European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:008OBA00054.24K.1205.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Arbeitsrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Der Kläger, der dem Kreis der begünstigten Behinderten angehört, war bei der Beklagten als Flüchtlingsbetreuer beschäftigt. An einem Morgen wandte er sich wegen Schmerzen im Nierenbereich an seine Hausärztin, die ihn krank schrieb und ihn an seine behandelnden Ärzte der urologischen Abteilung im Donauspital verwies. In der Arbeitsunfähigkeitsmeldung wurden keine Ausgehzeiten angeführt. Am späten Nachmittag des selben Tages ging der Kläger in die Wiener Innenstadt, wo eine Demonstration mit 350 Teilnehmern stattfand, und gab dort ein Fernseh-Interview, in dem er sich politisch äußerte. Nachdem die Sendung ausgestrahlt worden war, sprach die Beklagte die Entlassung aus. Der Betriebsrat der Beklagten stimmte der Entlassung zu.
[2] Das Erstgericht hat die auf Feststellung des aufrechten Bestands des Dienstverhältnisses gerichtete Klage abgewiesen.
[3] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die Entlassung des Klägers sei schon deshalb gerechtfertigt, weil er gegen die Anordnungen seiner Hausärztin verstoßen und sich nicht so verhalten habe, dass seine Arbeitsfähigkeit möglichst bald wiederhergestellt werde, sodass es auf sein Verhalten während des Interviews gar nicht mehr ankomme.
Rechtliche Beurteilung
[4] Die außerordentliche Revision des Klägers ist mangels einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.
[5] 1. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs muss sich ein Dienstnehmer im Falle einer Krankheit und einer dadurch ausgelösten Arbeitsunfähigkeit so verhalten, dass seine Arbeitsfähigkeit möglichst bald wiederhergestellt wird (RS0060869). Der Arbeitnehmer muss deshalb nicht nur die Anordnungen des Arztes einhalten, sondern darf auch, wenn solche infolge der allgemeinen Lebenserfahrung entbehrlich sind, die Gebote der allgemein üblichen Verhaltensweisen nicht betont und offenkundig verletzen (RS0029337; RS0060869). Eine Verletzung dieser Verpflichtung, welche den Arbeitnehmer des Vertrauens des Dienstgebers unwürdig erscheinen lässt, berechtigt den Arbeitgeber nach § 27 Z 1 AngG zur vorzeitigen Entlassung (RS0029456; RS0060869 [T8]).
[6] 2. Der Kläger richtet sich gegen die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, wonach die Hausärztin, weil keine Ausgehzeiten genannt wurden, Schonung zu Hause verordnet habe und sich auch aus der allgemeinen Lebenserfahrung ergebe, dass die Teilnahme an einer Demonstration geeignet sei, den Genesungsprozess hinsichtlich der noch abzuklärenden Schmerzen zu verzögern. Angesichts der Tatsache, dass die Ursache der die Arbeitsunfähigkeit begründenden Schmerzen damals noch nicht abgeklärt war, ist die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass die Teilnahme an der Demonstration unter diesen Umständen einen gravierenden Verstoß gegen Sorgfaltspflichten bedeute, nicht korrekturbedürftig. Im Übrigen ist die Frage, wie ärztliche Anordnungen zu verstehen und welche Verhaltensweisen aufgrund einer Erkrankung geboten sind, stets nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen und begründet deshalb für sich genommen keine erhebliche Rechtsfrage.
[7] 3. Soweit der Kläger geltend macht, dass nicht festgestellt worden sei, dass sein Verhalten dem Heilungsverlauf abträglich gewesen sei, ist ihm entgegenzuhalten, dass es nach ständiger Rechtsprechung nicht darauf ankommt, ob das Zuwiderhandeln tatsächlich zu einer Verlängerung des Krankenstands führt, sondern es genügt, dass das Verhalten geeignet war den Heilungsprozess zu verzögern (RS0029337; RS0060869; RS0126831). Auch der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 4 Ob 105/63 = Arb 7843, auf die sich der Kläger beruft, ist nichts Gegenteiliges zu entnehmen.
[8] 4. Der Kläger meint, dass die Annahme eines Entlassungsgrundes sein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht auf Versammlungsfreiheit nach Art 11 EMRK verletze. Grundfreiheiten und Menschenrechte richten sich primär an den Staat, sind aber aufgrund einer mittelbaren Drittwirkung auch im Privatrecht zu beachten (RS0008993 [T7]; RS0119477). Die durch sie verkörperten Wertungen sind deshalb aufgrund einer umfassenden Interessensabwägung auch bei der Auslegung des Arbeitsvertrags zu berücksichtigen (RS0116695). Damit ist für den Kläger aber nichts gewonnen, weil die Versammlungsfreiheit des Arbeitnehmers ihn nicht von seinen Dienstpflichten befreien kann, die er durch den Abschluss des Arbeitsvertrags freiwillig übernommen hat, sodass – wenn die Teilnahme an einer Versammlung eine Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit befürchten lässt – das Interesse des Arbeitgebers an der alsbaldigen Wiederherstellung der Arbeitskraft vorrangig bleibt. Im Übrigen liegt keine die Anrufung des Obersten Gerichtshofs rechtfertigende Rechtsfrage vor, wenn der Oberste Gerichtshof die verfassungsrechtlichen Bedenken des Rechtsmittelwerbers nicht teilt (RS0116943; RS0122865).
[9] 5. Die außerordentliche Revision des Klägers war daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen.
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