OGH 17Ob21/24y

OGH17Ob21/24y18.12.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Präsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Stefula und MMag. Sloboda, die Hofrätin Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Parteien 1. Dipl.‑Ing. Dr. B* (AZ 4 C 144/21m), und 2. Mag. Dr. R* (AZ 4 C 237/21p), beide vertreten durch LIKAR Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei Mag. Michael Ludwig Lang, M.B.L.‑HSG, Rechtsanwalt, 1010 Wien, Krugerstraße 13, als Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der G* GmbH *, wegen Feststellung einer Insolvenzforderung, über den (richtig) Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom 30. Juli 2024, GZ 18 R 123/24b‑80, mit dem infolge Rekurses der klagenden Parteien der Beschluss des Bezirksgerichts Mödling vom 30. April 2024, GZ 4 C 144/21m‑67, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0170OB00021.24Y.1218.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Insolvenzrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien haben die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Über das Vermögen der G* GmbH (in der Folge: Schuldnerin) wurde mit Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 7. Juli 2022 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt.

[2] Die Kläger begehrten mit Klagen vom 19. Februar 2021 bzw 18. März 2021 die Zahlung von 10.990 EUR sA (Erstkläger) bzw 5.495 EUR sA (Zweitkläger) aus mit der Schuldnerin abgeschlossenen Verträgen über die Gewährung eines qualifizierten Nachrangdarlehens (zur Entscheidung im ersten Rechtsgang siehe 10 Ob 64/22t). Neben der behaupteten Fälligkeit der Rückzahlung des Darlehens stützten sie sich (unter anderem) auch auf die Intransparenz der vereinbarten Darlehensbedingungen sowie die Sittenwidrigkeit des Geschäftsmodells, arglistige Täuschung, mangelhafte Aufklärung sowie Aufhebung des Vertrags aus wichtigem Grund.

[3] Im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin meldeten die Kläger näher aufgeschlüsselte Insolvenzforderungen von 18.875,13 EUR (Erstkläger) bzw 9.802,17 EUR (Zweitkläger) aus den der Schuldnerin gewährten Nachrangdarlehen in Höhe von 10.990 EUR bzw 5.495 EUR unter Hinweis auf die anhängigen Verfahren an, wobei die angemeldeten Forderungen jeweils Verfahrenskosten und Zinsen bis zur Insolvenzeröffnung umfassten.

[4] Nach Aufnahme der infolge Insolvenzeröffnung unterbrochen gewesenen Verfahren stellten die Kläger ihre Begehren auf Feststellung von unbedingten Insolvenz-forderungen von 18.875,13 EUR (Erstkläger) bzw 9.802,17 EUR (Zweitkläger) um und konkretisierten ihr bis dahin erstattetes Vorbringen zum sittenwidrigen Geschäftsmodell der Schuldnerin.

[5] Das Erstgericht wies die Klage im zweiten Rechtsgang wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück.

[6] Gegenstand des Prüfungsprozesses sei ausschließlich die angemeldete Forderung und das Begehren könne nur auf den Grund gestützt werden, der in der Anmeldung angegeben worden sei. Die mangelnde rechtliche Schlüssigkeit der Forderungsanmeldung könne der Gläubiger nicht nachträglich sanieren. Soweit die Kläger einerseits die Rückzahlung des Darlehens samt Zinsen begehrten und sich andererseits auf die Rückabwicklung des Vertrags stützten, sei die Forderungsanmeldung unschlüssig. Soweit sie die Rückzahlung auf vertraglicher Grundlage forderten, sei die Zahlung nicht fällig.

[7] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Kläger Folge, hob den angefochtenen Beschluss auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund auf.

[8] Die Forderungsanmeldung müsse alle anspruchsbegründenden Tatsachen enthalten, auf die später die Feststellungsklage gestützt werde. Diesen Anforderungen entsprächen die Forderungsanmeldungen der Kläger. Die geltend gemachten Beträge seien detailliert aufgeschlüsselt und die anspruchsbegründenden Tatsachen für einen vertraglichen Anspruch und im Fall von dessen Nichtigkeit für einen Kondiktionsanspruch seien entsprechend vorgebracht. Soweit die Forderungen allenfalls überhöht angemeldet worden seien, handle es sich nicht um eine Frage der Schlüssigkeit, sondern der Berechtigung des Klagebegehrens.

[9] Der Rekurs sei zulässig, weil der Auslegung der zu beurteilenden Forderungsanmeldungen im Hinblick auf die Vielzahl anhängiger Verfahren über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.

