilung in der Klinik * gehen die Pfleger aus; und/oder

b) die Versorgung auf der Orthopädie- und Traumastation in der Klinik * hänge am seidenen Faden, weil es kaum noch Pfleger gibt; und/oder

c) ein Patient, der in einem von der Klägerin betriebenen Krankenhaus aus dem Bett gefallen war, lag für 20–60 Minuten auf dem kalten Boden; und/oder

d) niemand wisse aufgrund unzureichenden Personalstands, wie lange ein in der Klinik * am 18. 9. 2023 morgens aus dem Bett gefallener Patient auf dem Boden gelegen sei;

und/oder inhaltsgleiche Aussagen zu behaupten und/oder zu verbreiten; sowie

1.2 über die Klägerin Berichte zu veröffentlichen, insbesondere mit Aussagen gemäß Punkt 1.1, wenn die Klägerin nicht zuvor konkret mit sämtlichen wesentlichen, sie belastenden Rechercheergebnissen konfrontiert und ihr eine angemessene Frist zur Stellungnahme eingeräumt wird, und/oder wenn Berichte über die Klägerin mit Fotos illustriert werden, die nicht den geschilderten Sachverhalt abbilden.“

[6] Weiters begehrt die Klägerin einen öffentlichen Widerruf sowie eine Urteilsveröffentlichung in den Medien der Beklagten.

[7] Das Erstgericht wies sowohl den Sicherungsantrag, als auch die Klagebegehren ab. Die Beklagten hätten den Wahrheitsbeweis hinsichtlich der Punkte 1.1 a), b) und d) des Unterlassungsbegehrens zumindest im Kern erbracht. Die zu 1.1 c) beanstandete Behauptung ergebe sich hingegen nicht aus den Artikeln; die Leser würden aufgrund der konkreten Formulierungen und des Zusammenhangs nicht davon ausgehen, dass ein Patient bis zu einer Stunde auf dem Boden gelegen sei, sondern nur, dass für die Klägerin bzw das Krankenhauspersonal nicht eruierbar sei, wie lange er dort gelegen sei, was den Tatsachen entspreche. Mangels Rechtswidrigkeit der Äußerungen bestünde sohin kein Anspruch auf Unterlassung, Widerruf und Veröffentlichung.

[8] Schließlich sei auch kein derart umfassender Unterlassungsanspruch wie zu Punkt 1.2 begehrt aus dem Gesetz ableitbar. Damit würden die Beklagten im Ergebnis bei allen künftigen Berichten über die Klägerin zu einem bestimmten Procedere gezwungen, was der Meinungs- und Pressefreiheit diametral zuwiderlaufe.

[9] Im Provisorialverfahren gab das Gericht zweiter Instanz dem Rekurs der Klägerin nicht Folge und bestätigte die Abweisung des Sicherungsantrags im Wesentlichen mit der Begründung, dass der Wahrheitsbeweis im Kern erbracht sei. Im Hauptverfahren hingegen gab es der Berufung der Klägerin teilweise Folge und bestätigte lediglich die Abweisung der Spruchpunkte 1.1 a) und b) sowie 1.2 und des diesbezüglichen Widerrufs- und Veröffentlichungsbegehrens. Im Übrigen, sohin hinsichtlich der Unterlassungs-, Widerrufs- und Veröffentlichungsansprüche zu 1.1 c) und d) betreffend den aus dem Bett gestürzten Patienten, hob es das Urteil zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung wegen eines Verfahrens- bzw Begründungsmangels im Hauptverfahren auf.

[10] Weiters sprach es aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands (jeweils) 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs bzw die ordentliche Revision nicht zulässig sei; ebensowenig ließ es den Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss zu.

Rechtliche Beurteilung

[11] Der Revisionsrekurs und die Revision der Klägerin sind jeweils mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage iSd §§ 528 Abs 1, 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig und daher zurückzuweisen.

1. Zu den Punkten 1.1 a) und b) (Provisorial- und Hauptverfahren):

[12] 1.1 Hinsichtlich der Klagebegehren: „der Orthopädie- und Traumaabteilung in der Klinik * gehen die Pfleger aus“ und/oder „die Versorgung auf der Orthopädie- und Traumastation in der Klinik * hänge am seidenen Faden, weil es kaum noch Pfleger gibt“ ist in dritter Instanz nur mehr der konkrete Bedeutungsgehalt der Artikel fraglich sowie, ob diese Aussagen wahr sind.

