OGH 4Ob140/22z

OGH4Ob140/22z20.12.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, MMag. Matzka und Dr. Annerl sowie die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M* GmbH, *, vertreten durch Dr. Peter Zöchbauer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei K* Gesellschaft m.b.H. & Co. KG., *, vertreten durch die Gheneff – Rami – Sommer Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung, über die Revision und den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen das Urteil und den damit verbundenen Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungs- und Rekursgericht vom 28. Juni 2022, GZ 5 R 56/22z‑19, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 9. März 2022, GZ 53 Cg 35/21z‑12, teilweise abgeändert und die gleichzeitig erlassene einstweilige Verfügung bestätigt wurden, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00140.22Z.1220.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Gewerblicher Rechtsschutz

 

Spruch:

 

I. Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung nunmehr insgesamt zu lauten hat:

„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig,

1. es im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs zu unterlassen, die Äußerungen,

• die periodischen Druckwerke der klagenden Partei, insb die periodischen Druckwerke mit dem Titel '*' und '*', seien 'Billigzeitungen' und/oder

• die klagende Partei veranstalte eine Impflotterie, an der auch 'Ungeimpfte' teilnehmen können, und/oder

• die klagende Partei veranstalte eine 'Impflotterie', bei der man auch mit evident tatsachenwidrigen Angaben, beispielsweise offenkundig falschen Angaben zum Impfdatum, gewinnen könne,

und/oder sinngleiche Äußerungen zu behaupten und/oder zu verbreiten;

2. das über diese Klage ergehende Urteil (exklusive Kostenentscheidung) binnen 14 Tagen im redaktionellen Teil des periodischen Druckwerks '*' (Mutation Wien) – und zwar auf Seite 3 ganzseitig, in einem Kasten mit Fettdruckumrandung, unter der 24 Punkt großen Überschrift 'Im Namen der Republik', im Übrigen in 14 Punkt großer Schrift, dies mit gesperrt und fettgedruckten Namen der Prozessparteien – auf eigene Kosten zu veröffentlichen,

wird abgewiesen.“

II. Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

III. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 13.907,52 EUR (darin 1.859,62 EUR USt, 2.745 EUR Gerichtsgebühren und 4,80 EUR Fahrtkosten) bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin ist Medieninhaberin der mit einer Druckauflage von 35.620 Exemplaren um 2,90 EUR angebotenen Kaufzeitung „*“ und der Gratiszeitung „*“ mit einer Druckauflage von 424.799 Exemplaren. Die Beklagte ist Medieninhaberin der Tageszeitung „*“, die von Montag bis Samstag um 1,50 EUR verkauft wird. Die periodischen Druckwerke der Parteien konkurrieren miteinander.

[2] Die Klägerin veranstaltete im Jahr 2021 in ihren Druckwerken eine „Impflotterie“, mit der sie für alle Österreicher, die sich bis zu einem bestimmten Datum gegen COVID‑19 impfen ließen oder die bereits geimpft waren, Sach- und Geldpreise auslobte. Zur Teilnahme wurde auf einem Online-Formular auf der Website www.*.at/impflotterie Folgendes abgefragt:

 

 

[3] Die ersten drei Felder des Formulars (Impfmotiv, Impfdatum und Nickname) mussten technisch nicht ausgefüllt werden, um das Formular übermitteln zu können. Es war technisch möglich, in das Teilnahmeformular der Impflotterie ein falsches Impfdatum, einen falschen Namen oder einen Fantasienamen einzugeben und das Formular so abzuschicken. Die eingegebenen und abgeschickten Daten gelangten direkt in die Datenbank der Klägerin. In dieser wurden durch deren Mitarbeiter mittels eines technischen Verfahrens die Einträge zufällig nummeriert und aufgrund der zufälligen Reihung die Gewinner ermittelt. Die Mitarbeiter prüften die Daten der automatisch ermittelten Gewinner und schieden Teilnehmer mit offensichtlich falschen oder unplausiblen Angaben aus der Gewinnerliste aus. In einem solchen Fall rückte der durch den Zufallsgenerator jeweils nächstgereihte Teilnehmer in die Gewinnerliste auf. Danach wird dem Gewinner entweder telefonisch oder per Mail gratuliert und er aufgefordert, eine zu unterfertigende Gewinnbestätigung samt Übermittlung eines Impfnachweises zu unterfertigen und zu retournieren. Die Mitarbeiter der Klägerin überprüfen dann den übermittelten Impfnachweis und erst dann, wenn dies stimmig ist, wird der Gewinn verschickt.