Rechtliche Beurteilung

[10] Der (richtig) Revisionsrekurs des Beklagten ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig, weil er das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage nicht aufzeigt:

[11] 1. Voranzustellen ist, dass es sich bei einem „aufhebenden“ Beschluss des Rekursgerichts, mit dem ein Zurückweisungsbeschluss des Erstgerichts beseitigt wird, der wegen des Fehlens prozessualer Voraussetzungen ergangen war, in Wahrheit nicht um eine „aufhebende“, sondern um eine abändernde Entscheidung handelt. Auf eine solche Entscheidung ist § 527 Abs 2 ZPO nicht anwendbar, sodass sie nach Maßgabe des § 528 ZPO anfechtbar ist (4 Ob 17/23p [Rz 25] mwH).

[12] 2. Der Umstand allein, dass die zu lösenden Rechtsfragen – angeblich – in einer Vielzahl von Fällen auftreten, bewirkt nicht deren Erheblichkeit iSd § 528 Abs 1 (bzw § 502 Abs 1) ZPO (RS0042816).

[13] 3. Die Forderungsanmeldung nach § 103 IO hat ähnliche Aufgaben wie eine Klage. Sie hat selbst die anspruchsbegründenden Tatsachen zu enthalten, aber eine rechtliche Qualifikation ist darin nicht vorzunehmen (vgl RS0089657 [insb T1, T2]). Wesentliche Zielrichtung ist es in diesem Zusammenhang, den anderen Beteiligten die Beurteilung der Forderung und die Feststellung der Identität zwischen der angemeldeten Forderung und dem in der Feststellungsklage nach § 110 IO geltend gemachten Anspruch zu ermöglichen (7 Ob 6/16g). Wird in der Forderungsanmeldung auf einen bereits anhängigen Prozess Bezug genommen (§ 103 Abs 2 IO), ermöglicht in der Regel schon diese Bezugnahme, dass sich der Insolvenzverwalter über die näheren anspruchsbegründenden Tatsachen unschwer unterrichten kann (8 Ob 262/00p).

[14] Das Klagebegehren im Prüfungsprozess kann nur auf den Grund gestützt werden, der in der Anmeldung und bei der Prüfungstagsatzung angegeben worden ist, denn die ordnungsgemäße Abwicklung des Prüfungsverfahrens erfordert, dass es keinen Prüfungsprozess ohne vorhergehende Forderungsanmeldung gibt; es gibt daher im Prüfungsprozess keine Erweiterung oder Änderung des Klagsgegenstands und auch keine Klagsänderung. Bloße Ergänzungen im Tatsachenvorbringen oder im Beweisanbot im Sinn des § 235 Abs 4 ZPO sind hingegen zulässig, sofern die Forderung schon in der Anmeldung eindeutig individualisiert wurde (RS0039281 [insb auch T18]).

[15] 4. Die Frage, ob die Anmeldung als ausreichend anzusehen ist, kann nur nach dem Inhalt der jeweiligen Behauptungen im Einzelfall beurteilt werden und stellt somit keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 528 Abs 1 (bzw § 502 Abs 1) ZPO dar (RS0089657 [T17]).

[16] 4.1. Der vom Erstgericht festgestellte Wortlaut der Forderungsanmeldungen umfasst – neben der Bezugnahme auf die bereits anhängigen Verfahren (§ 103 Abs 2 IO) – (auch) die Behauptungen, das Modell der Schuldnerin sei „sittenwidrig“ gewesen und die Kläger seien „über die Bonität und das Geschäftsmodell getäuscht“ worden. Es habe niemals die ernsthafte Absicht bestanden, die Darlehen aus operativen Gewinnen zurückzuzahlen. Wenn das Rekursgericht dieses Vorbringen als hinreichend schlüssig erachtete, so ist dies nicht korrekturbedürftig. Die Argumentation des Beklagten, wonach sich die Kläger in den Forderungsanmeldungen „nur“ auf die Darlehensforderung gestützt habe, übergeht gerade jene Textpassagen der Forderungsanmeldungen, die über die Bezeichnung der Forderung als „Darlehen“ hinausgehen.

[17] 4.2. Im Übrigen tritt der Beklagte den Rechtsausführungen des Rekursgerichts zur Schlüssigkeit des Vorbringens in den Forderungsanmeldungen nur mit dem einer gesetzmäßigen Ausführung nicht genügenden pauschalen Hinweis auf die Unrichtigkeit dieser rechtlichen Beurteilung entgegen (vgl RS0043603 [T9]).

[18] 4.3. Soweit sich der Beklagte auf eine – nicht veröffentlichte – Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien zu einem anderen Gläubiger der Schuldnerin stützt, lässt sich seinen Ausführungen nicht entnehmen, welche Formulierung die dort zu beurteilende Forderungsanmeldung hatte. Auch damit wird daher keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt.

[19] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Kläger haben auf die Unzulässigkeit des (richtig) Revisionsrekurses nicht hingewiesen und auch nicht dessen Zurückweisung beantragt. Sie haben daher die Kosten ihrer (richtig) Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen (RS0035962 [T20]).

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