[13] 1.2 Die Ermittlung des Bedeutungsinhalts ist im Allgemeinen eine Rechtsfrage, die von den näheren Umständen des Einzelfalls, insbesondere aber von der konkreten Formulierung in ihrem Zusammenhang abhängt. Bei der Beurteilung kommt es immer auf den Gesamtzusammenhang und den dadurch vermittelten Gesamteindruck sowie das Verständnis des unbefangenen Durchschnittslesers an (vgl RS0031883 [insb T6, T28]). Ob eine andere Beurteilung der festgestellten Äußerung vertretbar ist, hat keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung und bildet demnach keine erhebliche Rechtsfrage iSd §§ 528 Abs 1, 502 Abs 1 ZPO (RS0107768). Dasselbe gilt für die Fragen, ob Tatsachen verbreitet wurden, oder eine wertende Äußerung vorliegt, und ob eine bestimmte Äußerung als Wertungsexzess zu qualifizieren ist (RS0113943 [insb T1]).

[14] Auch die Anwendung der Unklarheitenregel ist am Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung zu messen. Liegt die Annahme eines bestimmten Tatsachenkerns nahe, der wahr ist und die damit verbundenen Werturteile als nicht exzessiv rechtfertigt, so muss die entfernte Möglichkeit einer den Kläger noch stärker belastenden Deutung unbeachtlich bleiben (RS0121107; vgl auch RS0085169).

[15] Unwahr ist eine Äußerung dann, wenn ihr sachlicher Kern nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt, und zwar im Zeitpunkt der Äußerung (RS0115694). Der Wahrheitsbeweis ist schon dann als erbracht anzusehen, wenn er den Inhalt der Mitteilung im Wesentlichen bestätigt (RS0079693).

[16] Ob ein bestimmter Tatsachenkern naheliegt und wahr ist, kann ebenfalls nur aufgrund der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden und begründet daher regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd §§ 528 Abs 1, 502 Abs 1 ZPO, solange den Vorinstanzen keine zur Wahrung der Rechtssicherheit und Rechtseinheit aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen ist.

[17] 1.3 Eine derartige Fehlbeurteilung kann die Klägerin nicht aufzeigen.

[18] Weder muss aus den Artikeln zwingend der Vorwurf abgeleitet werden, dass es sich um ein spezielles Problem ausschließlich dieser Abteilung handle, noch um einen kontinuierlichen, unaufhaltbaren Abwärtstrend oder einen unmittelbar drohenden totalen Zusammenbruch, wie die Klägerin in ihren Rechtsmitteln argumentiert. Soweit sie einen äußert kurzfristigen und unvorhersehbaren Personalmangel aufgrund übermäßiger Krankenstände ins Treffen führt, geht sie nicht vom festgestellten (und insoweit unbekämpften) Sachverhalt aus, wonach schon grundsätzlich zu wenige Pflegekräfte vorhanden waren und etliche von ihnen Versetzungsgesuche abgegeben hatten. Insofern geht auch die Rüge von sekundären Feststellungsmängeln ins Leere: Wenn zu einem bestimmten Thema Tatsachenfeststellungen getroffen wurden, mögen diese auch von den Vorstellungen des Rechtsmittelwerbers abweichen, können diesbezüglich keine rechtlichen Feststellungsmängel erfolgreich geltend gemacht werden (RS0053317 [T1]).