In der Tageszeitung der Beklagten erschien * folgender Beitrag:

 

 

 

 

[4] Die Klägerin begehrte, gestützt auf §§ 1, 2 und 2a sowie § 7 Abs 1 UWG, wie aus dem Spruch ersichtlich und erhob ein zum Unterlassungsbegehren inhaltsgleiches Sicherungsbegehren bis zur Rechtskraft des über die Unterlassungsklage ergehenden Urteils.

[5] Mit dem Ausdruck „Billigzeitung“ werde der polemisch abwertende und pauschal herabsetzende Eindruck erweckt, die Zeitungen der Klägerin seien qualitativ minderwertige Produkte. Mit „Billigzeitung“ könne nicht der Preis angesprochen sein, weildie Kaufzeitung nicht preisgünstiger als andere Tageszeitungen sei und die Gratiszeitung nichts koste; was nichts koste, könne aber nicht „billig“ (bezogen auf den Preis) sein. Weiters werde der Eindruck erweckt, man könne an der Impflotterie auch als Ungeimpfter oder selbst mit absurden Antworten zum Impfmotiv und vor allem evident tatsachenwidrigen Antworten zum Impfdatum Preise gewinnen. Tatsächlich würden dann, wenn ein Teilnehmer einen Preis gewinne, Umstand und Datum der Impfung – etwa durch Einsicht in die Daten des „Grünen Passes“ – kontrolliert, bevor ein Preis übergeben werde.

[6] Die Beklagte erwiderte, die Klägerin sei im Artikel nicht erkennbar bezeichnet worden. Selbst wenn dies anders wäre, sei die Bezeichnung „Billigzeitung“ nicht herabsetzend iSd §§ 1, 7 UWG, weil es sich dabei – vor allem im Hinblick auf den Durchschnittspreis der inhaltlich identen Druckwerke der Klägerin, deren Löwenanteil verschenkt werde – um eine wahre Tatsache handle. Die Beklagte habe im inkriminierten Artikel lediglich – wahrheitsgemäß – ausgeführt, dass die von der Klägerin gestellten Fragen auch mit Fantasieangaben beantwortet werden könnten. Dass man trotz falscher Angaben bei der Teilnahme gewinnen könne, habe die Beklagte nicht behauptet.

[7] Das Erstgericht gab der Klage und dem Sicherungsantrag zur Gänze statt. Die Klägerin sei erkennbar gewesen. „Billigzeitung“ sei als qualitativ minderwertig zu verstehen und pauschal herabsetzend. Der Artikel lege nahe, dass man auch mit absurden oder tatsachenwidrigen Angaben sowie als Ungeimpfter gewinnen könne, was unwahr und geeignet sei, den wirtschaftlichen Ruf der Klägerin zu schädigen.

[8] Das Berufungs- und Rekursgericht bestätigte die einstweilige Verfügung und das Unterlassungsbegehren, änderte aber das Veröffentlichungsbegehren geringfügig ab. Es lägen Handeln im geschäftlichen Verkehr ebenso wie Wettbewerbsabsicht iSd § 7 UWG vor. Im Übrigen teilte es die Ansicht des Erstgerichts.

[9] Das Rechtsmittelgericht sprach aus, dass der Entscheidungsgegenstand in beiden Verfahren jeweils 30.000 EUR übersteige und ließ ordentliche Rechtsmittel gegen seine Entscheidung nicht zu.

[10] Mit Revision und Revisionsrekursbeantragt die Beklagte die Abänderung der beiden Entscheidungen im klags- bzw antragsabweisenden Sinne; hilfsweise wird jeweils ein Aufhebungsantrag gestellt.

[11] Mit den ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Rechtsmittelbeantwortungen beantragt die Klägerin, die Rechtsmittel der Beklagten zurückzuweisen, hilfsweise ihnen nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[12] Die Revision ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig und berechtigt.

[13] Der Revisionsrekurs ist mangels Beschwer zurückzuweisen.

Zu I.:

[14] Die Revision führt einerseits ins Treffen, der inkriminierte Beitrag sei zu einem allgemein bekannten und wichtigen Thema, nämlich der COVID-19-Pandemie und deren Bekämpfung durch Impfungen ergangen. Der Artikel sei redaktionell motiviert gewesen und habe dem Interesse der Öffentlichkeit an Information gedient. Es sei daher nicht das Wettbewerbsrecht anwendbar, sondern nur das allgemeine Deliktsrecht, namentlich § 1330 ABGB; Ansprüche nach dem allgemeinen Deliktsrecht verfolge die Klägerin aber gerade nicht. Der inkriminierte Artikel befasse sich ausschließlich mit dem Thema der Impfung gegen COVID-19 und die Zeitung der Klägerin komme nur deshalb darin vor. Würde man auch in solchen Fällen Handeln im geschäftlichen Verkehr oder allenfalls Wettbewerbsabsicht annehmen, bliebe für die dargelegte Rechtsprechung keinerlei Raum mehr. Dass die Beklagte in Wettbewerbsabsicht gehandelt hätte, habe sie – entgegen der Ansicht des Rechtsmittelgerichts, wonach dies unstrittig wäre – stets ausdrücklich bestritten. Zudem sei das Unterlassungsgebot gar nicht auf Handlungen in Wettbewerbsabsicht beschränkt, sodass es darauf nicht ankomme. Die Bezeichnung als „Billigzeitung“ sei nicht herabsetzend iSd §§ 1, 7 UWG, weil es sich im Hinblick auf den Umstand, dass die Tageszeitungen der Beklagten zum Großteil verschenkt würden, um eine wahre Tatsache handle. Auch die Anwendung der Unklarheitenregel sei am Grundrecht auf freie Äußerung (Art 10 EMRK, Art 13 StGG) zu messen: Liege die Annahme eines bestimmten Tatsachenkerns nahe, der wahr sei und die damit verbundenen Werturteile als nicht exzessiv rechtfertige, müsse die entfernte Möglichkeit einer den Beklagten noch stärker belastenden Deutung unbeachtlich bleiben; es sei daher unzulässig, der inkriminierten Äußerung zu unterstellen, sie sei lediglich als pauschale Herabsetzung eines Mitbewerbers zu verstehen, die keinen objektiv überprüfbaren Tatsachenkern enthalte und einem Wahrheitsbeweis nicht zugänglich sei. Im Gegenteil würden die Tageszeitungen der Klägerin zum Großteil verschenkt, weshalb es auch nach gängigem Sprachgebrauch üblich und zulässig sei, diese als „Billigzeitung“ zu bezeichnen.

Dazu wurde erwogen:

[15] 1.1. Das Vorliegen von Wettbewerbsabsicht ist seit der UWG-Novelle 2007 kein Tatbestandselement des § 1 UWG mehr (sehr wohl jedoch des § 7 UWG). Im Rahmen des § 1 UWG ist es daher schon ausreichend, wenn das beanstandete Verhalten objektiv geeignet ist, den Wettbewerb zu fördern. Etwas anderes gälte nur dann, wenn bei objektiver Betrachtung eine andere Zielsetzung eindeutig überwiegt (RS0126548; vgl RS0123244 [insb T1]).