[19] Die Wertung der Vorinstanzen, dass die Artikel im Gesamtkontext nicht eine konkrete Gefährdung von Patienten, aber der Pflegesituation insgesamt in der Abteilung nahelegen, und eine solche im Zeitpunkt der Äußerung zumindest im Kern nachgewiesen wurde, ist vor diesem Hintergrund jedenfalls vertretbar. Dass auf einen akuten Pflegermangel mit der Reduktion von belegbaren Betten reagiert werden kann (und im Anlassfall wurde), mag sein, ändert aber nichts daran, dass der planmäßige Betrieb der Abteilung mangels ausreichender Pflegekapazitäten diesfalls nicht aufrecht erhalten werden kann (konnte). Eine Versorgung von Patienten in einer Fachabteilung kann nicht nur dadurch „am seidenen Faden hängen“ (was vom Gericht zweiter Instanz vertretbar als [sehr] gefährdet verstanden wurde), dass eine Beeinträchtigung der Pflege aufgenommener Patienten droht, sondern auch dadurch, dass von Vornherein keine Patienten aufgenommen und versorgt werden. Auch warum die Pfleger nicht „ausgehen“ würden, weil die festgestellten Versetzungsgesuche unbeachtlich seien, erschließt sich nicht, steht es den Betroffenen für einen Fall der Verweigerung doch frei, das Arbeitsverhältnis überhaupt zu beenden. Der von der Klägerin ins Treffen geführte gute Personalstand im Jänner 2024 und die allgemeine Situation am Arbeitsmarkt für Pflegekräfte sind hingegen irrelevant, weil ausschließlich jene Umstände zu beurteilen sind, wie sie im September 2023 Gegenstand der Berichterstattung waren.

2. Zu den Punkten 1.1 c) und d) (Provisorialverfahren):

c) Ein Patient, der in einem von der Klägerin betriebenen Krankenhaus aus dem Bett gefallen war, lag für 20-60 Minuten auf dem kalten Boden; und/oder

d) niemand wisse aufgrund unzureichenden Personalstands, wie lange ein in der Klinik * am 18. 9. 2023 morgens aus dem Bett gefallener Patient auf dem Boden gelegen sei.

[20] 2.1 Die Klägerin beanstandet in ihrem Revisionsrekurs, dass die Nachtschicht nicht „stark unterbesetzt“ gewesen sei, weil die Bettenanzahl reduziert worden sei, und sich dies auch nicht ausgewirkt habe, weil die Routinerundgänge unverändert stattgefunden hätten.

[21] 2.2 Während das Berufungsgericht in seinem aufhebenden Beschluss im Hauptverfahren dem Erstgericht auftrug, das Beweisverfahren hinsichtlich des Protokolls des Überwachungsmonitors am Bett des gestürzten Patienten zu ergänzen, wo sich ab 5:53 Uhr für das Erstgericht nicht nachvollziehbare Einträge befanden, ist im hier ausschließlich zu beurteilenden Provisorialverfahren bescheinigt, dass tatsächlich ein Patient aus dem Bett fiel, ohne dass es einen Alarm gab, und er womöglich von 5:15 bis 6:02 Uhr am Boden lag – was niemand der Beteiligten mit Bestimmtheit aufklären konnte –, bis er im Zuge der routinemäßigen Kontrollgänge entdeckt wurde.

[22] Auch wenn Feststellungen zur Behauptung der Klägerin fehlen, dass das veröffentlichte „Beweisfoto“ nicht von diesem Vorfall stammen könnte, weil die Station anders ausgestattet sei, kann ihr nicht beigepflichtet werden, dass das Bild von einem am Boden liegenden Patienten „nichts mit dem Vorfall zu tun hätte“, gibt es diesen doch zumindest inhaltlich wieder. Der Sinngehalt von Äußerung und Foto decken sich somit; ob die (zusätzliche) Veröffentlichung des konkreten Lichtbildes gerechtfertigt ist, ist für die Begehren zu 1.1 c) und d) irrelevant.

[23] 2.3 Auch insofern ist die Rechtsansicht des Erstgerichts vertretbar, dass der Wahrheitsbeweis erbracht wurde, weil die Artikel keinen Vorwurf eines konkreten Fehlverhaltens gegenüber dem gestürzten Patienten oder eines Organisationsverschuldens der Klägerin bei diesem Dienst enthalten, sondern den allgemeinen Vorwurf, es gebe so wenig Pflegepersonal, dass ein Patient bis zu einer Stunde am Boden liegen könnte, ohne dass der Vorfall bemerkt würde und aufgeklärt werden könnte.

[24] Diese Auslegung wird gestützt durch den Tenor der Artikel, die den Vorfall als „Hilferuf“, „Sittenbild für das Gesundheitswesen am Abgrund“ und „Zeugnis des Scheiterns des Gesundheitssystems im Jahr 2023, das im wahrsten Wortsinne auf dem Boden liegt“ stilisieren.