[16] 1.2. Welchen Eindruck eine Aussage vermittelt, ist danach zu prüfen, wie sie nach dem Zusammenhang und dem dadurch vermittelten Gesamteindruck ein redlicher, durchschnittlich informierter und verständiger Adressat bei Aufwendung einer dem Anlass angemessenen Aufmerksamkeit versteht (vgl RS0114366; RS0043590; RS0079395 [T3]; RS0031815).

[17]  1.3. Nimmt ein Mitbewerber – wenngleich in Wettbewerbsabsicht – an einer Debatte teil, die öffentliche Interessen betrifft, so hat die Freiheit der Meinungsäußerung bei der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung seiner Aussagen ein höheres Gewicht als bei rein unternehmensbezogenen Äußerungen. Dabei ist insbesondere die Bedeutung des Themas zu berücksichtigen, zu dem die Äußerung erfolgte. Je größer das Informationsinteresse der Öffentlichkeit ist und je weniger die Wettbewerbsabsicht des Äußernden im Vordergrund steht, um so eher wird die Äußerung zulässig sein. Auch in solchen Debatten müssen es aber konkret genannte Unternehmen nicht hinnehmen, dass über sie unwahre kreditschädigende Tatsachenbehauptungen aufgestellt werden. Es besteht nämlich kein öffentliches Interesse an unwahren und herabsetzenden Behauptungen (RS0122468 [T4, T8]; vgl RS0077728 [T6]). Unwahre (nicht erweislich wahre) herabsetzende Tatsachenbehauptungen über einen Mitbewerber oder seine Ware, irreführende Behauptungen oder pauschalierende Abwertungen können nicht durch das verfassungsgesetzlich verankerte Recht der freien Meinungsäußerung nach Art 13 StGG und Art 10 Abs 2 EMRK gerechtfertigt werden (vgl RS0107915; RS0075732; RS0077899; 4 Ob 242/18v mwN).

[18] 2.1. In diesem Lichte ist der Revision im Ergebnis zuzustimmen, dass der Artikel in einer Gesamtbetrachtung nicht vordergründig unternehmensbezogene Äußerungen der Beklagten erkennen lässt, sondern sich in genereller Weise mit der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung aktuell diskutierten Frage der COVID‑19‑Impfung und konkreter mit mehreren aus Sicht der Autorin auffälligen Ereignissen und Unternehmungen im Zusammenhang mit dieser Frage kritisch zugespitzt auseinandersetzt. In diesem Zusammenhang kommt der Titulierung der Produkte als „Billigzeitung“ keine besondere Bedeutung zu, deren Gewicht die Zielsetzung, einen prononcierten Beitrag zu einer öffentlichen und kontrovers geführten Debatte von hoher gesellschaftspolitischer Bedeutung zu leisten, relativieren könnte.

[19] 2.2. Dabei schadet es nicht, wenn hier der ausreichend konkret festgestellte Umstand, dass die Zeitungen der Klägerin in einer Gesamtbetrachtung in erheblich geringerem Maße durch Einnahmen aus dem Verkauf finanziert werden, angesprochen wurde, weil dies in zwar verkürzter, aber nicht pauschalisierender Form geschah. Der Artikel bringt damit zum Ausdruck, dass so verfasste Medien gerade im Zusammenhang mit ernsthaften gesellschafts- und gesundheitspolitischen Fragen mit Aktionen wie solchen „Impflotterien“ wohl erhöhte Aufmerksamkeit primär für das Medium selbst generieren wollen, und damit die aus Sicht der Artikelverfasserin wesentlichen politischen Kernfragen verdecken oder davon ablenken. Dies schlägt hier im Sinne der mit Blick auf Art 13 StGG und Art 10 Abs 2 EMRK anzustellenden Gesamtbetrachtung zugunsten der Freiheit der Meinungsäußerung aus. Diese Sicht ist auch deshalb geboten, weil anderenfalls ein wesentlicher Teil der gesellschafts- und demokratiepolitisch essenziellen öffentlichen Debatte, nämlich die – auch und gerade kritische – Reflexion des Verhaltens von Akteuren und Diskursteilnehmern, einer lauterkeitsrechtlichen und damit relativierenden Beschränkung unterworfen würde, die einem demokratischen Meinungsbildungsprozess gerade in Bezug auf journalistische Äußerungen in und von Medien nicht angemessen wäre.

[20] 2.3. Die anderen Aspekte des Artikels, insbesondere in Ansehung der Modalitäten der „Impflotterie“, die im Revisionsverfahren von den Parteien nicht mehr konkret angesprochen werden, stehen dieser Beurteilung nicht entgegen, zumal die von den Vorinstanzen angestellten Überlegungen zum Bedeutungsgehalt des vom Artikel Gemeinten auch nicht zwingend aus dessen Wortlaut ableitbar sind. Die Aussagen über die Modalitäten der Teilnahme sind wahr; nachweislich falsche Behauptungen sind mangels konkreter Aussagen über die tatsächliche Gewinnzuteilung nicht erkennbar. Auch hier steht der Debattenbeitrag im Vordergrund, wonach aus Sicht der Autorin „skurrile Blüten“ treibende „Spaß“-Aktionen keinen der Bedeutung der Impffrage für Gesundheit und Gesellschaft angemessenen Beitrag liefern würden. Grenzen zulässiger Kritik werden damit nicht überschritten, ein massiver Wertungsexzess liegt nicht vor. Die Artikelaussagen stehen damit unter dem Schutz des verfassungsgesetzlich verankerten Rechts der freien Meinungsäußerung, dem gerade im Zusammenhang mit der im Artikel erörterten eindeutig im Vordergrund stehenden Thematik im Ergebnis Vorrang zukommt.

[21] 3. Zur Frage der „Billigzeitung“ im Zusammenhang mit dem ersten Unterlassungsbegehren wurde bereits dargelegt, dass dem gegenüber der eindeutig im Vordergrund stehenden Stoßrichtung des Artikels kein besonderes Gewicht zukommt, zumal die Wahrnehmung, dass die Zeitung der Klägerin insgesamt weniger aus dem Verkauf als aus anderen Einnahmequellen finanziert wird, auch auf die Feststellungen über die Auflagenzahlen von Kauf- und Gratiszeitung gegründet werden kann. Auch wurde bereits darauf hingewiesen, dass die kritische Hinterfragung von Akteuren gerade auch des Mediensektors, wenn sie – wie hier die Klägerin – nach Ansicht der Artikelverfasserin keinen sinnvollen Beitrag zur Bewältigung der COVID-Krise leisten, in der hier zu beurteilenden Form in verfassungsrechtlichem Lichte zulässig bleiben muss. Dem steht 4 Ob 39/10d nicht entgegen, zumal sich die dort beanstandete Aussendung an Inseratenkunden richtete, und die Zulässigkeit von „Billigstzeitung“ bezogen auf Produkte der Klägerin mit gesteigerter Kundenkenntnis der konkreten wirtschaftlichen Grundlagen begründet wurde, ohne dass zusätzlich noch – wie hier – die dargelegten verfassungsrechtlichen Überlegungen ins Gewicht gefallen wären.

[22] 4. Insgesamt waren daher die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass die Klage zur Gänze abgewiesen wird.

Zu II.:

[23] 1. Nach ständiger Rechtsprechung setzt jedes Rechtsmittel eine Beschwer voraus, weil es nicht Aufgabe der Rechtsmittelinstanzen ist, rein theoretische Fragen zu entscheiden (RS0002495). Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels ist nicht nur die formelle, sondern auch die materielle Beschwer (RS0041868; RS0006497). Sie liegt vor, wenn der Rechtsmittelwerber in seinem Rechtsschutzbegehren durch die angefochtene Entscheidung beeinträchtigt wird, er also ein Bedürfnis auf Rechtsschutz gegenüber der angefochtenen Entscheidung hat (RS0041746; RS0043815). Ist dies nicht der Fall, ist das Rechtsmittel auch dann zurückzuweisen, wenn die Entscheidung formal vom Antrag abweicht (RS0041868 [T14, T15]). Kann ein Rechtsmittel seinen eigentlichen Zweck, die Rechtswirkungen der bekämpften Entscheidung durch eine Abänderung oder Aufhebung zu verhindern oder zu beseitigen, nicht mehr erreichen, dann fehlt es am notwendigen Rechtsschutzinteresse (RS0002495 [T43, T78]).