[25] Eine Nachtschicht als „stark unterbesetzt“ zu bezeichnen ist – gemessen an der „Idealvorstellung“ aus Patienten- und Pflegersicht und losgelöst von regulatorischen und spitalsinternen Vorgaben, die dem Leser nicht bekannt sind und auch nicht genannt wurden – eine zulässige Wertung, wenn es möglich ist, dass Patienten längere Zeit unbemerkt am Boden liegen. Wenn die Klägerin in ihrem Revisionsrekurs beanstandet, dass der Patient maximal 47 Minuten am Boden gelegen haben könnte, ist ihr entgegenzuhalten, dass nach dem bescheinigten Sachverhalt kein Alarm ausgelöst wurde und routinemäßige Rundgänge nur um 20:00 Uhr, Mitternacht und ab 5:00 Uhr stattfanden, weswegen ein Patient, sofern nicht er oder ein Zimmernachbar ruft, sogar mehrere Stunden unbemerkt am Boden liegen könnte. Damit ist aber auch die spekulierende Frage: „Für eine Stunde oder 20 Minuten? Niemand weiß das so genau“, selbst wenn man sie als Tatsachenbehauptung versteht, vom bescheinigten Sachverhalt gedeckt. „Stunde“ ist im Gesamtzusammenhang zudem nicht als exakt 60 Minuten, sondern als „längere Zeit“ zu verstehen, sodass mit 47 Minuten der Wahrheitsbeweis zumindest im relevanten Kern erbracht wurde.

[26] Die von den Beklagten hergestellte (in den drei Artikeln unterschiedlich formulierte) Kausalverknüpfung („weil die Nachtschicht stark unterbesetzt war“) kann vor diesem Hintergrund ebenso vertretbar als wertender Schluss verstanden werden. Einen konkreten Tatsachenvorwurf, dass der Vorfall mit den ursprünglich vorgesehenen drei Pflegern nicht passiert wäre, oder die Klägerin auf die kurzfristigen, krankheitsbedingten Ausfälle beim Pflegepersonal falsch reagiert hätte, enthalten die Artikel nicht.

[27] 3. Die Abweisung der auf § 1330 ABGB, § 7 UWG gestützten Unterlassungsbegehren zu Punkt 1.1 wegen eines ausreichend wahren Tatsachenkerns ist somit von der Rechtsprechung gedeckt.

[28] Weder der Verweis der Klägerin auf die blickfangartigen Überschriften der Artikel, noch auf den Umstand, dass die Unterlassungsbegehren mit „und/oder“ verknüpft wurden, vermag an dieser Beurteilung etwas zu ändern.

[29] Den weiters begehrten Feststellungen zum generellen Mangel an Pflegekräften in Europa, dem Vorgehen bei Besetzungen von Nachtdiensten und zu den negativen Auswirkungen der Berichterstattung fehlt es an der rechtlichen Relevanz.

[30] Aufgrund der Abweisung der Unterlassungsbegehren muss auf die Revisionsausführungen zum Widerrufs- und Veröffentlichungsbegehren nicht eingegangen werden (zum Verhältnis dieser Ansprüche s im Übrigen 4 Ob 55/24b).

4. Zu Punkt 1.2 (Provisorial- und Hauptverfahren):

[31] 4.1 Die Vorinstanzen ließen offen, ob die Beklagten in concreto gegen die journalistische Sorgfalt verstießen, insbesondere ob sie der Klägerin eine ausreichende Möglichkeit zur Stellungnahme boten, weil sie den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch schon dem Grunde nach verneinten.

[32] 4.2 Auch insoweit bewegt sich die Entscheidung im Rahmen der bisherigen Rechtsprechung. Bei der journalistischen Sorgfalt (vgl § 6 Abs 2 Z 2 lit b, Z 3; § 7 Abs 2 Z 4; § 7a Abs 3 Z 4; § 7b Abs 2 Z 4; § 29 MedienG) handelt es sich – soweit es die Rechtswidrigkeit betrifft – um einen Rechtfertigungsgrund, der neben den Wahrheitsbeweis tritt und ins Zivilrecht übernommen wurde (vgl RS0114664, RS0031856, RS0108415).

[33] Mit ihrem Begehren, den Beklagten zu verbieten Berichte zu veröffentlichen, wenn sie die Klägerin nicht zuvor konkret mit sämtlichen wesentlichen, sie belastenden Rechercheergebnissen konfrontiert und ihr eine angemessene Frist zur Stellungnahme eingeräumt haben, wird dieser Rechtfertigungsgrund von der Klägerin hingegen zur Bedingung erhoben, wofür sie auch in dritter Instanz keine Rechtsgrundlage anführen kann. Auch in der Revision wird nicht dargelegt, inwiefern aus § 1330 ABGB oder § 1295 Abs 2 ABGB (oder aus dem Schutz des wirtschaftlichen Rufes als absolut geschütztes Recht) eine derartige Pflicht, die selbst für den Fall wahrheitsgemäßer Berichterstattung und unabhängig von einer Interessenabwägung gelten würde, abgeleitet werden könnte.

[34] Ein Unterlassungsgebot ist nach ständiger Rechtsprechung dann zu weit gefasst, wenn der Beklagte damit zu Unterlassungen verurteilt wird, zu denen er bei richtiger Auslegung des materiellen Rechts nicht verpflichtet wäre (RS0037461).

[35] 4.3 Die Klägerin weist zwar zutreffend darauf hin, dass ein Verstoß gegen die journalistische Sorgfalt in der Rechtsprechung bereits als Verstoß gegen die berufliche Sorgfalt iSd § 1 Abs 1 UWG (vgl RS0123245) qualifiziert wurde. In der ins Treffen geführten Entscheidung 4 Ob 62/14tSportlerbilder hatte aber ein Mitbewerber gegen die unberechtigte Nutzung von Fotos zwecks Eigenwerbung geklagt.

[36] Auch wenn das Vorliegen von Wettbewerbsabsicht seit der UWG‑Novelle 2007 kein Tatbestandselement des § 1 UWG mehr ist (sehr wohl jedoch des § 7 UWG), liegt ein Handeln im geschäftlichen Verkehr iSd § 1 UWG nur dann vor, wenn das beanstandete Verhalten objektiv geeignet ist, den eigenen oder fremden Wettbewerb zu fördern und nicht eine andere Zielsetzung bei objektiver Betrachtung eindeutig überwiegt (vgl RS0123244 [T1], RS0126548). Gerade bei Medienunternehmen kann sogar bei Äußerungen über einen Mitbewerber eine andere Zielsetzung überwiegen, die die Anwendung von §§ 1, 7 UWG ausschließt, etwa bei öffentlich und kontrovers geführten Debatten (vgl RS0077728, RS0122468; 4 Ob 140/22zImpflotterie).

[37] Ein Abgehen von dieser Rechtsprechung bei den konkreten Artikeln wird nicht aufgezeigt.

[38] 4.4 Schließlich würden die Beklagten durch das konkret begehrte Verbot, wie das Erstgericht bereits betonte, nicht bloß zur Einhaltung der beruflichen bzw journalistischen Sorgfalt verpflichtet, sondern zu einem bestimmten Procedere.

[39] Auf Abwehr störender Handlungen gerichtete Unterlassungsansprüche begründen nach herrschender Ansicht aber kein Handlungs-, sondern ein Erfolgsverbot, sodass es grundsätzlich dem Verpflichteten überlassen zu bleiben hat, wie er den gesetzeskonformen Zustand herstellt (vgl RS0010566, RS0004649 [T13], RS0000878 [T18]).

[40] Daher kommt ebensowenig ein generelles Verbot in Betracht, dass „Berichte über die Klägerin mit Fotos illustriert werden, die nicht den geschilderten Sachverhalt abbilden“, weswegen es auch in diesem Zusammenhang irrelevant ist, ob das konkrete Foto tatsächlich den am 18. 3. 2023 im Spital der Klägerin gestürzten Patienten zeigt.

[41] Eine amtswegige Umformulierung oder Teilabweisung, wie von der Klägerin eventual angeregt, kommt im Hinblick auf die konkrete Formulierung des Begehrens und auf das Vorbringen, das von einer Pflicht ausgeht, nicht in Betracht.

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