[24] Die Beschwer muss zum Zeitpunkt des Einlangens des Rechtsmittels gegeben sein und zum Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel noch fortbestehen; andernfalls ist das Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen (RS0041770; RS0006880).

[25] 2. Mit dem klagsabweisenden Urteil zu I. wurde über das Hauptbegehren endgültig entschieden; die einstweilige Verfügung war bis zur rechtskräftigen Erledigung des Unterlassungsbegehrens beantragt und erlassen worden. Mit der rechtskräftigen Abweisung des streitigen Anspruchs im Hauptverfahren fehlt dem Revisionsrekurs gegen die Entscheidung über die einstweilige Verfügung das Rechtsschutzbedürfnis (RS0002495 [T13]; RS0041770 [T18, T40; vgl auch T21]) und ist dieser daher zurückzuweisen.

Zu III.:

[26] 1. Dass die gänzlich obsiegende Beklagte alle ihre Kosten ersetzt zu erhalten hat, gründet in § 41 ZPO, für das erstinstanzliche Verfahren iVm § 54 Abs 1a ZPO, für das Rechtsmittelverfahren iVm § 50 ZPO.

[27] 2.1. Der nachträgliche Wegfall der Beschwer (oben Pkt II.) ist gemäß § 50 Abs 2 ZPO bei der Entscheidung über die Kosten nicht zu berücksichtigen. Bei der Kostenentscheidung ist der Erfolg des Rechtsmittels hypothetisch nachzuvollziehen, sodass ein Rechtsmittelwerber, der ohne Wegfall der Beschwer seine Kosten erhalten hätte, diese auch so zugesprochen bekommt (vgl RS0036102).

[28] 2.2. Die Beklagte ist mit der gleichlautenden Revision zur Gänze durchgedrungen (oben Pkt I.), sodass sie auch in Ansehung des inhaltlich deckungsgleichen Sicherungsverfahrens mit ihrem Revisionsrekurs im Sinne einer gänzlichen Antragsabweisung obsiegt hätte. Sie hat daher ebenso wie im Hauptverfahren auch im Provisorialverfahren alle Kosten ersetzt zu erhalten (vgl 4 Ob 104/20b).

[29] 3.1. Für das erstinstanzliche Verfahren hat die Klägerin keine Einwendungen iSd § 54 Abs 1a ZPO erstattet. Die von der Beklagten verzeichneten Kosten (ON 11.3) von 5.913 EUR (darin 984 EUR USt und 4,80 EUR Fahrtkosten) waren ihr daher zuzusprechen.

[30] 3.2. Die Beklagte wandte sichmit ihrer Rechtsmittelschrift gegen das erstinstanzliche Urteil, gegen die einstweilige Verfügung und gegen die Kostenentscheidung des Erstgerichts; sie verzeichnete kumuliert Kosten für Berufung, Rekurs und Kostenrekurs. Zuzusprechen sind ihr aber im Hinblick auf § 22 RATG iVm §§ 41, 50 ZPO nur die Kosten für die Berufung; die Beklagte hat daher 4.270,12 EUR (darin 508,52 EUR USt und 1.219 EUR Gerichtsgebühren) ersetzt zu erhalten.

[31] 3.3. Für die Revision und die damit verbundene Revisionsbeantwortung hat die Klägerin die von der Beklagten verzeichneten 3.723,80 EUR (darin 366,30 EUR USt und 1.526 EUR Gerichtsgebühren) ersetzt zu erhalten.

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